IMI-Analyse 2007/003

Münchner Sicherheitskonferenz – Der Gipfel der Hybris

Die NATO auf Kollisionskurs mit dem Rest der Welt

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 10. Februar 2007

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Schon im Vorfeld der alljährlich stattfindenden Münchner Sicherheitskonferenz, dem weltweit wichtigsten Treffen der außenpolitischen und militärischen Eliten, ging es turbulent zu. Die Frage, wie die zunehmend eskalierende Situation in Afghanistan in den Griff bekommen werden könne, bestimmte schon das kurz zuvor abgehaltene Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Sevilla, bei dem u.a. von Deutschland massiv gefordert wurde, sich noch mehr an dem dortigen Krieg zu beteiligen, als dies ohnehin schon der Fall ist. Mit dem Beschluss des Bundeskabinett vom 7. Februar, Bundeswehrtornados nach Afghanistan zu entsenden, kommt Deutschland dieser Forderung nach und macht sich damit offen zum Komplizen des US-amerikanischen Amoklaufs, der offiziell als „Krieg gegen den Terror“ bezeichnet wird, de facto aber genau das Gegenteil darstellt. Überhaupt zeigte vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Sicherheitskonferenz ihre „bedingungslose Solidarität“ mit den USA und suchte demonstrativ den Schulterschluss mit Washington.

Einhellig wurde auf der Tagung in München der NATO-Einsatz in Afghanistan zur „Nagelprobe“ für die künftige Entwicklung der Allianz erklärt und massiv von allen westlichen Beteiligten gefordert, die so genannte „vernetzte Sicherheit“ bzw. die „Zivil-militärischen Zusammenarbeit“ voranzutreiben, die nunmehr auch im NATO-Rahmen zum Kernkonzept gemacht werden soll. Hierbei handelt es sich um das Kernelement für die derzeitig rapide ablaufende Umstrukturierung der NATO hin zu einer weltweiten Besatzungstruppe, für das der Einsatz in Afghanistan prototypisch ist.

Auch beim zweiten wichtigen Themenkomplex, der Frage des iranischen Atomprogramms, zeigte sich die Einigkeit der Westmächte. Ungeachtet der Tatsache, dass die Vereinigten Staaten im letzten Monat derart an der Eskalationsspirale gedreht haben, dass dies nur den Schluss zulässt, dass die Regierung trotz Widerstände selbst in den eigenen Reihen, gezielt auf eine Konfrontation zusteuern will, kam diesbezüglich keinerlei kritischer Kommentar von Seiten der Europäischen Verbündeten. Im Gegenteil, auch wenn die Frage, ob und wann der Iran tatsächlich militärisch angegriffen wird, zumindest umstritten zu sein scheint, SPD-Chef Kurt Beck lehnte dies beispielsweise in seiner Rede kategorisch ab, was allerdings der einzige Lichtblick seiner Rede darstellte, zog sich die Hybris der westlichen Vertreter durch nahezu sämtliche Ausführungen. Der Iran habe diese und jene Grenze überschritten, man habe – eine krasse Lüge – die Hand freundschaftlich ausgestreckt, die aber ausgeschlagen wurde, nun müsse Teheran diesem und jenem Diktat folge leisten etc., etc. Diese Aussagen der westlichen Vertreter sprachen dem Motto der Konferenz, „Frieden durch Dialog“, Hohn und waren gerade deshalb bezeichnend. Ohne mit der Wimper zu zucken maßen sich die NATO-Staaten das globale Machtmonopol an und beanspruchen für sich das Recht, sämtlichen Staaten der Welt diktieren zu können, was sie zu tun zu haben. Hierfür hatten sie aber einen falschen Hauptredner eingeladen.

Man muss und kann in vielen Bereichen kein Freund der Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin sein, seine Aussagen bei der Münchner Sicherheitskonferenz brachten aber den wachsenden Graben und den Kollisionskurs, zwischen den Westmächten und dem Rest der Welt, in beeindruckender Klarheit auf den Punkt. Schon im Vorfeld hatte Putin eine Grundsatzrede angekündigt – und das wurde es dann auch, denn der russische Präsident hat offensichtlich die Faxen dicke. Mit offenem Visier rechnete er nicht nur mit den USA, wie es in den meisten Medienberichten hieß, sondern mit der gesamten westlichen Kriegspolitik derart drastisch ab, dass der zwar gerne zur Dramatisierung neigende Zeit-Herausgeber Joef Joffe – vor zwei Jahren stellte er auf der Sicherheitskonferenz die Frage, ob die NATO gerade zu Grabe getragen werde -, bereits einen Zweiten Kalten Krieg heraufziehen sah. Wenn auch überspitzt brachte Joffe damit den Grad der Entfremdung und des Misstrauens zum Ausdruck, den die Kriegspolitik der NATO nicht nur bei Russland, sondern auch bei vielen anderen Ländern verursacht hat.

Die ganze Farce, die sich in München abspielte, spiegelt sich nicht zuletzt darin wieder, dass die Westmächte im Namen der „Demokratie“ Kriege führen und Länder maßregeln, selbst aber ein dubioses Verständnis von Demokratie an den Tag legen, wie nicht zuletzt eine beispiellose Verbalentgleisung des Veranstalters Horst Teltschik und die drastischen Repressionsmaßnahmen gegen jegliche Form von Protest zeigen.

Afghanistan als Prototyp zivil-militärischer NATO-Besatzungen

Der deutsche Verteidigungsminister Franz-Josef Jung betonte in seiner Rede wohlwollend die drastischen Veränderungen, die die NATO in den letzten 15 Jahren durchlaufen habe. Im Kern meinte er damit, dass sich die NATO im Laufe der 90er von einer Verteidigungsarmee in eine global agierende Kriegstruppe verwandelte, eine Entwicklung, die mit dem Angriffskrieg gegen Jugoslawien im Jahr 1999 zum Abschluss gebracht wurde, und nun immer stärker in Richtung einer weltweiten Besatzungstruppe umstrukturiert wird.

Denn nicht zuletzt aus den Erfahrungen mit den Militärschlägen gegen Afghanistan und den Irak zogen die NATO-Strategen die Schlussfolgerung, dass künftig der langfristigen „Stabilisierung“ – sprich: Besatzung und Kontrolle – renitenter Staaten eine ebenso große Bedeutung zukommt, wie der eigentlichen Kriegsführung. Da das Militär aber nicht über die notwendigen Fähigkeiten für derartige Besatzungsregime verfügt, wird unter dem Stichwort der „Zivil-militärischen Zusammenarbeit“ oder alternativ der „vernetzten Sicherheit“ daran gearbeitet, zivile Instrumente (humanitäre Helfer, zivile Konfliktbearbeiter, Ingenieure, Lehrer etc.) für die militärischen Ziele zu instrumentalisieren und diesen unterzuordnen.

Bereits auf dem NATO-Gipfel in Riga Ende November 2006 wurde ein Planungsdokument, die Comprehensive Political Guidance, die eine Art Richtlinie für die auf 2009 terminierte Neufassung der NATO-Strategie darstellt, verabschiedet, das derartige „Stabilisierungsmissionen“ zum Hauptauftrag der Allianz erhebt. Gleichzeitig wurde dort beschlossen Vorschläge zur Intensivierung der Zivil-militärischen Zusammenarbeit bis zum Treffen der Außenminister im April 2007 und dem Treffen der Verteidigungsminister im Juni 2007 zu erarbeiten. Jung betonte in München: „Mehr denn je werden zivilmilitärische Einsätze zur Krisenvorbeugung oder -bewältigung im bewährten Rahmen des Nordatlantischen Bündnisses, der Europäischen Union und der Vereinten Nationen erfolgen.“ Erfreulicherweise sei man diesbezüglich „beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Sevilla ein gutes Stück weitergekommen.“

Afghanistan ist dabei prototypisch für die neue Besatzungs- und Kolonialpolitik des Westens, wie Kanzlerin Angela Merkel verdeutlichte: „Es gilt jetzt – Afghanistan ist dafür ein gutes Beispiel -, diesen ganzheitlichen strategischen Ansatz umzusetzen und für ein optimales Ineinandergreifen von zivilen und militärischen Aktivitäten zu sorgen. [V]ernetzte Sicherheit. Das heißt, es geht um die untrennbare Verknüpfung unseres militärischen Ansatzes mit zivilen Maßnahmen. Ich will hier nicht einer ‚zivilen NATO‘ das Wort reden. Aber ich will sehr wohl von dem Selbstverständnis der NATO als Teil eines zivil-militärischen Gesamtprofils reden. Das ist für mich die Rolle der NATO im 21. Jahrhundert.“

Auch SPD-Chef Kurt Beck, der sich bis auf die Frage der Reaktivierung der Atomenergie „mit allem einverstanden“ erklärte, was die Kanzlerin so von sich gab, betonte die Notwendigkeit, ein „umfassendes Verständnis von Sicherheit“ an den Tag zu legen. Gleichzeitig hob er die Bedeutung des zivil-militärischen Ansatzes in Afghanistan hervor – dort operieren erstmals im Rahmen so genannter „Regionaler Wiederaufbauteams“ die besagten zivil-militärischen Besatzungstruppen -, so dass Veranstalter Horst Teltschik erfreut den „breiten Konsens in Fragen der Sicherheitspolitik“ innerhalb des Schwarz-roten Regierungslagers lobte. Die allgegenwärtige Begründung, in diesem Fall von Verteidigungsminister Jung vorgebracht, weshalb man den deutschen Kriegseinsatz am Hindukusch nicht beenden, ja sogar durch Entsendung der Bundeswehr-Tornados vorantreiben müsse: „Wir sind in Afghanistan nicht Besatzer, sondern Befreier.“

Tatsächlich zeigt die Realität vor Ort, dass immer mehr Afghanen zum bewaffneten Widerstand gegen die als Besatzer wahrgenommenen ISAF-Truppen bereit sind, statt aber die Truppen, die maßgeblich an der gegenwärtigen Eskalation beteiligt sind, abzuziehen, wird die „aggressive Aufstandsbekämpfungsoperation“, wie es unlängst NATO-Kommandeur David Richards formulierte, intensiviert (vgl. zum Tornado-Einsatz IMI-Analyse 2007/002). Denn scheitert man in Afghanistan, steht auch das ganze zivil-militärische Besatzungskonzept zur Disposition, weshalb auch NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer in München betonte, beim Krieg in Afghanistan handele es sich um die zentrale „Nagelprobe“ für die Zukunft der Allianz. Noch deutlicher äußerte sich der US-Senator und mögliche republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain: „Die Zukunft des Bündnisses hängt untrennbar mit den Ergebnissen in Afghanistan zusammen. […] Wenn die NATO in Afghanistan versagt, ist es schwierig sich vorzustellen, dass die Allianz weitere ‚harte‘ Operationen innerhalb oder außerhalb des Bündnisses unternimmt und seine Glaubwürdigkeit würde schweren Schaden nehmen.“ Aus diesem Grund trat der Senator für eine massive Aufstockung der NATO-Truppen ein und forderte eine militärische Offensive in Afghanistan.

Kollisionskurs und westliche Hybris I: China

Im Bezug auf China betonte Bundeskanzlerin Merkel, man sei zum Dialog zwar bereit: „Aber in aller Offenheit muss auch über die Dinge gesprochen werden können, bei denen wir nicht einer Meinung sind oder sein können. […] Das gilt für China ganz besonders im Hinblick auf Afrika. […] Wir haben uns im vergangenen Jahr als Europäische Union eigentlich völlig unerwartet im Kongo engagiert. Wir haben dort erreicht, dass Wahlen friedlich durchgeführt werden konnten.“

Es gehört schon gehörige Portion Dreistigkeit dazu, den EU-Militäreinsatz EUFOR RD CONGO ausgerechnet gegenüber China als Maßnahme zur Demokratieförderung zu verkaufen, wenn man sich die Aussagen des ehemaligen Verteidigungsstaatssekretärs Walter Stützle zu den wahren Hintergründen der EU-Mission betrachtet: „Im Kongo ist das Problem, dass der Öffentlichkeit von der Bundeskanzlerin nicht gesagt worden ist, worum es eigentlich geht. Das konnte man in Paris sehr deutlich hören. In Paris hat man gehört, wir können Afrika nicht China und den Vereinigten Staaten überlassen, Punkt! […] Da man das aber [in Deutschland] eigentlich nicht sagen wollte, hat man dann die Erfindung mit der Wahl gemacht.“ (PHOENIX Runde vom 07.11.2006) Dabei handelte es sich aber leider um keinen Ausreißer, derlei Arroganz zog sich wie ein roter Faden durch die komplette Tagung.

Kollisionskurs und westliche Hybris II: Iran
Mit der Entscheidung, die Auftaktveranstaltung am Freitag ausgerechnet die israelische Außenministerin Zipi Livni halten zu lassen, deren Regierung ja bekanntermaßen Hardliner in der Iran-Frage ist, wurde hier gleich zu Anfang gezielt eine Duftmarke gesetzt. Livnis Aussagen ließen dann auch nichts an Schärfe vermissen: „Iran ist nicht nur eine Bedrohung für Israel und die Region, sondern für die ganze Welt. […] Wir können uns keinen Atomstaat Iran leisten.“ Sie rief die internationale Staatengemeinschaft auf, sich gegenüber dem Iran entschlossen zu zeigen: „Zögerlichkeit wird als Schwäche wahrgenommen.“ Der Alarmismus gegenüber dem iranischen Atomprogramm und die recht unverhohlenen Angriffsdrohungen der israelischen Regierung stehen im Übrigen in krassem Gegensatz zu ihren eigenen internen Analysen, die von einer rational handelnden Teheraner Führung ausgehen, die keinesfalls zu einem Angriff auf Israel bereit sei (siehe Gareth Porter in Asia Times, 1.2.2007).

Auch die Bush-Administration verschärft seit Jahresbeginn ihren Konfrontationskurs bedrohlich. Teheran wird vorgeworfen an der Eskalation im Irak beteiligt zu sein, weshalb US-Präsident Bush grünes Licht für die Ermordung „iranischer Agenten“ gab. Darüber hinaus wurden zwei Flugzeugträger und Patriot-Abwehrraketen entsendet, die nur für einen Angriff gegen den Iran Sinn machen, so das selbst der Spiegel (5.2.2007) zu dem Ergebnis kam: „Unbeirrt hält Präsident Bush am Kollisionskurs gegenüber dem Teheraner Mullah-Regime fest.“

Angesichts dieser unmissverständlichen Drohkulisse, kritisierte der iranische Chefunterhändler Ali Laridschani die US-Politik in seiner Rede am Sonntag auf Schärfste. Washington habe „Fragen von Entwicklung, Demokratie und Menschenrechten in anderen Ländern seiner unilateralistischen Politik untergeordnet und eine kriegerische Haltung gegenüber Staaten eingenommen, die ihre Unabhängigkeit bewahren wollen.“ In diesem Kontext erinnerte er daran, dass es schließlich die USA gewesen seien, die 1953 den demokratisch gewählten iranischen Präsidenten Mosaddegh gestürzt und an seine Stelle mit dem Schah einen totalitären Diktator gesetzt hätten. Richtigerweise betonte Laridschani, die zivile Nutzung der Atomenergie sei ein verbrieftes Recht des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages, weshalb der Iran kein internationales Abkommen verletzt habe, dennoch aber massiv bedroht werde. Niemand sollte in das Atomprojekt etwas hineindeuten, „bevor ein Vergehen wirklich erfolgt ist.“

Trotz der freiwilligen Aussetzung seines Atomprogramms seien keinerlei ernsthafte Verhandlungen geführt worden, um zu einer Lösung zu gelangen: „Die Politik, die die Vereinigten Staaten diesbezüglich verfolgen, besteht aus abstreiten, isolieren und sanktionieren. Dennoch sollte man bedenken, dass diese Politik nur dazu geführt hat, die Entschlossenheit der iranischen Bevölkerung zu stärken.“ Mit einer deutlichen Anspielung auf Washingtons Politik gab der Iraner an, internationale Stabilität könne nicht erreicht werden, wenn „die Interessen einer Seite durch Einschüchterung, Nötigung und Gewalt zu Lasten anderer durchgesetzt werden.“

Anstatt aber die derzeitige Eskalationsspirale zu kritisieren, stimmten auch die deutschen Vertreter munter ins amerikanische Iran-bashing mit ein. Merkel betonte auf der Sicherheitskonferenz: „Wir alle sind entschlossen, eine Bedrohung durch ein militärisches Nuklearprogramm des Iran zu verhindern. […] Deshalb hat der Iran die Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates und des Gouverneursrats der IAEO zu erfüllen. Daran führt kein Weg vorbei, und das gilt ohne Wenn und Aber, ohne Tricks.“ Ihr SPD-Kollege Kurt Beck betonte, der Iran habe die ihm großzügig von Seiten der EU ausgestreckte Hand fahrlässig ausgeschlagen, eine glatte Lüge, die EU-Troika war maßgeblich am Scheitern der Verhandlungen beteiligt (siehe hierzu ausführlich IMI-Studie 2006/03): „Die internationale Gemeinschaft hat zu Recht ein Signal an den Iran ausgesendet, dass sein Verhalten in der Atomfrage nicht hinnehmbar ist. Europa ist mit seinen Vorschlägen weite Wege gegangen und hat dem Iran Brücken gebaut. Wir erwarten hierauf eine konstruktive Antwort.“ Zwar lehnte Beck immerhin einen Angriff ab, hilfreich sind derlei arrogante Belehrungen aber dennoch in keinem Fall. Die ganze Arroganz kulminierte schließlich in folgender Aussage Merkels: „Wenn der Iran dies [die Aufgabe seines Atomprogramms] nicht befolgt, dann ist die Alternative ein weiteres Abgleiten in eine Isolation. Ich sage noch einmal: Das Wort der internationalen Staatengemeinschaft gilt. Wir haben dem Iran ein Kooperationsangebot gemacht. Wir haben den Iran eingeladen, das zu tun, was für sein eigenes Volk richtig ist.“ Es stockt einem schon der Atem, wenn die deutsche Bundeskanzlerin sich anmaßt darüber zu entscheiden, „was für das iranische Volk richtig ist.“ Zumal Umfragen zeigen, dass die große Mehrheit der iranischen Bevölkerung das Atomprogramm des Landes unterstützt (www.worldopinion.org, 25.1.07).

Da man sich ohnehin anmaßt, jedem zu sagen, was er zu tun und zu lassen hat, verwundert es auch nicht weiter, dass die deutschen Vertreter auch in München, wie eigentlich bei jeder sich bietenden Gelegenheit, nassforsch einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat einforderten. SPD-Chef Beck: „An einer umfassenden Reform und insbesondere an einer Reform des UN-Sicherheitsrates halten wir fest. Die Zusammensetzung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates ist nicht mehr zeitgemäß. Sie wissen, dass auch Deutschland sich bereit erklärt hat, mehr Verantwortung innerhalb der UNO und im Sicherheitsrat zu übernehmen. Dies gilt nach wie vor!“ Da das aber nicht schnell genug gehen kann, krittelte Merkel: „Die Reform der Vereinten Nationen geht zu langsam, um es vorsichtig zu sagen bzw. um nicht zu sagen ‚leider ganz wenig‘, voran. Deshalb sage ich dem neuen Generalsekretär Ban Ki-moon: Wir werden ihn unterstützen. Ich sage aber auch: Wir brauchen Reformen, damit dieses Gremium handlungsfähig ist.“ Angesichts dieser geballten Hybris ist es nicht weiter verwunderlich, dass dem russischen Präsidenten Wladimir Putin offensichtlich schon seit einer Weile der Kragen geplatzt ist, denn er hatte bereits im Vorfeld seinen Beitrag als eine Grundsatzrede angekündigt, die es dann auch in der Tat in sich hatte.

Putin platzt der Kragen

Inzwischen hat sich der Ausspruch, die Amerikaner stammten vom Mars, die Europäer von der Venus etabliert, um die angeblich unterschiedlichen sicherheitspolitischen Konzeptionen beider Seiten bildhaft zu fassen. Wie auf der Münchner Sicherheitskonferenz aber mehr als deutlich wurde, sind diese Unterschiede – wenn überhaupt vorhanden – vernachlässigbar, angesichts der Kluft, die die Westmächte vom Rest der Welt trennt. Spinnt man diese Bild weiter, so lässt sich sagen, dass sich die NATO-Staaten nicht einmal im gleichen Sonnensystem wie der Rest der Welt bewegen, sondern in einem Paralleluniversum, wie die Rede Wladimir Putins überdeutlich machte.

Die kürzlich bekannt gewordenen US-amerikanischen Pläne zum Aufbau von Teilen ihres Raketenabwehrsystems in Tschechien und Polen brachten dabei das sprichwörtliche Fass wohl zum Überlaufen. Denn offensichtlich nimmt Russland diese Pläne als das wahr, was sie de facto auch sind, eine Bedrohung. Geplant ist die Stationierung von Abwehrraketen (Ground-Based Interceptors) in Polen und die Installation von X-Band Radar-Anlagen in der Tschechischen Republik. Diese Pläne seien, so Putin in München, völlig überflüssig, gehe es den Vereinigten Staaten nur darum, einer Raketengefahr von so genannten Schurkenstaaten zu begegnen. Hierfür seien sie so praktisch, „wie sich mit der linken Hand ans rechte Ohr zu fassen.“ Recht unverblümt deutete Putin an, es gehe Washington dabei ausschließlich um die Negierung der russischen Zweitschlagfähigkeit.

Auch in der Frage des künftigen Status des Kosovo waren die Gräben unübersehbar. Angela Merkel bezog sich positiv auf die Vorschläge des finnischen „Vermittlers“ Ahtisaari, die auf eine Unabhängigkeit hinauslaufen und von der serbischen Seite kategorisch abgelehnt werden. Bei allem Respekt gegenüber serbischen Interessen, müsse nun vorangekommen werden, so Merkel: „Wir können nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten.“ Demgegenüber betonte Putin, eine Lösung könne nur einvernehmlich geschehen. Wenn eine Seite den Vorschlägen ablehnend gegenüberstehe, werde auch Russland diese nicht unterstützen. Dies kam der Ankündigung eines russischen Vetos für die im März anstehende Debatte im UN-Sicherheitsrat recht nahe, da die serbische Position sich diesbezüglich kaum ändern dürfte.

Dies stellte aber nur einen Teil von Putins Kritik dar, der die Gelegenheit zu einem Generalverriss der westlichen Kriegspolitik nutzte: „Heute beobachten wir eine kaum kontrollierte übertriebene Gewaltanwendung in den internationalen Angelegenheiten, die zu immer neuen Konflikten führt. Als Folge gibt es keine Kräfte, nicht einmal einen einzigen davon umfassend zu regeln.“ Putin betonte darüber hinaus, dass die permanenten westlichen Kriegsdrohungen das Bestreben verschiedener Staaten, sich Massenvernichtungsmitteln zu verschaffen, um Angriffe hiermit abzuschrecken, massiv befördern und ein neues Wettrüsten anspornen würden: „Die Dominanz des Gewaltfaktors nährt zwangsläufig das Trachten einiger Länder nach Massenvernichtungswaffen.“

Generell beklagte Putin, dass die westlichen Staaten in der Frage von Krieg und Frieden die UNO und das Völkerrecht zur Bedeutungslosigkeit verdammen würden. Das völkerrechtliche Gewaltverbot, das den schwachen Staaten einen gewissen Schutz vor der Willkür der Großmächte einräumte, wird immer weiter ausgehöhlt: „niemand kann sich mehr mit dem Völkerrecht schützen.“ Das globale Gewaltmonopol liege allein in den Händen der UNO, die derzeitigen Versuche der Westmächte es an sich zu reißen, wurden von Putin aufs heftigste kritisiert: „Die Anwendung von Gewalt kann nur als legitim betrachtet werden, wenn sie vom UN-Sicherheitsrat genehmigt wird. Und wir dürfen die UNO nicht durch die NATO noch die EU ersetzen.“ Solch scharfe Worte hatte man nicht erwartet: „Sekundenlang schwieg die Internationale Sicherheitskonferenz erschrocken. Das waren neue Töne, die an eine längst überwunden geglaubte Vergangenheit gemahnten: der mächtigste Mann Russlands in vollem Harnisch“, kommentierte der Tagesspiegel.

Nachdem man sich gesammelt hatte, ging man in die Offensive. NATO-Generalsekretär Scheffer zeigte sich „enttäuscht“, bezeichnete Putins Ausführungen als „nicht nützlich“ für die gemeinsame Partnerschaft und hob stattdessen Merkels Beitrag und ihre Befürwortung der „vernetzten Sicherheit“ in den Rang des „Schlüsselthemas.“ Auch Senator McCain gab an, die Rede des russischen Präsidenten habe „eine Reihe schwieriger Fragen aufgeworfen.“ Zwar hoffe man das Gegenteil, aber hierdurch bestätige sich die Sorge, dass sich Russland „autokratisch“ entwickele und „die Prinzipien der westlichen Demokratien“ ablehne. Besonders irritiert war man angesichts der scharfen Angriffe Putins gegen die NATO, die er mehr oder weniger offen ebenfalls als eine Bedrohung bezeichnete: „Der Prozess der NATO-Osterweiterung hat nichts mit einer Modernisierung der Allianz oder der Sicherheit Europas zu tun. Im Gegenteil, sie ist ein ernsthafter Faktor das gegenseitige Vertrauen zu reduzieren.“ Putin kritisierte insbesondere, dass es sich bei der NATO weiterhin um einen exklusiven Verein handele, der logischerweise auch lediglich die Interessen der jeweiligen Mitglieder berücksichtige. Im Prinzip stimmt dem auch US-Verteidigungsminister Robert Gates in seinem Münchner Redebeitrag zu, als er angab, die NATO sei kein „Sozialverein“ und keine „Schwatzbude“, sondern „ein Militärbündnis.“

Allen bleibt der Zutritt aber nicht verwehrt, die NATO wird immer mehr zum bewaffneten Arm dessen, was sich doch recht gewagt als „Demokratie“ schimpft. In diese Richtung gehen jedenfalls jüngste Vorschläge, die NATO zu einer „Allianz der Demokratien“ auszubauen. So spricht sich etwa eine Studie, die unter der Leitung des ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten José Maria Aznar entstand, dafür aus, Länder wie Australien, Israel und Japan in das Bündnis aufzunehmen. Darüber hinaus wird dort dafür plädiert, den Demokratieexport zur obersten Priorität zu erklären und hierfür ein eigenes neues strategisches NATO-Oberkommando zu schaffen, das für die Leitung zivil-militärischer Stabilisierungs- und Wiederaufbaumissionen zuständig sein soll. Ähnliches schlug bspws. auch der Chefanalytiker der Konrad-Adenauer-Stiftung Karl-Heinz Kamp vor (NATO: An Alliance for Freedom, FAES 2005; vgl. auch Biscop, Sven: NATO, ESDP and The Riga Summit, Egmont Papers 11, May 2006). Diese Überlegungen wurden in München sowohl von Robert Gates als auch von Angela Merkel aufgegriffen, die betonte, es sei notwendig, „dass die NATO ihre Kooperation mit Ländern wie Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland ausbaut.“ Teltschik wiederum unterstrich auf der Sicherheitskonferenz, er habe in seinen jüngsten Gesprächen mit NATO-Außenministern positive Signale vernommen, dass ein NATO-Beitritt Israels durchaus möglich sein könne, ein Vorschlag der u.a. von dem Grünen-Politiker Ralf Fücks massiv befürwortet wird (Spiegel Online, 20.7.2006).

Putin beklagte sich darüber hinaus nicht zu Unrecht über das zweifelhafte Demokratieverständnis des Westens. Russland werde – ebenfalls sicher nicht zu Unrecht – ständig seitens der NATO-Staaten über die Demokratie belehrt, gleichzeitig würden diese aber keinerlei Rücksicht auf die Interessen und Sorgen anderer Länder nehmen. Und in der Tat sprach Putin damit überdeutlich aus, was wohl ein Großteil derjenigen denkt, die nicht dem exklusiven Klub der Westmächte angehört. Die skandalösen Vorgänge im Vorfeld und während der Sicherheitskonferenz bestätigen dabei den instrumentellen Charakter des westlichen Demokratieverständnisses, denn die Demokratie wird mit Füßen getreten, wenn sie den Herrschenden gerade nicht in den Kram passt.

Teltschiks dubioses Demokratieverständnis

Auch die diesjährigen Proteste gegen die Münchner Sicherheitskonferenz waren wieder ein voller Erfolg, mehr als 5000 Menschen nahmen daran teil. Selbst wenn sie wollten, an der Tagung selber dürften sie ohnehin nicht teilnehmen, denn der Veranstalter dieses alljährlichen Spektakels der Kriegstreiber, der ehemalige BMW-Vorstand Horst Teltschik, legt offensichtlich Wert darauf, dass die Teilnehmer der Sicherheitskonferenz handverlesen werden. Selbst kritischen Abgeordneten, wie dem IMI-Vorstand und Europaparlamentarier Tobias Pflüger, wird die Teilnahme verweigert.
Nach mehrfachen Nachfragen schrieb Dr. Thomas Leeb von BMW – offiziell hat Teltschik seinen Posten dort niedergelegt, verfügt aber offensichtlich noch über beste Kontakte in die Chefetagen – am 02.01. an das Abgeordnetenbüro von Tobias Pflüger, dass eine Teilnahme leider nicht möglich sei, die Kapazitäten der Konferenz seien restlos ausgelastet. Offensichtlich will dieser exklusive Club unter sich bleiben, denn dass es sich hierbei um eine Ausrede handelte, zeigt allein schon, dass eine Reihe von Teilnehmer/innen danach noch zugelassen worden sind. Aus diesem Grund bezeichnete der IMI-Vorstand Teltschik als „Pseudodemokraten“ und zwar noch bevor dies von dem ehemaligen BMW-Mann mit einer beispiellosen Verbalentgleisung bestätigt wurde. Befragt nach seiner Haltung zu den alljährlich stattfindenden Gegenprotesten gab dieser an: „Es ist die Tragik jeder Demokratie, dass bei uns jeder seine Meinung öffentlich vertreten darf und dass man politisch Verantwortliche in einer Demokratie schützen muss. In Diktaturen würde so etwas nicht passieren.“

Dennoch wird die Sicherheitskonferenz von der Bundesregierung massiv finanziell unterstützt und Staatsorgane „schützen“ die Veranstaltung ganz im Sinne der Aussagen von Herrn Teltschik mit massivsten Repressionsmaßnahmen gegen Protestierende, denen damit ihr Demonstrationsrecht erschwert, teilweise sogar entzogen wird.

Staatliche Finanzierung und Repressionen

Schon im Vorfeld der Sicherheitskonferenz setzten massive Repressionsmaßnahmen ein. Am Mittwoch, 17.1.2007, durchsuchte die Polizei in München acht Objekte, die für Martina Korn, Pressesprecherin der Anti-G8-Plattform München eindeutig im Kontext der Sicherheitskonferenz zu sehen waren: „Wir betrachten die Durchsuchungswelle in München als Versuch, im Vorfeld der NATO-Kriegskonferenz antimilitaristischen und antikapitalistischen Protest mundtot zu machen.“ Auch unmittelbar vor und während den Demonstrationen wurde ein martialisches Auftreten gepflegt und faktisch versucht Teilnehmenden ihr Demonstrationsrecht, bspws. durch „Präventivverhaftungen“, mit haltlosen Begründungen zu entziehen.

Dass dies alles noch dazu mit Staatsknete geschieht verwundert zwar nicht sonderlich, ist aber dennoch ein Skandal. Auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion musste die Bundesregierung folgende Maßnahmen zur „Schützenhilfe“ einräumen:

– 90 bewaffnete Bundeswehrsoldatinnen und –soldaten üben das Hausrecht im Konferenzsaalbereich des Tagungshotels aus
– weitere 310 Soldaten unterstützen die Organisation der Konferenz und die Öffentlichkeitsarbeit der Veranstalter
– die Sicherung des Hausrechts und die organisatorische Unterstützung kosten rund 520.000 Euro.
– Zu dieser Summe kommen weitere 323.000 Euro für die Öffentlichkeitsarbeit, wobei unter anderem Reise- und Übernachtungskosten der geladenen Gäste, Büro- und Telekommunikationskosten von der Bundesregierung übernommen werden
– insgesamt zahlt die Bundesregierung also rund 843.000 Euro für den Kriegsratschlag
– Voraussichtlich 300-400 Angehörige der Bundespolizei werden gezielt im Bereich der Bahnhöfe eingesetzt, um An- und Abreise der Demonstrantinnen und Demonstranten zu überwachen.

Fazit

Die Kriegspolitik erfolgreich vorangetrieben, dem Rest der Welt gezeigt, wo der Hammer hängt und Proteste hiergegen gedeckelt – ja, Teltschik dürfte mit sich und der Bundesregierung zufrieden gewesen sein. Allerdings zeigen die Proteste in und außerhalb des Bayrischen Hofs, dass dies zum Glück auf zunehmenden Widerstand stößt.