IMI-Standpunkt 2009/066 in: junge Welt vom 10.12.2009

»Kampftruppen und Waffen direkt ins Kriegsgebiet«

Bundeswehr und EU bauen eigene Kapazitäten auf, um weltweit militärisch intervenieren zu können. Gespräch mit Lühr Henken Lühr Henken ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag und Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI).

von: Junge Welt / Frank Brendle / Lühr Henken | Veröffentlicht am: 10. Dezember 2009

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von Frank Brendle

»Kampftruppen und Waffen direkt ins Kriegsgebiet«

Bundeswehr und EU bauen eigene Kapazitäten auf, um weltweit militärisch intervenieren zu können. Gespräch mit Lühr Henken

Lühr Henken ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag und Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI).

Der A 400M hat taktische Fähigkeiten, die auf dem Markt für Militärtransporter neu sind. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten?
Diese Flugzeuge sind »Kampfzonentransporter« und damit das Schlüsselprojekt für die »strategische Verlegefähigkeit in der Luft«. Sie ermöglichen der Bundeswehr erstmals, mit eigenen Transportmitteln Kampftruppen und Waffensysteme direkt in die Kriegsgebiete zu bringen. Jedes Flugzeug kann z.B. zwei Kampfhubschrauber »Tiger« oder einen Transporthubschrauber NH-90 transportieren. Es passen ein gewichtsreduzierter Schützenpanzer »Puma« oder acht Kleinpanzer »Wiesel« hinein oder 116 Soldaten mit Ausrüstung. Zehn der 60 deutschen Transportflugzeuge sind im Flug betankbar, so daß die Verlegung unter Umständen nonstop und ohne Zwischenlandungen erfolgen kann.

Zum Starten und Landen reicht ein Kilometer Piste aus Gras oder Lehm. Über die Ladeklappe können während des Fluges Lasten abgeworfen werden und Soldaten abspringen. Das wirkt sich beispielsweise auf den Standortwechsel der EU-Battlegroups aus. Für deren 1500 Soldaten und ihre Ausrüstung müßten zukünftig keine Flugzeuge gemietet werden  der Anspruch ist ja auch, diese Gefechtseinheiten innerhalb weniger Tage verlegen zu können. Ab 2014 soll die gemeinsame Luftflotte für den Militärtransport der EU aufgestellt und einem europäischen Lufttransportkommando unterstellt sein. Zwölf EU-Mitglieder, darunter auch Deutschland, wollen in diesen Pool Maschinen des Typs A400M einbringen.

Warum ist der Aufbau einer europäischen Rüstungskapazität aus Sicht der EU-Staaten so wichtig?
Die EU hat sich über den Lissabonner Vertrag zu einem Militärpakt entwickelt, der seine Mitglieder zu militärischem Beistand und zur Aufrüstung verpflichtet. Es geht vor allem um Rohstoff- und Transportwegsicherung, aber auch um einen weltweiten Macht- und Geltungszuwachs, der auf der Stärke des Militärs beruht. Und den europäischen Rüstungsfirmen geht es darum, durch Wachstum ihren Profit zu maximieren. Damit ist die Frage aufgeworfen, die auf der Münchner NATO-Sicherheitskonferenz Anfang Februar erörtert werden soll: Welche militärpolitische Rolle soll die EU künftig einnehmen? Alleiniger Akteur, Juniorpartner der NATO  oder soll sie sich militärisch zurückhalten? An Abrüstung wird dort freilich nicht gedacht, sondern an das Gegenteil.

Aufstrebende Mächte, die militärisch weltweit mitreden wollen, brauchen die strategische Transportfähigkeit nicht nur in der Luft. Welche Entwicklungen vollziehen sich gerade, um die EU zum militärischen »Global player« zu machen?
Da gibt es eine ganze Menge. Zu den bedeutsamsten zählen: Das von der Bundeswehr und dem Bundesnachrichtendienst betriebene Aufklärungssatellitensystem »SAR Lupe«, das wetterunabhängig rund um die Uhr weltweit Daten sammelt und in Verbindung steht mit dem französischen optischen Satellitensystem »Helios«. Beide sollen den Kern eines künftigen europäischen Systems bilden. Zudem das zivile Navigationssatellitensystem »Galileo«, das dem Militär verschlüsselte Frequenzbänder anbieten will. Mit ihm würden Flugzeuge, Bomben, Marschflugkörper etc. unabhängig vom US-amerikanischen GPS-System steuerbar.

Das GMES-Projekt, das offiziell der klimatischen und Umweltbeobachtung aus dem Weltraum dienen soll, kann auch zur Ortung von Migranten eingesetzt werden, die mit Booten nach Europa wollen. Schließlich arbeiten an dem Projekt von Beginn an die Europäische Verteidigungsagentur EDA und die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX mit.

Darüber hinaus haben die EU-Verteidigungsminister eine engere Zusammenarbeit vor allem bei gemeinsamen Übungen und Manövern mit Flugzeugträgern und Versorgungsschiffen vereinbart. Die Marine hat in den letzten Jahren mehrere hochseetaugliche Korvetten und Fregatten angeschafft, dazu Einsatzgruppenversorger, mit deren Hilfe Kampfverbände monatelang vor fremden Küsten durchhalten können. Die Milliarden, die das alles kostet, lassen sich kaum abschätzen.