[0267] Sonderseite EU-Reformvertrag / Texte Tschad und Sudan

von: 19. Oktober 2008

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

———————————————————-
Online-Zeitschrift „IMI-List“
Nummer 0267 ………. 11. Jahrgang …….. ISSN 1611-2563
Hrsg.:…… Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Claudia Haydt / Tobias Pflüger / Jürgen Wagner
Abo (kostenlos)…….. IMI-List-subscribe@yahoogroups.com
Archiv: ……. https://www.imi-online.de/mailingliste.php3
———————————————————-

Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List finden sich

1) Eine Pressemitteilung und der Hinweis auf die Sonderseite zum gestern Nacht in Lissabon angenommenen EU-Reformvertrag (vormals Verfassungsvertrag)

2) Texte zum Tschad und Darfur

1) Pressemitteilung und Sonderseite EU-Reformvertrag

Gestern Nacht einigten sich die europäischen Staats- und Regierungschefs auf einen nun als „Reformvertrag“ bzw. „Vertrag von Lissabon“ bezeichneten Nachfolger des Verfassungsvertrags. Mit dem Reformvertrag sollen nun die wesentlichen Elemente des gescheiterten Verfassungsvertrages durch die Hintertür doch noch verabschiedet werden. Dies gilt besonders für den Militärbereich, weshalb eine kritische Aufarbeitung dringend notwendig ist.

Auf der soeben eingerichteten Sonderseite http://www.reformvertrag.de/ finden sich zahlreiche Informationen zu diesem Thema.

Pressemitteilung Informationsstelle Militarisierung

Reformvertrag – Vertrag von Lissabon – treibt EU-Militarisierung weiter voran

Der in der gestrigen Nacht verabschiedete Reformvertrag ist ebenso wie sein Vorgänger, der EU-Verfassungsvertrag, ein militaristischer Vertrag. Mit ihm soll die rechtliche Grundlage für eine globale Kriegsführungsfähigkeit der Europäischen Union geschaffen werden. Die EU-Militarisierung wird weiter vorangetrieben. Im Militärteil ist er bis in die einzelnen Formulierungen hinein identisch mit dem EU-Verfassungsvertrag.

So soll die „Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ zum integralen Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik werden. Der Vertrag soll der EU eine auf „militärische Mittel gestützte Fähigkeit zu Operationen“ (Art. 27) außerhalb der Europäischen Union sichern. Zudem findet sich die Aufrüstungsverpflichtung auch im neuen EU-Reformvertrag. Im Text heißt es: „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“ (Art. 27) Auch die EU-Rüstungsagentur soll vertraglich verankert.werden (Art. 27) Weiterhin wird der Weg für eine kerneuropäische militärische so genannte Strukturierte Zusammenarbeit frei gemacht.

Nicht zuletzt werden zusätzliche Militärinterventionsbereiche eröffnet: „gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen“, „Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung“ und „Kampfeinsätze“. Darüber hinaus wird festgehalten, mit diesen Militäreinsätzen solle „zur Bekämpfung des Terrorismus beigetragen werden, unter anderem auch durch die Unterstützung für Drittländer bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet.“ (Art. 28) Weder das Europäische Parlament (Art. 21,1) noch der Europäische Gerichtshof (Art. 11) haben ein Mitspracherecht hinsichtlich dieser Einsätze, für deren Finanzierung schließlich erstmals ein eigener EU-Haushalt für Militäroperationen – geradezu liebevoll Anschubfonds genannt – zusätzlich zu den nationalen Budgets etabliert werden soll. (Art. 26)

Damit liefert der Reformvertrag (auch „Vertrag von Lissabon“ genannt) die militärische Ergänzung zur neoliberalen europäischen Wirtschafts- und Währungspolitik, die ebenfalls weiter fortgeschrieben wird. Der Vertrag soll am 13. Dezember in der portugiesischen Hauptstadt endgültig unterzeichnet und anschließend durch die nationalstaatlichen Parlamente ratifiziert werden. In nahezu allen EU-Mitgliedstaaten soll die Bevölkerung nicht mehr über den neuen EU-Vertrag abstimmen können. Ohne öffentliche Debatte – geschweige denn Abstimmung – sollen somit zentrale Bestimmungen des EU-Verfassungsvertrags klammheimlich durchgesetzt werden, eine kritische Auseinandersetzung mit dem Reformvertrag ist deshalb vor diesem Hintergrund umso notwendiger.

Weitere Informationen zum EU-Reformvertrag: http://www.reformvertrag.de/

2) Neuer EU-Militäreinsatz im Tschad, Analyse Darfur

Am Montagabend (15.10.2007) haben die Außenminister der EU-Mitgliedsstaaten endgültig eine weitere EU-Militärmission in Tschad und der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) beschlossen. Bereits im November sollen dort bis zu 4.000 Soldaten unter EU-Banner stationiert werden. In der deutschen Öffentlichkeit wurde der geplante Einsatz bislang kaum bekannt, geschweige denn diskutiert.

Der EU-Kampfeinsatz wird sich überwiegend aus den bereits im Land stationierten französischen Soldaten zusammensetzen. Er soll erklärtermaßen eine UN-Mission unterstützen, bei der 300 UN-Kräfte Polizisten der Regierung Déby ausbilden, während die überwiegend französischen Soldaten, die bereits im Land sind, unter EU-Banner für Sicherheit sorgen und Flüchtlinge aus dem benachbarten Darfur schützen sollen. Zwischendurch war gar von einer Grenzüberwachungsmission der EU die Rede.

Für die Regierung in Tschad scheint der EU-Einsatz ein willkommener Anlass zu sein, den bisher latenten Bürgerkrieg eskalieren zu lassen. Zwar nahmen auch die Rebellen im Osten des Tschad die Entsendung europäischer Soldaten zum Anlass, ihre Aktivitäten zu intensivieren, warnten gar vor einem „totalen Krieg“, falls sich die EU-Truppe nicht neutral verhielte. Das deutlichste Zeichen setzte jedoch Déby selbst: Sobald der Einsatz durch die EU-Außenminister beschlossen war, verhängte er den Ausnahmezustand in weiten Teilen des Landes. Auch international ist der Einsatz nicht unumstritten. Im Anschluss an die UN-Sicherheitsratssitzung, mit welcher der EU-Einsatz Ende September mandatiert wurde, erklärte der Kommissionspräsident der Afrikanischen Union (AU), Alpha Oumar Konaré, Afrika sei nicht länger der Hinterhof irgendeiner Großmacht und forderte den Abbau europäischer Militärbasen in Afrika.

Die Informationsstelle hat bereits mit mehreren Texten auf den anstehenden Einsatz in Zentralafrika hingewiesen und Hintergründe herausgearbeitet:

IMI-Standpunkt 2007/063 – in: Schwäbisches Tagblatt 05.10.2007
Tschad-Einsatz und Klimawandel
http://imi-online.de/2007.php3?id=1633
5.10.2007, Tobias Pflüger

Studien zur Militarisierung EUropas 31/2007
EU-Battlegroups mit UN-Mandat
Wie die Vereinten Nationen die europäische Rekolonialisierung Afrikas unterstützen
http://imi-online.de/2007.php3?id=1626
27.9.2007, Christoph Marischka

IMI-Standpunkt 2007/062
Postkolonialer Einsatz Frankreichs unter EU-Logo im Tschad
http://imi-online.de/2007.php3?id=1627
27.9.2007, Tobias Pflüger

IMI-Standpunkt 2007/058
EU und UN erschließen sich Zentralafrika
Deutschland entsendet Militärattachés – EU- und UN-Missionen in Tschad und Zentralafrikanischer Republik geplant
http://imi-online.de/2007.php3?id=1614
3.9.2007, Christoph Marischka

Als offizieller Anlass für den Einsatz im Tschad gilt der Konflikt in der westsudanesischen Provinz Darfur. Auch hier wurde unlängst eine massive Aufstockung des nun in UNAMID umgetauften AMIS-Einsatzes beschlossen. Eine Analyse zu den Hintergründen liefert folgende neue IMI-Analyse:

IMI-Analyse 2007/034
Der Sudan im Räderwerk der Weltpolitik
https://www.imi-online.de/2007.php3?id=1632
https://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse2007-034.pdf
15.10.2007, David Meienreis