Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2008/049

Die Geschäfte laufen gut

Das SIPRI-Jahrbuch 2008 über Rüstung und internationale Rüstungsexporte

Thomas Mitsch (19.08.2008)

Das Stockholmer Institut zur Internationalen Friedensforschung (SPIRI) hat Anfang August sein Jahrbuch 2008 vorgestellt. Eine Zusammenfassung kann Im Internet heruntergeladen werden: http://yearbook2008.sipri.org/files/SIPRIYB08summary.pdf

Die Geschäfte laufen gut

Das Stockholmer Friedensinstitut ermittelte die größten Waffenexporteure der Welt. Der von den USA ausgerufene „Krieg gegen den Terror“ hat die weltweiten Rüstungsausgaben auf neue Rekordhöhen getrieben. Wie das SIPRI feststellte, wurden 2007 umgerechnet 1,3 Billionen US$ und damit pro Kopf der Weltbevölkerung 202 US$ für militärische Zwecke ausgegeben, davon 1,04 Billionen US$ von den wohlhabendsten Nationen. In den vergangenen zehn Jahren sind die Militärhaushalte damit weltweit um 45 Prozent gestiegen.

Fakten und Zahlen:

Von den zehn größten Waffenproduzenten im Jahr 2006 stammen alleine 6 aus den USA gefolgt von den europäische Firmen BAE Systems (Großbritannien, Platz 3), EADS (v.a. Frankreich und Deutschland, Platz 7), Finmeccanica (Italien, Platz 9) und Thales (Frankreich Platz 10).
Alleine Boing tätigte Waffenverkäufe in Höhe von 30.690 Mio. US$ gefolgt von Lockheed mit 28.120 Mio. US$, BAE Systems machte 24.060 Mio. US$ Umsatz, EADS 12.600 Mio. US$ und Finmeccanica 8.990 Mio. US$.

2007 stiegen die weltweiten Militärausgaben auf ein Rekordniveau. Insgesamt wuchsen die Umsätze der Waffenkonzerne gewaltig und demonstrierten damit, wie gewinnbringend der Handel mit Kriegsmaterial ist. Das Militär verschlingt 2,5 Prozent des globalen Sozialprodukts.
45 Prozent aller offiziellen weltweiten Rüstungsausgaben entfielen 2007 auf die USA, wo sie auf den höchsten Wert seit dem 2. Weltkrieg stiegen. Seit den Terroranschlägen von 2001 sind sie in den Vereinigten Staaten um 59 Prozent gestiegen. Grund hierfür sind laut dem Jahrbuch die Kriege im Irak und in Afghanistan sowie der „Krieg gegen den Terror“.
Mit 36,9 Milliarden US$ liegt Deutschland in der Rangliste der Länder mit den höchsten offiziellen Militärausgaben auf dem sechsten Platz und hat damit einen Anteil von drei Prozent an den weltweiten Ausgaben. Hinter den mit großem Abstand führenden USA mit jährlichen Ausgaben von 547 Milliarden US$ folgen Großbritannien mit 59,7 Mrd. US$, China mit 58,3 Mrd. US$ und Frankreich mit 53,6 Mrd. US$. Sie gaben damit jeweils etwa ein Zehntel des US-Betrages für militärische Zwecke aus.

Waffenexporte:

80% der globalen Waffenexporte fallen auf nur fünf Länder zurück, unter diesen fünf „größten“ Waffenexporteuren befinden sich neben Deutschland die USA, Russland, Frankreich und Großbritannien.

Das Institut stellte beim internationalen Waffenhandel einen Anstieg um sieben Prozent für die Zeit von 2003 bis 2007 gegenüber der Zeit von 2002 bis 2006 fest. Deutschland ist mit einem Weltmarktanteil von zehn Prozent drittgrößter Rüstungsexporteur der Welt. 63% der Gewinne der 100 größten Rüstungsfirmen entfielen auf US-amerikanische und 29% auf westeuropäische Unternehmen. Die größten Gewinne erzielten die Hersteller von gepanzerten Fahrzeugen wegen des Irak-Krieges und die Anbieter von High-Tech-Elektronik sowie in Russland die Hersteller von Flugzeugen.

Rüstungskontrolle und Atomwaffenarsenale:

Die Notwendigkeit neuer Anstrengungen bei der Rüstungskontrolle ergibt sich für das Friedensinstitut auch aus den nach wie vor gigantischen Arsenalen an Atomwaffen. Acht Staaten verfügen hier über gefechtsbereite Sprengköpfe, während Vereinbarungen über Rüstungskontrolle oder Nicht-Weiterverbreitung „entweder schwanken oder kaum Fortschritte machen“, heißt es im Jahrbuch. Es wird außerdem festgestellt, dass alle Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages mittlerweile neue Atomwaffen entwickeln würden oder angekündigt hätten, dies zu tun. Indien, Pakistan und Israel, die Nichtmitglieder sind, würden allesamt an neuen Trägersystemen arbeiten. Das Institut berichtet über ein Gesamtarsenal von gut 25.000 nuklearen Sprengköpfen, von denen mehr als 10.000 sofort auf Raketen oder Flugzeugen eingesetzt werden könnten. Davon entfielen im Januar 2008 insgesamt 5.189 auf Russland und 4.075 auf die USA.

Kritisch kommentiert das Jahrbuch den Austritt Moskaus aus dem Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE). Hiervon gehe eine sehr große Gefahr aus, heißt es.

Laut dem Direktor des Stockholmer Friedensinstituts, Bates Gill, gebe es dennoch einen zunehmenden Konsens, dass Abrüstungsschritte notwendig seien. Solche Maßnahmen lägen ebenso im Interesse von Regierungen wie der Weltöffentlichkeit. Besonders wichtig sei dabei eine weitere Abrüstung auf Seiten der beiden größten Atommächte USA und Russland.

Ja zur Weltmacht EUropa

Bates Gill sieht in der Möglichkeit der „Wiederbelebung der internationalen Rüstungskontrolle“ eine Chance, der internationalen Aufrüstung entgegen zu wirken. Dafür gebe es in den kommenden zwei Jahren mit Blick auf mögliche neue politische Führungen in Ländern wie Russland, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Japan, und vor allem demnächst in den USA „neue Chancen und Öffnungen“, falls die USA mitspielten.

Wie das SIPRI zu dieser optimistischen Einschätzung kommt, wird jedoch nicht weiter begründet. Ausdrücklich wird auch der EU-Reformvertrag begrüßt, der ja immerhin die europäische Rüstungsagentur EDA auf eine rechtliche Grundlage stellt, die Mitgliedsstaaten zu Aufrüstung verpflichtet und einen EU-Militäretat („Anschubfonds“) ermöglicht:

„Die EU nahm das Lissabon-Abkommen an, das weitgehend die wichtigsten Bestandteile des abgelehnten Verfassungsvertrages 2004 verfechtet, vor allem in Sachen der Außen- und Sicherheitspolitik… . Die EU kann sich jetzt ihr erhebliches Potential zunutze machen, indem sie die neuen Rechtsstrukturen in politisches Handeln umsetzt.“

Lapidar wird mit einem Satz festgestellt: „Die Herausforderungen der transatlantischen Partnerschaft sind zunehmend global.“ Mit diesem Satz verortet sich das Stockholmer Institut nicht nur selbst innerhalb der transatlantischen Sicherheitspolitik, sondern es spricht sich auch für eine Art Weltinnenpolitik mit den USA und der EU im Zentrum aus. Entsprechend werden auch militärische Friedensmissionen in „Scheiternden Staaten“ (zu denen auch ISAF in Afghanistan gezählt wird) prinzipiell für notwendig erachtet und ein Ausbau der entsprechenden Strukturen gefordert. Mit einem Rüstungs-kritischen Ansatz ist das freilich schwer zu vereinbaren.

Trends im aktuellen Konfliktgeschehen:

Ekaterina Stepanova behauptet auf der Grundlage der UDCP-Datenbank (Uppsala Conflict Data Project), dass die Zahl der „Major Conflicts“ (Hauptkonflikte) im letzten Jahrzehnt zurückginge, was aber weitgehend der Definition diese „Major Conflicts“ geschuldet ist. Sie stellt demgegenüber aber einen deutlichen Trend zur Entstaatlichung und Internationalisierung von Konflikten sowie zu Stammesfehden und allgemeinen Gewaltsituationen, also hin zu so genannten „Neuen Kriegen“ fest, die nach den Definitionen des UDCP nicht als Kriege oder bewaffnete Konflikte gezählt werden. Diese drohten sich jedoch weiter auszudehnen, weshalb auch verstärkt Friedensmissionen nötig würden. Hauptproblem sei das Scheitern von Staaten, die Lösung bestehe entsprechend in State-Building. Dabei müsse man sich aber evtl. mit Akteuren einlassen, die eine andere Agenda verfolgen, als man selbst:

„…Staatliche Schwäche war einer der kritischen Faktoren, welcher die Zersplitterung und die wachsende Widerspenstigkeit der Waffengewalt im Jahr 2007 förderte. Um Gewalt in schwachen, konfliktgeschädigten Staaten zu verringern, sollten die Anstrengungen zur Unterstützung des Aufbaus staatlicher Strukturen, welche Funktionalität mit lokaler Rechtmäßigkeit verbinden, als vorrangige Aufgabe gesehen werden. Im Inland entstandene Bewegungen, welche beträchtliche Unterstützung in der Bevölkerung genießen und breite gesellschaftliche, politische und sicherheitsrelevante Programme verfolgen, sind am besten in der Lage, diese Verbindung zu erreichen – auch wenn ihre Ideologien und Programme sich deutlich von denen der führenden internationalen Akteure unterscheiden.“

Im letzten Jahr blieb die Zahl der Kriege laut Definitionen und Daten des UDCP unverändert. Insgesamt gab es demnach vierzehn bewaffnete Konflikte. Auf den Philippinen und in Somalia seien zwei Konflikte hinzugekommen, während in Burundi und Uganda zwei bewaffnete Konflikte beendet werden konnten. Die größten bewaffneten Konflikte waren demnach in Afrika (Somalia), Amerika (Kolumbien, Peru, USA), Asien (Afghanistan, Indien, Myanmar, Philippinen, Sri Lanka), Europa (Tschetschenien) und im Mittleren Osten (Irak, Israel, Türkei).

Friedensmissionen:

2007 waren 150.651 Soldaten und 18.816 „zivile“ Kräfte – v.a. Polizisten – aus 119 Staaten in „Friedensmissionen“ im Einsatz, mehr als je zuvor (41% davon in Afrika). 22 Missionen mit 90.305 Einsatzkräften werden von der UN geführt, drei mit 57.930 von der NATO (davon 41.741 in Afghanistan), 7.371 Kräfte sind in AU-„Friedenseinsätzen“ und 5.900 in solchen der EU. In Europa waren 20, in Afrika 18, im Mittleren Osten und Asien jeweils 10 und in Amerika 3 Friedensmissionen tätig.

Die Notwendigkeit von mehr und komplexeren Einsätzen wird ganz am Beginn des Textes festgestellt – nicht hergeleitet, sondern festgestellt. Dafür müssten mehr und unterschiedliche Organisationen besser miteinander koordiniert werden. Darunter – theoretisch – auch die Regierungen, Führer und Bevölkerungen vor Ort – doch deren Einbeziehung kann, wird sogleich festgestellt, den Erfolg der Mission auch behindern.
Die Bemühungen der UN, die Vorbereitungen für Einsätze zu verbessern, werden folgendermaßen zusammengefasst:

„Die Vereinten Nationen haben 2007 als Teil ihrer umfassenderen und längerfristigen Reformstrategie ´Friedenswahrung 2010´ die vollständige Umsetzung des IMPP (Integrated Missions Planning Process) angestrebt. Der IMPP zielt darauf ab, einen sequentiellen, kohärenten und einheitlichen Rahmen für die Zeit vor der eigentlichen Mission und die Übergangsplanung von UN-Operationen zu bieten.“

Das Dilemma des SIPRI

Die politische Bewertung des SIPRI-Jahresberichts überrascht vor dem Hintergrund immens wachsender Rüstungsausgaben und -exporte:

„In den nächsten ein bis zwei Jahren wird die Diskussion und Debatte über die Vorteile der Rüstungskontrolle und Abrüstung auf deutlich höherer Ebene stattfinden. …Stimmen aus dem gesamten politischen Spektrum erkennen wieder den Wert der Rüstungskontrolle angesichts der drohenden Gefahren für die Menschheit. Obwohl sich die Vorwärtsbewegung enormen Hindernissen gegenüber sieht, wird sich in den kommenden Jahren ein neues Fenster der Möglichkeiten noch weiter öffnen, um konstruktive Fortschritte bei der Rüstungskontrolle und Abrüstung zu realisieren.“

Wenn die erste Welt militärisch intervenieren soll, dann sind ihre Rüstungsausgaben (die schließlich 79% der weltweiten Rüstung ausmachen) auch schwer zu kritisieren. Dieses Dilemma für das SIPRI zeigt sich auch daran, dass das Institut auf die neueren Varianten des Rüstungsexportes durch die erste Welt in Form von Polizeiausbildungen und Sicherheitssektorreformen kaum eingeht, sie als State-Building allenfalls implizit begrüßt. Das SIPRI scheint diesem Dilemma entkommen zu wollen, indem es vor dem Hintergrund steigender Rüstungsausgaben über sich öffnende Möglichkeitsfenstern und einem sich herausbildenden Konsens über die Notwendigkeit von Rüstungskontrolle spekuliert.

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de