IMI-Analyse 2009/028, in: AUSDRUCK (Juni 2009)

Der militarisierte Kirchentag

Die Bundeswehr auf den Kirchentagen und Proteste dagegen

von: Uwe Reinecke | Veröffentlicht am: 16. Juni 2009

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Als der 32. Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) im Mai 2009 fragte, „Mensch, wo bist du?“, antwortete die Bundeswehr laut und zackig: „Hier, mitten unter Euch!“ Auf Einladung der Kirchentagsleitung bekamen die Bundeswehr und Abgeordnete, die der Bundeswehr in den letzten Jahren zahlreiche Einsätze im In- und Ausland verschafft hatten, reichlich Werbemöglichkeiten. Ob die Bundeswehr-Bigband auftrat oder die Militärseelsorge den „Markt der Möglichkeiten“ besetzte, immer ging es um Werbung für den Beruf des Soldaten bzw. der Soldatin. Über solche Auftritte der „Armee im Einsatz“ hinaus sponserte die Bundeswehr auch direkt den Kirchentag, der vom 20. bis 24. Mai 2009 in Bremen mit weit mehr als 100.000 TeilnehmerInnen stattfand.

Amtshilfe für Laien

Seit seiner ersten Ausgabe (28.07. bis 01.08.1949 in Hannover) verstand sich der Kirchentag als große Laienbewegung. Ohne „Amtskirche“ und ohne „Staat“ läuft aber offenbar auch bei den Laien nichts. Die Bundeswehr verlieh im Rahmen eines „Amtshilfeeinsatzes“ (Artikel 35,1 GG) auf Antrag des Ev. Kirchenamtes dem Kirchentag in Bremen 400 Betten und die dazu gehörende Bettwäsche (siehe Bundestagsdrucksache 16/12975).

Die berühmt-berüchtigte „Gulaschkanone“ aus der Bw-Feldküche und Sanitätssoldaten kamen in früheren Jahren schon mal zum Einsatz. Auch einzelne Transporte wurden gelegentlich von der Bundeswehr für den Kirchentag organisiert. Ferner leisteten Soldaten Hilfe beim Auf- und Abbau von Massenunterkünften in Schulen beispielsweise.

Solche und ähnliche Sponsortätigkeiten haben eine lange Tradition. Im offiziellen Programmheft für den „Ökumenischen Kirchentag 2003“ in Berlin wurde der Bundeswehr ausdrücklich für die Unterstützung gedankt. Obwohl diese Bundeswehrunterstützung 2003 nicht erstmals stattfand und für spätere Kirchentage beibehalten wurde, fehlen in den darauf folgenden Jahren Danksagungen in den Programmheften.

Militärische Seelsorge auf dem Kirchentag

Auf dem „Abend der Begegnung“, der stets den Beginn eines Kirchentages markiert, stellen sich die örtlichen Gemeinden der gastgebenden Stadt und kirchliche Initiativen vor. Seit einigen Jahren ist es üblich geworden, dass auch die Militärseelsorge dort einen breiten Raum bekommt. Armeepriester in Flecktarn-Kampfuniformen (Kirchensprache: „Schutzanzüge“) verteilen dann eifrig Propagandamaterial.

Die Katholische Militärseelsorge schätzt die wahre Situation richtig ein und nennt sich „Kirche unter Soldaten“, denn tatsächlich steht die Bundeswehr über der Kirche. Die ArmeepfarrerInnen werden nicht von den Kirchen, sondern vom Verteidigungsministerium besoldet.
Getreu dem Motto „Wess’ Brot ich ess, dess’ Lied ich sing.“ werden vom Militärpfarrer Grundsätze der Exegese und der wissenschaftlichen Empirie vergessen. So kann Jesus schnell zum Befürworter von Kriegseinsätzen werden, denn schließlich lobte Jesus nach Matth. 8, 5-13 (Einheitsübersetzung) den „Hauptmann von Kafarnaum“ mit den Worten: „Einen solchen Glauben habe ich in Israel noch bei niemand gefunden.“ Nur zu dumm, dass Jesus den Hauptmann nicht für das Plündern, Vergewaltigen und Schießen oder das Abwerfen von Bomben auf Belgrad lobt, sondern im Gegenteil für sein menschliches und damit unsoldatisches Eintreten für einen Dritten. Dem Kirchensoldaten ist das egal. Der kritisch fragende Kirchentagsbesucher bleibt angesichts solcher Kirchenideologie ratlos zurück.

Soldatenmusik auf dem Kirchentag

Bekanntlich geht mit Musik alles besser – auch der Krieg. Die Musikkorps der Bundeswehr unterstehen direkt verschiedenen Kampfeinheiten. Die MusiksoldatInnen können im Bedarfsfall auch in der kämpfenden Truppe eingesetzt werden. Die Bundeswehr-Bigband durfte diesmal die KirchentagsbesucherInnen am Bremer Hauptbahnhof begrüßen. Die Militärseelsorge Hannover nutzte den Bremer Kirchentag zur Aufführung eines „Musical-Gottesdienstes zum Auslandseinsatz der Bundeswehr“. Ob darin die „neue positive Konnotation zum Soldatentod“ eingebunden wurde, die die Evangelische Akademie Loccum im Sommer 2008 gemeinsam mit der Bundeswehr ausgearbeitet hatte, ist in den Kirchentagsprotokollen bislang nicht nachzulesen.

Das Bremer Konzert der Bundeswehr-Bigband war sehr gut besucht. Schon in früheren Jahren beteiligten sich Musikkorps der Bundeswehr an Kirchentagen. Kritik am Verherrlichen des Soldatentums durch Bundeswehr-Musik wurde in der Bremer Öffentlichkeit nicht vernommen.

Die Foren der Kriegsbefürwortung

Traditionell bekommen PolitikerInnen, die „die ganze Welt als mögliches Einsatzgebiet der Bundeswehr“ (Zitat Ex-Minister Struck) ansehen, viel Redezeit in den Foren. Die gemeinen KirchentagsbesucherInnen lauschen andächtig diesen Leuten, die sie schon unzählige Male bei Maischberger, Kerner, Illner und Co. dasselbe sagen gehört hatten. Kritische Fragen werden durch das Instrument der „Publikums-Anwälte“ geschickt gefiltert.

Das Forum „Kaukasus und Hindukusch – wer traut dem gerechten Frieden?“ soll hier als Beispiel dienen. Gernot Erler (MdB, SPD) durfte in Bremen einen „gerechten Frieden“ in Frage stellen, um dann indirekt dem von den Kirchen eigentlich überwundenen „gerechten Krieg“ erneut das Wort zu reden. Ein Vertreter von Pax Christi kam ebenfalls zu Wort, aber das Militärdekanat Kiel, das als Organisator auftrat, ließ einen Oberstleutnant von der durch Einladungen an Rechtsextremisten aufgefallenen Führungsakademie der Bundeswehr das Publikum auf Linie bringen. Wie weit das Publikum in Bremen dieser Propaganda folgte, lässt sich schwer sagen.

Erfahrungen der Vergangenheit lassen Schlimmes erahnen. Beim Kirchentag im Juni 1999 in Stuttgart wurde der damalige SPD-Verteidigungsminister Rudolf Scharping jubelnd in einer überfüllten Halle begrüßt. Wenige Wochen zuvor hatte Scharping den angeblich serbischen „Hufeisenplan zur Vertreibung und Vernichtung der Kosovo-Albaner“ quasi selber erfunden. Ja, er ließ sich in einer Pressekonferenz sogar dazu hinreißen, mittelalterliche Horrorbilder zu Zwecken der antiserbischen Kriegspropaganda erneut entstehen zu lassen. Hatten im Mittelalter Lügengeschichten über von Moslems ermordete schwangere Christinnen, denen die Föten aus ihren Bäuchen geschnitten wurden, um sie zu essen, noch die Begeisterung für einen erneuten Kreuzzug steigern sollen, so wurden von Minister Scharping diesmal solche Horrorlügen über die Serben verbreitet. Noch heute wartet die Weltöffentlichkeit auf die Beweise für Scharpings Behauptungen und auf Angaben über seine Informationsquelle. Da die nie kommen werden, wartet man jetzt – ebenso vergeblich – auf eine Anklage wegen Volksverhetzung. Die KirchentagsbesucherInnen ließen sich von der Nähe zur Macht, die sie durch den Besuch des Ministers verspürten, in den Bann ziehen.

Duckmäusertum des Kirchentages

Nicht nur die eingeladenen ReferentInnen sagen etwas über die Armeefreundlichkeit des DEKT aus, sondern auch und gerade die Liste der nicht eingeladenen oder gar ausgeladenen ReferentInnen ist deutlich.

Martin Niemöller, damaliger Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, war entschiedener Gegner einer Wiederbewaffnung Deutschlands. Sein kompromissloses Festhalten am Beschluss der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland) vom August 1950, „einer Remilitarisierung können wir das Wort nicht reden“, brachte ihm inner- und außerhalb der Kirchen viel Feindschaft ein. Die EKD kassierte bereits im November 1950 den August-Beschluss und redete von nun an der Wiederbewaffnung das Wort.

So fiel es der Kirchentagsleitung nicht schwer, dem Wunsch des Bundeskanzlers Adenauer zu folgen und Niemöller auf dem Kirchentag kein Forum zu bieten. Niemöller, über den die hannoversche Landessynode im Oktober 1950 eine kirchenhistorisch einmalige Verurteilung aussprach – an der sie heute noch festhält, ist das berühmteste Opfer einer direkten Einflussnahme durch die Bundesregierung auf das Programm eines Kirchentages. In späteren Zeiten wurde nicht mehr so deutlich Druck ausgeübt, aber das war auch nicht mehr nötig. Der Kirchentag hatte seine Lektion gelernt.

Kritische Stimmen werden an den Rand gedrängt. So erfand der Kirchentag vor Jahren eine neue Programmstruktur. Neben dem Hauptprogramm gibt es das Nebenprogramm, das unter der Bezeichnung „anlässlich des Kirchentages“ firmiert. Beim Bremer Kirchentag reichte das An-den-Rand-drängen nicht mehr und so wurden in offiziellen DEKT- Veröffentlichungen zum Nebenprogramm willkürlich einzelne Veranstaltungen nicht berücksichtigt. Der Kirchentag strich die Veranstaltung des Versöhnungsbundes zum Thema „Kein Friede mit der NATO“, das IMI e.V. mitorganisiert hatte, aus seinen Veröffentlichungen über das „Programm anlässlich des Kirchentages“.

Veranstaltungen mit PolitikerInnen, die dem Militarismus das Wort reden, bekamen von der Kirchentagsleitung dagegen höchste Aufmerksamkeit. Vorauseilender Gehorsam mag dazu geführt haben, dass die kirchlichen Laien sich dieser staatlichen Okkupation der Kirchenarbeit nicht ernstlich widersetzen.

Kirchentag und Proteste

Sicherlich machte auf den Kirchentagen immer wieder die Friedensbewegung auf sich aufmerksam. Die Wiederbewaffnung war in den 1950er Jahren ein wichtiges Thema, und 1969 in Stuttgart wurde aus dem Protest lauter Widerstand. Podien wurden besetzt, weil die eingeladenen Referenten als Nazi-Täter und oder als Befürworter des Vietnam-Krieges bekannt waren. Regierungsvertreter wurden mit Eiern beworfen, denn die Notstandsgesetze waren noch nicht in Vergessenheit geraten. In den 1980er Jahren war die NATO-Nachrüstung das beherrschende Thema der Kirchentage, und ebenso wurde die Apartheid zum Hauptthema. Es wurden Beschlüsse gefasst, die Kirchen-Konten bei Banken, die mit der damaligen südafrikanischen Regierung zusammenarbeiteten, zu kündigen.

Minister, die die schon damals als unmenschlich und unchristlich erkannte Asylpolitik, die sich in ihrer rassistischen Ausprägung in den letzten Jahren noch verschärft hat, verteidigten, hatten auf Kirchentagen einen schweren Stand. An den Friedensdemonstrationen während der Kirchentage in Hamburg (1981) und Hannover (1983) nahmen jeweils rund 100.000 Menschen teil. Lila Tücher mit dem Appell zur Abschaffung der Atomraketen bestimmten zu dieser Zeit das Bild der Kirchentage in der BRD.

In der DDR nutzten die Menschen die Kirchentage für ihre Forderung nach Demokratie, Freiheit und Frieden. Aufnäher mit der Prophezeiung aus Micha 4,3 „Schwerter zu Pflugscharen“ wurden getragen. Nicht nur der DDR-Staatsführung ging das zu weit. Auch die Kirchenleitung beschränkte die KirchentagsbesucherInnen, denn sie wollte die verbesserte Beziehung zur Honecker-Regierung nicht gefährden. Die Laien antworteten mit der Kvu –Bewegung (Kirche bzw. Kirchentag von unten).

Kumpanei der Kirchenleitungen mit den Regierenden hüben wie drüben. So gesehen kann man schon damals von einer deutschen Einheit sprechen. Dem Friedensgedanken auf Kirchentagen und deren Demos wurde dann aber von den Kirchenlaien selber der Todesstoß versetzt, als 1999 in Stuttgart das Rufen von Parolen gegen die deutsche Beteiligung am Angriff auf Jugoslawien mit dem massenhaften Absingen eines Kirchenliedes übertönt und verhindert wurde.

Zaghafte Versuche der Neubelebung des Protestes sind aber zu bemerken. So registrierte die katholische Militärseelsorge Menschen, die „für Kirchentage ohne Bundeswehr“ warben (Presseerklärung Berlin im Juni 2003). In Bremen kamen immerhin wieder 800 DemonstrantInnen zusammen, um gegen die Auftritte der Bundeswehr beim Kirchentag und gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr zu protestieren.

München ist im Sommer 2010 Gastgeber des nächsten Ökumenischen Kirchentages und könnte die neu entdeckte Protestkultur der Kirchentage mit den positiven Erfahrungen beim Widerstand gegen die jährliche „Sicherheitskonferenz“ verbinden. Ob es dazu kommt, liegt allein bei der Basis.