IMI-Standpunkt 2009/059

„Friendly Fire“ bei der Bundeswehr in Afghanistan


von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 23. Oktober 2009

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

http://imi-online.de/download/CM-Afgh-AUSDRUCK-DEZ09.pdf

„Kollateralschäden“ und „Friendly Fire“ sind zynische Euphemismen, welche die alltäglichen Grausamkeiten des Krieges verdecken sollen. Ein solches tragisches Ereignis fand am 20. November 2008 im Feldlager der Bundeswehr in Kundus statt – in der Unterkunftsstube, wo man sich sonst eher langweilt, ganz ohne Feindeinwirkung.
Ein 26-jähriger Scharfschütze montiert ein Laserlichtmodul an seinem G-36-Gewehr und will anschließend überprüfen, ob sich der Abzug noch einwandfrei betätigen lässt. Das Magazin hat er aus der Waffe entfernt, doch die Patrone im Lauf vergessen. Ein Schuss löst sich, durchschlägt einen Spind und trifft einen anderen Soldaten, einen guten „Kumpel“ des Schützen, wie das Trostelberger Tagblatt vom 13.10.2009 berichtet. In dessen Körper zerspringt das Geschoss, verletzt Lunge, Leber, Niere und Wirbelsäule. Lange musste davon ausgegangen werden, dass der Angeschossene nie wieder gehen könne. Heute ist er zu 50% behindert und soll als Berufssoldat für den Innendienst übernommen werden. Der Schütze war freilich betroffen, soll sich danach „intensiv um seinen Kameraden gekümmert“ haben.
Der Vorfall sorgte seinerzeit nicht für Schlagzeilen. Auf den Tag genau drei Monate zuvor hatte die Bundeswehr erstmals eingeräumt, bei Feizabad eine Person getötet zu haben, nach Angaben der afghanischen Polizei habe es sich bei dieser um einen Zivilisten gehandelt. Kaum eine Woche später wurden an einem Checkpoint der Bundeswehr bei Kundus eine unbewaffnete Frau mit ihren zwei Kindern erschossen. In dieser Zeit begann auch bei der Bundeswehr der Finger häufiger und lockerer am Abzug zu liegen. Das musste er auch nach militärischer Logik, denn die NATO hatte ihre Haupttransportrouten zuvor in den Norden verlegt und der dort aktiven Bundeswehr die Hauptrolle bei der Logistik übertragen. Die Aufständischen unter der Führung von Taliban hatten darauf ihre Aktivitäten – ebenfalls militärischer Logik folgend – insbesondere in der Region Kundus deutlich verstärkt.

Das Urteil
Anfang Oktober wurde dem Schützen am Amtsgericht Laufen wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt der Prozess gemacht. Er wurde zu 120 Tagessätzen zu je vierzig Euro verurteilt, dazu kommen Kosten für die Behandlung des Kameraden, die er übernehmen muss. Damit kann er eine weitere Karriere bei der Bundeswehr vergessen und gilt auch im zivilen Leben als vorbestraft. Der Richter machte den erhöhten Druck, unter dem der Soldat im Einsatz stand, als strafmindernd geltend. Das verhältnismäßig milde Urteil – ein Zivilist, der beim erfahrenen, aber unbedachten Hantieren mit einer Sportwaffe einen anderen lebensgefährlich und mit bleibenden Schäden verletzt, müsste sicher mit einer höheren Strafe rechnen – belegt, dass Menschenleben und körperliche Unversehrtheit bei der Bundeswehr und in einem Kampfeinsatz auch vor einem zivilen Gericht weniger zählen. Dass es überhaupt zu einer Anklage und Verurteilung kam, ist sicherlich notwendig. Würden solche Fälle nicht verfolgt, würde vollends die Rechtlosigkeit bei der Armee im Einsatz um sich greifen, es käme noch viel öfter zu tatsächlichen und zunehmend auch vermeintlichen Unfällen, „Friendly Fire“ und „Kollateralschäden“ würden noch stärker zunehmen, als sie das bei jedem Krieg ohnehin tun.
Dennoch bleibt die Frage, ob hier die richtigen verurteilt wurden. Schon Schüler werden von der Bundeswehr für den Dienst an der Waffe angeworben, gelockt wird mit einem sicheren Arbeitsplatz. Im Rahmen der Wehrpflicht sollen eigentlich alle jungen Männer an der Waffe ausgebildet werden. Wer keine bessere Perspektive für sich sieht – und natürlich auch die, die gerne mal im Ausland um sich schießen möchten – verpflichtet sich anschließend und wird mit einer Waffe und einem unmöglichen wie absurden Auftrag in den Auslandseinsatz geschickt. Wenn etwas schief geht, wenn sie aus Versehen oder in unübersichtlichen Lagen im falschen Moment schießen, können die Soldaten anschließend vor Gericht stehen – auch wegen Mordes. Dass die Strafen tendenziell niedriger ausfallen, als bei Zivilpersonen, ist verständlich, mit der Rechtsstaatlichkeit und dem Gleichheitsgrundsatz aber nicht zu vereinbaren und ein katastrophales Zeichen gegenüber der zivilen Gesellschaft. Diejenigen aber, die für Rekrutierung und Auslandseinsätze, für den „erhöhten Druck“ verantwortlich sind, unter dem die jungen Männer mit der Waffe in der Hand stehen, werden gar nicht zur Verantwortung gezogen.

Verbotene Munition?
Die Wunden, die das Geschoss im Körper des getroffenen Soldaten verursacht hat, sprechen dafür, dass so genannte Dum-Dum-Munition verwendet wurde. Diese zerplatzt im Körper des Zieles und fügt dem Betroffenen dadurch weit schwerere Verletzungen zu, als normale Patronen und auch, als militärisch gesehen „notwendig“ ist, um einen Fein auszuschalten. Deshalb ist diese Art Munition auch nach dem Kriegsvölkerrecht verboten. Offensichtlich kursiert sie aber dennoch in Afghanistan und manche Soldaten manipulieren ihre Patronen so, dass sie eine entsprechende, grausam Wirkung entfalten. Drei dänische Soldaten wurden wegen der Verwendung von Dum-Dum-Geschossen bereits aus Afghanistan abgezogen und vor ein Militärgericht gestellt. Auch hier leugnete die politische und militärische Führung jede Verantwortung, die Soldaten hätten sich die Munition privat und illegal beschafft.
Vor dem zivilen Gericht spielte die Frage nach der Verwendung völkerrechtlich geächteter Waffen hingegen keine Rolle. Der Lokalpresse gegenüber versicherte ein Pressesprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr im Potsdam jedoch, „man werde dieser Angelegenheit jedenfalls nachgehen“. In einem zivilen Rechtsfall in Deutschland wäre die Art der Munition sicher schnell und zweifelsfrei festzustellen gewesen. Bei dem tragischen Unfall in Afghanistan hat die Bundeswehr hingegen die Spuren gesichert und die Ermittlungen vor Ort geführt – und konnte so gegebenenfalls unangenehme Details übersehen oder verschweigen.

Quelle: Rainer-Georg Zehentner: Geldstrafe für Soldaten, in: Trostberger Tagblatt vom 13.10.2009 (Seite 1f)