Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2008/032

Siemens und der Sumpf der Sicherheitsindustrie

Christoph Marischka (30.04.2008)

Eine aktualisierte Fassung dieses Artikels erschien im AUSDRUCK (Juni 2008):
https://www.imi-online.de/download/CM-Siemens-Juni-08.pdf

Eine vernichtende Bilanz legte die US-amerikanische Kanzlei Debevoise & Plimpton über die Geschäftspraktiken des Siemens – Konzerns zwischen 1999 und 2005 vor: „in fast allen untersuchten Geschäftsbereichen und zahlreichen Ländern“ wurden Belege für Korruptionsverstöße gefunden. „Insgesamt sollen mindestens 1,3 Milliarden Euro an Schmiergeldern zur Erlangung von Aufträgen an diverse Behörden und Entscheidungsträger geflossen sein“, berichtet die österreichische Zeitung Kurier.

Im untersuchten Zeitraum erhielt „Siemens Business Services“, heute „Siemens IT Solutions und Services“, mit einem gemeinsam mit IBM gebildeten Konsortium den Zuschlag für das laut Financial Times Deutschland größte Public-Private-Partnership-Projekt in ganz Europa. Im Rahmen des Herkules-Projekts soll die Bundeswehr bis 2015 flächendeckend mit neuen Computerarbeitsplätzen und Telefonanlagen ausgestattet werden. Hierzu gründete das Konsortium gemeinsam mit der Bundesrepublik Deutschland die Gesellschaft „BWI Informationstechnik“, an der Siemens mit 50.5% beteiligt ist. „Diese strategische Partnerschaft ist ein wichtiger Baustein der Bundeswehrreform“, schreibt die Gesellschaft in ihrer Selbstdarstellung. Die ursprünglichen Plankosten für das Herkules-Projekt beliefen sich auf 7.2 Mrd. Euro, verteilt auf die 10 Jahre, während derer das Projekt durchgeführt werden soll, bereits damals der nach eigenen Angaben größte Auftrag in der Firmengeschichte der Siemens AG. Die Gesellschaft hat sich hierfür ein eigenes Firmengebäude bauen lassen und ist längst an längerfristigen Projekten beteiligt. Das Fernmeldebataillon 384 in der General-Fahnert-Kaserne in Karlsruhe wurde bereits am 14.3.2008 von seinen Aufgaben entbunden, darunter der Betrieb des Automatische Führungsfernmeldenetz (AutoFüFmN) und des taktischen Richtfunknetzes der Flotte (TRF), die zukünftig die BWI Informationstechnik übernimmt.

Siemens: Top-Anbieter in Sachen Sicherheit

42% seines Umsatzes erwirtschaftet Siemens IT Solutions and Services in Deutschland, weitere 42% im restlichen Europa. Unter den Auftraggebern befinden sich neben der Bundeswehr zahlreiche weitere öffentliche Stellen: Vom südafrikanischen und italienischen Innenministerium über die Finanzministerien in Frankreich und der Türkei, die Europäische Kommission bis hin zu den italienischen Carabinieri, dem schweizerischen Departement für Justiz und Polizei bis hin zum Rüstungskonzern EADS und der internationalen EUROCONTROL-Behörde in Belgien, welche zukünftig die gemeinsame Flugsicherheit der zivilen und militärischen Luftfahrt in Europa regeln soll. Unter den privaten und halbstaatlichen Kunden befinden sich v.a. internationale Flughäfen, Telekommunikations-Anbieter, Energieversorger, Banken, Versicherungen und Logistikunternehmen, also mehr oder weniger all das, was als „kritische Infrastruktur“ betrachtet wird.

In Kroatien hat Siemens IT Solutions and Services wesentlich an der Gesamtkonzeption des Border-Managements mitgewirkt und liefert die entsprechende Technik. Innerhalb von 14 Monaten hat das Unternehmen im Auftrag der Europäischen Kommission gemeinsam mit dem kroatischen Innenministerium das so genannte „National Border Management Information System“ (NBMIS) implementiert, eine „streng nach EU-Vorgaben konzipierte Lösung zur Personenidentifikation über Reisedokumente und Fingerprint…“. Der Leiter Public Security bei Siemens IT Solutions and Services, Jörg Sauerbrey, schreibt dazu in der Zeitschrift „Homeland Security“ (1/2008): „Bei der Identifikation per RFID liest ein mobiler Dokumentenscanner automatisch die Daten der biometrischen Ausweispapiere ein und vergleicht diese mit den zentral geführten Einträgen zu dieser Person … An kroatischen Grenzübergängen werden zudem Fahrzeuge und deren Nummernschilder automatisch per Videokamera erfasst und in einer zentralen Datenbank, auf die auch das Innenministerium Zugriff hat, gespeichert. Durch die Schengen-kompatible Ausrichtung von NBMIS können die erfassten Kfz-Nummern und -Typen schon heute mit zahlreichen internationalen Datenbanken abgeglichen werden. Dies ermöglicht einerseits eine rasche Aufklärung bei Delikten bei Grenzübertritt. Andererseits sind die erfassten Fahrzeugbewegungen für nationale und internationale Verkehrsstatistiken nützlich.“

Mittelfristig, so Sauerbrey, sollen die Systeme der Mitgliedsstaaten standardisiert werden, denn: „In den kommenden Jahren wird zudem das biometrische EU-Visum spruchreif, das den Grenz- und Zollbeamten auch die Kontrolle der Identität von Einreisenden aus Drittländern ermöglicht.“ Erst Mitte Februar hatte EU-Kommissar Frattini das so genannte Border Package der Öffentlichkeit vorgestellt, eine Sammlung von Evaluationen und Folgenabschätzungen, welche vorsehen, dass zukünftig alle, die in die EU ein- oder ausreisen, biometrisch erfasst werden sollten. Daneben sah das Papier eine Stärkung der EU-Grenzagentur Frontex vor sowie ein umfassendes System zur Überwachung der Außengrenze namens EUROSUR. Bei diesem sollen nicht nur Drohnen und Satelliten zum Einsatz kommen, sondern auch bestehende Techniken wie Wärmebildkameras und Radaranlagen aufgerüstet und vernetzt werden.

Vernetzte Sicherheit
Auch hierüber schien die Rüstungsindustrie bereits vorab informiert. Bereits im Juni hatten Finmeccanica und Thales ein Green Paper verfasst, in dem sie ihre Fähigkeiten für die Umsetzung des EUROSUR-Projektes anpriesen und sich später mit einem entsprechenden Projekt um Fördermittel beim Forschungsrahmenprogramm 7 der EU bewarben. Im Border Package sprach sich wiederum die Kommission dafür aus, „[d]as 7. Rahmenprogramm für Forschung und Entwicklung (Themenbereiche Sicherheit und Weltraum) [heran zu ziehen], um die Leistungsfähigkeit und den Einsatz von Überwachungsinstrumenten zu verbessern, damit das erfasste Gebiet ausgeweitet werden kann, mehr verdächtige Aktivitäten aufgedeckt, potenziell verdächtige Zielobjekte leichter identifiziert werden können und der Zugriff auf Daten hochauflösender Beobachtungssatelliten erleichtert wird.“ Die ursprünglichen Vorschläge, die beiden Dokumenten, dem „Green Paper“ und dem „Border Package“ zu Grunde liegen, entstammen Studien der EU-Grenzbehörde Frontex.

Die Kommission, die ja normalerweise sehr viel Wert auf freien Wettbewerb legt, sollten solch enge Kooperationen zwischen öffentlichen Auftraggebern und privatwirtschaftlichen Anbietern bereits in der Konzeptionsphase eigentlich ein Dorn im Auge sein, schaffen sie doch letztlich wesentlich größere Wettbewerbsverzerrungen als einfache Schmiergeldzahlungen. Im Falle der Sicherheitsindustrie scheint jedoch eine andere Logik vorzuherrschen. So wurde im Herbst 2007 auf Initiative der Kommission das Europäische Forum für Sicherheitsforschung und Innovation (ESRIF) gegründet, nach Angaben der Kommission „eine informelle, beratende Plattform, an der die Interessengruppen aus dem öffentlichen und dem privaten Sektor auf freiwilliger Basis teilnehmen. Diese Interessengruppen sind die Industrie, Forschungseinrichtungen, öffentliche und private Endnutzer, Organisationen der Zivilgesellschaft, EU-Institutionen (insbesondere das Europäische Parlament) und europäische Organisationen… Ein öffentlich-privater Dialog im Bereich der Sicherheitsforschung ist von zentraler Bedeutung für eine höhere Sicherheit der Infrastrukturen, den Kampf gegen das organisierte Verbrechen und den Terrorismus, für die Wiederherstellung der Sicherheit in Krisenzeiten sowie für eine Verbesserung der Grenzüberwachung und -kontrolle. Bis Ende 2009 soll das ESRIF eine gemeinsame Agenda für Sicherheitsforschung aufstellen, die gegebenenfalls Empfehlungen an die Behörden enthalten wird. Das Forum wird für eine begrenzte Zeit, bis Ende 2009, eingesetzt.“

Trotz seinem informellen Charakters hat die Kommission Büros für das ESRIF eingerichtet, den Vorsitz führt der ehemalige EU-Koordinator für Terrorismusbekämpfung, Gijs de Vries, stellvertretende Vorsitzende sind BKA-Vizepräsident Jürgen Stock und Giancarlo Grasso von der italienischen Rüstungsfirma Finmeccanica.

Ein ähnliches Konglomerat an „Sicherheitsexperten“ ist überhaupt dafür verantwortlich, dass es ein Budget für Sicherheitsforschung auf Europäischer Ebene überhaupt gibt und wie es ausgestaltet wurde, wie Ben Hayes für das Transnational Institute und statewatch.org in seinem sehr lesenswerten Bericht „Arming Big Brother“ beschrieb: Nach einem informellen Beschluss der Kommission im Jahr 2003 wurde eine „Group of Personalities“ eingerichtet, die eben hierüber beraten sollte: Neben zwei Vertretern aus der Kommission und vier aus dem Parlament bestand dieses Gremium aus Vertretern der acht größten Rüstungs- und IT-Unternehmen: EADS, BAE Systems, Thales, Finmeccanica, Ericcson, INDRA, Diehl und: Siemens.

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