IMI-Standpunkt 2007/032

Schäuble sucht den Kriegszustand


von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 19. April 2007

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Erneut hat sich Innenminister Schäuble mit einer verfassungswidrigen Aussage ins Gespräch gebracht. Nicht einmal eine Woche nachdem sein Plan, zentrale und für alle Behörden abfragbare Datenbanken mit den biometrischen Daten aller Bundesbürger zu füttern, bekannt wurde, forderte er, den Rechtsgrundsatz der „Unschuldsvermutung“ im Kontext der Gefahrenabwehr aufzuheben. Außerdem spricht er sich dafür aus, Informationen, die unter Folter entstanden sind, „nicht deshalb ungenutzt lassen, weil nicht ganz so zuverlässig wie bei uns garantiert ist, dass sie rechtsstaatlich einwandfrei erlangt wurden“. Seine Behörde arbeite gerade an „Leitlinien für die innere Sicherheit“, die „den umstrittenen Einsatz der Bundeswehr im Innern festschreiben“ sollen.(1) Er begründet dies mit der Terrorgefahr, die in Deutschland bestünde. Schon vor dem Tornado-Einsatz in Afghanistan urteilte BND-Chef Uhrlau: „Deutschland rückte und rückt aufgrund seines markanten außen- und sicherheitspolitischen Profils verstärkt ins Zielspektrum terroristischer Anschläge“, diese Gefahr habe sich mit dem jüngsten Engagement noch deutlich erhöht. In Afghanistan bilden Feldjäger unter Federführung des deutschen Innenministeriums Polizisten aus.

Eine unbestimmte Gefahrenlage

Steht also ein Anschlag schon unmittelbar bevor? Wann soll die Gefahrenabwehr greifen und weitere Grundrechte außer Kraft setzen? Schon kurz nach den Anschlägen des 11.Septembers 2001 wurden in Deutschland aufgrund einer „allgemeinen Bedrohungslage“ für die groß angelegte und völlig ergebnislose Rasterfahndung Daten allerlei Behörden gesammelt, über Menschen, die den falschen Glauben oder das falsche Herkunftsland hatten. Ein Vorgang, der später vom Verfassungsgericht für illegal erklärt wurde, da keine „konkrete Gefahr“ bestanden habe. Dies kann natürlich nur im Nachhinein festgestellt werden, belangt wurde für die Rasterfahndung niemand. Auch die anderen Maßnahmen, die vom damaligen Innenminister Schily im Kampf gegen den Terrorismus ergriffen und zunächst nur auf Zeit zu Recht erklärt wurden, sind mittlerweile Ausgangspunkt weiterer Verschärfungen. Die Daten, die Anlagen, die in Deutschland vermeintlich nur einer hochtechnisierten (und arbeitskräftesparenden) Maut-Erfassung dienen sollten, können mittlerweile zur Fahndung von Straftätern eingesetzt werden. Die biometrischen Daten, die ursprünglich nur in unseren Pässen gespeichert werden sollten, sollen nun in zentralen Dateien gespeichert werden. Die Daten aller Telefon- und Internetverbindungen sollen aufgrund eines Kabinettsbeschlusses vom 18.4.2007 für 180 statt für 90 Tage gespeichert werden. Schäubles Ministerium erarbeitet zudem gerade den so genannten Bundes-Trojaner, der unsere Festplatten durchsuchen und Inhalte an die staatlichen Sicherheitsbehörden liefern soll. „Im Gemeinsamen Terrorabwehr-Zentrum in Berlin sitzen seit zwei Jahren sämtliche Landeskriminalämter, alle drei Geheimdienste und eine Reihe weiterer Behörden Tag für Tag zusammen, um ihre Informationen zu ´bündeln´, wie es heißt. Als nächstes kommt das Projekt der so genannten Anti-Terror-Datei, das vorsieht, die Datenbestände von drei Dutzend Sicherheitsbehörden zusammenzulegen. Die Datensammelwut kennt keine Grenzen mehr. Der Gesetzentwurf sieht vor, nicht nur Terrorverdächtige zu erfassen, sondern auch so genannte Kontaktpersonen, und das können alle möglichen Leute sein, die Familie genauso wie der Vermieter oder der Autoverkäufer, es gibt da überhaupt keine Trennlinie mehr. Jeder ist verdächtig.“(2) Insofern gilt die Unschuldsvermutung schon lange nicht mehr, denn zur Gefahrenabwehr werden kontinuierlich Freiheits- und Bürgerrechte abgebaut.

Willkürliche Inhaftierung und die Entscheidung über Leben und Tod

So gilt auch der Habeas Corpus-Grundsatz, der Schutz vor willkürlicher Inhaftierung, schon längst nicht mehr für Menschen, denen das Recht auf Aufenthalt verwehrt wird sowie für Sexualstraftäter. Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis können in Deutschland 18 Monate inhaftiert werden, um ihre Abschiebung zu ermöglichen. Für Sexualstraftäter kann seit 2004 als nachträgliche Maßnahme nach Verbüßen der Haftstrafen ein unbefristeter Freiheitsentzug angeordnet werden, der nur alle zwei Jahre bestätigt werden muss.

Auch vor dem nackten Leben macht das Innenministerium nicht halt. Bereits die rot-grüne Bundesregierung wollte ein Gesetz verabschieden, das den Abschuss ziviler Passagiermaschinen im Falle einer mutmaßlichen Entführung legalisieren sollte. Der Innenminister hätte in diesem Fall Flugzeuge der Bundeswehr kommandieren und den Tod von Menschen zum Schutz höherer Güter beschließen können. Die Union wollte bereits damals einen alternativen Gesetzentwurf in ihr „Gesamtsicherheitskonzept zur Verzahnung der inneren und äußeren Sicherheit“ einfließen lassen. Nachdem das Gesetz vom Verfassungsgericht für nichtig erklärt wurde, versuchte Schäuble terroristische Anschläge gleich als „quasi-Verteidigungsfall“ zu interpretieren.(3) Nun Elemente des Kriegsrechts aufgrund einer terroristischen Bedrohung einzuführen, ist durchaus konsequent.

Feldjäger unter Kommando des Innenministeriums

Die Bemühungen des deutschen Innenministeriums, den Kriegszustand einzuführen, strahlen aus in die EU und die ganze Welt. Während der deutschen Ratspräsidentschaft setzte sich Schäuble intensiv für erweiterte Kompetenzen der Frontex-Agentur ein und begrüßte deren „Frühjahrsoffensive“. Aufgabe von Frontex ist es, offiziell, die Außengrenzen vor Einwanderern zu schützen und Abschiebungen zu organisieren. Tatsächlich geht es darüber hinaus darum, Sicherheitsstrukturen ohne parlamentarische Kontrolle und mit nahezu unbeschränkten Zugriffsrechten zu etablieren.
Was sich die staatlichen Behörden an neuen Kompetenzen gegenüber ihren Bürgern und anderen Menschen aneignen, steht in einem engen Begründungszusammenhang mit den Kriegen, die sie mit schwindender Zustimmung der Bevölkerung führen. Von Afghanistan geht seit der deutschen Beteiligung am dortigen Besatzungsregime tatsächlich eine höhere Terrorgefahr aus. Seit wenigen Wochen bilden dort Feldjäger – also Angehörige der Bundeswehr – unter Federführung des deutschen Innministeriums afghanische Polizeibeamte aus. Im Ausland kommandiert also das Innenministerium bereits Soldaten und bildet Polizisten militärisch aus. Wir erinnern uns: In Afghanistan sollte nicht nur die Sicherheit Deutschlands verteidigt werden, es sollte auch „Demokratie“ exportiert werden: Tornados gegen die Taliban und Feldjäger gegen die Zivilbevölkerung.

(1) Financial Times Deutschland: Schäuble prescht bei Bundeswehreinsatz vor, http://www.ftd.de/politik/deutschland/:Sch%E4uble%20Bundeswehreinsatz/186959.html (16.04.2007)
(2) Jelpke, Ulla: Der Krieg kehrt nach Hause – Bundeswehreinsätze im Inneren
https://www.imi-online.de/download/februar07-UJ.pdf
(3) Haid, Michael: Polizeistaat, Ausnahmezustand oder Kriegsrecht? – Eine Diskursanalyse zum Einsatz der Bundeswehr im Innern von 2001 bis 2006, https://www.imi-online.de/download/MH-Studie-Kriegszustand.pdf