IMI-Analyse 2008/006 - in: AUSDRUCK (Februar 2008)

Kommando Spezialkräfte: „Mit der Lizenz zum Töten“


von: Claudia Haydt | Veröffentlicht am: 15. Februar 2008

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Über keinen anderen Teil der Bundswehr ist so wenig bekannt, wie über das Kommando Spezialkräfte (KSK) mit Standort in Calw. Normalerweise werden Einsätze des KSK von Seiten der Bundesregierung weder bestätigt noch dementiert. Erst der Skandal um eine mögliche Misshandlung des Gefangenen Murat Kurnaz in Kandahar (Afghanistan) durch Kommandosoldaten zwang die Bundesregierung wenigstens in kleinen Teilen ihr Schweigen zu brechen – ohne dass sich die grundsätzliche Verschwiegenheit geändert hätte. Spezialkräfte gibt es in fast jeder Armee und sie gehören meist als integraler Teil zu den Einsatzszenarien. Im Folgenden soll beschrieben werden, welche Funktion das KSK im Rahmen der Bundeswehr hat und warum diese als „Armee im Einsatz“ für ihre „Handlungsfähigkeit“ Spezialeinheiten braucht, die „in der Tiefe des feindlichen Raumes agieren können.

Transformation der Bundeswehr

Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde die Bundeswehr konsequent von einer Massenarmee, deren Aufgabe überwiegend in territorial definierter Verteidigung bestand, umgebaut zu einer „Armee in Einsatz“. Seit 2002 ist dieser Prozess zur Steigerung der militärischen Effizienz institutionalisiert als „Transformation der Bundeswehr“ (Siehe Beitrag von Tobias Pflüger). Für diese Aufgabe wurde 2004 eigens ein „Zentrum für Transformation der Bundeswehr“ geschaffen. Die Streitkräftestruktur wurde so verändert, dass die verschiedenen Truppenteile nun entsprechend ihrer Verwendbarkeit für Auslandseinsätze in drei Gruppen eingeteilt werden. Die Speerspitze bilden die 35.000 Soldaten (inklusive weniger Soldatinnen) der Eingreifkräfte. Diese sind für Kampfeinsätze hoher Intensität und meist kürzerer Dauer vorgesehen. Die Stabilisierungskräfte (70.000 Soldaten) sollen „Operationen niedriger und mittlerer Intensität und längerer Dauer“ durchführen, dabei handelt es sich meist um Besatzungseinsätze. Für Logistik der Einsätze, den Grundbetrieb der Bundeswehr sowie die Ausbildung sind 147.500 die Unterstützungskräfte zuständig. Die Bundeswehr ist durch diesen Pyramiden- oder Speerspitzenförmigen Aufbau bereits heute am Einsatz Out of Area ausgerichtet, dies soll jedoch in Zukunft noch weiter optimiert werden. Ganz vorne an der „Speerspitze“ der Bundeswehr ist das Kommando Spezialkräfte. Das KSK ist organisatorisch eingebunden in die Division Spezielle Operation (DSO). In der DSO werden die verschiedenen luftbeweglichen Kräfte der Bundeswehr zusammengefasst. Die DSO wird zur Zeit massiv umorganisiert, Standorte werden verlegt und zusammengefasst, Konzepte werden verändert. So wird im Laufe des Jahres 2008 die Zentrale des DSO von ihrem Stammsitz in Regensburg nach Stadtallendorf verlegt. Eine der wenigen Konstanten im Rahmen der DSO ist das Kommando Spezialkräfte, das in seiner Konzeption bereits zu Beginn wesentliche Elemente der Transformation der Bundeswehr vorwegnahm. Es wurde aufgestellt mit einer klaren Kampf- und Einsatzorientierung, wodurch die Konzeption des KSK in ihren wesentlichen Elementen seit seiner Gründung im Jahr 1996 Bestand hat. Das KSK kann also als Speerspitze für die Einsatzorientierung bezeichnet werden. Entsprechend fanden die ersten Einsätze des KSK auch recht schnell statt.

In der Calwer Graf Zeppelin Kaserne stehen zur Zeit etwa 1100 KSK-Soldaten bereit. Die Zielgröße beträgt 1300. Diese Zielgröße könnte längst erreicht sein, wenn die Bundeswehr all diejenigen, die sich für den Dienst im KSK bewerben, akzeptieren würde. Allerdings sorgen die harten Auswahlkriterien dafür, dass nicht alle Dienstposten besetzt sind. Die Vorläufer des KSK waren Fallschirmjäger-Kompanien, „Beta 1“-Kompanien bzw. Fernspähtrupps, die bereits in den 1960er Jahren aufgestellt worden waren. Deren Konzeption enthielt bereits viele Elemente des heutigen KSK. Auch sie sollten „in der Tiefe des feindlichen Raumes“ agieren. Diese „Tiefe“ war damals jedoch der Ostblock und da nur wenige davon ausgingen, dass im Rahmen atomarer Kriegsszenarien wirklich noch ein Sinn in Einsätzen hinter dem Frontverlauf bestehen könnte, war die Einsatzrelevanz der Fallschirmjäger begrenzt. Dennoch hat das KSK im Rahmen der Bundeswehr – und darüber hinaus – bereits eine längere Tradition, auf die bewusst aufgebaut wird.

Das Alter der meisten eingesetzten Kommandosoldaten liegt über dem Durchschnitt der üblicherweise im Ausland eingesetzten Soldaten. Die Elitesoldaten sind meist zwischen 25 und 32 Jahre alt, was an ihrer längeren Ausbildung liegt, die bis zu vier Jahre dauert. Die Soldaten werden aber gemessen an ihrer Ausbildung nicht besonders gut bezahlt. Die Einstufung der meisten Kommandosoldaten liegt bei Besoldungsstufe A7 oder A8. Netto bedeutet dies meist zwischen 1600 und 1800 Euro, dazu kommen 350 Euro KSK-Zulage und 150 Euro Fallschirmzulage. Die meisten Soldaten gehen also nicht zum KSK wegen des Geldes, sondern wegen des Elitebewusstseins, welches damit verbunden ist, Teil des KSK zu sein. Dazu kommt zwischenzeitlich für viele eine attraktive Berufsperspektive nach ihrer Dienstzeit beim KSK. Viele der Elitesoldaten können zwischen verschiedenen Angeboten privater Sicherheitsfirmen auswählen und sind anschließend als gut bezahlte Söldner bzw. „Sicherheitsberater“ tätig.

Einsatz mit Kommandotrupps

Die Einsatzführung liegt – wie für alle anderen Truppenteile die im Ausland eingesetzt sind – in Potsdam. Allerdings wird das KSK – ebenso wie die Marine-Spezialkräfte – über eine spezielle Abteilung befehligt, über das so genannte „Kommando Führung Operationen von Spezialkräften“. Die Einsätze des KSK bestehen im Kern aus vierköpfigen Kommandotrupps, in denen jeweils Pionier-, Waffen-, Sanitäts- und Fernmeldespezialisten zusammenarbeiten. Die Trupps sind jeweils Teil von Kommandozügen mit speziellen Fähigkeiten zum „Eindringen“ in das Einsatzgebiet. Es gibt Spezialisten für das Einsickern über Land, für das „vertikale“ Eindringen, für Amphibik sowie für Gebirge bzw. Arktis. Dazu kommen noch Fernspäh- und Scharfschützenelemente. Kommandokompanien sind jeweils autarke Einsatzelemente. Das „Eindringen“ in feindliches Territorium ist fester Bestandteil des Berufsbildes eines Kommandosoldaten, z.B. durch Fallschirmsprung, über Gebirge oder über diverse maritime Techniken, wie das Tauchen in feindlichen Häfen oder das Anlanden mit Schnellbooten.

Zur Ausbildung der Kommandosoldaten gehört „unconventional warfare“. Eine beschönigende Bezeichnung für Kampftechniken, die man auch als „List und Heimtücke“ bezeichnen könnte. Es geht um die Antwort der Bundeswehr (unter anderer Armeen) auf asymmetrisch organisierte Gegner. Die Bundeswehr agiert in ihren gegenwärtigen Einsätzen überwiegend in einem Umfeld, in dem sie meist keinem klar militärisch organisierten und sichtbaren Gegner gegenübersteht. Zivilisten können sich plötzlich als Kombattanten verhalten und es ist oft völlig unkalkulierbar, wann eine friedlich Situation zur Kampfhandlung eskaliert. Mit Kommandosoldaten haben Armeen ein Instrument, mit dem sie ebenso unkonventionell und überraschend agieren und somit eine strukturelle Antwort auf diffuse Bedrohungslagen geben wollen. „Unconventional warfare“ beinhaltet deswegen vieles, was man umgangssprachlich als „dreckige Kriegsführung“ (wenn es denn überhaupt etwas anderes gibt) bezeichnen könnte. Zur Ausbildung gehört das gezielte Üben des Tötens. Der Oberstleutnant der Bundeswehr Jürgen Rose äußert in einem Artikel mit der Überschrift „Kommando Spezialkiller“[1] die Befürchtung, dass sich die KSK-Soldaten als Todesschwadronen betätigen könnten. Kommandosoldaten werden darauf vorbereitet, im Ernstfall gezielt töten zu können. Dazu ist es nötig, die Hemmschwelle für Gewalt abzusenken.

Es gibt für die Ausbildung von Kommandosoldaten so genannte „Killing Houses“. Auch in der Calwer Kaserne gibt es eine solche Einrichtung. Es handelt sich um mehrräumige und mehrstöckige Schießplätze, in denen beinahe jede beliebige Häuserkampfsituation nachgestellt werden kann. In der hochmodernen Anlage wird mit scharfer Munition geübt, was bei den Soldaten durch den dadurch erhöhten Adrenalinpegel eine große Realitätsnähe der Übungssituation suggerieren soll.

Zur Ausbildung gehört auch die Vorbereitung auf die Situation, dass Kommandosoldaten in die Hände feindlicher Kräfte fallen. Die Soldaten lernen dafür auch „resistance to interrogation“, das bedeutet, sie lernen Techniken des Widerstandes gegen Befragung. Einige dieser Soldaten, die gelernt haben selbst Verhörprofis auszutricksen, müssen nun vor dem KSK – Untersuchungsausschuss des Bundestages Rede und Antwort stehen. Doch ob diese gut geschulten Spezialisten je die Wahrheit sagen, bezüglich dessen, was bei ihrer Begegnung mit Murat Kurnaz im Januar 2002 im US-Gefangenenlager in Kandahar passiert ist, das darf ernsthaft bezweifelt werden. „Sie wirken wie gut orchestriert.“[2] kommentiert die Monitorredakteurin Sonia Mikich am 13.7.2007 die Aussagen der KSK-Soldaten vor dem Untersuchungsausschuss. Der ermittelnde Tübinger Oberstaatsanwalt Walter Vollmer klagt: „Es bleibt für mich das Gefühl, dass die Aussagen abgestimmt waren.“[3] Um also überhaupt Anhaltspunkte zu haben für das, was Murat Kurnaz durch deutsche KSK-Soldaten eventuell angetan wurde, sind wir darauf angewiesen, uns ein Gesamtbild dessen zu machen, was überhaupt zu ihrem Aufgabenprofil gehörte und auf Informationen von anderen Augenzeugen, die vor Ort waren. Aussagen von Mitgefangenen stützen denn auch wichtige Teile von Kurnaz‘ Aussage.

Laut Auskunft der Homepage der Bundeswehr[4] gehören folgende Szenarien zum Aufgabenprofil des KSK: „Schutz von Personen in besonderen Lagen“ sowie „eigener Kräfte auf Distanz“. Es geht hierbei um mehr als Personenschutz von Soldaten und Diplomaten, es geht auch darum, etwa im Hinterland von Bundeswehrstandorten im Ausland (z.B. in Afghanistan) „offensiven Kampf gegen subversive Kräfte“ zu führen. Im Bundeswehrjargon heißt diese Form des Kampfeinsatzes dann weiter „Reaktionsschnelle Abwehr feindlicher Kräfte, bevor sie eigene Kräfte und Einrichtungen erreicht und bedroht haben.“ Aus militärischer Sicht ist diese Form der Standortsicherung offensichtlich eine wichtige Fähigkeit. Mindestens ebenso wichtig ist die Fähigkeit zum „Retten und Befreien“. Es geht dabei nur am Rande um die Fähigkeit zur Retten bedrohter deutscher Zivilisten sondern vor allem um das „Aufspüren, Befreien und Rückführen deutscher Soldaten, die bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr in Gefangenschaft oder Geiselsituationen geraten sind.“

Noch wichtiger ist die Aufgabe der „Spezialaufklärung“ für das KSK. Es geht dabei darum, „Schlüsselinformationen“ zu beschaffen und so die „Informationsüberlegenheit“ der Bundeswehr herzustellen.
Aufgabe ist es also, hinter den feindlichen Linien (wobei das gar nicht zu einfach zu definieren ist, da z.B. in Afghanistan alles außerhalb der eigenen Kasernen hinter feindlichen Linien liegt) aufzuklären, festzustellen, wo feindliche Kräfte ihre Führungssysteme haben. Ein „Führungssystem“ kann in der Praxis auch ein Gästehaus sein, in dem sich verschiedene Reisende treffen, die keineswegs alle Teil des organisierten Widerstandes sein müssen, aber dennoch immer wieder als solche bekämpft werden. Ziel ist das Erkennen und „Ausschalten“ von Knotenpunkten von Personenbewegungen, es können aber auch technische Knotenpunkte wie Funkstationen sein. Selbstverständlich geht es auch um die Bekämpfung von „militärischen Zielen in der Tiefe des gegnerischen Raumes“. Dieser „Kampf in der Tiefe“ wird mit großer Härte durchgeführt.

Die Koordinaten von Zielen, die das KSK mit seinen eigenen Mitteln nicht bekämpft kann, werden anderen Teilen der Bundeswehr oder befreundeten Streitkräften übermittelt, das KSK ist dann zuständig für die „Lenkung weitreichenden Feuers, dabei auch die Lenkung von Kampfflugzeugen“, damit, etwa von einem Kampfhubschrauber aus, die anvisierten Ziele zerstört werden können. Die Bundeswehr beschreibt dies wie folgt: „Wegnahme, Lähmung oder Zerstörung von für die gegnerische Operationsführung entscheidenden Waffensystemen, Einsatzmitteln, Infrastruktur und Anlagen.“

Um solche, aus militärischer Sicht für die Auslandseinsätze notwendigen Operationen erfolgreich durchführen zu können, wird das KSK relativ gut mit neuer und teurer Rüstungstechnologie versorgt.

„Saubere Kriege“ gibt es nicht

Wenn ein Kommandosoldat „in der Tiefe des feindlichen Raumes“ unterwegs ist, um etwa herauszufinden, wo gekidnappte Kollegen versteckt gehalten werden, dann ist jeder Zivilist, der den Soldaten dabei entdeckt, ein möglicher Gegner. Der Kommandosoldat kann nie wissen, ob er einen einfachen Hirten getroffen hat oder es sich um jemanden handelt, der zum organisierten Widerstand gehört. Aber selbst wenn es „nur“ ein Hirte ist, wird dieser wahrscheinlich zu einem späteren Zeitpunkt anderen Personen begegnen und diesen von seinem Zusammentreffen mit den feindlichen Soldaten erzählen. Dadurch wäre der Auftrag des Kommandosoldaten gefährdet. Jeder Zivilist ist also ein potentieller Feind, wobei es dabei durchaus wahrscheinlich ist, dass ein solcher eliminiert wird. Dies findet natürlich nicht in jedem Fall statt. Immer wieder werden Kommandounternehmen auch abgebrochen. Kommandosoldaten beschließen durchaus immer wieder, ihre potentiellen Gegner nach einem so genannten „soft compromise“[5] nicht zu eliminieren sondern die Aktion abzubrechen. Dennoch stehen die Soldaten regelmäßig im Zwiespalt zwischen erfolgreicher Durchführung ihrer Operation oder moralischen (und völkerrechtlichen) Erwägungen. Jenseits der Frage nach individueller Schuld und Verantwortung stellt es ein gravierendes politisches Problem dar, wenn Soldaten vor solche Entscheidungssituation gestellt werden.

Die „unkonventionelle Kriegsführung in der Tiefe des generischen Raumes“ gehört für beinahe alle modernen Armeen zu ihren Einsatzszenarien. Alliierte, die ihre Truppen im Auslandseinsatz haben, wollen selten auf solche Elite-Einheiten verzichten. Deswegen habe auch Länder wie Dänemark, Norwegen oder die Niederlande neben ihren regulären Streitkräften auch Kommandosoldaten im Einsatz. Für die meisten scheinen Auslandseinsätze ohne Spezialkräfte nicht denkbar. Der internationale Austausch zwischen den verschiedenen Spezialkräften funktioniert gut, so wird häufig zusammen trainiert und es findet ein reger Austausch über neue Waffentechnologien und Einsatztechniken statt.

Problemzone KSK

Waffenfetischismus und Elitebewusstsein sind nur ein Teil dessen, was das KSK als „Problemzone“ auszeichnet. Es gibt zusätzlich eine Grauzone zu den Nachrichtendiensten. Der Arbeitsalltag der Elite-Einheit im Auslandseinsatz hat viel mit Aufklärung und Informationsbeschaffung zu tun. Ähnliche Aufgaben haben auch die Nachrichtendienste. Im Jahr 2002 arbeitete etwa das KSK in Kandahar eng zusammen mit einem Verbindungselement des ZNBw/ANBw (Zentrums für Nachrichtenwesen der Bundeswehr; bis 2002 Amt für Nachrichtenwesen der Bundeswehr). Die Mitarbeiter des ZNBw/ANBw arbeiteten dort meist mit den BND-Repräsentanten in den gleichen Räumlichkeiten. Wie sich die Zusammenarbeit der KSK-Soldaten in den Jahren 2001-2003 in Afghanistan mit den Nachrichtendiensten gestaltete, wird nur noch schwer nachvollziehbar sein, da durch die so genannte Jasmin-Panne wesentliche Aufzeichnungen des Zentrums für Nachrichtenwesen der Bundeswehr angeblich versehentlich zerstört wurden. Durch Veröffentlichungen des DSO-Kommando-Soldaten Achim Wohlgethan[6], wurde immerhin dokumentiert, dass es 2002 in Afghanistan Kooperationen gab zwischen dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) und der Bundeswehr – obwohl der MAD überhaupt erst seit 2004 im Ausland eingesetzt werden durfte und das auch nur innerhalb von Bundeswehrliegenschaften. Von einer Trennung zwischen Armee und Geheimdiensten kann wohl definitiv nicht die Rede sein.

Die Parole der Kommandosoldaten lautet: „Klagt nicht, kämpft!“ Diese Haltung als entschlossene und zähe Kämpfer ist ein wichtiger Teil der Identität der KSK-Soldaten. Zum Elitebewusstsein kommt ein spezielles Traditionsbewusstsein. Zu den Traditionslinien des KSK gehören die Brandenburger, eine Sondereinheit innerhalb der Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges. Die Brandenburger waren während des Zweiten Weltkrieges unter anderem auch in Afghanistan, im Iran und in vielen Teilen Zentralasiens aktiv. Das Aufgabenprofil der Brandenburger damals und des KSK heute ist zwar nicht vergleichbar, es gibt aber Elemente, die Traditionslinien aus Sicht mancher Kommandosoldaten offensichtlich attraktiv machen. Auch die Brandenburger waren ebenfalls „in der Tiefe des feindlichen Raumes“ aktiv. Es ging damals darum, sowohl Stellungen des Gegners auszuspähen als auch Operationen gegen diesen anzustoßen, was damals vor allem gegen die Britische Präsenz in der Region gerichtet war. Es gibt Berichte darüber, dass innerhalb des KSK die Aktionen der Brandenburger kriegsgeschichtlich aufgearbeitet werden, um aus deren Erfolgen und Niederlagen Schlussfolgerungen für eigene Taktiken ziehen zu können. Das spezielle Traditionsbewusstsein mancher KSK-Soldaten führte gelegentlich auch zu offenen Skandalen. So brachten KSK-Soldaten während der Vorbereitung auf den Afghanistaneinsatz in Masirah im Oman auf einem Jeep Rommels Afrikapalme an. Dabei wurde lediglich das Hakenkreuz durch das Bundeswehremblem ersetzt – der Positivbezug auf die Wehrmachtstradition war dennoch eindeutig. Die Jeeps, mit denen Spezialkräfte (nicht nur des KSK) im Einsatz unterwegs sind, sehen aus der Entfernung den Fahrzeugen der Hilfsorganisationen oft täuschend ähnlich. Die Präsenz von Spezialkräften in neutral gefärbten Fahrzeugen gefährdet massiv die Arbeit der Hilfsorganisationen. Da so nicht auf den ersten Blick zwischen ziviler Hilfe und Spezialeinheiten im Kampfeinsatz unterschieden werden kann.

Von 2000 bis 2003 war Reinhard Günzel Kommandeur des KSK. Er wurde entlassen, da er einen Brief zur Unterstützung des CDU-Abgeordneten Hohmann verfasst hatte,  der in einer Rede „die Juden“ mit dem Begriff „Tätervolk“ zusammengebrachte*. Anfang 2007 veröffentlicht Günzel das Buch „Geheime Krieger“ gemeinsam mit dem GSG-9-Gründer Ulrich Wegener und dem ehemaligen Wehrmachtsoffizier Wilhelm Walther. In diesem Buch erläutert Günzel:

„Die Kommandosoldaten wissen genau, wo ihre Wurzeln liegen“, um dann fort zu fahren: „Die Einsätze der ‚Brandenburger‘ (…) gelten der Truppe geradezu als legendär.“ Und weiter präzisiert Günzel sein KSK-Berufsbild: „Das Selbstverständnis der deutschen Kommandotruppen hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg nicht geändert.“ All das sind Äußerungen des Mannes, der drei Jahre Chef der Kommandosoldaten in Calw war, genau während der Zeit, in der die ersten Afghanistaneinsätze und auch die möglichen Übergriffe gegen Murat Kurnaz stattfanden. Es gibt viele Hinweise darauf, dass diese Einstellungen „Papa Günzels“ im KSK bekannt waren und von einigen geteilt wurden. Da die Brandenburger nicht Teil der SS sondern Teil der Wehrmacht waren, wurde auch an dem Mythos gearbeitet, dass dieser Truppenteil „kein Blut an den Händen“ gehabt hätte und dass deswegen ein positiver Bezug möglich sei. Es ist Aufgabe der Bundeswehr hier intern klar gegenzusteuern.

Ein mögliches Szenario …

Es ist nicht völlig von der Hand zu weisen, dass Elitebewusstsein, gekoppelt mit gefährlichen Traditionsbezügen, das KSK auch für junge Männer mit rechtem Gedankengut attraktiv macht. Wenn wir eine Erklärung suchen für das, was vermutlich Murat Kurnaz in Kandahar zugestoßen ist, dann könnte das folgende Szenario eine mögliche Erklärung liefern:

Die stolze Elitetruppe wurde Ende 2001 zur Vorbereitung ihres ersten „großen“ Einsatzes nach Oman geschickt, um dort zu trainieren. Das Training fand in der Wüste statt – Bedingungen, die ähnlich für Kandahar gelten. Allerdings ist es in Kandahar deutlich kälter als in der warmen omanischen Wüste. Aus dieser Region kamen dann im Dezember 2001 und Januar 2002 KSK-Soldaten mit sommerlicher Wüstentarnuniform ins klirrend kalte Kandahar, dort wurde ihnen von den US-amerikanischen Verbünden anfangs keine „befriedigende“ Aufgabe zugewiesen, die dem Ausbildungsprofil und dem Selbstbewusstsein der KSK-Soldaten entsprochen hätte. Die Elitesoldaten waren also anfangs mehr oder weniger arbeitslos und eine ihrer ersten Aufgaben war Wachdienst im Lager im US-Gefangenenlager in Kandahar. Es ging dabei vor allem darum, US-amerikanische Soldaten zu entlasten und freizustellen für die eigentlichen Kampfhandlungen. Es ist möglich, dass die hervorragend ausgebildeten Kommandosoldaten es als beleidigend empfanden, zu Gefängniswärtern degradiert zu werden. In dieser Situation wurden Kommandosoldaten darüber informiert, dass da eine „Deutscher“ im Lager sei, es handelte sich um den Gefangenen Nr. 50, den aus Pakistan verschleppten Murat Kurnaz. Für möglicherweise frustrierte und eventuell auch

nationalistisch beeinflusste Soldaten könnte es eine Provokation gewesen sein, dass ihnen ein ungewaschener Gefangener (es gab kaum Möglichkeiten zur Körperpflege im Lager) mit einem türkischen Namen von den amerikanischen Kollegen als Landsmann vorgestellt wurde. Es ist zumindest denkbar, dass zu diesem Zeitpunkt nicht Empathie mit dem Gefangenen, sondern das Bedürfnis, diesen vor den US-Amerikanern zu demütigen, bei zwei Soldaten die Oberhand gewann. Der von Kurnaz berichtete Übergriff könnte so entstanden sein – endgültig beweisen wird man dies wohl nie können.

Der programmierte Rechtsbruch

Fakt ist jedoch, dass deutsche Soldaten ein Lager bewacht haben, in dem die Genfer Konvention und andere völkerrechtliche Schutznormen für (Kriegs-)Gefangene nicht angewandt wurden. Nachweisbar ist auch, dass deutsche Soldaten beteiligt waren an der Durchführung von Aufnahmeprozeduren (so genanntes „in-processing“) für die Gefangenen. Dieses in-processing stellte eine demütigende und erniedrigende Behandlung dar. Menschen wurden mit Sack über dem Kopf[7] in einen Raum geführt, in dem zahlreiche uniformierte Soldaten und Soldatinnen(!) saßen. Nacktheit – besonders vor Angehörigen des anderen Geschlechts – ist für viele Muslime ein Tabu. Die Gefangenen mussten sich vollständig ausziehen und wurden mit Sack auf dem Kopf nach vorne gebeugt. In dieser Haltung wurden dann Rektal-Untersuchungen durchgeführt, die dokumentierten Schilderungen dieser Vorgänge machen klar, dass die betroffenen Gefangenen Vergewaltigungsängste hatten. Durch diese und weitere Aktionen sollten die Gefangenen für anschließende Befragungen gefügig gemacht werden.

Welche Rolle die anwesenden deutschen Soldaten gespielt haben, ist nicht abschließend zu klären, sie waren jedoch Teil der Maschinerie und haben nichts dagegen unternommen. Deutsche Soldaten haben sich also mindestens der Beihilfe zum Völkerrechtsbruch schuldig gemacht. Es geht hier jedoch nicht nur um die mögliche individuelle Schuld von KSK-Soldaten, sondern auch um die Verantwortlichkeit derjenigen, die den politischen und militärischen Rahmen des Einsatzes festgelegt haben. Es geht konkret um das Einsatzführungskommando, das Verteidigungsministerium und die gesamte rot-grüne Regierung. Die KSK-Soldaten hatten keine verbindlichen Vorgaben dazu, wie sie mit Gefangenen umgehen sollten, weder mit eigenen, noch denen der Verbündeten. Das ist allein deswegen ein fundamentales Versäumnis, weil die Soldaten explizit die Aufgabe hatten, Gefangene zu machen. Am 16.11.2001 beschloss eine Mehrheit im Bundestag ein Mandat mit den folgenden Aufgaben: „Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten.“

Wer Gefangene nimmt und sie vor Gericht stellen will, der ist auch dafür verantwortlich, dass dies nach rechtsstaatlichen Regeln abläuft. Anfang 2002 war bereits klar, dass die Gefangenen von Kandahar nach Guantanamo Bay überstellt werden würden und es war klar, dass der exterritoriale Status dieses Standortes bewusst gewählt wurde, um einen rechtsfreien Raum zu konstruieren. Weil all dies klar war, ist es zuallererst ein politisches Problem, wenn Soldaten losgeschickt werden mit einem Auftrag, der rechtskonform nicht erfüllbar ist.

Jeder Soldat hat normalerweise bei seinen Einsätzen eine Taschenkarte dabei, in der die „Rules of Engagement“ (Einsatzregeln) festgelegt werden, dazu gehört auch eine rechtliche Belehrung zu den Inhalten und Grenzen des Mandats sowie zu den relevanten völkerrechtlichen Regelungen. Die Kommandosoldaten hatten während der ersten Monate ihres Einsatzes keine schriftlichen „Rules of Engagement“. Es gibt meines Wissens nur einen weiteren Zeitraum in dem bundesdeutsche Soldaten ebenfalls keine „Rules of Engagement“ für ihren Einsatz hatten, das waren 1999 die ersten 14 Tage der Bombardierung Serbiens im Rahmen des so genannten Kosovokrieges. Offensichtlich fällt es nicht leicht, für völkerrechtswidrige Kriege auch nur annähernd rechtskonforme Einsatzregeln zu definieren. Da ist es politisch bequemer, die Verantwortung für Rechtsverstöße auf die eingesetzten Soldaten abzuwälzen. Erst am 26. April 2007(!) erließ das Verteidigungsministerium Weisung an seine Soldaten über die „Behandlung von Personen, die bei Auslandseinsätzen von deutschen Soldatinnen oder Soldaten in Gewahrsam genommen werden“.

KSK auflösen!

Der Einsatz des KSK wurde – wie bereits erwähnt – vom „Kommando Führung Operationen von Spezialkräften“ in Potsdam geführt. Es gab beinahe täglich Video- oder Telefonkonferenzen aus dem Einsatzgebiet in Afghanistan nach Potsdam. Wenn Einsätze liefen, trug häufig ein Soldat eine Kamera am Helm, deren Bilder live nach Potsdam übermittelt wurden. Solche Einsätze, inklusive der deutschen Beteiligung an der Operation Anaconda, wurden bis zu 48 Stunden lang von dem Potsdamer Publikum als eine Art „Battle-TV“ verfolgt. Interessanterweise sind die Bänder mit den entsprechenden Aufzeichnungen größtenteils nicht mehr auffindbar. Auch die Protokolle dieser Videokonferenzen sind verschwunden oder auffällig kurz und – welch Zufall – die Mitarbeiter im Einsatzführungskommando erinnern sich nicht mehr so genau, was damals alles geschah.

Das Ergebnis dieser erstaunlichen Menge an Informationslücken und vernichtetem Beweismaterial ist, dass die Einsätze des KSK nicht in ihrer tatsächlichen tragweite beurteilt werden können. Das Wenige, was über den Afghanistaneinsatz zu Beginn der Operation Enduring Freedom bekannt ist, ist jedoch widerwärtig genug. KSK-Soldaten beteiligten sich an einem Völkerrechtsbruch und sie agierten ohne verbindliche Vorgaben. Eine politische Kontrolle fand – politisch gewollt – nicht statt. Es war ein Einsatz, der sich nicht an internationales Recht hielt und der sich wohl auch nicht an internationales Recht halten sollte.

Allein die mangelhafte Kontrollmöglichkeit, die selbst ein Untersuchungsausschuss des Bundestages dieser Truppe gegenüber hat, wäre ein ausreichender Grund, ihre Abschaffung zu fordern. Grundsätzlich gilt jedoch: Die Einsätze von Spezialkräften sind sowohl die Speerspitze als auch ein integraler Teil von militärischen Auslandseinsätzen. Wenn es uns gelingt, die Einsätze des KSK zu stoppen, dann könnte dies auch den Einstieg in den Ausstieg aus Auslandseinsätzen erleichtern. In diesem Sinne:

Stoppt die Auslandseinsätze der Bundeswehr!
Keine deutsche Kriegsunterstützung![8]

Anmerkungen

*Diese Passage mußte 2012 aufgrund einer Abmahnung durch den Anwalt von Herrn Hohmann geändert werden – siehe hierzu den IMI-Standpunkt „In eigener Sache“ 2012

[1] Freitag 29, 22. Juli 2005.
[2] Markus Schmidt: Problemfall KSK – Deutschlands Eliteeinheit in Verruf, MONITOR Nr. 567 am 13. September 2007.
[3] Ebenda.
[4] „Der Auftrag des KSK“, URL: www.bundeswehr.de (Stand 6.10.2006).
[5] Mit „Soft Compromise“ wird die (vermutete) Entdeckung durch gegnerische Kräfte bezeichnet, mit „Hard Compromise“ wird ein potentiell tödliches Gefecht mit den gegnerischen Kräften bezeichnet.
[6] Achim Wohlgethan, Endstation Kabul, 2008.
[7] Christopher Mackey, Greg Miller: The Interrogators: Inside the Secret War, 2005.
[8] Mehr zur entsprechenden IMI-Kampagne: https://www.imi-online.de/seite.php3?id=11