Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

[0269] Texte SAR-Lupe und Kosovo / IMI-Kongress

(08.11.2007)

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Online-Zeitschrift „IMI-List“
Nummer 0269 ………. 11. Jahrgang …….. ISSN 1611-2563
Hrsg.:…… Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Claudia Haydt / Tobias Pflüger / Jürgen Wagner
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Liebe Freundinnen und Freunde,

in dieser IMI-List finden sich zwei Texte: Einer zum Bundeswehr-Spionagesatellitensystem SAR-Lupe und einer zur deutschen Ankündigung, den Kosovo auch gegen den Widerstand Serbiens anerkennen zu wollen.

Zuvor möchten wir hiermit nochmal herzlich zum IMI-Kongress „Die Transformation der Bundeswehr und Perspektiven des Widerstands“ am kommenden Wochenende einladen.

Der Kongress beginnt am morgigen Freitag um 19h mit einer Vorveranstaltung (ACHTUNG anderer Veranstaltungsort: Schellingstr. 6) und startet am Samstag um 12h im Schlatterhaus (Österbergstr. 2).

Das vollständige Kongressprogramm und alle weiteren wichtigen Informationen finden sich unter https://www.imi-online.de/2007.php3?id=1623

Wir freuen uns auf Euer Kommen!

Hier nun die beiden angekündigten Texte zu SAR-Lupe und Kosovo:

IMI-Standpunkt 2007/069
Quantensprung im Weltraum
Satellitenaufklärung mit SAR-Lupe soll Bundeswehr-Fähigkeiten zur Durchführung weltweiter Kriegseinsätze auf neues Niveau heben
https://www.imi-online.de/2007.php3?id=1645
7.11.2007, Malte Lühmann

Am Morgen des 1. November wurde vom russischen Weltraumbahnhof Plessezk der dritte von insgesamt fünf Aufklärungs-Satelliten des SAR-Lupe-Systems der Bundeswehr auf seine Umlaufbahn gebracht. Die letzten beiden Satelliten sollen im Laufe des kommenden Jahres in den Orbit geschossen werden. Das System, mit dem ab 2008 Radarbilder von jedem Punkt der Erde in hoher – und damit militärisch besonders wertvoller – Auflösung gemacht werden sollen, fügt sich nahtlos ein in die Transformation der Bundeswehr zu einer „Armee im Einsatz“. Für globale Interventionen im Sinne deutscher oder wahlweise europäischer Interessen gewinnt die Fähigkeit, sich ein Bild von der Lage und den geografischen Gegebenheiten in möglichen Einsatzgebieten machen zu können, zunehmend an Bedeutung.

Das unter Führung der Firma OHB aus Bremen und mit Beteiligung von Rüstungskonzernen wie THALES und EADS durchgeführte Projekt wird nach internen Angaben der Bundeswehr insgesamt 742 Mio. € kosten[1]. Mit SAR-Lupe soll „für die Bundeswehr die Tür zu einer eigenständigen und unabhängigen weltweiten Aufklärungsfähigkeit aufgestoßen“ werden[2]. Den Anstoß zum Aufbau solcher Kapazitäten gaben die Entwicklungen auf dem Balkan seit Anfang der 90er Jahre. Während die USA zu diesem Zeitpunkt über eigene Satellitenbilder verfügten, die nur in geringem Maße weitergegeben wurden, musste sich die deutsche Regierung mit Bildern von kommerziellen US-Satelliten begnügen. Deren Aufnahmen unterliegen zudem einem Vorgriffsrecht der US-Administration. Ein eigenes System musste her, denn solche Beschränkungen vertragen sich nicht mit dem deutschen Anspruch auf „nationale Unabhängigkeit, wie sie für viele Nationen mit gleicher politischer und wirtschaftlicher Bedeutung seit langem eine Selbstverständlichkeit ist“[3].

Mit der ab 2008 voll einsatzfähigen SAR-Lupe stößt die Bundeswehr in nicht gekannte „Höhen“ der Aufklärungsfähigkeit vor und katapultiert sich „mit diesem Raketenstart immerhin auf Platz drei der Weltrangliste für militärische hochauflösende Radaraufklärung“[4]. So sollen innerhalb von durchschnittlich 11 und maximal 24 Stunden Satellitenaufnahmen von jedem Punkt der Erde gemacht werden können. Die Auflösung, die mit unter einem Meter angegeben wird, reicht dabei aus, um Objekte eindeutig zu identifizieren. So könnten z.B. Flugzeugtypen auf einer Militärbasis erkannt werden[5]. Derartig leistungsfähige Technologie in den Händen deutscher Militärs zu wissen, dürfte in einigen Staaten der Erde Beunruhigung hervorrufen.

Auf der operativen Ebene verspricht sich die Bundeswehr einiges von ihrem neuen System. Oberst Reinhard Pfaff, der Abteilungsleiter des Bereichs Satellitengestützte Aufklärung, der das Nutzersegment von SAR-Lupe betreiben soll, beschreibt die Neuentwicklung wie folgt: „Wir nutzen seit Jahren auch Produkte von kommerziellen Satellitenbetreibern. Aber schnell, unabhängig und in dieser Qualität Material wie von SAR-Lupe zu bekommen, ist ein Quantensprung. Einem operativen Befehlshaber zu erlauben sein Einsatzgebiet virtuell zu durchschreiten, das ist nicht mehr nur eine Idee. Ich erwarte mir eine völlig neue Form der Unterstützung von Einsätzen.“[6]. Auch das Verteidigungsministerium unterstrich auf Nachfrage der Jungen Welt die große Bedeutung des Systems, es hebe die „Fähigkeiten der Bundeswehr zum Krisenmanagement auf eine qualitativ neue Stufe“[7].

Ein Vorteil der Satellitenaufklärung, der immer wieder auch von der Bundeswehr vorgebracht wird, ist vor diesem Hintergrund höchst fraglich. So wird behauptet, die Informationsgewinnung auf diesem Weg führe im Vergleich zu Spionageflugzeugen, die in den Luftraum fremder Staaten eindringen müssen, nicht zu einer Eskalation der Situation[8]. Der kürzlich erfolgte Test einer chinesischen Antisatellitenrakete (ASAT) spricht da allerdings eine andere Sprache und nährt die Sorge um einen verschärften Rüstungswettlauf im All. Der zunehmende Einsatz von militärischen oder militärisch genutzten Satelliten macht die Entwicklung und Verbreitung von Waffen zu ihrer Bekämpfung immer wahrscheinlicher.

Um neben den eigenen Radarbildern auch auf ergänzende optische Aufnahmen zurückgreifen zu können, hat die Bundeswehr eine Kooperation mit den französischen Streitkräften vereinbart, die ihr Satelliten-System Helios 2 einbringen. Helios 2 hat eine höhere Auflösung, während SAR-Lupe auch nachts und bei starker Bewölkung eingesetzt werden kann. Auf der Basis dieser Kooperation soll dann im Zeitraum zwischen 2014 und 2017 unter dem Namen MUSIS (Multinational Spacebased Imaging System) eine erweitere europäische Zusammenarbeit unter Beteiligung Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Belgiens und Spaniens aufgebaut werden[9]. Am Ende dieser Entwicklung könnte ein Aufklärungsverbund unter dem Dach der EU stehen. Mit der Inbetriebnahme von SAR-Lupe hat für die Rüstungsplaner und –konzerne der Goldrausch im Weltraum also erst begonnen.

Um einem Rüstungswettlauf im Weltall und einer weiteren Ausweitung der Interventionsfähigkeiten deutscher und europäischer Militärs entgegen zu treten, müssen Erdbeobachtungssatelliten auf rein zivile Anwendungen, wie die Stadtplanung oder die Meeresforschung beschränkt werden. Auch im Sicherheitsbereich, speziell bei der (Ab-)Rüstungskontrolle könnten sie durchaus mit Nutzen eingesetzt werden, allerdings nicht unter der Kontrolle von einzelnen Streitkräften, sondern wenn überhaupt auf der Basis gegenseitiger Übereinkünfte.

Anmerkungen

[1] Bundeswehrplan 2008 http://www.geopowers.com/Machte/Deutschland/Rustung/Rustung_2007/BwPlan_2008_dok.pdf
[2] wt wehrtechnik I/2007
[3] Strategie und Technik 02/07
[4] Y. Magazin der Bundeswehr Mai/2007
[5] Vortragsfolien zum DGAP Expertengespräch „Sicherheitspolitische Überlegungen zur Weitergabe von Erdbeobachtungsdaten“ http://www.dgap.org/bfz2/veranstaltung/Praes_Langelueddecke_20041028.pdf
[6] Y. Magazin der Bundeswehr Mai/2007
[7] Junge Welt 20.12.2006
[8] exempl.: Europäische Sicherheit Juli/2007
[9] http://www.redorbit.com/news/business/1120070/european_nations_focus_spacebased_observation_capabilities/index.html

IMI-Standpunkt 2007/066
Deutschland erwägt einseitige Anerkennung des Kosovo
NATO probt Balkan-Kriegseinsatz
https://www.imi-online.de/2007.php3?id=1639
25.10.2007, Jürgen Wagner

Am 10. Dezember wird die Kosovo-Kontaktgruppe (USA, Russland, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien) dem UN-Generalsekretär ihren Bericht vorlegen, der zu einer Lösung der Kosovo-Statusfrage führen soll.

Doch bereits jetzt zeichnet sich das Scheitern der Gespräche ab, denn während vor allem für die USA die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien unverhandelbar ist, wird dies von Belgrad mit Unterstützung Russlands ebenso kategorisch abgelehnt. Vor diesem Hintergrund meldete gestern der Deutschlandfunk unter Berufung auf „zuverlässige Quellen“, sollte bis zum 10. Dezember keine „einvernehmliche“ Lösung gefunden werden, habe die Bundesregierung bereits entschieden, den Kosovo auch gegen den Widerstand Serbiens und Russlands und ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates einseitig anzuerkennen.

Richtschnur für das weitere Vorgehen sind dabei die Vorschläge des von der UNO mit der Lösung der Statusfrage beauftragten Finnen Martti Ahtisaari, die zwar auf die de-facto-Herauslösung des Kosovos aus Serbien nicht aber auf die vollständige Unabhängigkeit der Provinz abzielen. Der Kosovo soll – geht es nach den Vorstellungen Brüssels – unter quasi-koloniale Beaufsichtigung der Europäischen Union gestellt werden. Hierfür soll der künftige EU-Sonderbeauftragte über nahezu uneingeschränkte Vollmachten im Kosovo verfügen, z.B. alle Gesetze des kosovarischen Parlaments und der Regierung annullieren und alle gewählten Vertreter und Beamte entlassen zu können. Darüber hinaus ginge die Kontrolle über die Geld- und Wirtschaftspolitik des Landes auf die Europäische Union über.

Richtigerweise forderte der SPD-Europaabgeordnete Helmut Kuhne deshalb „das Kind beim Namen zu nennen. Die Lösung, die Ahtisaari vorschlägt, hat man früher ein Protektorat genannt. Von einer wirklichen Unabhängigkeit kann keine Rede sein.“

Angesichts dieser Planungen ist gegenwärtig vollkommen unklar, wie Serbien auf die Versuche reagieren wird, ohne seine Zustimmung und – aufgrund eines nahezu sicheren russischen Vetos – ohne die des UN-Sicherheitsrates, seine territoriale Integrität und damit Souveränität derart drastisch einzuschränken – völkerrechtlich ist der Kosovo weiterhin ein integraler Bestandteil Serbiens.

Berichten zufolge kündigte der für den Kosovo zuständige serbische Staatssekretär Dusan Prorokovic an, Belgrad erwäge in diesem Fall die Grenzen zu sperren, eine Handelsblockade zu verhängen und eventuell sogar Truppen in die südliche Provinz zu schicken, um die territoriale Integrität wiederherzustellen.

Zwar wurden diese Aussagen von der serbischen Regierung umgehend dementiert, die NATO scheint sich gegenwärtig jedoch bereits auf einen neuerlichen bewaffneten Konflikt mit Serbien vorzubereiten.

So fand laut BBC in der Adria und in Kroatien zwischen dem 27. September und dem 12. Oktober 2007 das NATO-Manöver „NOBLE MIDAS 07“ statt, an dem etwa 2.000 Soldaten aus zwölf NATO-Staaten, u.a. aus Deutschland, teilnahmen.

„Das Manöver, durchgeführt von der NATO Response Force, basiert auf dem Szenario eines militärischen Konfliktes in einer sich abspaltenden Balkanprovinz. Es scheint eine kaum verhüllte Anspielung auf die gegenwärtigen Ereignisse im nahe gelegenen Kosovo zu sein, dessen mehrheitlich albanische Bevölkerung die Unabhängigkeit von Serbien anstrebt“, so der britische Nachrichtensender.

Parallel hierzu plant die Europäische Union die Entsendung von 70 Beamten, die dem künftigen EU-Prokonsul unterstehen und die Implementierung der EU-Vorgaben überwachen sollen. Darüber hinaus sollen im Rahmen einer eigenen EU-Mission zwischen 1300 und 1500 Richter, Zollbeamte, vor allem aber in „Aufstandsbekämpfung“ geschulte Polizisten entsandt werden, um den Kosovo unter Kontrolle zu halten. In den nächsten drei Jahren werden die Kosten der Mission auf 1.3 bis 1.5 Mrd. Euro veranschlagt.

Eine einseitige Anerkennung des Kosovo und die Errichtung eines de facto Protektorats stellt jedoch nicht nur einen gefährlichen Präzedenzfall für ähnlich gelagerte Konflikte dar – z.B. in Südossetien (Georgien) und Transnistrien (Moldawien), wo sich die EU vehement gegen Unabhängigkeitsbestrebungen ausspricht -, sondern diese Vorgehensweise ist auch gänzlich ungeeignet eine dauerhafte Lösung der Kosovo-Statusfrage zu erreichen.

Denn ohne eine Verhandlungslösung, der sämtliche Konfliktparteien zustimmen, sind weitere Auseinandersetzungen vorprogrammiert.

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