Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2007/068

Französischer Kolonialismus unter EU-Banner

Das Bemühen um innere Geschlossenheit und internationale Anerkennung treibt die EU abermals in das "Versuchslabor" Afrika

Christoph Marischka (29.10.2007)

Erschienen in: Telepolis (www.heise.de/tp) am 20.10.2007. Original-URL:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/26/26447/1.html

Am 15.10.2007 haben die Außenminister der EU-Mitgliedsstaaten mit einer so genannten „Gemeinsamen Aktion“ endgültig grünes Licht für eine weitere EU-Militärmission in den Tschad und die Zentralafrikanischen Republik (ZAR) gegeben. Bereits im November sollen dort bis zu 4.000 Soldaten unter EU-Banner stationiert werden. In der deutschen Öffentlichkeit wurde der geplante Einsatz bislang kaum bekannt, geschweige denn diskutiert. Abzusehen war er hingegen schon lange.

Offiziell wird der vorerst auf ein Jahr beschlossene Einsatz als „Bridging-Mission“ bezeichnet. Dieser Begriff entstammt einer Kooperationsvereinbarung[1] mit den UN, welche der Rat der EU-Außenminister im Juni 2004 verabschiedet hat.

Ausgearbeitet wurde diese vom EU-UN Lenkungsausschuss, der im Anschluss an die EU-Mission „Artemis“ in der Demokratischen Republik Congo (DRC) gegründet wurde, die nicht zu Unrecht als Geburtsstunde der Europäischen und Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) bezeichnet wird.

Neben verschiedenen anderen militärischen Kooperationsformen wird unter dem „Bridging“-Modell ein EU-geführter Einsatz bezeichnet, welcher es den UN erlauben soll, eine eigene Mission aufzubauen oder eine bestehende zu reorganisieren. Deutlich wird in dem Papier aber auch, dass Soldaten aus der EU für UN-Missionen selbst zukünftig kaum noch zur Verfügung stehen werden.

Unter dem Kommando der UN sollten lieber Soldaten aus Drittstaaten oder der jeweiligen Regionalorganisationen – namentlich der EU-finanzierten Afrikanischen Union – sterben. Im Vorfeld zu UN-Missionen, diese begleitend oder ablösend jedoch eigene Einsätze durchzuführen – hierfür signalisierte das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) der EU durchaus Bereitschaft. In diesem Gremium war bereits am 17.6.2007 Jean-Marie Guehenno als Vorsitzender des UN- Department of Peacekeeping Operations zu Gast.

Das DPKO ist als Quasi-Militärstab der UN in etwa das globale Pendant zum europäischen PSK. Guehenno, zuvor französischer Diplomat in Washington und bei der WEU,[2] kam mit sehr konkreten Plänen: Die UN wollten eine Polizeimission in Tschad durchführen und würden sich über eine begleitende Militärmission der EU freuen. Neben dem Schutz des UN-Personals könnte diese zusätzlich für die Sicherheit der etwa 230.000 Flüchtlinge aus Darfur in Tschad und der ZAR sorgen.

Konkrete Wünsche bezüglich der Truppenstärke hatte er zwar nicht, aber es sollten hochmobile Einheiten sein, ausgestattet mit ausreichend Hubschraubern, damit ein Streifen von 900km mal 300km abgesichert werden könnte. Auf Nachfragen der Agentur Reuters wurde deutlich: Auch ein Teil der ZAR solle betroffen sein.

Sehr konkret waren auch seine Vorschläge zum weiteren Vorgehen. Sechs Tage später träfe sich der Rat für Auswärtige Angelegenheiten und könnte beraten, auch ein UN-Mandat für den EU-Einsatz würde in Bälde erteilt, das Einverständnis der Regierenden in Tschad und der ZAR sei bereits eingeholt. So kam es.[3] Mitte September legte der Rat einen „Plan zum Krisenmanagement“ in Tschad und der ZAR vor und zwei Wochen später erteilte der UN-Sicherheitsrat der EU ein robustes Mandat, um diesen umzusetzen.[4]

Was nun folgte, war das übliche Geschacher zwischen den Mitgliedsstaaten um den Aufbau der Mission und die Beteiligung einzelner Soldaten. Doch auch dieses zog die vergangenen Monate wesentlich weniger Aufmerksamkeit auf sich als die Diskussionen 2006 um den EUFOR-Einsatz in der DRC, da Frankreich sich von Anfang an bereit erklärte, sowohl das Hauptquartier als auch das Gros der Truppen zu stellen. Angesichts der Tatsache, dass Frankreich in seinen ehemaligen Kolonien Tschad und ZAR bereits 1.500 Soldaten stationiert hat, ist dies kaum verwunderlich.[5]

Auch der organisatorische Aufwand im Vorfeld hält sich in Grenzen, da bestehende Militärbasen genutzt werden können und die bereits stationierten Soldaten die Vorhut der EU, die bereits seit Mitte Oktober im Einsatzgebiet ist, unterstützen. Zwischenzeitlich war geplant, die gegenwärtig in der Ausbildung befindliche und für Einsätze im ersten Halbjahr 2008 aufgestellte „Nordische“ Battlegroup I/2008 unter der Führung Schwedens für den Einsatz heranzuziehen.

Battlegroups wurden eigentlich explizit für kurzfristige, mobile und robuste Interventionen insbesondere in Afrika aufgestellt,[6] doch die „nordische“ machte diesmal einen Rückzieher. Die Gründe hierfür sind unklar. Vielleicht ist die multinationale Truppe einfach noch nicht bereit. In der schwedischen Presse war aber auch von einem „neokolonialen Einsatz im Interesse Frankreichs“ die Rede. Zugleich spitzte sich die Lage v.a. im Tschad während der Vorbereitungen des EU-Einsatzes deutlich zu. Denn im Gegensatz zur EU wird die anstehende Militäraktion dort durchaus wahrgenommen und von verschiedensten Seiten kritisiert.

Eine im Osten des Tschad agierende Rebellenbewegung drohte sogar mit einem „totalen Krieg“, falls sich die EU-Soldaten nicht neutral verhalten sollten.[7] Obwohl dies in den Papieren der EU gebetsmühlenartig beteuert wird, ist es schlicht ausgeschlossen. Denn der EU-Kampfeinsatz wird sich überwiegend aus den bereits im Land stationierten französischen Soldaten zusammensetzen und soll erklärtermaßen eine UN-Mission unterstützen, bei der 300 UN-Kräfte Polizisten der Regierung Déby ausbilden.

Die UN-Polizeiausbildung stellt allerdings meist weniger eine Unterrichtung in Menschen- und Verfahrensrecht dar, als die Ausbildung am scharfen Gewehr. Sowohl die Regierung in Tschad, die durch einen Putsch an die Macht kam, als auch die der ZAR, wurden im vergangenen Jahr bereits durch französische Soldaten gegen Aufständische verteidigt und begreifen die ehemalige Kolonialmacht heute als Schutzmacht.

Für die Regierung des Tschad scheint die EU-Mission ein willkommener Anlass zu sein, den bisher latenten Bürgerkrieg eskalieren zu lassen. Zwar nahmen auch die Rebellen im Osten des Tschad die Entsendung weiterer EU-Soldaten zum Anlass, ihre Aktivitäten zu intensivieren, doch das eindeutigste Zeichen setzte Déby selbst: Am Tag nach der „Gemeinsamen Aktion“ des EU-Rates verhängte er den Ausnahmezustand im gesamten Osten des Landes mit der Anweisung an die Soldaten, auf potentielle Rebellen bei Sichtkontakt das Feuer zu eröffnen.

Dass der Einsatz auch international umstritten ist und antikoloniale Haltungen provoziert, zeigte sich gleich im Anschluss an die Sicherheitsratssitzung, mit welcher der EU-Einsatz Ende September legalisiert wurde. In der von Frankreich initiierten Sondersitzung zu Afrika forderte Alpha Oumar Konaré, derzeit Kommissionspräsident der von der EU unterstützten AU, die Schließung europäischer Militärbasen in Afrika.[8]

Vor diesem Hintergrund scheinen die 350 Soldaten aus Irland, die 350 aus Polen und 200 aus Schweden, die bislang für die auf bis zu 4.000 Kräfte ausgelegte und aus Paris kommandierte EU-Mission wenig mehr als ein Feigenblatt für die Fortsetzung einer kolonialen Politik zu sein.

Die EU bietet hierfür nicht nur ihr Banner an, sondern auch eine Menge Geld: Die Europäische Kommission stellt mehr als 50 Mio. Euro für das Engagement in Tschad, weitere 10 Mio. Euro aus dem so genannten „Stabilitätsinstrument“ für die Polizeiausbildung der UN und 13 Mio. Euro aus dem Europäischen Entwicklungsfonds für „allgemeine Wideraufbaumaßnahmen in der betroffenen Region“ zur Verfügung.[9]

Deutschland ist nicht nur an diesen beteiligt, sondern muss auch, entsprechend seinem BIP, anteilig die „gemeinsamen Kosten“, die nicht einem bestimmten truppenstellenden Staat zufallen, übernehmen. Außerdem werden vier Bundeswehroffiziere ins Einsatzhauptquartier nahe Paris entsandt. Ob diese einen nennenswerten Beitrag leisten können oder sollen, bleibt zweifelhaft. Sicher ist hingegen, dass die gesamte ESVP bislang ein Prozess im Werden ist. Jeder weitere Einsatz bringt sie voran und jede Beteiligung an diesen stärkt die eigene Position.

Worauf das hinausläuft können wir an der jüngsten Mission, die im übrigen phantasielos EUFOR TCHAD/RCA genannt wurde, leicht erkennen. Auf die militärische Umsetzung einzelstaatlicher Interessen mit Rückgriff auf die kumulierten Ressourcen der EU ohne öffentliche Debatte. Auf eine Militärmacht EU selbst ohne Verfassung oder Reformvertrag.

Anmerkungen

[1] http://consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/EU-UN%20cooperation%20in%20Military%20Crisis%20Management%20Operations.pdf
[2] http://www.un.org/News/ossg/sg/stories/guehenno_bio.asp
[3] http://www.securitycouncilreport.org/site/c.glKWLeMTIsG/b.2873273/k.A2A6/ChadbrHistorical_Chronology.htm
[4] http://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3-CF6E4FF96FF9%7D/CAR%20S%20RES%201778.pdf
[5] http://www.taz.de/1/politik/afrika/artikel/1/schatten-ueber-tschad-mission/?src=SE&cHash=a56a2787e5
[6]http://www.swp-berlin.org/common/get_document.php?asset_id=2000
[7] http://www.irinnews.org/report.aspx?ReportId=74310
[8] http://www.undemocracy.com/securitycouncil/meeting_5749
[9] http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/backgroundOctober2007ENversion.pdf

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