IMI-Studie 2009/09 - in: AUSDRUCK (August 2009)

EUropas Östliche Partnerschaft

Neoliberales Expansionsprojekt mit Energiedimension

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 11. August 2009

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Seit dem 7. Mai 2009 firmiert die expansive Ostpolitik der Europäischen Union unter einem neuen Namen. An diesem Tag wurde die „Europäische Nachbarschaftspolitik: Östliche Partnerschaft“ (ENP-O) offiziell in Leben gerufen. Das Programm, an dem sechs Staaten der ehemaligen Sowjetunion teilnehmen, fügt sich nahtlos in die Expansionsstrategie der Europäischen Union ein. Sie zielt auf die aggressive Erschließung neuer Märkte und die Durchsetzung der neoliberalen Agenda, womit schließlich die Länder im europäischen Großraum peripher in einer gemeinsamen Wirtschaftszone an das EU-Zentrum (Deutschland, Frankreich und Großbritannien) angebunden werden sollen. Hierdurch will Brüssel dem immer offener artikulierten Anspruch auf eine weltpolitische Führungsrolle ein wirtschaftliches Fundament verschaffen.

Mit der 2004 erfolgten Erweiterungsrunde erfolgte ein erster Vorstoß in das Gebiet des ehemaligen Ostblocks. Parallel dazu wurde jedoch schon die nächste Expansionsphase vorbereitet. Allerdings war hierfür das Instrument der EU-Erweiterung aus verschiedenen Gründen, die weiter unten näher erläutert werden, in dieser Form nicht wiederholbar. Aus diesem Grund soll nun die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) zu ähnlichen Ergebnissen führen: „Mit der ENP legt die EU ein Programm vor, das darauf zielt, die peripheren osteuropäischen Länder, aber auch die Mittelmeerstaaten sowie die transkaukasischen Länder sukzessive an den EU-Kern heranzuführen, intensivere Wirtschaftsbeziehungen einzugehen, die Rechts- und Wirtschaftsordnungen der Zielländer an die Regelungen in der EU anzupassen und die sozialen Beziehungen aller Art zu verdichten.“[1]

Während die Europäische Nachbarschaftspolitik auch Staaten der EU-Südflanke umfasst, nehmen an der Östlichen Partnerschaft allein ehemalige Sowjetrepubliken im „Niemandsland“ zwischen der Europäischen Union und Russland teil. Das Programm ist damit auch und vor allem eine Kampfansage der EU, den postsowjetischen Raum unter ihre Kontrolle bringen und so endgültig aus Moskaus Einflusszone herauseisen zu wollen. Dies wird nicht zuletzt deshalb als dringend erforderlich erachtet, da einige der ENP-O-Länder eine wichtige Rolle in den europäisch-russischen Auseinandersetzungen um die Verlegung strategisch wichtiger Pipelinerouten spielen. Insbesondere dem Nabucco-Projekt, um das zwischen Brüssel und Moskau mit harten Bandagen gerungen wird, soll die Östliche Partnerschaft zusätzlichen Schub verleihen. Dass sich hierbei zu allem Überfluss seit Neuestem mit RWE auch erstmals ein deutsches Unternehmen an vorderster Front im Great Game um die kaspischen Ressourcen etabliert, dürfte hier zusätzlich Öl ins Feuer gießen.
Die Europäische Union ist somit mitten in einem Prozess, der auf die Schaffung eines imperialen Großraums hinausläuft. Schon heute ist dabei absehbar, dass hiermit auch Anspruch und der Bedarf zunehmen werden, militärisch in der selbst erklärten Interessensphäre die Aufrechterhaltung der imperialen Ordnung zu gewährleisten.

Lissabon-Strategie: Neoliberaler Weltmachtanspruch

Mit dem Untergang der Sowjetunion Anfang der 1990er veränderten sich die Rahmenbedingungen für die Europäische Union auf fundamentale Weise. An die Stelle der relativ unverrückbaren Konstellation zu Zeiten der Blockkonfrontation, als man – als Juniorpartner wohlgemerkt – fest an der Seite Washingtons stand, trat eine neue Situation, die sowohl Chancen als auch Risiken in sich barg.

Einerseits bot sich nun die Möglichkeit, aus dem Schatten der USA herauszutreten und immer offensiver eine eigenständige Rolle als Weltmacht für sich zu reklamieren. Andererseits traten vor allem mit China, Indien und Russland (erneut) Länder auf den Plan, die sich zu ernsthaften machtpolitisch-ökonomischen Konkurrenten der Europäischen Union entwickelten. In diesem Zusammenhang wird immer offensichtlicher, dass nicht das gerne proklamierte „Ende der Geschichte“ (Francis Fukuyama[2]) – der ultimative Sieg des neoliberalen Ordnungsmodells unter westlicher Vorherrschaft – das prägende Element des frühen 21. Jahrhunderts sein dürfte: „Demgegenüber ist viel eher wirklich neu, dass die Expansion des Westens, die ja mit der Durchsetzung einer globalen kapitalistischen Disziplin kombiniert ist, erneut von profunden und offenen Rivalitäten charakterisiert ist.“[3] Zu diesem Ergebnis gelangen nicht nur zahlreiche politik-wissenschaftliche Veröffentlichungen der jüngsten Zeit, in denen eine „Rückkehr der Geopolitik“ (Robert Kagan[4]), eine „globale Großkonkurrenz“ (Nikolaus Busse[5]) oder ein „Weltkrieg um Wohlstand“ (Gabor Steingart[6]) prognostiziert wird, sondern auch die Chefetagen der Macht. So sagen sowohl die US-Geheimdienste als auch der Bundesnachrichtendienst zunehmende Rivalitäten zwischen den Großmächten voraus.[7]

Um für diese Auseinandersetzungen gewappnet zu sein, verabschiedete die Europäische Union bereits im Jahr 2000 die sog. Lissabon-Strategie. Sie formulierte das ehrgeizige Ziel, bis zum Jahr 2010 zur Weltwirtschaftsmacht Nummer eins aufzusteigen.[8] Die Lissabon-Strategie ist durchtränkt vom neoliberalen Zeitgeist. Denn die maximal mögliche Entfesselung der Marktkräfte und die Schleifung der sozialen Sicherungssysteme werden dort zum einzig Erfolg versprechenden wirtschaftlichen Ordnungsmodell emporgehoben. Ihre Kernelemente fasste der damalige britische Premierminister Tony Blair folgendermaßen zusammen: „[Die Lissabon-Strategie steht] für eine Veränderung der europäischen Wirtschaftspolitik: Weg von der sozialen Regulierungspolitik aus den 1980er Jahren – hin zu einem Geist von Innovation, Unternehmertum, Wettbewerbsfähigkeit und natürlich Arbeitsplätzen.“[9]

Es kam, was auf solch einer Grundlage kommen musste: Im EU-Inland folgte ein radikaler neoliberaler Umbau – in Deutschland etwa in Form von Agenda 2010 und Hartz IV -, während parallel dazu ein beispielloses Expansionsprojekt in die Wege geleitet wurde. Vorrangiges Interesse ist dabei die Erschließung neuer Märkte zu vorteilhaften Bedingungen, wofür gerade die EU-Osterweitung ein Paradebeispiel darstellte.

Die periphere Anbindung Osteuropas

Schon früh nach dem Untergang der Sowjetunion hatte sich ein Konsens herausgebildet, acht mittel- und osteuropäischen Staaten (plus Malta und Zypern) – nach Erfüllung bestimmter Kriterien wohlgemerkt – in die Europäische Union aufzunehmen, wofür die Beitrittsverhandlungen im Jahr 1997 offiziell aufgenommen wurden. Als Ergebnis der Entscheidung des Ratsgipfels von Kopenhagen im Dezember 2002 traten schließlich am 1. Mai 2004 zehn neue Staaten der Union bei. Am ersten Januar 2007 folgten mit Rumänien und Bulgarien zwei weitere, sodass die EU mittlerweile auf 27 Länder angewachsen ist. Aus Sicht der EU-Kommission konnte mit der Osterweiterung der eigene Machtbereich substanziell vergrößert werden, wie aus einer ihrer Mitteilungen hervorgeht: „Am 1. Mai 2004 tritt die Europäische Union in eine neue, historische Phase ein. Mit 25 Mitgliedstaaten, einer Bevölkerung von mehr als 450 Millionen und einem BIP von fast 10 000 Mrd. Euro wird sich das politische, geografische und wirtschaftliche Gewicht der erweiterten Union auf dem europäischen Kontinent grundlegend erhöhen.“[10]

Entgegen den gebetsmühlenartigen Wiederholungen handelte es sich bei der Osterweiterung jedoch keineswegs um ein karitatives Projekt. Denn um sich für den EU-Beitritt zu qualifizieren, mussten sich die osteuropäischen Staaten zuvor derart „reformieren“, dass sie auch auf Dauer keine Gefahr für die kerneuropäischen Wirtschaftsinteressen darstellen werden. Das Mittel hierfür war die – unverhandelbare – Forderung, ein „ebenes Spielfeld“ (level-playing field) herzustellen. Die eigene Wirtschaft wurde damit auf gleicher Augenhöhe und ohne jegliche Schutzmaßnahmen der übermächtigen Konkurrenz der kerneuropäischen Konzerne ausgeliefert. Mit anderen Worten, die Europäische Union ist der Auffassung, ein Wettrennen zwischen einem Ferrari und einem VW Käfer sei deshalb fair, weil sie auf derselben Straße fahren.

Die Auswirkungen der im Rahmen des Beitrittsprozesses verordneten „Schocktherapie“ waren ebenso absehbar wie dramatisch: „Ökonomische Stabilisierungsprogramme und marktwirtschaftliche Reformen, so schmerzhaft sie auch waren, wurden von den westlichen Finanzinstituten als Vorbedingung für irgendeine finanzielle oder technische Hilfe abverlangt. Diese Reformen waren ebenso erforderlich, um sich für eine EU-Mitgliedschaft zu qualifizieren. […] Ein dramatischer Anstieg der Armut und ein präzedenzloser Anstieg sozialer Differenzierung folgten.“[11] Exemplarisch lässt sich Polen als Beispiel anführen: „Das Land gilt als Musterschüler unter den Staaten, die 2004 in die Europäische Union aufgenommen wurden. Die östlichen Nachbarn sind auf dem Weg, westeuropäisches Wohlstandsniveau zu erreichen. So steht es in wirtschaftlichen Analysen. Trotzdem haben die meisten Bürger keinen Grund zum Feiern, denn fast drei Fünftel der Bevölkerung leben heute ‚an oder unterhalb der Armutsgrenze‘, wie das polnische Amt für Statistik GUS (Warschau) offiziell bestätigt. Der Anteil der ‚extrem Armen‘ stieg im letzten Jahrzehnt von 5 auf 12 Prozent.“[12]

Kaum besser – und in Fällen wie Ungarn sogar noch schlechter – sieht es in den anderen neuen Mitgliedsländern aus, die im Zuge der Finanzkrise in erhebliche finanzielle Schieflagen geraten sind. Diese Situation machte sich die Europäische Union zunutze, indem sie an die Vergabe von Unterstützungskrediten umfangreiche Bedingungen koppelte: „Mit anderen Worten: Die finanzpolitischen Daumenschrauben werden angezogen. Die EU bestimmt demnach mit der Gewährung ‚finanziellen Beistands‘ direkt bei der Formulierung der Haushaltspolitiken von in Not geratenen Mitgliedsstaaten mit. Bisher bestehende nationale Souveränitätsrechte werden auf diese Weise ausgehebelt. Die Europäische Kommission nimmt sich dabei Rechte heraus, wie sie bisher nur der Internationale Weltwährungsfonds (IWF) besitzt.“[13]

Da die Europäische Union, wie im folgenden Kapitel erläutert wird, noch vor dem Beitritt der osteuropäischen Staaten mittels zahlreicher Anpassungen die Macht- und Einflussmöglichkeiten der neuen Mitglieder drastisch beschränkte, stellte das EU-Zentrum hierdurch sicher, dass sie auch dauerhaft kaum über die ihnen zugedachte Rolle als „verlängerte Werkbank“, als Billigproduzenten mit Niedrigsteuerniveau hinauskommen werden.

Doch damit war das Ende der Expansionspläne noch lange nicht erreicht, im Gegenteil: „Schon vor dem Vollzug der Osterweiterung 2004 setzten in der EU-Kommission Überlegungen ein, wie es danach weitergehen sollte. Klar war aber auch, daß ein abruptes Ende der Expansionsdynamik nicht im Interesse der EU sein konnte.“[14] Eine erneute Erweiterungsrunde erwies sich hierfür jedoch als untauglich.

Das Dilemma der EU-Expansionsstrategie

Bereits hinsichtlich der EU-Osterweiterung standen die Kerneuropa-Staaten vor dem Problem, wie gewährleistet werden konnte, dass ihnen die zahlreichen neuen Mitgliedsstaaten künftig nicht allzu sehr ins Handwerk pfuschen können. Man müsse die „Handlungsfähigkeit“ bewahren, so der fadenscheinige Vorwand für den Versuch, die Macht- und Einflussmöglichkeiten innerhalb der Europäischen Union hin zu den mächtigen Staaten zu verschieben.

In diesem Zusammenhang gelang es bereits mit dem Vertrag von Nizza aus dem Jahr 2000 die Stimmverteilung im wichtigsten EU-Gremium, dem Rat der Staats- und Regierungschefs, für die kleinen EU-Länder auf ein – aus kerneuropäischer Sicht – adäquates Maß zurechtzustutzen. Allerdings kamen damals mittelgroße Länder wie Spanien noch vergleichsweise gut weg. Dieser „Mangel“ sollte anschließend mit dem EU-Verfassungsvertrag behoben werden, der ursprünglich ja noch vor dem Beitritt der zehn neuen Mitglieder verabschiedet werden sollte. Denn die im EU-Verfassungsvertrag – und in seinem Nachfolger, dem Vertrag von Lissabon – verankerte „doppelte Mehrheit“ würde bei in Kraft treten des neuen Regelwerkes zu einer massiven Verschiebung der Machtverhältnisse im Rat hin zu den großen EU-Staaten führen (Deutschlands Stimmanteil würde sich von derzeit 8,4% auf 16,73% nahezu verdoppeln[15]). Vor diesem Hintergrund wird der massive Widerstand Polens (und anfangs auch Spaniens) verständlich, die die Hauptverlierer der neuen Machtverteilung sein werden. Gerade Polen konnte nur durch scharfe Drohungen zur Zustimmung bewegt werden.[16]

Würde die EU-Expansionsstrategie nun aber nach dem bisherigen Muster über eine neuerliche Erweiterung fortgesetzt, würde sich die Machtbalance unweigerlich wieder zu Ungunsten der kerneuropäischen Staaten verschieben. Da dies logischerweise nicht in ihrem Interesse liegt, gleichzeitig aber auch eine erneute Veränderung der Stimmverteilung – der Vertrag von Lissabon ist ja noch nicht einmal verabschiedet – nahezu ausgeschlossen ist, ist eine erneute Erweiterung derzeit erst einmal vom Tisch. Dies ist der Grund für die derzeitigen Warnungen, mit einer neuerlichen Erweiterungsrunde würde die „Absorptionsfähigkeit“ der Europäischen Union überstrapaziert.[17] Folgerichtig plädiert mittlerweile Kanzlerin Angela Merkel für eine „Konsolidierungsphase, in der die Konsolidierung der Werte und Institutionen der Europäischen Union Priorität gegenüber einer nächsten Erweiterungsrunde haben sollten.“[18]

Hierin besteht das Dilemma der EU-Expansionsambitionen: einerseits ist eine neuerliche Anpassung des Institutionengefüges zugunsten der Kerneuropäer in der EU-27 extrem unwahrscheinlich; andererseits will man sich die machtpolitischen Vorteile einer Expansion in den Nachbarschaftsraum nicht entgehen lassen: „Eine Reihe von Berichten der Europäischen Kommission und Analysen von EU-Wissenschaftlern argumentieren, dass eine fortgesetzte Erweiterung notwendig ist, will die EU ökonomisch und politisch in der Lage sein, mit anderen globalen Akteuren zu konkurrieren.“[19] Vor diesem Hintergrund beschrieb der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Wissmann das Problem der Kerneuropa-Staaten folgendermaßen: „Notwendig ist ein Konzept, das einerseits die unbestreitbaren Erfolge der europäischen Erweiterungspolitik weiter möglich macht, zugleich aber eine Überforderung der Europäischen Union vermeidet.“[20] Um dieses Dilemma zu lösen, wurde die Europäische Nachbarschaftspolitik ins Leben gerufen, denn sie verfolgt das Ziel einer „Expansion ohne Erweiterung.“[21]

Expansion ohne Erweiterung: Die Europäische Nachbarschaftspolitik

Bereits im November 2002 wurden die Arbeiten an einem neuen Expansionskonzept aufgenommen, das schließlich in Form des „Wider-Europe-Papiers“ der EU-Kommission im März 2003 veröffentlicht wurde. Es steckte erstmals den Rahmen dessen ab, was ein Jahr später in die Europäische Nachbarschaftspolitik umbenannt wurde.[22] Aus oben genannten Gründen ist man nicht bereit, den 16 teilnehmenden Staaten an der Süd- und Ostflanke der EU[23] eine Beitrittsperspektive in Aussicht zu stellen. Im Wider-Europe-Papier heißt es hierzu: „Ziel der neuen Nachbarschaftspolitik ist es daher, einen Rahmen für die Entwicklung neuer Beziehungen abzugeben, der eine Aussicht auf Mitgliedschaft oder eine Rolle in den Organen der Union mittelfristig nicht einschließt.“[24]

Auch die ENP zielt auf einen umfassenden neoliberalen Umbau ab: „Die entscheidenden Voraussetzungen für verstärkte wirtschaftliche Integration mit ENP-Partnern sind maßgeschneiderte weit reichende und umfassende Freihandelsabkommen, zu denen auch Maßnahmen zum Abbau nichttariflicher Handelshemmnisse durch Herbeiführung der Konvergenz im Regulierungsbereich gehören. Ein Freihandelsabkommen der genannten Art müsste im Wesentlichen den gesamten Waren- und Dienstleistungshandel zwischen der EG und den ENP-Partnern und rigorose rechtsverbindliche Bestimmungen zur Umsetzung der den Handel und die Wirtschaft betreffenden Regulierung umfassen.“[25] Deutlicher könnte die Vorgabe an die ENP-Länder kaum ausfallen, sich in das neoliberale Korsett zu zwängen.[26]

Erreicht werden soll dies abermals durch die Implementierung des EU-Regelwerkes (acquis communautaire) und die Herstellung des bereits bekannten „ebenen Spielfelds“ (level-playing field): „Der Besitzstand der EU, mit dem ein gemeinsamer Markt auf der Grundlage der Freizügigkeit und des freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs errichtet wurde, auf dem Wettbewerb unter gleichen Bedingungen auf der Grundlage gemeinsamer Normen und unter Einbeziehung des Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutzes gewährleistet ist, könnte den Ländern, die institutionelle und wirtschaftliche Reformen durchführen, als Vorbild dienen.“[27] Insgesamt folgt die ENP exakt der Route der Osterweiterung: „Die Instrumente der Europäischen Nachbarschaftspolitik sind Abkömmlinge der EU-Osterweiterungspolitik. Was einst die Beitrittskriterien waren, sind nun die ‚gemeinsamen Werte‘. Obwohl den Nachbarstaaten ein Beitritt nicht in Aussicht gestellt wird […], unterliegen die ENP-Staaten de facto einer Konditionalität. Problematisch ist auch, dass die ENP einen Wettstreit zwischen den Nachbarstaaten der EU um die beste und schnellste Anpassung an den gemeinsamen Besitzstand der EU fördert und regionale Kooperation schwächt.“[28]

Hiermit wird auf die Schaffung einer „Europäischen Wirtschaftszone“ abgezielt, in die die ENP-Staaten zwar eng integriert werden sollen, ohne jedoch ein Mitspracherecht auf deren konkrete Ausgestaltung zu erhalten.[29] Die Bedingungen für die „Partnerschaft“ werden ausschließlich vom EU-Zentrum diktiert, da „die Zielländer der ENP zwar auf die Regeln des acquis communautaire der EU verpflichtet werden, ihnen das Recht auf (wenn auch beschränkte) demokratische Mitbestimmung [aber] abgesprochen wird.“[30] Diese imperiale Einbahnstraße wird sich auch mit der nun begonnenen „Östlichen Partnerschaft“ nicht ändern, im Gegenteil.

Östliche Partnerschaft: Maßgeschneidertes Expansionsprojekt

Die am 7. Mai 2009 offiziell ins Leben gerufene „Östliche Dimension“ der Europäischen Nachbarschaftspolitik wurde bereits während der deutschen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 auf die Agenda gesetzt.[31] In Teilen wollte Berlin damit ein Gegengewicht zu den mittlerweile umgesetzten französischen Plänen einer Mittelmeerunion schaffen.[32] An der ENP-O nehmen die sechs ehemaligen sowjetischen Gliedstaaten Armenien, Aserbaidschan, Weißrussland, Georgien, die Republik Moldau und die Ukraine teil, faktisch also alles, was sich zwischen den EU-Außengrenzen und Russland befindet. Perspektivisch denkt man sogar über eine Einbeziehung zentralasiatischer Länder nach, was tiefe Einblicke gibt, was alles in Brüssel noch als Nachbarschaftsraum verstanden wird. Vorgesehen sind 2jährliche Treffen der Staats- und Regierungschefs sowie jährliche Frühjahrstreffen der Außenminister.

Grundlage der Östlichen Partnerschaft ist eine Mitteilung der EU-Kommission vom Dezember 2008, die im folgenden März vom Europäischen Rat angenommen wurde. Dort heißt es, man wolle den ENP-O-Staaten „mit vollen Kräften dabei helfen, sich der EU anzunähern.“[33] Hierfür beabsichtige man eine „konkrete Unterstützung für die demokratischen und marktorientierten Reformen dieser Länder.“[34] Schon heute hat die Europäische Union Russland als wichtigsten Handelspartner der ENP-O-Länder (bis auf Weisrussland) abgelöst und sie weist mit allen (außer dem Erdöl exportierenden Aserbaidschan) Handelsbilanzüberschüsse auf.[35] Dieser Trend soll durch umfassende Freihandelsabkommen noch weiter verstärkt werden. In der Kommissionsmitteilung heißt es dazu: „Ziel der Assoziierungsabkommen ist es ferner, zwischen der EU und jedem einzelnen der Partnerländer eine weitreichende und umfassende Freihandelszone zu schaffen. Die Freihandelszonen werden allerdings erst nach dem WTO-Beitritt dieser Länder errichtet. Sie werden für praktisch den gesamten Handel gelten, einschließlich des Energiesektors, und auf eine möglichst weitgehende Liberalisierung abzielen.“[36] Um diese Ziele zu unterstützen, wurde beschlossen, die bereits im Rahmen der EU-Nachbarschaftspolitik bereitgestellten 250 Millionen Euro um 350 Millionen im Zeitraum bis 2013 aufzustocken.

Die publizistische Begleitmusik am Rande des Gründungstreffens ließ keine Zweifel an den Absichten der ENP-O aufkommen: „Europa streckt die Hand nach Osten aus“, so ein Feature des Deutschlandradios.[37] Noch deutlicher wurde die Financial Times Deutschland. Dort war unter dem Titel, „Und es geht doch um Einflusszonen“, folgendes zu lesen: „Natürlich weitet die EU auf diese Weise ihre ‚Einflusszone‘ aus, auch wenn Brüsseler Diplomaten um diesen Begriff am liebsten einen großen Bogen machen. Es liegt im ureigenen Interesse der Gemeinschaft, an ihren Rändern Nachbarn mit ähnlichen Werten und Normen zu haben. Demokratien sehen nicht nur netter aus. Sie sind auf lange Sicht die verlässlicheren Vertragspartner, von ihnen geht weniger militärische Gefahr aus, und sie sind attraktiver für Investoren. Wer das Wort Einflusszone vermeidet, der tut dies vor allem, um Russland nicht zu verärgern. Es wäre jedoch völlig falsch, wenn sich die EU von Moskau vorschreiben ließe, welche Art von Beziehungen sie mit ihren Anrainerstaaten pflegt.“[38] Und in der Tat, Moskau hat die Botschaft verstanden, denn dort wird die ENP-O – zu Recht – als offene Kampfansage betrachtet.

EU und Russland: Kampf um den postsowjetischen Raum

Schon die erfolgreichen „bunten“ Revolutionen in Georgien (2003), der Ukraine (2004) und Kirgisistan (2005), in denen es jeweils unter expliziter Befürwortung der Europäischen Union gelang, pro-russische durch pro-westliche Machthaber zu ersetzen, betrachtete Russland als offene und feindselige Einmischung der EU in seiner unmittelbaren Nachbarschaft.[39] Nachdem die jüngsten Umsturzversuche vor allem in Weißrussland (2006) scheiterten, sieht Moskau in der Östlichen Partnerschaft den Versuch, eine EU-Anbindung nun in eleganterer Form durch die Hintertür zu erreichen.

In den Augen des European Council on Foreign Relations ist Osteuropa ein zentraler Schauplatz sich verschärfender Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Europäischen Union: „Die neue Herausforderung durch Russland ist größer als die Drohung Energielieferungen abzudrehen oder in den Vereinten Nationen zu blockieren. Es präsentiert sich als ideologische Alternative zur EU. [Es hat sich] ein Wettkampf zwischen der Europäischen Union und Russland entwickelt, welche politischen Regeln die Nachbarschaft bestimmen sollen. [Deshalb] fordern wir, dass sich die EU darauf konzentriert diese [Nachbarschafts]Länder zu ermutigen, europäische Normen und Regulierungen zu übernehmen und sie so in das europäische Projekt zu integrieren.“[40]

Tatsächlich ist die anti-russische Stoßrichtung der ENP-O schwer zu übersehen. Dies fängt bei den unverblümten Hinweisen der EU-Kommissionsmitteilung an, der von Georgien im Sommer 2008 begonnene Krieg mit Russland sei der eigentliche Anlass gewesen, die ENP-O nun rasch voranzutreiben.[41] Das hiervon ausgehende Signal war eindeutig. Auch die der Bundesregierung zuarbeitende Stiftung Wissenschaft und Politik kommt zu dem Schluss, durch die offene Verknüpfung von Georgienkrieg und ENP-O „entstand sogar der Eindruck, als sei die Initiative gegen Russland gerichtet.“[42]

Genau so wird das Projekt in Russland auch wahrgenommen. So beklagte sich der russische Außenminister Sergej Lawrow: „Wir werden beschuldigt, über Einflusssphären zu verfügen. Aber was ist die Östliche Partnerschaft anderes als ein Versuch, die europäische Einflusssphäre auszudehnen?“[43] Besonders verärgert war man, dass Brüssel rasch dazu überging, die ENP-O als Druckmittel gegen den engen Verbündeten Weißrussland einzusetzen, die Unabhängigkeit der georgischen Teilrepubliken Süd-Ossetien und Abchasien nicht anzuerkennen: „Es ist uns nicht entgangen, dass die potenziellen Teilnehmer der ‚Östlichen Partnerschaft‘ bisweilen vor eine künstliche Wahl gestellt werden: Entweder ihr seid auf Seiten der EU oder auf Seiten Russlands“, so der russische Außenamtssprecher Andrej Nesterenko. „So ist das bei Weißrussland vollkommen der Fall. In Moskau hat man den Druck auf Weißrusslands innen- und außenpolitischen Kurs sehr wohl registriert.“[44] Besonders pikiert dürfte Moskau vor allem auch wegen der offen energiepolitisch-geostrategischen Komponenten der Östlichen Partnerschaft sein.

Die Energiedimension der Östlichen Partnerschaft

Im Kontext der immer schärfer werdenden russisch-europäischen Auseinandersetzungen unternimmt Moskau in den letzten Jahren in einer energiepolitischen Großoffensive den Versuch, immer größere Teile der EU-Gasversorgung sowie der Zuleitungen unter seine Kontrolle zu bringen. Hierfür wird den Transitländern unter anderem mit einer Unterbrechung der Gasversorgung gedroht, sollten sie sich weigern, ihr Pipelinesystem an Russland zu überschreiben.

In diesem Zusammenhang kommt vor allem der Ukraine eine immense Bedeutung zu, da durch sie gegenwärtig der Großteil des für Westeuropa bestimmten russischen und kaspischen Gases geleitet wird. In einem Artikel mit dem Titel, „Östliche Partnerschaft – ein ambitioniertes Projekt für die europäische Außenpolitik im 21. Jahrhundert“, rückte EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner die ENP-O explizit in den Kontext der russisch-ukrainischen Gaskriege: „Als Russland der Ukraine die Gasversorgung im Januar [2009] abschnitt, hatten europäische Haushalte darunter zu leiden. Die EU sah ihre Lebensqualität nicht nur als Resultat ihrer eigenen Energieversorgung direkt beeinträchtigt, sondern auch von der politischen und kommerziellen Umgebung in ihrer östlichen Nachbarschaft.“[45]

Um solche Maßnahmen Moskaus zu konterkarieren – man sollte hier jedoch nicht vergessen, dass Kiew permanent seine Rechnungen nicht begleicht – und damit auch die pro-westlichen Kräfte im Land zu stärken, übernahm die EU und nicht Russland wie bislang üblich gewesen wäre schon im März 2009 die Erneuerung des ukrainischen Röhrensystems. Dies soll nun auch explizit im Rahmen der ENP-O ein Schwerpunkt sein, wie aus der Kommissionsmitteilung hervorgeht: „Die Modernisierung des ukrainischen Erdgas- und Erdöltransportnetzes stellt eine Priorität dar.“[46]

Außerdem wird im Kommissionsdokument viel sagend auf den Bau neuer Pipelinerouten Bezug genommen: „Die Energieversorgungssicherheit der EU und der Partner erfordert eine hohe Diversifizierung der Energieversorgungsquellen und der Transportstrecken.“[47] Dies ist ein kaum versteckter Hinweis, dass die ENP-O auch und vor allem der Förderung von Projekten dienen soll, die das bestehende russische Transportmonopol für kaukasisches (und zentralasiatisches) Gas nach Westeuropa brechen sollen. Zentral ist hier das Nabucco-Projekt, eine 8 Mrd. Euro teure Pipeline, die ab 2013 Gas von Aserbaidschan über Georgien und die Türkei transportieren soll. Lediglich einen Tag nach ihrer ENP-O-Gründung unterzeichneten u.a. die beiden Teilnehmer Georgien und Aserbaidschan in Prag eine gemeinsame Erklärung mit der Europäischen Union, in der unter dem bezeichnenden Titel, „Südlicher Korridor“, der Bau der Nabucco-Pipeline im Grundsatz beschlossen wurde.

Doch hier ist das letzte Wort nicht gesprochen. Denn schon länger versucht Russland das Projekt nach Kräften – und immer wieder mit einigem Erfolg[48] – zu torpedieren. Denn von den 31. Mrd. Kubikmeter Gas, die notwendig sind, um Nabucco wirtschaftlich betreiben zu können, stehen bislang nur ein Bruchteil zur Verfügung. Von den ohnehin wenigen Optionen galt Aserbaidschan lange als sichere Bank – bis Mitte 2009 jedenfalls: „Eine regelrechte Hiobsbotschaft erreichte am 29. Juni die Europäer. Der russische Monopolist Gasprom wird einer an diesem Tag in Baku geschlossenen Absichtserklärung zufolge ab dem nächsten Jahr 500 Millionen Kubikmeter Erdgas – die sich auf bis zu 1,5 Milliarden erhöhen können – aus dem aserbaidschanischen Gasfeld Shah Deniz im Kaspischen Meer jährlich aufkaufen. Auf gerade diese Erdgasquelle haben die Europäer ihre Hoffnungen gesetzt. In der ersten Ausbaustufe des Projekts müssen mindestens zehn Milliarden Kubikmeter Erdgas durch Nabucco jährlich fließen, um das Projekt rentabel zu halten. Nun könnte Aserbaidschan ersten Schätzungen zufolge höchstens 4,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr liefern.“[49] Schon für die erste Ausbaustufe steht derzeit demzufolge nicht genug Gas zur Verfügung, geschweige denn für das Endstadium von 31. Mrd. Kubikmeter. Gelingt es demzufolge nicht, Nabucco zusätzliche Gasvorkommen zu sichern, dürfte sich das Projekt, allen Absichtserklärungen zum Trotz, erledigt haben.

Vorstoß nach Zentralasien

Aufgrund der Tatsache, dass die kaukasischen Vorkommen ohnehin nicht ausreichen, um die Nabucco-Pipeline zu befüllen, ist das Projekt zwingend – zumindest solange iranischen Gas ausscheidet – auf die kasachischen und vor allem die turkmenischen Vorkommen in Zentralasien angewiesen. In diesem Zusammenhang sollte man aufhorchen, wenn sich nunmehr erstmalig ein deutsches Energieunternehmen als wichtiger Spieler im „Great Game“ um die kaspischen Ressourcen hervortut. Denn im April 2009 sicherte sich RWE, einer der Betreiber des Nabucco-Konsortiums, als erster westlicher Konzern in einem Abkommen die Rechte zur Ausbeutung von Gasvorkommen im turkmenischen Sektor des Kaspischen Meeres. Geschätztes Gesamtvolumen: sechs Billionen Kubikmeter.[50]

An der Tragweite dieses Abkommens besteht keinerlei Zweifel: „Dieser Schritt ist möglicherweise ein Durchbruch für den westlichen Zugang zu den turkmenischen Gasreserven und für den von der EU geplanten Südlichen Korridor – einschließlich dem Nabucco-Projekt –, der über Aserbaidschan und Georgien nach Europa verläuft.“[51] Allerdings müsste hierfür zuerst eine Verbindung zwischen den zentralasiatischen Reserven und der auf der anderen Seite des kaspischen Meeres beginnenden Nabucco-Pipeline hergestellt werden. Genau hierfür gründete RWE bereits Ende 2008 zusammen mit der österreichischen OMV die „Caspian Energy Company“, die laut einer RWE-Pressemitteilung folgenden Zweck verfolgt: „Die Nabucco-Anteilseigner OMV und RWE gründen die ‚Caspian Energy Company‘: die Gesellschaft untersucht die Transport-Möglichkeiten für Pipelinegas vom östlichen Ufer des Kaspischen Meeres Richtung Europa. Abhängig von den Ergebnissen, wird die CEC die Entwicklung und den Bau eines Gas-Transportsystems quer durch das Kaspische Meer anstoßen. Das Gas könnte zum einen in die bereits vorhandene Süd-Kaukasus-Gaspipeline oder andere, neue Pipelines eingespeist werden und weiter Richtung Türkei und die Nabucco-Gaspipeline – das Rückgrat des ‚Southern Gas Corridors‘ – transportiert werden.“[52] Auch die Abschlusserklärung des Prager Treffens vom 8. Mai betont, für die Etablierung eines „Südlichen Korridors“ sei es notwendig, „direkte Verbindungen zwischen beiden Seiten des kaspischen Meeres zu errichten.“[53]

Vor diesem Hintergrund erscheint eine Ausweitung der ENP-O auf Zentralasien überaus attraktiv. Sie wird sogar in der Kommissionsmitteilung direkt ins Auge gefasst: „Die Energieversorgungssicherheit der EU […] kann erreicht werden, wenn Drittländer, beispielsweise zentralasiatische Länder, enger einbezogen werden. Daher sollte die Östliche Partnerschaft weiter zur Förderung des Baku-Prozesses beitragen, der zu einer echten Energiepartnerschaft führen sollte. Dabei müssen die zentralasiatischen Länder als Hauptenergieproduzenten uneingeschränkt an diesem Prozess teilnehmen können, ferner sollte der südliche Korridor, einschließlich des transkaspischen Korridors, ausgebaut werden.“[54] Auch ein Bericht für die Politikplanungsabteilung des Auswärtigen Amtes plädiert vehement für eine Ausweitung der ENP-O nach Zentralasien.[55]

Policing the Neighbourhood

Auf die Risiken und Nebenwirkungen einer derartigen energiepolitisch-wirtschaftlich vorangetrieben Expansion weist die EU-Kommission nachdrücklich hin: „Die Instabilität im Südkaukasus kann auch ein Risiko für die Energieversorgungssicherheit der Region selbst darstellen.“[56] Der kaum zu übersehende Subtext solcher Aussagen ist, dass für eine militärische Absicherung der EU-Interessen im europäischen Großraum im Rahmen der ENP-O Sorge getragen werden sollte. Anders jedenfalls lässt sich folgende Passage der Kommissionsmitteilung kaum interpretieren: „Ziel der Östlichen Partnerschaft ist es, die Energieversorgungssicherheit der EU und der Partner, d. h. eine langfristige Sicherung der Energieversorgung und des Energietransports, zu gewährleisten. [Dazu gehört der] Abschluss von Vereinbarungen über Energiefragen mit Moldawien, Georgien und Armenien, die als zusätzliche, flexible Instrumente dienen. Sie sollten Maßnahmen zur Unterstützung und Überwachung der Sicherheit der Energieversorgung und des Energietransports – einschließlich der Sicherheit der Energieinfrastrukturen – enthalten.“[57]

So scheint sich die Europäische Union Schritt für Schritt als sicherheitspolitischer Akteur in der kaspischen Region in Russlands unmittelbarer Nachbarschaft in Stellung zu bringen. Ein „Durchbruch“ hierfür stellte bereits der Georgienkrieg dar, in dessen Folge die erste größere Mission im Rahmen der Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) in dieser Region gestartet wurde: „Die Wahrnehmung der EU im südlichen Kaukasus veränderte sich grundsätzlich seit dem Sommer 2008, als Präsident Sarkozy ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Russland und Georgien vermittelte und die Europäische Union wurde physisch in Form der EU Monitoring Mission (EUMM) sichtbar. Die EU tauchte damit als neuer strategischer Akteur in der Region auf, auf gleicher Augenhöhe mit Russland und den Vereinigten Staaten.“[58]

Eine zunehmend auch militärisch unterfütterte Präsenz in der Region soll künftig wohl die Regel werden – heftige Konflikte mit Russland sind damit vorprogrammiert. Zudem sollen die ehemaligen Sowjetstaaten im Rahmen der ENP-O nicht nur wirtschaftliche, sondern auch militärisch an die EU herangeführt werden, wie die EU-Kommissionsmitteilung verdeutlicht: „Diese neuen Abkommen werden starke politische Bindungen entstehen lassen. […] Darüber hinaus werden sie die Zusammenarbeit im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik fördern (ESVP).“[59] Konkret werden etwa bereits Überlegungen zur Bildung einer EU-Kampfgruppe (Battlegroups) unter Beteiligung der Ukraine angestellt.[60] Der „Wert“ einer solchen militärischen Involvierung liegt auf der Hand: „Diejenigen Länder, die ökonomisch und sicherheitspolitisch in hohem Maße von der EU abhängig sind, unterstützen auch grosso modo die Werte und Normen der EU“, so die Stiftung Wissenschaft und Politik.[61]

Eurosphere: Die Nachbarschaft als imperialer Großraum

Ein kontinuierlicher Expansionsdrang, ein starkes Zentrum-Peripherie-Gefälle und die Bereitschaft, die Aufrechterhaltung der Ordnung nötigenfalls militärisch zu gewährleisten sind die drei wesentlichsten Merkmale von Imperien. Betrachtet man unter diesem Blickwinkel die EU-Osterweiterung sowie die Europäischen Nachbarschaftspolitik genauer, so zeigt sich leider, dass diese Charakterisierung für die Europäische Union nur allzu zutreffend ist. Selbst EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn gibt an, er sehe in der Europäischen Union ein „gutmütiges Imperium“[62] und auch Kommissionschef José Manuel Barroso sieht in der EU mittlerweile „eine Art Imperium.“[63]

Vor diesem Hintergrund stellt sich hier natürlich zwangsläufig die Frage nach den Grenzen des Imperiums. Für Alan Posener, Kommentarchef der Welt, sind mit den Staaten der Europäischen Nachbarschaftspolitik die „denkbaren Mitglieder des Imperiums genannt“[64] Doch andere sind noch weitaus ambitionierter. James Rogers, der für eine offensive geopolitisch-interessensfixierte EU-Militärpolitik eintritt und dessen Studien inzwischen in schöner Regelmäßigkeit als Grundlage für Debatten im Sicherheits- und Verteidigungspolitischen Ausschuss der EU dienen, hat folgende Vision: „Was wir brauchen, ist nichts anderes als einen Europäischen Commonwealth. […] Er würde den europäischen geopolitischen Einfluss auf Afrika und Südamerika ausdehnen. […] Aber wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass dieser Commonwealth nicht dasselbe wie eine EU-Erweiterung ist; Länder würden nicht die Aufnahme in die Union gewinnen, sondern ihnen würde Hilfe im Austausch für die Übernahme der europäischen Werte und ökonomischen Standards gewährt.“[65]

Ganz konkret umreißt Mark Leonard, Chef des European Council on Foreign Relations, der kürzlich als die einflussreichste neu gegründete Denkfabrik der letzten Jahre gekürt wurde[66], den von ihm als Eurosphere bezeichneten Geltungsbereich des EU-Imperiums: „Die EU ist von einem Gürtel von 70 Staaten umgeben – Heimat von 20% der Weltbevölkerung – die extrem von der EU abhängig sind. Diese 1.3 Mrd. Menschen leben im europäischen Teil der ehemaligen Sowjetunion, dem Mittleren Osten sowie Nord- und Sub-Sahara-Afrika. Die EU ist deren wichtigste Handels-, Kredit-, Investitions- und Entwicklungshilfequelle. Die EU hat diese Abhängigkeit dazu genutzt, institutionelle Verknüpfungen mit diesen Ländern zu schaffen, um sie unter den legalen und politischen Schirm der EU zu bringen. […] Die EU muss sorgfältig darüber nachdenken, wie diese Partnerschaften gestärkt werden können – womöglich, indem eine stärkere Nachbarschaftspolitik mit ‚umfassenden Freihandelsvereinbarungen‘, eine europäische Energiegemeinschaft und Sicherheitspartnerschaften entwickelt werden – um sicherzustellen, dass ihre ‚transformative Macht‘ einen Einfluss auf Länder hat, die niemals der EU beitreten werden.“[67]

Anmerkungen:

[1] Brand, Martin: Die Europäische Nachbarschaftspolitik – ein neoliberales Projekt?, in: UTOPIE kreativ, H. 217 (November 2008), S. 997-1006, S. 1001.

[2] Fukuyama, Francis: The End of History?, in: The National Interest, Summer 1989.

[3] Pijl, Kees van der: Globale Rivalitäten und Aussichten auf Veränderung, in: Arrighi, Giovanni u.a.: Kapitalismus Reloaded, Hamburg 2007, S. 33-52, S. 33.

[4] Kagan, Robert: Die Demokratie und ihre Feinde, Bonn 2008.

[5] Busse, Nikolaus: Entmachtung des Westens: die neue Ordnung der Welt, Berlin 2009, S. 10.

[6] Steingart, Gabor: Weltkrieg um Wohlstand: Wie Macht und Reichtum neu verteilt werden, München 20082.

[7] National Intelligence Council: Global Trends 2025: A Transformed World, November 2008; Rinke, Andreas: Metamorphose der Geopolitik, in: Internationale Politik, Juni 2009.

[8] „Die Union hat sich heute ein neues strategisches Ziel für das kommende Jahrzehnt gesetzt: das Ziel, die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen.“ Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Europäische Rat (Lissabon) 23. und 24. März 2000, S. 2. Hervorhebungen im Original.

[9] Brand 2008, S. 1000.

[10] Größeres Europa – Nachbarschaft: Ein neuer Rahmen für die Beziehungen der EU zu ihren östlichen und südlichen Partnern, Mitteilung der Kommission, Brüssel, den 11.3.2003, KOM(2003) 104 endgültig (weiter zitiert als Wider-Europe 2003), URL: http://ec.europa.eu/world/enp/pdf/com03_104_de.pdf (17.03.2008), S. 3.

[11] Zielonka, Jan: Europe as Empire: The Nature of the Enlarged European Union, New York 2006, S. 30f.

[12] Nurh, Achim: Die Verlierer des polnischen Wirtschaftsbooms, WDR/DLF/RB/SR/SWR 2008), URL: http://tinyurl.com/dhtke5 (03.03.2009).
[13] Wehr, Andreas: Am EU-Gängelband, Junge Welt, 29.04.2009.

[14] Vobruba, Georg: Expansion ohne Erweiterung. Die EU-Nachbarschaftspolitik in der Dynamik Europas, in: Osteuropa 2-3/2007.

[15] Die anderen Gewinner wären, wenn auch bei weitem nicht in dem Umfang wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien.

[16] Wehr, Andreas: Wer regiert Europa?, in: Z, Juni 2004.

[17] Lang, Kai-Olaf/Schwarzer, Daniela: Die Diskussion über die Aufnahmefähigkeit der EU. Nötiger Zwischenschritt oder Ende der Erweiterung? SWP-Studie, Dezember 2007, S. 10.
[18] Five years after ‚big bang‘, EU hesitates over new members, 26.04.2009, URL: http://www.mysinchew.com/node/23665 (31.07.2009).

[19] Yesilanda u.a. 2006, S. 620.

[20] Matthias Wissmann: Neue Strategien für die Erweiterung der EU – Das Modell der gestuften Mitgliedschaft, URL: http://www.matthias-wissmann.de/index.php?page=449 (18.03.2008)

[21] Vobruba 2007.

[22] Europäische Nachbarschaftspolitik: Strategiepapier, Mitteilung der Kommission, Brüssel, den 12.5.2004, KOM(2004) 373 endgültig.

[23] Algerien, Armenien, Aserbaidschan, Weißrussland, Ägypten, Georgien, Israel, Jordanien, Libanon, Libyen, Moldawien, Marokko, Palästinensische Autonomiebehörde, Syrien, Tunesien und die Ukraine.

[24] Wider-Europe 2003, S. 5.

[25] Für eine starke Europäische Nachbarschaftspolitik, Mitteilung der Kommission, Brüssel, den 05/12/07 KOM(2007) 774 endgültig, S. 4f.

[26] Vgl. Dodini, Michaela/Fantini, Marco: The EU Neighbourhood Policy: Implications for Economic Growth and Stability, in: JCMS, Nr. 3/2006, S. 507532, S. 514.

[27] Wider-Europe 2003, S. 10. Hervorhebung JW.

[28] Tulmets, Elsa: Alter Wein in neuen Programmen: Von der Osterweiterung zur ENP, in: Osteuropa, Jg. 57, 2-3/2007, S. 105-116, S. 105.

[29] Kelley 2006, S. 37.

[30] Brand 2008, S. 1000.

[31] Bolzen, Stefanie/Schiltz, Christoph: Drahtseilakt mit dem Osten, Die Welt, 07.05.2009.

[32] Schäffer, Sebastian/Tolksdorf, Dominik: The Eastern Partnership – “ENP plus” for Europe’s Eastern neighbors, CAPerspectives 4/2009, S. 1.

[33] Mitteilung der Kommission: Östliche Partnerschaft, KOM 823, 03.12.2008 (zit. als KOM 2008), S. 2.

[34] Ebd., S. 3.

[35] Popescu, Nicu/Wilson, Andrew: The Limits of Enlargement-Lite: European and Russian Power in the Troubled Neighbourhood, ECFR Policy Report, June 2009.

[36] KOM 2008, S. 5. Hervorhebung im Original.
[37] Hoffmann, Clemens: Gebremste Euphorie, Deutschlandfunk, 04.05.2009.

[38] Kreimeier, Nils: Und es geht doch um Einflusszonen, Financial Times Deutschland, 06.05.2009. Insofern ist es nicht verwunderlich, wenn der Ost-Ausschuss-Vorsitzende Klaus Mangold jubiliert: „Auf die Angleichung von Rechtsvorschriften und eine abgestimmte Grenz- und Zollverwaltung warten unsere Unternehmen seit Jahren.“ Russland fühlt sich von „EU-Ostpolitik“ provoziert, Die Welt, 07.05.2009.

[39] Dass sich viele der Kooperationspartner nicht gerade als lupenreine Demokraten erwiesen haben, hat der weiteren Unterstützung durch die EU bislang kaum einen Abbruch getan.

[40] Leonard, Mark/Popescu, Nico: A Power Audit of EU-Russia Relations, ECFR Policy Report, November 2007, S. 1ff.

[41] KOM 2008, S. 2.

[42] Stewart, Susan: Russland und die östliche Partnerschaft, SWP-Aktuell, April 2009, S. 1.
[43] EU expanding its ’sphere of influence,‘ Russia says, EUobserver, 21.03.2009.

[44] Baag, Robert: „Ich bin ein Diktator? Schön, bin ich eben ein Diktator!“, Deutschlandradio, 05.05.2009.

[45] Ferrero-Waldner, Benita: Eastern Partnership – an ambitious project for 21st century European foreign policy, 20.02.2009, URL: http://tinyurl.com/m2j6ry (31.07.2009).

[46] KOM 2008, S. 10.

[47] Ebd., S. 15.

[48] Wagner, Jürgen: Gas-OPEC und Afrikanische Nabucco, in: AUSDRUCK (Februar 2009).

[49] Konicz, Tomasz: Zukunft ungewiß, Junge Welt, 15.07.2009.

[50] Ebd.

[51] Socor, Vladimir: Germans in groundbreaking Turkmen deal, Asia Times, 23.04.2009.

[52] RWE und OMV gründen „Caspian Energy Company Ltd.”, RWE-Presseinformation, 22.12.2008, URL: http://tinyurl.com/mm663q (31.07.2009).

[53] Prague Summit Southern Corridor, 08.05.2009, URL: http://tinyurl.com/mpq78t (31.07.2009).

[54] KOM 2008, S. 15. Hervorhebung im Original.

[55] Synergies vs. Spheres of Influence in the Pan-European Space, Centre for European Policy Studies, 07.04.2009, S. 21f..

[56] KOM 2008, S. 15.

[57] Ebd., S. 9f. Hervorhebung im Original.

[58] Kempe, Iris u.a.: Eastern Partnership and the Caucasus, Paper Prepared for the Eastern Partnership:

Towards Civil Society Forum May 5-6, 2009, Prague, S. 2.

[59] KOM 2008, S. 4.

[60] EU’s Eastern Partnership: Additional Possibilities for European Integration of Ukraine, Kiew 2009, S. 59; Lang, Kai-Olaf: eine Partnerschaft für den Osten, SWP-Aktuell, Juli 2008, S. 4.

[61] Bendiek, Annegret: Wie effektiv ist die Europäische Nachbarschaftspolitik?, SWP-Studie, September 2008, S. 31.

[62] Posener, Alan: Imperium der Zukunft. Warum Europa Weltmacht werden muss, München 2007, S. 9.

[63] „Dimensionen eines Imperiums“, Interview mit José Manuel Barroso, Die Welt, 17.10.2007.

[64] Posener 2007, S. 100.

[65] Rogers, James: Towards a „Greater Europe“?, 05.03.2008, URL:

http://tinyurl.com/m2qghq (18.03.2008).

[66] Foreign Policy, January/February 2009, S. 84.

[67] Leonard, Mark: Divided world: The struggle for primacy in 2020, Centre for European Reform, Januar 2007, S. 37.