Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

Dokumentation - in: Weltttrends Jan/Feb 2009

Kampf der Kommentare

Dokumentation / Benedict Probst (16.03.2009)

Der Dissens gilt als Triebfeder der Wissenschaft. Dass im Eifer des Wortgefechts schon mal das Schwert statt des Floretts zur Hand genommen wird, ist bekannt. Eine kürzlich entbrannte Diskussion liest sich in Teilen wie der engagierte Versuch Marx’ Diktum von der Geschichte, welche sich immer zweimal ereigne – erst als Tragödie, dann als Farce – abzukürzen, indem die tragische Erscheinungsform ausgelassen wurde.

Schauplatz der Auseinandersetzung ist die IB-Liste, ein E-Mail-Verteiler mit dem Anspruch, „Diskussionsbeiträge, aktuelle Stellenangebote, Stipendien, Tagungsankündigungen und andere Informationen, (die) die Forschung und Lehre der Internationalen Beziehungen betreffen“ zu verbreiten (http://de.groups.yahoo.com/group/ib-liste). Der Gründungsidee zum Trotz werden Kontroversen klein geschrieben, wohingegen sich die Liste ihre Meriten als Karrierezirkel und Schwarzes Brett der deutschsprachigen IB-Community erworben hat.

Eine kurzfristige Erweckung aus dem Dornröschenschlaf ereilte die Mitglieder der Liste Ende Oktober, als eine NATO-kritische Kongressankündigung der Informationsstelle Militarisierung e.V. (IMI) für Tumult sorgt. Der antimilitaristisch zugespitzte Ankündigungstext bezeichnet die NATO als „global agierende Interventions- und Besatzungsarmee“ und zeiht sie u. a. der humanitär verbrämten, militärischen Interessenwahrung sowie einer konfrontativen Haltung gegenüber Russland. Der Neuigkeitswert der Thesen ist gering, ihren wissenschaftlichen Gehalt zu diskutieren, hätte dem Publikum und vertretenen Experten der IB-Liste für internationale Politik gut angestanden.

Stattdessen ergingen sich die folgenden Kommentare in einem Feuerwerk atemberaubender Tiraden: Es handele sich um „extrem dumme, unverhohlen aggressive und voreingenommene Hetze“ und „extremistische Propaganda“. Die Rede ist vom „Sachverhalt der Hetze“, einem „Tatbestand“. Nach solchen Einlassungen ist der Leser geneigt, sich im antikommunistischen Furor verwüstete Büros vorzustellen – über die sachliche Einschätzung der Kommentatoren findet er sich nicht informiert. Wo die Extremismuskarte leicht gespielt wird, drängt sich der Verdacht einer fragwürdigen Parteilichkeit auf. Der Gebrauch quasijuristischer Argumentationsfloskeln, eine rhetorische Überlegenheitsgeste in Ermangelung inhaltlicher Argumente, evoziert den Eindruck (straf-)rechtlicher Relevanz des ursprünglichen Beitrags – eine solche Diskussion möchte niemand auf einem wissenschaftlichen Forum verfolgen müssen. Des Eindrucks, dass hier der Mainstream in der IB-Disziplin mit den ungeliebten Zaungästen der kritischen Friedensforschung abrechnet, kann man sich nicht erwehren.

Ratlosigkeit verbreitete sich, als sich eine Abonnentin in mehreren Beiträgen über die Diskussionsbeteiligung „hauptamtliche(r) MitarbeiterInnen politischer Parteien“ mokiert. An dieser Stelle weist die Debatte über sich hinaus und offenbart etwas über gesellschaftliche Tendenzen einerseits und dem zugrunde liegenden Wissenschaftsverständnis andererseits. Mit der Pauschalisierung „(es) macht mich misstrauisch, wenn sich der Parteiapparat einschaltet, egal welcher Partei“, kommt ein erstaunliches Maß an Depolitisierung zum Ausdruck, die sich mit demokratischer Debattenkultur schlecht zusammen denken lässt. Der Verweis auf Webers Postulat der Werturteilsfreiheit führt hier in die Irre, eine wissenschaftliche Debatte ist nicht ersichtlich. Diese wurde geflissentlich vermieden. Die Auseinandersetzung dreht sich, zumindest im Ansatz, um die Frage, ob und welche politische Perspektive im informellen Austausch auf der IB-Liste zur Sprache kommen darf. Diese Diskussion ohne die Gegenseite zu führen gleicht dem Schattenboxen. Verwunderung ruft der Vorschlag eines Kommentators hervor, es solle abgestimmt werden, „um der Gefahr einer ausufernden Diskussion über Diskussionen auf der Liste vorzubeugen“. Wenn sich die Politikwissenschaft an demokratischen Grundwerten orientiert, kann das Desinteresse des Publikums kein Maßstab für die Berechtigung einer notwendigen Debatte über die gemeinsame Geschäftsgrundlage und Diskussionskultur sein.

Mit Erschrecken nimmt man zur Kenntnis, wie viele Reaktionen auf eine unbedenkliche Ankündigung entweder von aggressiver Ablehnung oder ostentativem Desinteresse geprägt sind. Inhaltliche Auseinandersetzung und persönliche Toleranz scheinen in einem Verständigungsmedium der deutschsprachigen IB-Community keine Selbstverständlichkeit zu sein. Immerhin: Das von einem Diskussionsteilnehmer als Menetekel an die virtuelle Wand geworfene Godwin’sche Gesetz trat nicht in Kraft. Es lautet: „As an online discussion grows longer, the probability of a comparison involving Nazis or Hitler approaches one.“

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