Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2008/060

Kongo: Wie EUropäische Träume platzen

Ein neues Buch versucht die EU-Interventionen in der DR Kongo ethisch zu bewerten - und dokumentiert unfreiwillig deren Scheitern

Christoph Marischka (28.11.2008)

Für eine wirklich eigenständige EU-Militärpolitik waren die beiden Einsätze Artemis (2003) und EUFOR (2006) in der Demokratischen Republik Kongo von herausragender Bedeutung. Kurz nach dem Ende der Mission zur Absicherung der Wahlen 2006 veranstalteten das vom Katholischen Militärbischof getragene Institut für Theologie und Frieden (IThF) und das Institut für Friedens- und Sicherheitspolitik Hamburg (IFSH) eine Konferenz unter dem Titel „Frieden für den Kongo?“, auf der die EU-Interventionen beurteilt werden sollten. Damals hieß es im Bericht über die Tagung noch, „es sei der EUFOR gut gelungen, die Durchführung der Wahlen zu unterstützen und Gewalt zwischen den rivalisierenden Gruppen zu verhindern.“ Der Einsatz an sich sei also erfolgreich verlaufen, „an der guten Arbeit der EUFOR-Soldaten im Kongo zweifelte niemand“. Allerdings wurde seinerzeit schon festgestellt, „dass sich der Erfolg und die Nachhaltigkeit der Mission erst zeige, wenn die zivile Aufbauhilfe vor Ort gut verlaufe.“ Einig waren sich die Referenten in der Annahme, dass militärische Interventionen grundsätzlich geeignet sein könnten, Frieden oder zumindest dessen Vorbedingungen zu schaffen.
Die eingeladenen Experten, an der Mission Beteiligten und institutionellen Fürsprecher der Militarisierung der EU haben anschließend ihre Beiträge schriftlich ausformuliert – in einer Zeit, da sich der unter Absicherung von EU-Soldaten gewählte Kabila weiterhin als hemmungsloser Diktator erwies, die Konflikte im Osten des Kongo über das vorhandene Maß hinaus eskalierten und die zuvor sich punktuell engagiert zeigende EU vom Konflikt abwandte. Zwischenzeitlich wurde ein weiterer EU-Einsatz in der Zentralafrikanischen Republik und dem Tschad begonnen, der dermaßen desaströs verläuft, dass es die EU-Offiziellen sichtbar vermeiden, ihn überhaupt zu erwähnen.
Das Buch „Intervention im Kongo – Eine kritische Analyse der Befriedungspolitik von UN und EU“, das diese Beiträge zusammenfasst, ist wahrscheinlich deshalb ein aufschlussreiches Dokument über die sich entwickelnde Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik geworden. In ihm halten Theoretiker der EU-Militarisierung eisern am vermeintlichen Erfolg der Missionen fest, während Militärangehörige auf die begrenzten Möglichkeiten multilateraler Zusammenarbeit und militärischer Befriedung hinweisen. Abstrakte moralphilosophische Erörterungen über die Legitimität von (Militär-)Interventionen werden so mit konkreten Verläufen EU-interner Aushandlungsprozesse und konkreten Bedingungen „im Feld“ kontrastiert – und dokumentieren aus der ethischen Perspektive letztendlich ein Scheitern.

In einem einleitenden Beitrag zu den „Interessenlagen der Akteure im Kongo bei der Stationierung von EUFOR“ überrascht der unbestrittene Kongo-Experte Dominic Johnson in zweierlei Hinsichten: Nach seinem an vielen Stellen ausschweifenden und schwer lesbaren Buch „Kongo: Kriege, Korruption und die Kunst des Überlebens“ schafft er es in seinem Beitrag, die innenpolitischen Konstellationen klar auf einige relevante Faktoren herunter zu brechen. Hilfreich ist v.a. seine Unterscheidung zwischen „dem ´großem´ Krieg zwischen Bürgerkriegsarmeen, die per Stellungskrieg um die Macht im Gesamtstaat kämpften, und ´kleinem´ Krieg zwischen lokalen, zumeist ethnischen Milizen, die mit Überfällen und Vertreibungen um die Kontrolle einzelner Landstriche, Bevölkerungsgruppen und Rohstoffvorkommen stritten.“ Erstaunlicher Weise aber beschreibt er die militärischen und politischen Konstellationen insgesamt so, dass beide EU-Einsätze, Artemis 2003 und EUFOR 2006 den jeweiligen Anforderungen gerecht geworden seien. Artemis sei „Vorbedingung für eine erfolgreiche Umsetzung des Friedensabkommens für das Land insgesamt“ gewesen, die letztlich aber am Ausschluss der Zivilbevölkerung gekrankt habe, für den Dominic Johnson allerdings in der Hauptsache deren stärkste Organisation, die UDPS, selbst verantwortlich macht. Die EUFOR habe die Monuc während der Wahlen entlastet und in Kinshasa, wo sich die Kandidaten mit ihren Milizen unmittelbar gegenüber standen, dazu beigetragen, dass die Wahlen nicht zu einem neuen Bürgerkrieg geführt hätten. Wie stark dieser Einfluss letztlich gewesen sei, räumt Johnson ein, könne man freilich nicht bestimmen. Auch hätten sich „im Nachhinein … viele der Befürchtungen über ein von Wahlen gestärktes autoritäres Kabila-Regime, die das Lager der radikalen Wahlgegner 2006 hegte, bestätigt – aber eben nicht während der EUFOR-Stationierungszeit, sondern hinterher.“ So könnte man Dominic Johnsons Beitrag so zusammenfassen, dass die europäische Diplomatie insgesamt nicht viel Frieden gebracht hätte – vielleicht eben weil sie sich auf die kurzfristigen Militäreinsätze konzentriert hat – dass diese aber zumindest mit dem richtigen Mandat zur richtigen Zeit am richtigen Ort stattgefunden hätten.

Quentin Laurent verspricht bereits im Titel, die Interessen der Akteure im Land und der Region zu benennen, bleibt aber seinen ganzen Text über in dem Bild gefangen, Politik in der DR Kongo sei „wie ein Korb voller Krabben: die im Korb zerfleischen sich in aller Ruhe gegenseitig, steckt man aber eine Hand hinein, schließen sie einen Waffenstillstand genau so lange, bis die Hand abgenagt ist.“ Wer in solch kolonialen Gleichnissen denkt, muss natürlich auch die Interessen der USA (die gewaltigen Uranvorkommen in der DR Kongo zu kontrollieren), Frankreichs (das größte französischsprachige Land in Afrika zu „verteidigen“) und Deutschlands (seinen Status als neue Weltmacht zu konsolidieren) als legitim erachten. Zu den Interessen der Nachbarstaaten erfährt man einiges, was die Interessen der kongolesischen Akteure angeht, wird die Binsenweisheit reproduziert, dass große Teile der Elite ihre Interessen ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl Kongos definieren. Der Pöbel auf der Straße habe lediglich das Interesse, „seine Existenz unbedingt unter Beweis zu stellen“, etwa durch gewalttätige Demonstrationen, und sei damit anfällig für allerlei rassistische Mobilmachung. Interventionismus sei – so der nicht minder wirre Schluss dieser wirren Ausführungen – ebenso wie Interessen ein „ein sensibles und paradoxes Thema; ein Bisschen wie das Essen in einem Hotel in dem Film ´Manhatten´ von Woody Allen: Obwohl es widerlich ist, gibt es nicht genug davon.“ Zu solch elaborierten Erkenntnissen gelangt man wohl, wenn man als Berater einer EU-Mission im teuersten Hotel Kinshasas Cossa Cossa in sich hineinstopft – „eine Art lokaler Schrimps, die bei westlichen Ausländern wegen ihres schmackhaften Fleisches sehr beliebt ist“.

Dort wo Laurent nur einen Korb voll Krustentieren entdecken kann, lässt David Fuamba „die komplexe Natur des Krieges“ erkennen. Ohne die militärischen Interventionen der EU auch nur zu erwähnen, bearbeitet er die Frage, warum der Friedensprozess 1998-2003 und danach scheiterte, obwohl „so viele prominente Staatsmänner, Organisationen und etablierte Demokratien, die sonst für das Voranbringen von Friedensinitiativen gelobt werden“, daran beteiligt waren. Die sonst vorherrschenden Erklärungen hierzu, dass viele Parteien nach einem Ende des Konflikts Einbußen befürchten mussten, dass mächtige internationale Akteure den Krieg für die Ausbeutung von Rohstoffen nutzen konnten und dass sowohl der Monuc als auch der Regierung die militärische Durchsetzungsfähigkeit gefehlt hätte, kritisiert er, ohne sie zu negieren. Wichtig sei es, die „Natur dieses Krieges“ genau zu analysieren, einschließlich seiner historischen und sozialen Wurzeln. Indem Fuamba für viele der beteiligte Parteien tatsächlich legitime Interessen – zu denen auch der Kampf um Bürgerrechte gehört – benennt, kann er die Kette von Friedensverhandlungen kohärenter beschreiben und ihr Scheitern besser begründen, als dies in der Literatur meist geschieht. Von besonderer Bedeutung in diesem „innerstaatlichen Krieg mit einer starken externen Komponente“ sei Ruanda, das traditionell enge Verbindungen mit dem Osten des Kongo unterhält und sich durch die dort aktiven Hutu-Rebellen bedroht fühlt. Gleichzeitig sei Ruanda eine Schutzmacht der kongolesischen Tutsi, denen wichtige Rechte verwehrt werden. Diese beiden Probleme seien im Friedensabkommen von Pretoria getrennt geregelt und bis heute nicht effektiv angegangen worden.

Denis M. Tull will bei seinem Beitrag „Staatsaufbau in der DR Kongo – Über Anspruch, Realität und falsche Annahmen“ nicht falsch verstanden werden: Es handle sich nicht um ein Plädoyer gegen Interventionen, betont er ausdrücklich. Aber „die Liste der Zielsetzungen in kollabierten Staaten ist zu lang und umfassend.“ Dem Interventionsmodell der Internationalen Gemeinschaft, wie es idealtypisch in der DR Kongo abgearbeitet wird, lägen drei falsche Annahmen zu Grunde: Erstens sei die Transplantation staatlicher Institutionen nach Afrika (das sich als Kontinent hiergegen „resistent“ zeigt) nicht im gewünschten Ausmaß möglich und habe auch in der Geschichte der Dekolonialisierung nicht stattgefunden. Zweitens wird bei diesem Staatsaufbau davon ausgegangen, dass die lokalen Eliten das Interesse der internationalen Gemeinschaft an dessen Gelingen teilen würden, was nicht der Fall sei. Die UN seien dazu übergegangen, den Frieden zu erkaufen, indem sie die Kriegsparteien als neue Regierung mit internationalen Geldern subventionieren. Denen erscheint somit der „Staatsaufbau als eine Fortführung gewaltsamer Auseinandersetzungen um politische und wirtschaftliche Ressourcen mit anderen Mitteln.“ Hierfür nennt Tull beeindruckende Zahlen: Die geschätzten 8 Mrd. US-Dollar, die externe Geber seit 2001 in den Kongo investiert haben, haben die politischen und militärischen Eliten des Landes zumindest zum Teil für ihre eigenen Zwecke genutzt. Es wird geschätzt, dass 2005/2006 ein Großteil der ca. 8 Mio. US-Dollar, die von Gebern monatlich für die Bezahlung der Armeeangehörigen bereitgestellt wurden, veruntreut worden sind… Alleine der Präsident überzog seine Ausgaben um 89 %, während einer der vier(!) Vize-Präsidenten das Siebenfache des ihm zugeteilten Budgets ausgab. Einer weiteren Schätzung zufolge hat die Übergangsregierung weniger als 2 % ihrer Ausgaben außerhalb der Hauptstadt Kinshasa getätigt.“ Zuletzt bezweifelt Tull, dass die Internationale Gemeinschaft überhaupt den politischen Willen habe, die Konflikte, in die sie interveniert, zu lösen. Falls sich dieser Wille anhand von finanziellen und militärischen Mitteln, die der UN zur Verfügung gestellt werden, ausdrücken lässt, beweißt Tull jedenfalls das Gegenteil. Leider – vielleicht auch bezeichnenderweise – fasst Tull bei dieser Argumentation militärisches und finanzielles Engagement und damit auch Intervention und zivilen Aufbau zusammen. An anderer Stelle erfahren wir aber, dass die Monuc jährlich über 1 Mrd. US-Dollar kostet und damit mehr als die international für die DR Kongo bereitgestellte offizielle Entwicklungshilfe – mit all ihren Lecks. So ist es am Schluss doch eher eine realistische Einschätzung der Kosten und Chancen von Interventionen, weshalb Tull zur Zurückhaltung mahnt: Die internationale Gemeinschaft „glaube[t] offenkundig, besser als lokale Gesellschaften zu wissen, was zur Herstellung politischer Ordnung zu tun ist und wie diese auszusehen habe. Indes haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten einige afrikanische Staaten eine weitgehende autonome Wiederherstellung politischer Ordnung erreicht (Ghana, Äthiopien, Eritrea, Uganda), fast immer ohne die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.“ Deshalb ist sein Plädoyer eines für weniger Interventionen und wenn, dann „Interventionen, die Fragen lokaler politischer Legitimität und politischer Ordnung ernster nehmen und sich nicht in der normativ überladenen Verordnung externer Rezepte (sog. Best Practices) erschöpfen.“

Eine ganz andere Perspektive nimmt Peter Schmidt, ebenfalls von der grundsätzlich interventionsfreundlichen Stiftung Wissenschaft und Politik, ein. Ihn interessieren die nationalen Interessen sowie diejenigen von EU und UN und wie es zwischen diesen Ebenen zu Entscheidungen über Auslandseinsätze kommt. „VN[UN] und EU/ESVP haben als eigenständige politische Ebenen … ein Eigeninteresse, sich gegenüber den Mitgliedsstaaten durchzusetzen und ihren Aktionsspielraum zu verbreitern. Militärische Operationen sind dazu ein adäquates Mittel.“ Deutschland strebe einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat an. Insbesondere habe aber Frankreich darauf gedrängt, dass Deutschland die Führung des EUFOR-Einsatzes 2006 übernimmt. Erst nachdem die Bundesregierung dies zusagte und der Einsatz auf EU-Ebene bereits beschlossen war, stimmte das Parlament zu, das zu diesem Zeitpunkt einem beträchtlichen „Handlungsdruck oder gar Handlungszwang“ ausgesetzt war. Die geringe Motivation der deutschen Außenpolitik habe sich dann nur noch in einem sehr eingeschränkten Mandat ausdrücken können. Insbesondere die marginale Rolle der Parlamente in den außenpolitischen Entscheidungsstrukturen bringt Schmidt dazu, diese als „multilateralen Cäsarismus“ zu charakterisieren, „d. h. als ein[en] Entscheidungsablauf, der an die Stelle einer charismatischen Einzelperson an der Spitze, wie es für cäsaristische Herrschaftssysteme typisch ist, komplexe, multilaterale Aushandlungsprozesse zwischen Staaten und internationalen Organisationen setzt.“

Ludwig Jacob, Oberst a. D., beschreibt detailreich das Zustandekommen, die Verlegung und die konkreten Einsätze der EUFOR-Mission und lässt kein gutes Haar an den politischen Verantwortlichen. Weder sei die Rolle der Soldaten im Einsatzland klar gewesen, noch seien diese im Falle ernsthafter Zwischenfälle handlungsfähig gewesen. Für die europäischen Soldaten verlief der Einsatz glimpflich, nicht aber für die Bevölkerung der DR Kongo, die in keiner Weise profitiert hat. Offensichtlich habe es sich bei EUFOR um eine „EU-Operation zur Demonstration globaler Interventionsfähigkeit“ gehandelt. Dies unterstreicht Jacob u.a., indem er abschließend darstellt, wie sich seit Abschluss des Militäreinsatzes die EU, insbesondere aber Deutschland, „aus den internationalen Bemühungen zur Stabilisierung und Konfliktlösung im Kongo davonschleichen“. Einen weiteren Zweck der Mission zeigt Jacob eher implizit auf, indem er Fehler und Probleme des Einsatzes auf strategischer und taktischer Ebene benennt und Verbesserungsvorschläge für zukünftige Einsätze macht. EUFOR war eine enorm teure Übung.

Der Beitrag des Herausgebers Hans-Georg Ehrhart, Leiter des Zentrums für Europäische Friedens- und Sicherheitsstudien (ZEUS) am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), markiert den inhaltlichen Tiefpunkt des Bandes. Das mag freilich seiner Position geschuldet sein, da das ZEUS insgesamt mit der Legitimierung einer imperialen EU-Politik beschäftigt – fast schon beauftragt – ist und Ehrhart nicht eben als Kongo-Experte bekannt ist. Wer zunächst – mit Rückgriff freilich auf Habermas und „menschliche Sicherheit“ – konstatiert, dass UN und EU bezüglich Frieden und Sicherheit auf „weitgehend deckungsgleich[en]“ normativen Grundlagen operieren, dem kann die vermeintlich angestrebte Unterscheidung zwischen realpolitischen Interessen und ethischer Verantwortung und eine Antwort auf die Frage, was davon die Triebfedern der EU-Interventionen in der DR Kongo waren, nicht gelingen. Das geht so weit, dass schon zu Anfang des Essays (nennen wir es gutwillig Essay, er nennt es Studie) Solanas Formulierung aufgegriffen wird, die vermeintlich angestrebte Stabilisierung der DR Kongo sei ein notwendiger Beitrag zur Erreichung der entmilitarisierten „Milleniums-Entwicklungsziele“. Entsprechend viele Bewertungen fallen bei Ehrhart ganz anders aus, als etwa bei Jacob oder vielen anderen Autoren des Bandes: So hätte die EUFOR mit der Monuc „gut zusammengearbeitet“, die EUFOR hätte wesentlich dazu beigetragen, dass die Wahlen ruhig verlaufen konnten und zuletzt wird auch noch suggeriert, dass die Konzentration auf Kinshasa deshalb stattgefunden habe, weil dort am ehesten Gewaltausbrüche erwartet wurden – während im Osten des Landes mehr oder weniger Krieg herrschte. Dass Ehrhart dabei noch vom „Schwarzen Kontinent“ schreibt und die Hauptstadt Südafrikas, Pretoria, mit „ä“, macht seinen Beitrag auch nicht seriöser.

Von einer kruden – ursprünglich auf europäische Traditionen zurückgehenden aber „durchaus und ohne imperialen Zwang auf andere politisch verfasste Gesellschaften“ übertragbaren -Rechtsethik her versucht Wolfgang Lienemann, Professor für Ethik an der Christkatholischen
und Evangelischen Fakultät der Universität Bern, den EUFOR-Einsatz zu bewerten. Über dessen „weitgehend unbestrittene Legalität“ hinaus müsse im Sinne einer christlichen Friedensethik hierfür die Frage gestellt werden, ob die punktuelle militärische Intervention mit langfristigen zivilen Bemühungen um die Vorbedingungen eines gerechten Friedens einhergingen. Diese Vorbedingungen sieht Lienemann für die DR Kongo insbesondere in einem „Rohstoff-Regime …, das in erster Linie den Interessen der Bevölkerung der DR
Kongo verpflichtet ist“. In dieser Richtung hätten weder Deutschland noch die EU nennenswerte Schritte unternommen. Lienemann fordert nichts Revolutionäres („Das muss keineswegs eine (sozialistische, kapitalistische oder gemischte) Staatswirtschaft bedeuten, sondern kann durchaus auch auf privatwirtschaftlicher Basis realisierbar sein“). Seine Ausführung zu den Interessenlagen der Akteure, zur Rolle der Rohstoffe im Konfliktgeschehen, zu den Machtgefällen der internationalen Märkte und Bemühungen, diese auszugleichen, sind unabhängig und erhellend und ergänzen den Band um eine wichtige Komponente. Dabei gerät der EUFOR-Einsatz ganz zu Recht zwischenzeitlich aus dem Blick. Nur ganz am Schluss kommt Lienemann auf ihn zurück. Der Militäreinsatz hätte die „äußeren Rahmenbedingungen für friedensfördernde Transformationen sichern“ können. Doch diese Transformation blieb im Kontext „einer extrem arbeitsteiligen und vermachteten Weltwirtschaft“ aus.

Paulin Manwelo, Direktor des Institute of Peace Studies and International Relations in Nairobi, versucht ebenfalls eine moralische Bewertung vorzunehmen und vergleicht hierzu in wissenschaftlicher Manier verschiedenste Denkschulen der Internationalen Beziehungen und Theorien der Intervention (was aus einer ethischen Fragestellung heraus freilich ein zweifelhaftes Unterfangen ist). Auch seine Ausführungen laufen darauf hinaus, dass Interventionen nach dem „Modell des guten Samariters“ erfolgen sollten, das heißt „holistisch“, mit zahlreichen sozialen, wirtschaftlichen und sonstigen Maßnahmen flankiert. Der Text wirkt seltsam paternalistisch, die Probleme der DR Kongo werden aufs unkenntliche verkürzt wiedergegeben und am Ende wird überraschend behauptet, dass die Interventionen der EU und der UN (getrennt werden sie überhaupt nicht betrachtet) eine „relative Erfolgsgeschichte“ darstellen.

Michael Brzoska, Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, zeichnet einige Entwicklungen internationaler „Friedenseinsätze“ mit UN-Mandat nach und kommt zu dem Schluss, dass viele Staaten und Regionalbündnisse mittlerweile Kapazitäten für eigene Peacekeeping-Einsätze unter eigener Führung aufgebaut hätten und insbesondere die robusteren, gefährlicheren Einsätze selbstständig durchführen. Letzteres trifft in der DR Kongo nicht zu, auch wenn Brzoska das suggeriert. Dass die UN-geführten Einsätze eine höhere Legitimität genießen, dauerhafter und deshalb tendenziell auch erfolgreicher wären, erwähnt Brzoska. Auch räumt er ein, dass diejenigen Staaten, die lieber selbständig intervenieren, deshalb weniger Soldaten für die UN-Missionen bereitstellen. Dies ist einer der Gründe, weshalb der globale Norden zwar den Löwenanteil an UN-Missionen bezahlt, diese ihre Soldaten aber zunehmend aus dem globalen Süden rekrutieren und dass die Mehrzahl der UN-Missionen dort stattfinden, wo die Großmächte geostrategische Interessen verfolgen. „Das Zusammenspiel von MONUC einerseits und Artemis und EUFOR DR Congo scheint dagegen zu sprechen“, dass diese neue „Arbeitsteilung“ ein Problem darstellt. Denn: „Ohne die Unterstützung durch regionale Organisationen, Ad-hoc-Koalitionen von Staaten und einzelne Mitgliedsstaaten mit Truppen unter eigenem Kommando hätten die VN[UN] manchen Einsatz aus Kapazitätsgründen oder wegen mangelnder Einsatzgeschwindigkeit nicht durchführen können.“ Man könnte diesen Sachverhalt freilich auch anders lesen: Hat sich die EU doch bei ihren Einsätzen in der DR Kongo völlig ungefährliche Ziele gesteckt und die harte Arbeit der Monuc überlassen und sich mit ihren ad-hoc-Einsätzen – bzw. Übungen – von Forderungen freigekauft, die dauerhaft präsente Monuc substantiell und mit eigenen Soldaten zu stärken.

Stefan Brünes Beitrag an den Schluss des Bandes zu setzen, war eine gute Entscheidung. Er liefert einen zusammenfassenden Überblick über die autonomen Einsätze, welche die EU bislang in Afrika durchgeführt hat. Für die beiden Missionen in der DR Kongo stellt er fest, dass „innereuropäischen Integrationsagenden das europäische Außenhandeln stärker [prägten] als lokale Konfliktkonstellationen und die öffentlich reklamierten Befriedungs- und Demokratisierungsziele“ bzw. „dass Interessenlagen, die nur einen indirekten Afrikabezug aufwiesen, bei dem Einsatz eine wichtige Rolle spielten.“ Mit seiner Einschätzung: „Über den friedenspolitischen Sinn dieses Vorgehens kann man geteilter Meinung sein“, fasst er im Grunde auch die im Buch vorgetragenen Positionen zusammen. Seine Darstellung des EUFOR-Einsatzes im Tschad, der zur Zeit der Niederschrift noch jung war, aber bereits damals dazu tendierte, „das politische Überleben eines für systematische Menschenrechtsverletzungen bekannten Präsidenten“ zu sichern und den Konflikt mit den Rebellengruppen zu eskalieren, bildet eine geeignete Illustration seiner Kernthesen: Erstens sei das EUropäische außenpolitische Handeln weiterhin von (fragwürdigen) nationalen Interessen geprägt – hier überbetont er vielleicht etwas die Rolle Frankreichs, unterstreicht diese aber faktenreich. Zweitens bestünden für politische Lösungen – die für eine dauerhafte Befriedung afrikanischer Konflikte unerlässlich sind – keinerlei Konzepte. Die europäische Sicherheitsstrategie, die nachdrücklich den „Selbstanspruch der Europäischen Union als global player“ formuliert und verspricht, weltweit befriedend in Konflikte einzugreifen, liefert außer einem zugleich moralisch und interessengeleiteten militärischen Handlungsanspruch wenig Anhaltspunkte für das konkrete Handeln, etwa im Umgang mit Rebellengruppen, für diplomatische Einflussnahme in Friedensverhandlungen und den „Zielkonflikt zwischen politischer Stabilität und Demokratisierung“. Sie liest sich – und diese Worte seien Brüne hier zum Abschluss in den Mund gelegt – wie ein Traum von einer großen Zukunft, der an der Realität zerschellen wird. Die kleinen Scherben des zerplatzten Traumes – wahlweise der Großmacht oder der Friedensmacht – halten die Autoren des Buches spürbar in ihren Händen, während sie auf die enormen Brüche blicken, die sie in ihren ehemaligen und zukünftigen Einsatzgebieten in Afrika nicht kitten konnten, teilweise sogar selbst vergrößert haben.

Heinz-Gerhard Justenhoven, Hans-Georg Ehrhart (Hrsg.): Intervention im Kongo – Eine kritische Analyse der Befriedungspolitik von UN und EU, Kohlhammer Verlag 2008. ISBN 978-3-17-020781-3

------------

Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de