IMI-Analyse 2008/029

Die ESVP-Mission in Georgien

"Vom Wasserträger zum Führungsspieler" oder der Krieg in Georgien als Geburtsstunde des neuen Imperiums EU?

von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 19. September 2008

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Am 15. September beschlossen die Außenminister der Europäischen Union (EU) während ihres Gipfeltreffens in Brüssel, spätestens bis zum 1. Oktober 2008 eine EU-Beobachter-Mission im Rahmen der so genannten Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) nach Georgien zu entsenden. Diese EU-Beobachter-Mission soll u.a. das Waffenstillstandsabkommen im Krieg zwischen Georgien und Russland überwachen, das auf EU-Vermittlung zustande kam.

Diese Entscheidung ist aus mehreren Gründen sehr problematisch:

1. Die Mission soll die Einhaltung eines Abkommens überwachen, von dem es nach Angaben des französischen Außenministers Bernard Kouchner verschiedene Fassungen gibt, somit gibt es bei der Auslegung des Waffenstillstandsabkommens erhebliche Meinungsunterschiede zwischen der russischen Regierung und der EU, vertreten durch die französischen EU-Ratspräsidentschaft.

2. Die Europäische Union ist in diesem Konflikt nicht neutral, mehr und mehr ergreift sie einseitig zugunsten Georgiens Partei und betreibt damit de facto auch eine dezidiert anti-russische Politik. Da die zu entsendenden Beobachter unter ausschließlicher Hoheit der Europäischen Union agieren sollen, ist auch von ihnen kein unparteiisches Verhalten zu erwarten.

3. Die EU will über ihre Präsenz vor Ort ihren Einfluss in der energiereichen kaspischen Region ausdehnen und so eine Führungsrolle im dortigen Machtpoker übernehmen, weitere Konflikte mit Russland sind somit vorprogrammiert. Die Mission steht damit symbolhaft für den machtpolitischen Expansionsdrang der Europäischen Union, den Beobachter nicht von ungefähr als Anzeichen für die Herausbildung eines Europäischen Imperiums bewerten.

Notwendig wäre stattdessen eine wirklich neutrale Beobachtermission, die von beiden Kriegsseiten akzeptiert ist und die somit nur im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), versehen mit einem Mandat der Vereinten Nationen (UN) möglich ist. Sie sollte sich aus Beobachtern zusammensetzen, deren Staaten keine eigenen strategischen und machtpolitischen Interessen in der Region haben oder mit dieser Beobachtermission verbinden. Alle diese Kriterien treffen auf die geplante EU-Mission nicht zu, sie ist somit abzulehnen.

EU-Mission: „EUMM Georgia“

Schon seit Längerem bereitete man sich in Brüssel darauf vor, eine Beobachtermission zur Überwachung des Waffenstillstandsabkommens zwischen Russland und Georgien (6-Punkte-Plan) zu entsenden. Auf der Ratssitzung am 15. September einigten sich die EU-Außenminister nun darauf, dass der European Union Monitoring Mission (EUMM) genannte ESVP-Einsatz spätestens am 1. Oktober beginnen soll.

Die EUMM soll zunächst 12 Monate dauern und insgesamt 232 EU-Beamte (v.a. Polizisten) umfassen. Hinzu kommen noch 30 lokale Mitarbeiter. Den Löwenanteil davon entsenden Frankreich (60 bis 76), Deutschland (40: davon 20 Polizisten und über das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF) in Berlin rekrutierte Personen), Italien (40), Polen (30), Schweden (27) und Großbritannien (27). Kostenpunkt des Einsatzes: 31 Mio. Euro aus Töpfen der EU (hinzu kommen noch einzelstaatliche Ausgaben für Gehälter, etc.). Das Hauptquartier des Einsatzes soll in Tiflis errichtet werden, wobei auch die Rede davon ist, dass Regionalbüros in Gori, Zugdidi, Poti eingerichtet werden sollen. Wichtig ist, dass der Einsatz, den der deutsche Hansjörg Haber leiten wird, von der Europäischen Union in Eigenregie durchgeführt wird: „Die EUMM wird nicht unter der Aufsicht der Vereinten Nationen (UN) oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) durchgeführt werden. Stattdessen wird sie eine eigenständige Mission, die von der EU im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) geführt wird.“ (Euractiv, 16.09.08)

Umstrittenes Mandat

Das EUMM-Mandat umfasst vor allem drei Aufgabenbereiche. Die Mission soll zur Stabilisierung, Normalisierung und Vertrauensbildung im Georgien-Konflikt und in der gesamten Region beitragen (darüber hinaus soll sie beratend für die weitere EU-Politik in der Region tätig werden). Ein wichtiger Streitpunkt liegt in den Passagen zur Stabilisierung der Situation. Dem Mandat zufolge soll die EUMM „die Lage bezüglich des Stabilisierungsprozesses überwachen, analysieren und über sie auf Grundlage der vollen Einhaltung des 6-Punkte-Plans, einschließlich des Truppenrückzugs, berichten…“

Über die genaue Interpretation des Abkommens bestehen aber – milde formuliert – erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Dies hängt ganz wesentlich mit einer „Panne“ der französischen Krisendiplomatie zusammen, denn es gibt zwei völlig unterschiedliche Fassungen des 6-Punkte-Plans: „Der französische EU-Vorsitz musste eine Übersetzungspanne bei dem Waffenstillstands-Abkommen für den Kaukasus einräumen In der russischen Übersetzung lautet der Text in einem zentralen Punkt anders als im französischen Original. Nach Darstellung von Außenminister Kouchner ist im Original des Friedensabkommens von der Sicherheit ‚in‘ den abtrünnigen georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien die Rede. In der russischen Übersetzung geht es dagegen um die Sicherheit ‚für‘ die Regionen. Die Formulierung ist entscheidend, da Russland daraus das Recht auf Pufferzonen auf georgischem Territorium vor den jeweiligen Provinzen ableitet.“ (NZZ, 08.09.2008)

Zwar haben sich Russland und die Europäische Union am 8. September tatsächlich darauf geeinigt, dass Moskau seine Truppen spätestens 10 Tage nach Entsendung der EU-Mission aus Georgien zurückzieht, wohin und in welcher Form, bleibt allerdings umstritten. Überprüfen kann man jedoch die jeweiligen Standpunkte nicht, denn was im 6-Punkte-Plan genau festgelegt ist, darüber kann lediglich spekuliert werden: „Der Originaltext des Abkommens ist öffentlich nicht zugänglich, er liegt nicht einmal in den Außenministerien anderer EU-Staaten vor.“ (FAZ, 21.08.2008) Sowohl der Hohe Beauftragte der EU für Außen- und Militärpolitik Javier Solana als auch der Europaminister der französischen Ratspräsidentschaft Jean-Pierre Jouyet verweigerten beide auf Nachfragen im Auswärtigen Ausschuss nach dem Wortlaut des Originaltextes des Abkommens genauere Angaben.

Die russische Regierung scheint augenblicklich zwar nicht darauf zu drängen, ihre Soldaten in einer Pufferzone um Abchasien und Südossetien stationiert zu lassen, sie pocht aber darauf, in beiden abtrünnigen Provinzen, deren staatliche Unabhängigkeit sie inzwischen anerkannt hat, künftig mit je etwa 3800 Soldaten präsent zu bleiben, doppelt so viele wir vor Ausbruch der Feindseligkeiten. Während Russland diesen Schritt vom 6-Punkte-Plan gedeckt sieht, erachtet die Europäische Union dies als eine Verletzung des Abkommens. Ganz deutlich bezieht die NATO in dieser Frage Position: „Nato-Generalsekretärs Jaap de Hoop Scheffer sagte, damit sei der EU-Friedensplan nicht eingehalten. Russland werde damit erlaubt, seine militärische Präsenz in den beiden abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien zu verstärken.“ (Reuters, 15.09.2008)

Ein wichtiger Streitpunkt war auch, in welchem Bereich die EU-Beobachter agieren sollen, nämlich ob die EU-Beobachter ausschließlich im Kernland Georgiens oder auch in Abchasien und Südossetien tätig werden sollten. Im Ratsentwurf für das EUMM-Mandat, der bislang einzigen vorliegenden Arbeitsgrundlage, werden in Artikel 2 nicht weniger als drei Formulierungen zum Stationierungsgebiet gewählt, die jede für sich alles und nichts bedeuten können („on a country-wide base“, „in Georgia“, „throughout Georgia“). Aus diesem Grund fragte ich Javier Solana am 10. September im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlamentes nach dem konkreten Aktionsradius der EU-Beobachter, woraufhin ich folgende Antwort erhielt: „Der Einsatz der EU-Beobachter in Südossetien und Abchasien sei mit Russland nicht abgesprochen, räumte Solana in Brüssel vor dem Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments ein. Die Beobachter sollten aber ‚in dem Geist entsandt werden, überall stationiert zu werden.'“ (AFP, 10.09.2008).

Zwar wurde noch keine endgültige Entscheidung getroffen, ob auf einer Stationierung in den abtrünnigen Provinzen letztlich auch bestanden werden wird, in jedem Fall widerspricht aber auch hier die Brüsseler Interpretation der Vereinbarungen diametral derjenigen Moskaus: „Russlands Regierungschef Wladimir Putin sagte der Pariser Zeitung Le Figaro, dass die Abchasen und Südossetien einer Entsendung von EU-Beobachtern zustimmen müssten. ‚Südossetien und Abchasien sind jetzt souveräne Staaten‘, erklärte Putin. Südossetien hatte den Einsatz bereits abgelehnt.“ (Die Zeit 15.9.08)

Angesichts dieser haarsträubenden „Pannen“, die der französischen Krisendiplomatie in der letzten Zeit unterlaufen sind, fällt es einem schwer, dabei an Zufall zu glauben. In jedem strittigen Punkt versucht die Europäische Union, beiderseitige Vereinbarungen mit der Folge einseitig umzuinterpretieren, dass Russland als böser Bube dasteht.

EU mischt mit im kaspischen Energie- und Machtpoker

Beim Ratstreffen am 15. September wurde nicht nur die ESVP-Mission beschlossen, sondern mit dem französischen Diplomaten Pierre Morel auch ein EU-Sonderbeauftragter für Georgien ernannt. Diese Entscheidung spiegelt das wachsende Interesse Brüssels wieder, seinen Einfluss in der Region auszudehnen. Denn Morel war zuvor EU-Botschafter in Zentralasien und damit maßgeblich mitverantwortlich dafür, dass die Region aufgrund ihres Energiereichtums ins geopolitische Fadenkreuz der EU gerückt wurde. Hierzu schrieb der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier Anfang des Jahres: „Es geht um eine Region mit gewaltigen Energieressourcen. […] Ich meine den Schwarzmeerraum und Zentralasien: beides Regionen mit einem enormem Potential für die Zusammenarbeit; beides Regionen, die wir deshalb während unserer Präsidentschaft in den Fokus europäischer Außenpolitik gerückt haben. […] Das macht uns zu einem Spieler in einer Region, die nicht nur als Energie- und Transportkorridor heftig umworben wird, sondern die auch eine wichtige Brückenfunktion hat: in den Nahen und Mittleren Osten oder hin zum Kaspischen Meer.“ (Rede von Frank-Walter Steinmeier, 04.03.2008, URL: http://tinyurl.com/4kvsom )

Parallel zur Ernennung des EU-Sonderbeauftragten für Georgien verabschiedete die Europäische Union ein Hilfspaket für das Land in Höhe von 500 Mio. Euro, was allerdings keineswegs eine rein karikative Maßnahme darstellt. Vielmehr soll mit einem Teil der Gelder ein zentrales, gegen Russland gerichtetes Pipelineprojekt vorangetrieben werden. Dabei handelt es sich um die Nabucco-Pipeline, mit der zentralasiatisches Gas unter Umgehung Russlands nach Europa gebracht und damit Moskaus bisheriges Transportmonopol gebrochen werden soll. Da die Pipeline auch über georgisches Territorium verlaufen soll, vergrößerte der Georgien-Krieg ohnehin vorhandene Zweifel an der Realisierbarkeit des Projektes. Die EU beabsichtigt deshalb, „dem schwer angeschlagenen Nabucco Pipeline Projekt einen Schub zu verschaffen.“ (Europolitics, 16.09.08) Darin besteht explizit eine der Hauptaufgaben des angekündigten Hilfspaketes: „Teile dieser finanziellen Hilfe würden den Bereichen Energie und Infrastruktur in Georgien zugute kommen, erklärte die Kommissarin, da man befürchte, dass sich das Pipeline-Vorzeigeprojekt der EU, Nabucco, das Gas aus anderen Ländern als Russland nach Europa liefern soll, nach dem russischen Einmarsch in Georgien in der Schwebe befinden könnte.“ (Euractiv, 16.09.2008)

Ein wichtiges Detail in diesem Zusammenhang enthüllt das Nachrichtenmagazin Europolitics (16.09.2008): „Die russische Invasion Georgiens hat ernsthafte Zweifel an der Durchführbarkeit von Nabucco verursacht, nicht zuletzt da sie droht, astronomische Versicherungskosten zu verursachen, um die Risiken eines bewaffneten Konflikts abzudecken.“ Pikant ist deshalb in diesem Kontext folgender Satz des EUMM-Mandats, der nur so zu verstehen ist, dass die ESVP-Mission gewissermaßen als Rückversicherung in Georgien stationiert werden soll, um die Realisierbarkeit der Nabucco-Pipeline zu garantieren: „Die Mission wird außerdem die Sicherheit von Transportverbindungen, Energieinfrastruktur und Einrichtungen überwachen…“ Die EUMM ist damit integraler Bestandteil der EU-Geopolitik, mit einer neutralen Beobachtermission hat sie nichts zu tun. Sie ist aus diesem Grund abzulehnen.

Die Stunde der Euro-Chauvinisten

Die Europäische Union hat den Krieg in Georgien erfolgreich dazu genutzt, ihren machtpolitischen Aufstieg weiter voranzutreiben – es schlug die Stunde der Euro-Chauvinisten. So kommentierte Jochen Bittner, Europa- und Nato-Korrespondent der ZEIT in Brüssel, die Ereignisse in einem Artikel mit dem bezeichnenden Titel „Imperium Europa: Die neue Nato heißt EU. Welches Bündnis sorgt eigentlich noch für mehr Sicherheit in Europa? Die Nato oder die EU?“ mit folgenden Worten: „Das Resümee der Georgien-Krise lautet deshalb: Das Solidaritäts- und Sicherheitsversprechen des Westens hat sich nach Osten verschoben. Weg von der Nato, hin zur EU. Der Westen ist nicht mehr Washington-zentrisch, er ist Brüssel-zentrisch.“ (Die Zeit, 18.09.2008) Ganz ähnlich äußert sich der CSU-Europaabgeordneten Ingo Friedrich mit Blick auf die jüngste EU-Mission: „Wir haben es durch Lernbereitschaft und Disziplin auf der diplomatischen Weltbühne vom Wasserträger zum Führungsspieler geschafft.“ (http://www.cducsu.eu/content/view/5213/4/ )

Wenn die Europäische Union nicht endlich ihre immer dezidiert anti-russisch agierende Politik verändert – die Ersetzung der EUMM durch eine wirklich neutrale OSZE-Beobachtermission wäre hier ein sinnvoller erster Schritt -, dann drohen schwere Auseinandersetzungen mit Russland. Da man hierzu aber nicht bereit ist, prognostiziert die FAZ (15.9.08) nüchtern: „Eine sichere Lehre aus der kaukasischen Krise gibt es jedoch: Der Westen sollte sich darauf vorbereiten, dass im Verhältnis zu Moskau noch ganz andere Unwetter aufziehen können.“