IMI-Standpunkt 2006/050

»Beutezug der Rüstungskonzerne einfach abgenickt«

Europaparlament nimmt Posten für Militärforschung in den Haushaltsplan. 500 Millionen Euro im Jahr veranschlagt. Ein Gespräch mit Tobias Pflüger

von: Tobias Pflüger / Wera Richter // Interview / junge Welt / Dokumentation | Veröffentlicht am: 17. Juni 2006

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* Tobias Pflüger ist Abgeordneter der Linksfraktion (GUE/NGL) im Europäischen Parlament

F: Am Donnerstag sind im Europaparlament neue Rüstungsausgaben durchgewinkt worden. Es geht um jährlich 500 Millionen Euro ab 2007. Wo fließen die hin?

Es geht um Forschungsgelder. Damit soll die Entwicklung in der Überwachungs- und Kontrolltechnologie – hier insbesondere zur militärischen Grenzsicherung – ebenso gefördert werden wie die militarisierte Weltraumforschung. Eingeschlossen sind insbesondere Projekte, die die Kriegsführungsfähigkeit von Eingreiftruppen wie den Rapid-Reaction-Corps und den EU-Battle-Groups betreffen.

F: Tauchte der Posten das erste Mal im Forschungsetat auf?

In dieser Form ja. Die Kommission hatte von 2004 bis 2006 allerdings schon einen vorbereitenden Rüstungsforschungshaushalt eingestellt – mit 65 Millionen Euro. Jetzt wird die sogenannte Sicherheits- und Rüstungsforschung zum ersten Mal ein eigener Haushaltstitel im EU-Forschungsrahmenprogramm. Dann geht es auch um erheblich mehr Geld. Nur um einen Vergleichsansatz zu haben: Unter dem Haushaltstitel Umweltforschung sind 50 Prozent von dem veranschlagt, was für Rüstungs- und militarisierte Weltraumforschung ausgeben werden soll.

F: Die 500 Millionen Euro waren im 7. Forschungsrahmenprogramm versteckt. War den Parlamentariern bewußt, daß sie auch über Rüstungsausgaben abstimmen?

Hier wissen – freundlich formuliert – nicht immer alle, worüber sie gerade abstimmen. Aber wer es wissen wollte, hat es gewußt. Den Fachleuten war völlig klar, worum es geht. Es wurde ja sogar ein eigenes neues Kapitel mit dem Titel Sicherheit bzw. Sicherheit und Weltraum aufgenommen, als eines von neun Forschungsfeldern. Insofern darf es eigentlich niemand entgangen sein.

F: Hat eine Debatte stattgefunden?

Im EU-Parlament wurde dieser Beutezug der großen Rüstungskonzerne einfach abgenickt. Vielleicht kein Wunder in einem Parlament, in dem Rüstungslobbyisten als Abgeordnete in Brüssel und Strasbourg wichtige Funktionen einnehmen.

F: Zum Beispiel?

Zum Beispiel der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Elmar Brok. Der CDU-Mann steht gleichzeitig auf der Gehaltsliste des Bertelsmann-Konzerns. Bertelsmann treibt über sein in München ansässiges Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) die Militarisierung der EU ganz entscheidend mit voran. Der andere ist Karl von Wogau, ebenfalls CDU und Vorsitzender des Unterausschusses Sicherheit und Verteidigung. Außerdem ist er Mitglied der Group of Personalities, einer der Entscheidergruppen für Rüstungsprojekte in der EU.

F: Ist bekannt, wie die Gelder verteilt werden?

Es wurde insbesondere festgehalten, daß ein Teil der Gelder in enger Abstimmung mit der Europäischen Rüstungsagentur (EDA) vergeben werden soll. Die großen Rüstungskonzerne werden de facto bis in jede Einzelheit mitbestimmen können, wozu die Forschungsmittel verwendet werden. Eine öffentliche Kontrolle gibt es nicht. Was wir hier erleben ist der Aufbau eines europäischen Militärisch-Industriellen Komplexes, der einen Erfolg nach dem anderen vermelden kann. Erst die Verankerung der Rüstungsagentur und der Militarisierung im EU-Verfassungsvertrag, dann der gemeinsame EU-Rüstungsmarkt und jetzt die Erhöhung der Mittel für Rüstungsforschung auf EU-Ebene. Heute werden in den Chefetagen von EADS, BAE Systems, Thales und Finmeccanica die Sekt- und Champagnerkorken geknallt haben.

F: Wurden konkrete Rüstungsprojekte benannt, die finanziert werden?

Die Projekte, um nur einige zu nennen, betreffen die militärische Grenzüberwachung (SOBAH), die Verbesserung der sogenannten homeland security (TERASEC) und verbesserte Überwachungstechniken (PROBANT). Unter den ersten 24 Projekten, die im Rahmen der vorbereitenden Maßnahmen des Rüstungsforschungsprogramms Zuwendungen bekamen, wurden allein 17 von Militärorganisationen oder Rüstungsunternehmen direkt angeleitet. Thales nahm an fünf, EADS an drei und Finmeccanica an sieben Projekten teil. BAE Systems bekam auch was vom Kuchen ab. Die vier größten Rüstungsunternehmen der EU haben bei der Verteilung also nicht schlecht abgeschnitten.

Interview: Wera Richter