Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2007/045

Militärische "Amtshilfe"

Die Bundeswehr auf dem Weg nach Heiligendamm

Christoph Marischka (31.05.2007)

Achtung: dies ist eine am 13.6.2007 überarbeitete Version des Standpunktes 2007/45. Bitte beachten Sie hierzu die Anmerkungen!

Beim bevorstehenden G8-Gipfel in Heiligendamm werden etwa 1.100 Soldaten und Mitarbeiter der Bundeswehr zum Einsatz kommen. Auch die Marine ist mit Schiffen zur Absicherung des Großereignisses in der Ostsee präsent. 6.500 Polizisten aus dem ganzen Bundesgebiet werden in Liegenschaften der Bundeswehr untergebracht. Darüber hinaus stellt die Armee weitere Liegenschaften, Hubschrauber zum Personentransport sowie Sanitätskapazitäten zur Verfügung. Bei mindestens acht weiteren Veranstaltungen 2007 unterstützt die Bundeswehr das Ministerien für Finanzen sowie das Auswärtige Amt u.a. mit Kraftfahrern. Solche Einsätze des Militärs im Inland seien in den Worten des Oberst Bernhard Frank mittlerweile „als Standard“ zu bezeichnen.

„Amtshilfe“

Wichtige Voraussetzungen hierfür wurden 2006 geschaffen. Dabei geht es weder um das so genannte Luftsicherheitsgesetz, mit dem der Innenminister ermächtigt werden sollte, den Abschuss von entführten Passagiermaschinen durch Kampfjets anordnen zu können, noch um die Umdeutung von Terroranschlägen oder allein deren Möglichkeit in einen „Quasi-Verteidigungsfall“. Beide Vorhaben des Innenministers, seine Kompetenzen auf das Militär auszudehnen, sind zunächst gescheitert. Die bisherigen Einsätze der Bundeswehr im Inneren fanden auf Grundlage der so genannten Amtshilfe, ermöglicht durch den Artikel 35 GG, statt, der auch etwa Einsätze der Bundespolizei (früher: BGS) bei Demonstrationen ermöglicht. Demnach kann die Bundespolizei „[z]ur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung“ durch die betroffenen Länder oder den Bund zur Unterstützung angefordert werden, wenn „die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte.“ Leider gibt es jedoch keinen transparenten Mechanismus, nach dem diese Notwendigkeit festgestellt wird, sie kann allenfalls im Nachhinein gerichtlich angezweifelt werden. Die Streitkräfte hingegen dürfen [z]ur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall“ angefordert werden. Darüber hinaus sieht die Bundesregierung jedoch in Artikel 35 (1) eine Grundlage für den Einsatz der Armee im Inneren. Dieser lautet knapp: „Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe“. „Da auch die Bundeswehr eine Behörde
im Sinne des Absatz 1 ist, kann sie grundsätzlich Amtshilfe leisten“[1], so die Argumentation. Folgt man dieser, so ist der Einsatz der Armee an weniger Einschränkungen gebunden als selbst der der Bundespolizei.
Wenn die Armee erst angefordert ist, möchte sie ihre Einsätze in weitgehender Autonomie durchführen: „Die zivile Behörde, die für die Leitung des Katastropheneinsatzes verantwortlich ist, gibt lediglich das gewünschte Ziel und die beabsichtigte Wirkung der militärischen Unterstützungsleistung vor. Die Umsetzung dieser Anforderung in konkrete Aufträge an Verbände/Dienststellen der Bundeswehr erfolgt durch die Territorialen Kommandobehörden auf den verschiedenen Ebenen.“
Für die Einbeziehung der Bereitschaftspolizeien anderer Länder sowie des Bundesgrenzschutzes wurde bereits seit Langem regelmäßig auf die Umsetzungen des Artikel 35 in den Ländergesetzen zurückgegriffen. Neu war jedoch die Häufung, mit der 2006 das Militär – auch bei verhältnismäßig kleinen Ereignissen – zum Einsatz kam und damit den Bundeswehreinsatz im Inneren noch vor dem G8-Gipfel zum Standard werden ließ.

Bundeswehreinsätze im Inneren 2006

Bereits am 2. Januar 2006 wurde die Armee in Bad Reichenhall angefordert, nachdem das Dach einer Eissporthalle unter Schneelast einstürzte und etwa 50 Menschen verschüttete. 100 Soldaten halfen bei der Bergung, der Versorgung und dem Abtransport der Verwundeten sowie der psychologischen Betreuung. Wenn hierfür tatsächlich keine zivilen Kräfte zur Verfügung gestanden haben sollten, so ist dies ein sträflicher Misstand, der schnellstens überwunden werden muss. Zudem stellte die Bundeswehr Gerätschaften für die Bergung, Krankenwägen und PKWs.
Bereits gut einen Monat später forderte Oberbayern erneut nach heftigem Schneefall Unterstützung von der Bundeswehr, woraufhin vom 8.-16. Februar etwa 3000 Soldaten Schnee schippten bzw. Zivilisten davon abhielten, selbst ihre Dächer vom Schnee zu befreien. Unmittelbar nachdem dieser Einsatz endete, wurden in Norddeutschland ABC-Schutzkräfte der Armee zur „Abwehr“ einer völlig hysterisch vermittelten Bedrohung durch Vogelgrippe-Erreger mobilisiert. Bis zum 3. März betrieben 900 Soldaten Dekontaminationseinrichtungen und sammelten unter Beteiligung von Marinebooten und der Luftwaffe tote Vögel ein. Ende März schließlich löste das Bundesland Sachsen Katastrophenalarm wegen Hochwassers aus und forderte Militär an. Innerhalb von zwei Wochen wurden hier 5.200 Soldaten sowie zahlreiche Fahrzeuge der Bundeswehr eingesetzt.
Im Rahmen der Fußball-WM im Sommer gab es alleine 136 Amtshilfeanträge an die Bundeswehr. Die meisten bezogen sich auf Leistungen von Sanitätern, an denen insgesamt 2000 Soldaten beteiligt waren. Darüber hinaus hielt die Armee mit ABC-Abwehrkräften, Hubschraubern, schwerem Räumgerät, Sprengstoffspezialisten und Feldjägern insgesamt 5.000 Reservekräfte in Bereitschaft. Mehr als 4.000 Polizisten wurden während der WM in 40 Liegenschaften der Bundeswehr untergebracht. Dies alles hat nach Aussage von Oberst Frank „zu einer deutlichen Verbesserung der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit auf allen Ebenen geführt.“ So sei während der WM bereits der nächste Militäreinsatz im Inneren anlässlich des Besuchs von US-Präsident Bush in Mecklenburg-Vorpommern geplant worden. Auch bei diesem wurden 500 Soldaten eingesetzt und 4.200 Angehörige anderer Sicherheitskräfte in Militärgelände untergebracht worden.

Inlandseinsätze statt Landesverteidigung

Im Jargon der Bundeswehr werden diese Inlandseinsätze als „Territoriale Aufgaben“ bezeichnet. War hiermit seit Bestehen der Republik überwiegend die „Unterstützung einer möglichen militärischen Landesverteidigung auf deutschem Territorium, [die] Sicherung des rückwärtigen Raums und [die] Verfügbarmachung von zivilen Ressourcen für die Landesverteidigung“ gemeint, so wurden die Aufgaben angesichts einer nicht mehr vorhandenen militärischen Bedrohung Deutschlands in der Konzeption der Bundeswehr von 2004 neu definiert und vom Weißbuch 2006 in ihrer neuen Form bestätigt. Sie umfassen heute:

* Unterstützung von Kräften und Einrichtungen verbündeter Armeen in Deutschland;
* Eine Mittlerfunktion zwischen zivilen und militärischen Stellen Deutschlands und seiner Verbündeten;
* Amtshilfe;
* Hilfeleistungen im Inland bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen;
* Sonstige Hilfeleistungen;
* Schutz der Bevölkerung und lebenswichtiger Infrastruktur bei asymmetrischen und terroristischen Bedrohungen;
* Unterstützung der Nationalen Zivilen Verteidigung

Bereits 2001 wurde im Zuge der Umstrukturierung der Bundeswehr für die Territoriale Wehrorganisation das Streitkräfteunterstützungskommando (SKUKdo) geschaffen und deren Oberbefehlshaber mit den „Territorialen Aufgaben“ betraut. Die Organisation der „Territorialen Aufgaben“ wird seit 2007 radikal umgebaut. Als Ansprechpartner der Bundesländer wird an den jeweiligen Regierungssitzen je ein Landeskommando eingerichtet. Auf den Eben der Regierungsbezirke und Landkreise werden jeweils Bezirks- bzw. Kreisverbindungskommandos als Katastrophenschutzbehörden aufgebaut. „Aufgabe dieser ist es, die Hilfs- und Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben effizient und kompetent zur Wirkung zu bringen. Schlüsselpersonal sind dabei die so genannten Beauftragten der Bundeswehr für Zivil-Militärische Zusammenarbeit“.[2]) Das Personal hierfür wird aus Reservisten bestehen, da die in Dienst stehenden Soldaten aufgrund der vermehrten Auslandseinsätze die Bewältigung der „Territoriale Aufgaben“ nicht mehr garantieren können. Eine wichtige Rolle bei der Organisation der Verbindungskommandos spielt entsprechend der Reservistenverband, der über gute Kontakte ins deutsch-nationale und rechtsextreme Spektrum verfügt [3]).
Diese Umstrukturierung wird nicht nur dazu führen, dass Amtshilfeersuchen und damit Einsätze der BW im Inneren zunehmen werden, während der zivile Katastrophenschutz unter die Räder kommt, sondern birgt auch die Gefahr einer Paramilitarisierung der Inneren Sicherheit über die Einbeziehung der Reservistenkameradschaften und des Reservistenverbandes.

Anmerkungen

Die vorige Version des Textes lautete folgendermaßen:

„Die bisherigen Einsätze der Bundeswehr im Inneren fanden auf Grundlage der so genannten Amtshilfe, ermöglicht durch den Artikel 35 GG, statt, der auch etwa Einsätze der Bundespolizei (früher: BGS) bei Demonstrationen ermöglicht. Demnach können Bundespolizei sowie die Streitkräfte „[z]ur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung“ durch die betroffenen Länder oder den Bund zur Unterstützung angefordert werden, wenn „die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte.“ Leider gibt es jedoch keinen transparenten Mechanismus, nach dem diese Notwendigkeit festgestellt wird, sie kann allenfalls im Nachhinein gerichtlich angezweifelt werden.“

Das Zitat „[z]ur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung“ stammt aus dem ersten Satz des Artikel 35 (2)GG, hier ist aber von den Streitkräften explizit nicht die Rede. Diese werden nur im zweiten Satz erwähnt, nachdem sie „[z]ur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall“ angefordert werden können. Allerdings sieht die Bundesregierung in Artikel 35 (1), „Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe“ eine Grundlage für technische Amtshilfe der Bundeswehr im Inland, da auch diese eine Behörde des Bundes sei.

Der Standpunkt beruht im Wesentlichen auf dem Artikel von Oberst i.G. Bernhard Frank: „Hilfeleistungen der Bundeswehr in Deutschland“, in: Europäische Sicherheit, März 2007. Diesem Text entstammen auch die nicht näher erläuterten Zitate
[1] Deutscher Bundestag/ Wissenschaftliche Dienste: Aktueller Begriff: Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren, http://www.bundestag.de/bic/analysen/2007/Der_Einsatz_der_Bundeswehr_im_Inneren.pdf
[2] Interview mit Wolfram Kühn, Inspekteur der Streitkräftebasis: „Fünf Jahre Streitkräftebasis stehen für fünf Jahre erfolgreiche streitkräftegemeinsame Aufgabenerfüllung“, in: wt – Wehrtechnik 4/2006

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[3] Vgl.: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Monika Knoche, Inge Höger-Neuling …,Bundestag Drucksache 16/3742

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