[0304] NATO-Broschüre / Neue Texte / NATO-Einrichtungen in Deutschland

von: 19. Februar 2009

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Online-Zeitschrift „IMI-List“
Nummer 0304 ………. 13. Jahrgang …….. ISSN 1611-2563
Hrsg.:…… Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Christoph Marischka / Jürgen Wagner
Abo (kostenlos)…….. IMI-List-subscribe@yahoogroups.com
Archiv: ……. https://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List finden sich:

1) Alle Einzeltexte der Mobilisierungsbroschüre zum NATO-Gipfel: „Kein Frieden mit der NATO“ und noch mal die Bestellhinweise.

2) Neue Texte in der Februar-Ausgabe des IMI-Magazins AUSDRUCK

3) Drei kurze Beschreibungen von NATO-Einrichtungen in Deutschland

1) Broschüre: „Kein Frieden mit der NATO – Die NATO als Waffe des Westens“

Wir bedanken uns für die zahlreichen Bestellungen der Mobilisierungsbroschüre zum NATO-Gipfel im April. Damit wir den Preis so niedrig halten konnten, haben wir eine sehr große Stückzahl gedruckt, sodass wir noch Exemplare auf Lager haben.

Wer die 72seitige Broschüre (A4) für die nun anlaufende heiße Phase der Mobilisierung bestellen möchte, kann dies (gerne auch in großer Stückzahl) für nur 2 Euro pro Exemplar (zzgl. Porto) mit einer Mail an folgende Adresse tun:
imi@imi-online.de

Wie alle IMI-Publikationen steht auch die NATO-Broschüre kostenlos für den Download zur Verfügung:
http://imi-online.de/download/webversion-imi-nato.pdf

Mittlerweile haben wir es auch geschafft, sämtliche Einzelartikel online zu stellen: https://www.imi-online.de/2009.php3?id=1887

2.) AUSDRUCK – Das IMI-Magazin (Februar 2009)

Im AUSDRUCK findet sich diesmal eine Analyse des chinesischen Weißbuchs, mit dem sich die Regierung – ganz nach westlichem Vorbild – auf die stärkere Bekämpfung sozialer Unruhen vorbereitet. Der erste Beitrag beschreibt ausführlich verschieden PR-Maßnahmen der Bundeswehr, die sich insbesondere an Jugendliche richten, der letzte fasst die bisherigen Planungen zum Einsatz der Bundeswehr und zur Aushebelung von Grundrechten angesichts des NATO-Gipfels im April zusammen.

Die komplette Ausgabe zum download: https://www.imi-online.de/download/AUSDRUCK-Februar2009.pdf

INHALTSVERZEICHNIS

DEUTSCHLAND UND DIE BUNDESWEHR

— Michael Schulze von Glaßer
Die Bundeswehr im Kampf an der Heimatfront
https://www.imi-online.de/download/MSG-BW-Marketing.pdf

— Tobias Pflüger
Militarismus und Antimilitarismus heute
https://www.imi-online.de/download/TP-Militarismus-Antimilitarismus.pdf

ISRAEL-PALÄSTINA

— Claudia Haydt
Stoppt Krieg und Massaker in Gaza!
https://www.imi-online.de/download/CH-Gaza.pdf

NATO UND NEUER KALTER KRIEG

— Jürgen Wagner
Gas-OPEC und Afrikanische Nabucco
https://www.imi-online.de/download/JW-Gas-OPEC-Nabucco.pdf

CHINA

— Andreas Seifert
Beijing Täubchen: Über das chinesische Verteidigungsweißbuch
https://www.imi-online.de/download/AS-China-Weissbuch.pdf

NATO-GIPFEL

— Christoph Marischka
NATO in Baden Baden: Länderübergreifender Ausnahmezustand im April
https://www.imi-online.de/download/CM-NATO-Innen.pdf

3) Drei kurze Beschreibungen von NATO-Einrichtungen in Deutschland

IMI-Standpunkt 2009/012
Die NATO-Pipeline … in Bodelshausen und anderswo
https://www.imi-online.de/2009.php3?id=1907
14.2.2009, Jens Rüggeberg

NATO-Pipeline in Bodelshausen und anderswo

Ohne Sprit kein Krieg – und ohne Unterbrechung des Treibstoffnachschubs kein Frieden. So könnte man das Thema meines Beitrags polemisch zusammenfassen.

Nachdem Tübingen fast vollständig zivilisiert ist – und zwar im ursprünglichen Sinne des Wortes, denn in Tübingen sind seit 15 Jahren keine Soldaten mehr stationiert und auch das Verteidigungsbezirkskommando 54 wurde inzwischen aufgelöst – gibt es nur noch zwei militärische Einrichtungen im Landkreis Tübingen: Einen Verbindungsoffizier im Landratsamt und ein Teilstück der NATO-Pipeline von Kehl in Richtung Aalen. Die Pipeline ist Teil eines ganz West-, Nord- und Südeuropa überspannenden militärischen Pipeline-Netzes der NATO. Sie transportiert Treibstoff, der aus französischen Häfen stammt.

Bereits seit den fünfziger Jahren wurde das Pipelinenetz gebaut. Es diente der Versorgung des Militärs mit Treibstoff. Schon damals führte ein Teilstück der Pipeline durch den Landkreis Tübingen. Bei Bodelshausen befand sich ein Tanklager. Dort konnten auch Tanklastzüge befüllt werden. Um 1990 lief die Betriebsgenehmigung für Pipeline und Tanklager aus, jedenfalls für das Teilstück, das durch den Kreis Tübingen verlief. Sie wurden stillgelegt. Die Stilllegung fiel zeitlich zusammen mit dem Ende des Kalten Krieges wegen Zusammenbruchs der Sowjetunion.

In den neunziger Jahren wurde dann die Wiederinbetriebnahme des Teilstücks Kehl-Aalen geplant. Dazu sollte die Pipeline völlig neu gebaut werden, aber auf der alten Trasse. Die Wiedereröffnung des Tanklagers bei Bodelshausen war nicht geplant, wohl weil es im Kreis Tübingen inzwischen keine Kasernen mehr gibt. Im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens legten sowohl das Tübinger Friedensplenum/Antikriegsbündnis als auch der Kreisrat der Wählervereinigung Tübinger Linke, Gerhard Bialas, Widerspruch gegen das Projekt ein. Juristisch hatten sie zwar keinen Erfolg; aber es gelang, die Problematik des Pipelineprojekts in die öffentliche Diskussion zu bringen: Militarisierung und ökologische Fragen standen im Mittelpunkt. Denn die Pipeline verläuft im Gebiet Seebronn/Bad Niedernau durch ein Wasserschutzgebiet. 2004 wurde das Teilstück Kehl-Aalen in Betrieb genommen. Aus diesem Anlass führte das Tübinger Friedensplenum in Bodelshausen eine Demonstration durch, die bis in den Wald zur Pipelinetrasse führte – die übrigens öffentlich zugänglich ist.

Die Pipeline ist im Kreis Tübingen unterirdisch verlegt. Ihre Trasse ist durch weiß-rote Pfosten gekennzeichnet. Im Wald bei Bodelshausen neben dem ehemaligen Tanklager befindet sich eine Verwaltungs- und Kontrollstation des Betreibers der Pipeline, der Fernleitungsbetriebsgesellschaft mbH (FBG; Sitz in Idar-Oberstein). Die FBG befindet sich im Besitz des Bundes. Sie ist eine Tochtergesellschaft der bundeseigenen Industrieverwaltungsgesellschaft (IVG).

Durch die Pipeline werden folgende Produkte geleitet: Dieselkraftstoff, Turbinenkraftstoff F 34 und Jet A-1 (so genanntes Kerosin, Treibstoff für Flugzeuge), Ottokraftstoff (normales Benzin) und Heizöl EL. In der Diskussion über die Pipeline wird auch der NATO-Universaltreibstoff JP 8 genannt, der noch giftiger als Kerosin ist und mit dem Kraftfahrzeuge aller Art wie Flugzeuge betrieben werden können. Offenbar ist aber die Vereinheitlichung der Kraftstoffe innerhalb der NATO noch nicht abgeschlossen.

2008 wurde ein weiteres Teilstück der Pipeline fertig gestellt: das Teilstück Aalen-Leipheim. Das erstaunt auf den ersten Blick. Denn in Leipheim befindet sich kein militärisch genutzter Fliegerhorst der Bundeswehr mehr, sondern nur noch ein Sportflugplatz, der allerdings von Sportfliegern der Bundeswehr genutzt wird. Kann es denn sein, dass ein Projekt, das Hunderte von Millionen Euro verschlingt, zur Versorgung eines Sportflugplatzes gebaut wird?

Die Auflösung dieses Rätsels ergibt sich aus einem Planfeststellungsbeschluss der Regierung von Oberbayern vom 20.12.2007, das im Internet einsehbar ist.[1] Der Zweck der Leitung wird im Planfestfeststellungsbeschluss wie folgt beschrieben: „Die Produktenfernleitung Leipheim-Unterpfaffenhofen ist seit 1987 in Betrieb und dient als Bestandteil des NATO-Verbundsystems Mitteleuropa der Beförderung brennbarer bzw. wassergefährdender Flüssigkeiten. Sie verbindet die Übergabestation Leipheim und das Tanklager Unterpfaffenhofen (bei München) in Bayern. Sie befördert die für die Flugplätze Landsberg, Lechfeld und Leipheim erforderlichen Mineralölprodukte (Benzin, Düsentreibstoff, Dieselkraftstoff und Heizöl EL) von Unterpfaffenhofen aus. Nach der Errichtung des 3. Teilstücks Aalen-Leipheim voraussichtlich im April 2008 soll die Förderrichtung geändert und der Treibstoff vom Tanklager Aalen zu den angegebenen Flugplätzen, zum Tanklager Unterpfaffenhofen jedoch längstens bis 30.6.2009 befördert werden.“ (Seite 4)

Zur Erläuterung: Über Stichstrecken der Pipeline Leipheim-Unterpfaffenhofen werden die Militärflughäfen Landsberg und Lechfeld versorgt. Offenbar kommt bisher der Sprit aus Unterpfaffenhofen. In Zukunft soll er aber aus Leipheim kommen – und damit via Kehl, Bodelshausen und Aalen aus Frankreich.

In Lechfeld ist das Jagdbomber-Geschwader 32 stationiert, das einzige der Bundeswehr, das über so genannte ECR-Tornado-Flugzeuge verfügt. Dieses nahm am Jugoslawien-Krieg teil. Bis 1998 waren in Lechfeld auch US-amerikanische Militärflugzeuge stationiert. Auf dem Flugplatz Landsberg (läuft auch unter der Bezeichnung „Fliegerhorst Penzing“, da von Penzing aus zu erreichen) ist das Lufttransportgeschwader 61 stationiert, das aus zwei Staffeln besteht. Eine ist mit Flugzeugen vom Typ Transall C-160D ausgestattet, die andere mit Hubschraubern vom Typ Bell UH-1D. Das Geschwader soll angeblich in gut einem halben Jahrzehnt aufgelöst werden, weil die Transall veraltet ist und durch neuere Maschinen ersetzt werden soll und weil der Flughafen Landsberg/Penzing aufgrund seiner geographischen Lage nicht erweitert werden kann. Gegenwärtig scheint sich das Geschwader aber an Auslandseinsätzen zu beteiligen, so dass nicht sicher ist, ob es wirklich aufgelöst werden wird.

Einige völlig unscheinbare und harmlos aussehende rot-weiße Pfosten im Wald bei Bodelshausen, direkt vor unserer Haustür, markieren eine militärische Einrichtung, mittels derer die Bundeswehr Kriege in aller Welt führt. Es lässt sich also vor Ort die Militarisierung der deutschen Außenpolitik sinnfällig aufzeigen. Und da es sich um eine NATO-Einrichtung im weitesten Sinne handelt, kann an ihr im Vorfeld des Jubiläums zum 60. Jahrestag der Gründung der NATO Protest in der Region eingeübt werden. Für Friedensfreundinnen und -freunde also allemal ein lohnendes Objekt!

[1] http://regierung.oberbayern.bayern.de/Bereich5/5wirfuersie/5genehmig/50_55.1genehm/5_doku/PFB_Produktenfernleitung_Leipheim_LA_Unterpfaffenhofen.pdf

Jens Rüggeberg

IMI-Standpunkt 2009/013
Geilenkirchen – Mit AWACS gegen das Grundgesetz
https://www.imi-online.de/2009.php3?id=1908
14.2.2009, Tobias Pflüger

Geilenkirchen: Mit AWACS gegen das Grundgesetz

Wenige Kilometer nördlich von Aachen, nahe einem Walgebiet an der niederländischen Grenze gelegen, befindet sich der NATO-Militärflughafen Geilenkirchen, der sowohl bei den weltweiten Kriegen der NATO als auch bei der Militarisierung der Inneren Sicherheit und der Aushöhlung des Grundgesetzes eine wichtige Rolle spielt.
Auf der Airbase sind knapp über 3.000 Soldaten aus 14 NATO-Staaten stationiert. Deren Hauptaufgabe ist Wartung und Betrieb von 17 ganz speziellen Aufklärungsflugzeugen der NATO sowie drei Trainingsmaschinen desselben Typs. Das Spezielle an den AWACS (Airborne Early Warning and Control System), bei denen es sich um eine mit Aufklärungstechnologie ausgestattete Version der Boeing E-3A handelt, ist zunächst, dass die Flugzeuge unmittelbar der NATO gehören – also nicht von einem Mitgliedsstaat zur Verfügung gestellt werden – und ihre Besatzung multinational zusammengesetzt ist. Darüber hinaus überschneiden sich offensive und defensive Fähigkeiten der AWACS in einem sehr großen und für die NATO auch nützlichem Maße. Dies liegt v.a. an der enormen Reichweite der Flugzeuge und ihrer aufmontierten Radaranlagen. Die AWACS können bis zu elf Stunden – im Notfall sogar über 17 Stunden – in der Luft bleiben und von ihrem jeweiligen Standpunkt aus in einem Radius von bis zu 400 km Fahrzeuge, Schiffe etc. aufklären. Zudem verfügen sie über eine ausgefeilte und von vornherein auf Interoperabilität ausgerichtete Kommunikationstechnologie. Deshalb können sie sowohl in Katastrophenfällen als auch bei multinationalen Besatzungen oder am Rande von Kriegsgebieten, wo sich das Flugaufkommen durch Kampfflugzeuge drastisch erhöht, die zivile und militärische Flugsicherung übernehmen. Sie sind auch äußerst geeignet, den Luftraum und Flugverbotszonen beispielsweise aufgrund von UN-Sanktionen zu überwachen, können aber auch in diesem Rahmen gegnerische Ziele ausspähen und bei (den eventuell folgenden) handfesten Angriffskriegen als Feuerleitstand dienen.

Einsätze im In- und Ausland
Die in Geilenkirchen seit 1982 stationierten Flugzeuge kamen schon entsprechend oft zum Einsatz. Der erste Kriegseinsatz erfolgte 1990/1991, als die AWACS in die Türkei verlegt wurden, um zunächst den US-geführten Aufmarsch der Truppen im Mittelmeer und der Türkei zu überwachen und später während des Krieges als Frühwarnung gegen irakische Truppenbewegungen und Luftangriffe insbesondere gegen die Türkei zu dienen. Offiziell hatte dieser Einsatz ebenso wenig mit der NATO zu tun, wie der 1992 folgende im Mittelmeer, bei dem AWACS das aufgrund des Lockerbie-Anschlages verhängte Embargo gegen Libyen überwachen sollten. Der Übergang von solch eher defensiven zu offensiven Militärmaßnahmen zeigte sich jedoch wieder sehr deutlich bei den Einsätzen der AWACS auf dem Balkan. Auch hier ging es zunächst nur darum, ein von der UN verhängtes Embargo zu überwachen, doch mit der Eskalationsstrategie der NATO übernahmen die AWACS schnell andere Aufgaben: Sie spähten serbische Stellungen und Radarstationen aus und koordinierten tausende von Luftangriffen in Bosnien und Herzegowina, Serbien und Kosovo. Der Einsatz auf dem Balkan dauerte bis ins Jahr 2004 und beinhaltete auch die Unterstützung des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen Jugoslawien.
Seit den Anschlägen vom 11.9.2001 sind die in Geilenkirchen stationierten AWACS im Dauereinsatz auch mitten in Europa. Für einige Monate leisteten sie zudem Unterstützung bei der Luftraumüberwachung in den USA. Diese hatten in einer ersten Reaktion auf die Anschläge innerhalb einer Stunde ihre gesamte eigene Flotte von 28 AWACS mobilisiert, um Ausschau nach verdächtigen Flugzeugen zu halten, die auf Städte zusteuern. Vom 8.10.2001 bis zum 15.5.2002 wurden die USA dabei von fünf der in Geilenkirchen stationierten NATO-AWACS unterstützt.
In Europa kommen die AWACS im Rahmen des „Krieges gegen den Terror“ immer wieder bei „besonderen Ereignissen“, insbesondere bei Besuchen des US-Präsidenten oder des Papstes, Gipfeltreffen oder großen Sportereignissen zum Einsatz. Einer der größten dieser Einsätze fand im Rahmen des NATO-Gipfels 2006 in Riga mit sechs AWACS und insgesamt 13 Flügen statt. Den bisher längsten Einsatz stellte die FIFA-WM im selben Jahr in Deutschland dar. Bei der Investitur des Papstes waren fünf, bei den G8-Gipfeln in Gleaneagles 2005 und Heiligendamm 2007 je drei AWACS im Einsatz. An dieser Stelle sei noch einmal darauf verwiesen, dass es sich bei jedem dieser Einsätze aufgrund der multinationalen Zusammensetzung der Flugzeugbesatzungen, von der jeweils etwa ein Drittel aus deutschen Soldaten besteht, stets auch um Einsätze der Bundeswehr handelt.
Die Frage, ob deshalb der Bundestag über die AWACS-Einsätze abstimmen muss, spielte insbesondere im Kontext des Irak-Krieges 2003 eine Rolle. Auch hier wurden die in Geilenkirchen stationierten Flugzeuge mitsamt ihrer deutschen Besatzungsmitglieder in die Türkei verlegt, offiziell um Vergeltungsschläge der irakischen Armee gegen die Türkei zu verhindern. Der Bundestag hatte sich aber damals explizit gegen eine deutsche Unterstützung des US-geführten Krieges gegen den Irak ausgesprochen. Die FDP sah deshalb die Rechte des Bundestags, über Kriegseinsätze der Bundeswehr zu entscheiden, verletzt und legte einen Eilantrag gegen die deutsche Beteiligung ein. Das Bundesverfassungsgericht wies den Eilantrag seinerzeit ab, stellte dann aber fünf Jahre später – im Mai 2008 – fest, dass der Einsatz ohne Bundestagsmandat verfassungswidrig war, da „greifbare tatsächliche Anhaltspunkte für eine drohende Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen“ bestanden.

AWACS für Afghanistan
Ebenfalls im Mai 2008 wurden von der NATO erste Forderungen laut, wonach AWACS aus Geilenkirchen nach Katar verlegt werden sollten, offiziell, um die Luftraumüberwachung in Afghanistan zu übernehmen. Den zivilen Luftverkehr aber kann die seit Juli 2008 funktionsfähige zivile afghanische Flugsicherung selbst übernehmen, weshalb es offensichtlich nur um die Koordination des militärischen Luftverkehrs gehen kann. Darüber hinaus waren US-amerikanische AWACS schon zwei Mal in Afghanistan im Einsatz, zunächst zu Beginn des Krieges – und damit in dem Zeitraum, wo sie für die „Heimatverteidigung“ Unterstützung durch die NATO-AWACS erhielt (s.o.) – und erneut seit März 2007. Diese dienen aber ganz klar der Koordination von Luftangriffen. Sogar der versehentliche Bombenangriff auf kanadische Soldaten am 17.4.2002 erfolgte mittels Aufklärungsdaten der AWACS.[1] Diese Luftangriffe sind diejenige Komponente der Eskalationsstrategie der NATO, welche auch von Seiten der Bundesregierung öffentlich immer wieder kritisiert, tatsächlich aber – beispielsweise mit der gewünschten Entsendung der AWACS und den deutschen Aufklärungstornados – unterstützt wird. Aufgrund der großen Reichweite könnten die NATO-AWACS auch Ziele in Pakistan und Iran ausspähen. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts und aufgrund der eindeutigen „Anhaltspunkte für eine drohende Verstrickung in bewaffnete Auseinandersetzungen“ wird es über den AWACS-Einsatz diesmal eine Abstimmung im Bundestag geben.

[1] Paul Schäfer: AWACS-Einsatz in Afghanistan, in: Friedensforum 6/2008

Tobias Pflüger

IMI-Analyse 2009/003
Münster – Kriegsführung aus der Provinz
https://www.imi-online.de/2009.php3?id=1879
23.01.2009, Michael Schulze von Glaßer

Kriegsführung aus der Provinz

Münster ist Stabssitz des „Deutsch-Niederländischen Korps“ und wichtiges Zahnrad in der NATO-Kriegspolitik

Unter der Adresse „Hindenburgplatz 71“ findet sich im westfälischen Münster ein großes weißes Gebäude mit schwarzem Dach. Davor wehen an zahlreichen Masten die Nationalflaggen verschiedener Staaten – die deutsche und niederländische Fahne stehen im Vordergrund gleich neben denen der Europäischen Union und der „North Atlantic Treaty Organization“. Das unscheinbare Gebäude in unmittelbarer Nähe zum historischen Schloss ist Stabssitz des „1. Deutsch-Niederländischen Korps“[1] und zugleich ein wichtiges Hauptquartier der NATO.

Chronologie eines Kriegsquartiers

1991 entstand die Idee einer binationalen Militäreinheit. Die Einweihungsfeier für die neu gebildete Militäreinheit aus „1. Deutschem Korps“ und „1. Niederländischem Korps“ fand am 30. August 1995 unter Anwesenheit des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl und des niederländischen Premierministers Wim Kok statt.[2] Von Anfang an war die Verteidigung des NATO-Territoriums die Hauptaufgabe des „1. Deutsch-Niederländischen Korps“, das schon nach kurzer Zeit zur NATO Hauptverteidigungseinheit gehörte. 1999 wurde die Einheit auserkoren, ein „NATO High Readiness Force Headquarter“ (HRF) zu werden. Mit dem Erreichen der vollen Einsatzbereitschaft – „Full Operational Capability“ (FOC) – im November 2002 wurde das „1. Deutsch-Niederländische Korps“ eine Einheit der „NATO Combined Joint Task Force“ (CJTF) und ist somit in der Lage, innerhalb von 20 – 30 Tagen für NATO-Militärmissionen einsatzbereit zu sein. Ab Februar 2003 koordinierte das Münsteraner Korps als Hauptquartier für sechs Monate den ISAF-Militäreinsatz in Afghanistan. Als nächsten Schritt strebten die deutschen und niederländischen Militärs an, ein „Land Component Command Headquarter“ (LCC) innerhalb der „NATO Response Force“ (NRF) zu werden. Spätestens mit diesem Schritt wurde die territoriale Verteidigung Nebensache und das Münsteraner Hauptquartier zur Führung von Angriffskriegen umstrukturiert. Dazu wurde das Korps ab 2004 für ein Jahr dem „NATO Joint Forces Command“ in Neapel (Italien) unterstellt. Im Januar 2005 nahm die Militäreinheit die Rolle als „NATO Response Force Land Component Command“ ein. Die Führung der schnellen Eingreiftruppe der NATO rotiert halbjährlich zwischen sechs NATO-Standorten. Das Hauptquartier bekam die Bezeichnung NRF-4 – ist also seit Bestehen der schnellen NATO-Eingreiftruppe das vierte Hauptquartier. Das Jahr 2006 verbrachte das „Deutsch-Niederländische Korps“ mit einigen kleineren Militärübungen. 2007 bereitete sich die Armee-Einheit mit weiteren sechs Übungseinsätzen auf die nochmalige Übernahme der „NATO-Response Force“ vor, die im ersten Halbjahr 2008 stattfand (NRF-10). Am 2. Juli 2008 gab das Münsteraner Korps die Aufgabe des NATO-Hauptquartiers an Frankreich weiter. Bei der bisherigen Rotation dürfte das „1. Deutsch-Niederländische Korps“ im Jahr 2011 das nächste Kommando über die „NATO Response Force“ haben. Im Januar 2009 gab der Kommandeur des Korps bekannt, dass 400 Soldatinnen und Soldaten ab August für ein halbes Jahr nach Afghanistan verlegt werden, um dort den ISAF-Einsatz zu unterstützen. 170 Korps-Mitglieder werden in Kabul das Hauptquartier der ISAF verstärken und das „Deutsch-Niederländische Korps“ somit wieder eine Führungsrolle im Afghanistankrieg einnehmen. Unter dem Dach des Münsteraner Korps finden sich mittlerweile zwölf Nationen: Deutschland, Niederlande, Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Italien, Norwegen, Spanien, Türkei, Großbritannien und die USA.

Kriegsquartier für weltweite Kriege

Dem „1. Deutsch Niederländischen Korps“ unterstehen dauerhaft das „Staff Support Batallion“ in Münster und das „Communications and Information Systems Bataillon“ im niederländischen Eibergen und Garderen. Das Korps selbst ist also relativ klein – die ihm unterstellten NATO-Einheiten während der Führung der „Response Force“ sind dafür umso zahlreicher.

Die Truppenstärke des NRF-4 betrug etwa 8.500 Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland, den Niederlanden, Spanien, Frankreich, der Türkei, Dänemark und Norwegen. Mit der NATO-Übung IRON SWORD stellte das „1. Deutsch-Niederländische Korps“ im Mai und Juni 2005 erstmals seine Einsatzfähigkeit für die „NATO Response Force“ unter Beweis: Aus fünf Nationen wurden mehr als 6.000 Soldatinnen und Soldaten und 2.500 Fahrzeuge von Zentraleuropa auf einen militärischen Übungsplatz in Norwegen verbracht.[3] Das Szenario sah einen Konflikt zwischen drei fiktiven Nationen vor – kriminelle und terroristische Gruppen in den fiktiven Staaten wurden ebenfalls simuliert. Die NATO-Truppen sollten einmarschieren, um den Frieden zu erzwingen. Hauptziel der Übung war die schnelle Verlegung der NATO-Streitkräfte. Trotz zweier kleinerer Unfälle auf den über 300 Kilometern Landweg zum Übungsplatz Nordöstlich von Oslo wurde das Invasions-Szenario planmäßig durchgeführt.

Die zeitweise aus Münster kommandierte „NATO Response Force“ soll innerhalb von nur fünf Tagen an jedem Ort der Welt einsetzbar sein.[4] Im Ernstfall kann das Münsteraner Hauptquartier nach Eigenaussagen bis zu 60.000 Soldatinnen und Soldaten befehligen[5] – eine enorme Kapazität.

Kriegsführung aus der Provinz

Dass der ISAF-Militäreinsatz am Hindukusch zeitweise aus Münster geleitet wurde, ist nur einem kleinen Teil der Bevölkerung bekannt. Auch die Bedeutung des Hauptquartiers für die NATO ist relativ unbekannt. In der (lokalen) Öffentlichkeit geben sich die Militärs friedlich – pflanzen beispielsweise neue Bäume an der Münsteraner Promenade, die zuvor vom Sturm „Kyrill“ verwüstet wurde.[6] Ihr wahres Gesicht zeigten die Militärs aus der Provinz bei der NATO-Invasions-Übung IRON SWORD. Unter deutsch-niederländischer-Führung zeigte sich die offensive Kriegsausrichtung des Militärbündnisses. Das „1. Deutsch-Niederländische Korps“ im westfälischen Münster ist als ein Hauptquartier der „NATO Response Force“ in die weltweite Angriffsstrategie der NATO eingebunden – weltweite Militäroperationen können von Münster aus binnen fünf Tagen in Gang gesetzt werden. Dabei scheint schon allein die IRON SWORD-Militärübung mit dem deutschen Grundgesetz unvereinbar.[7]

Durch die Förderung der schnellen NATO Eingreiftruppe drängt das Militär zudem dauerhaft auf eine Entmachtung der Parlamente zugunsten des Nordatlantikrats[8] – die Einsätze können heute oft schneller durchgeführt werden, als über sie von Parlamenten diskutiert und entschieden werden kann.
Der „1. Deutsch-Niederländische Korps“ ist ein wichtiges, aber in der Öffentlichkeit kaum bekanntes Zahnrad in der NATO-Kriegspolitik.

Anmerkungen
[1] www.1gnc.de
[2] Fact-Sheet des „1. Deutsch-Niederländischen Korps“
[3] www.1gnc.de
[4] IMI Standpunkt 2003/111 – Claudia Haydt „NATO Response Force – die ultimative Koalition der Willigen“ – www.imi-online.de
[5] Broschüre des „1. Deutsch-Niederländischen Korps“ zum IRON SWORD-Einsatz
[6] www.1gnc.de
[7] Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 26 [Friedenssicherung] (1): „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“
[8] Im Nordatlantikrat sitzen Vertreter aller NATO-Mitgliedsstaaten

Michael Schulze von Glaßer