IMI-Standpunkt 2006/046

Entwurf des Bundeswehr-Weißbuchs: „Highlights“


von: Michael Haid | Veröffentlicht am: 4. Juni 2006

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Das schon vor langer Zeit angekündigte „Weißbuch zur Sicherheit Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr- Vorläufige Fassung 28.April 2006“ des BMVg liegt nun vor. Das letzte „Weißbuch“ erschien 1994 und ist ein Grundlagendokument zur außen- und militärpolitischen Ausrichtung Deutschlands der kommenden Jahre. Es wird in nächster Zeit noch überarbeitet werden, bis es dann in der einvernehmlichen, von der gesamten Regierungskoalition getragenen, Endfassung erscheinen wird. Der vorliegende Text ist eine Exzerptesammlung um einen ersten Eindruck dieses Dokuments zu vermitteln und auf „Highlights“ dieses Papiers hinzuweisen.

Rohstoffe/Handel

„Deutschland, dessen wirtschaftlicher Wohlstand vom freien Austausch von Rohstoffen, Waren und Ideen abhängt, hat ein elementares Interesse an einem friedlichen Wettbewerb der Gedanken, an einem offenen Welthandelssystem und freien Transportwegen.“ (S. 5)

„Darüber hinaus ist Deutschland aufgrund seines großen Außenhandelsvolumens und der damit verbundenen hohen Abhängigkeit von sicheren Transportwegen und -mitteln in globalem Maßstab verwundbar. Als rohstoffarmes Land ist es in hohem Maße von einer gesicherten Rohstoffzufuhr abhängig. (…) Verwerfungen im internationalen Beziehungsgefüge, Störungen der Rohstoff- und Warenströme, beispielsweise durch zunehmende Piraterie, und Unterbrechungen der weltweiten Kommunikation bleiben in einer interdependenten Welt nicht ohne Auswirkungen auf nationale Wirtschaftsstrukturen, Wohlstand und sozialen Frieden im Lande und damit auf unsere Sicherheit.“ (S. 8)

„Die Vertiefung und Entwicklung guter Beziehungen zu strategischen Schlüsselstaaten (…) sind wichtige Handlungsfelder deutscher Sicherheitspolitik. Hierbei gilt es wegen der Export- und Rohstoffabhängigkeit Deutschlands, sich insbesondere den Regionen, in denen kritische Rohstoffe und Energieträger gefördert werden zuzuwenden.“ (S. 12)

„Traditionell ist Deutschland eine kontinentale Landmacht, die allerdings mehr als 80 Prozent ihres Außenhandels über See abwickelt, und deswegen in besonderem Maße auf freie und sichere Seewege angewiesen ist. Auch aus diesem Grunde ist für Deutschland die Mitgliedschaft in einer Allianz mit bedeutenden maritimen Fähigkeiten und die Wahrung von Interoperabilität mit den Vereinigten Staaten als weltweit führender See-, Luft-, Raum- und Landmacht unverzichtbar.“ (S. 17)

Präventivkrieg/Völkerrecht/Steigbügelhalter UN

„Instrumente der Konfliktprävention und Krisenbewältigung sowie Fähigkeiten zur Friedenskonsolidierung müssen weiterentwickelt werden, das Recht auf Selbstverteidigung präzisiert und präventives Eingreifen auf völkerrechtlich gesicherten Grundlagen geregelt werden.“ (S. 12)

„Die Europäische Sicherheitsstrategie betont das präventive Instrumentarium der Europäischen Union. Der Verweis auf die Charta der Vereinten Nationen verdeutlicht, dass militärische Gewalt nur auf völkerrechtlich legitimierter Grundlage Anwendung finden soll. Sie formuliert Ziele für Europas künftigen Weg zur Förderung von Sicherheit und Stabilität sowie zu einer größeren weltpolitischen Verantwortung. Diese stehen im Einklang mit den Zielen und Interessen deutscher Sicherheitspolitik.“ (S. 29)

„Die einzigartige Bedeutung der Vereinten Nationen besteht darin, einen notwendig werdenden Einsatz militärischer Gewalt mit der völkerrechtlichen Legitimität zu versehen.“ (S. 35)

„Nicht zuletzt auf Grund der Erfahrungen im Kosovo gewinnt auch im Völkerrecht der Gedanke zunehmend Anerkennung, dass die Abwendung von humanitären
Katastrophen, die Bekämpfung terroristischer Bedrohungen und der Schutz der Menschenrechte den Einsatz von Zwangsmaßnahmen erfordern können. Gerade wenn es zum Einsatz militärischer Gewalt kommt, ist die völkerrechtliche Legitimation entscheidend.“ (S. 35)

„Deutschland engagiert sich für eine grundlegende Reform der Vereinten Nationen, die mehr umfassen soll als eine bloße Reform des Sicherheitsrates. Deutschland setzt sich im Rahmen der Erweiterung des Sicherheitsrates für einen ständigen Sitz ein, um zu unterstreichen, dass es seiner Verantwortung in voller Konsequenz nachkommen will.“ (S. 36)

Auch interessant: EU, NATO, etc.

„Die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen in Verbindung mit weit reichenden Trägermitteln ist eine potentielle Bedrohung auch für Deutschland.“ (S. 6)

„Deutschland setzt sich als Ausdruck nationalen Selbstbehauptungswillens und staatlicher Souveränität zur Wahrung seiner Sicherheit das gesamte Spektrum nationaler Handlungsinstrumente ein. Dazu gehören auch militärische Mittel.“ (S. 9)

„Die deutschen Interessen orientieren sich an den sicherheitspolitischen Zielen. (…) Sie sind nicht statisch und ein für alle mal festgelegt, sondern abhängig von internationalen Konstellationen und Entwicklungen. Interessen können deshalb im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr allein geographisch definiert werden.“ (S. 9)

„Deutschland wird sich dafür einsetzen, die Allianz politisch wie militärisch zu stärken um sie in die Lage zu versetzen, auf alle Bedrohungen und Gefährdungen unserer gemeinsamen Sicherheit- symmetrische wie asymmetrische, staatliche wie nichtstaatliche – angemessen zu reagieren. Dies liegt im Interesse Deutschlands, das nach den USA der größte Beitragszahler der NATO und einer der stärksten Truppensteller in derzeit laufenden NATO-Operationen ist.“ (S. 16)

„Das gemeinsame Bekenntnis der Bündnispartner zur Kriegsverhinderung, die glaubwürdige Demonstration der Bündnissolidarität und das nukleare Streitkräftepotenzial erfordern auch in Zukunft deutsche Teilhabe an den nuklearen Aufgaben. Dazu gehören die Stationierung von verbündeten Nuklearstreitkräften auf deutschem Boden, die Beteiligung an Konsultationen, Planung sowie die Bereitstellung von Trägermitteln. Im Rahmen einer künftigen Weiterentwicklung des Strategischen Konzepts der Allianz ist auch die künftige Rolle von Nuklearwaffen in Konsultationen in den dafür zuständigen Gremien zu überprüfen.“ (S. 20)

„Deutschlands nationale Interessen sind am besten gemeinsam in einer handlungsfähigen Europäischen Union durchzusetzen. Deshalb ist es das Ziel deutscher Politik, die Europäische Union weiter zu festigen und auszubauen, Auswirkungen von benachbarten Krisenregionen und von destabilisierenden transnationalen Entwicklungen auf die europäische Sicherheit zu begrenzen und Europas sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit zu stärken.“ (S. 26)

„Europa, und das heißt vor allem die Europäische Union, muss künftig in noch stärkerem Maß als bisher einen eigenen Beitrag zu seiner Sicherheit leisten. Denn nur ein einiges, starkes und sicherheitspolitisch handlungsfähiges Europa kann insbesondere als Partner der Vereinigten Staaten Mitverantwortung bei der Bewältigung der Herausforderungen für die gemeinsame Sicherheit übernehmen.“ (S. 28)

„Angesichts der Perspektive der zunehmenden zivil-militärischen Handlungsfähigkeit der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und der direkten Verantwortung der Verteidigungsminister für Leib und Leben der eingesetzten Soldaten ist es das Ziel, der Bundesregierung, den Verteidigungsministern weitere Kompetenzen einzuräumen und dafür die selbständige Entscheidungsbefugnis des Rats für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen auf der Ebene der Verteidigungsminister auszuweiten.“ (S. 30)

„Die aktuelle mittelfristige Finanzplanung sieht einen Aufwuchs des Verteidigungshaushaltes vor.“ (S. 50)

„Die Bundeswehr als Instrument einer umfassend angelegten und vorausschauenden Sicherheits- und Verteidigungspolitik
• sichert die außenpolitische Handlungsfähigkeit,
• leistet einen Beitrag zur Stabilität im europäischen und globalen Rahmen,
• sorgt für die nationale Sicherheit und Verteidigung,
• trägt zur Verteidigung der Verbündeten bei und
• fördert multinationale Zusammenarbeit und Integration.

Deutschland stellt im Rahmen seiner sicherheitspolitischen Interessen in
angemessenem Umfang Streitkräfte bereit, die schnell und wirksam zusammen mit Streitkräften anderer Nationen eingesetzt werden können. Dies schließt die Unterstützung von Verbündeten an den Bündnisgrenzen oder in einem geografisch noch weiteren Rahmen ein.“ (S. 53)

Innere Sicherheit

„Streitkräfte müssen künftig darauf eingestellt sein, auch im Inland ihre originären Fähigkeiten unterstützend für die Sicherheit und den Schutz unserer Bürger zur Verfügung zu stellen.“ (S. 14)

„Infolge der neuartigen Qualität des internationalen Terrorismus sind heute Anschläge Realität geworden, die sich nach Art, Zielsetzung und Intensität mit dem herkömmlichen Begriff des Verteidigungsfalls gleichsetzen lassen. Ohne derartige Extremsituationen in die Betrachtung mit einzubeziehen, ist weder ein angemessenes Verständnis geltenden Verfassungsrechts zu entwickeln noch lässt sich bewerten, ob und inwieweit die gewandelte Sicherheits- und Bedrohungslage verfassungsrechtlichen Änderungsbedarf nach sich zieht.
Bei einer Erweiterung des Einsatzspektrums deutscher Streitkräfte im Inland sind der föderale Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland und die gemeinsame Verantwortung von Bund und Ländern für die innere Sicherheit zu berücksichtigen. (…) Die Bundeswehr muss aber immer dann eingesetzt werden können, wem: nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügt, um den Schutz der Bevölkerung oder kritischer Infrastruktur zu gewährleisten. Maßnahmen der Streitkräfte kategorisch auszuschließen, würde der staatlichen Schlitzpflicht zu Gunsten der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes nicht gerecht.“ (S. 45)

Rüstung

„Deutschland wird eine leistungs- und wettbewerbsfähige industrielle Basis in technologischen Kembereichen als Voraussetzung für künftige Kooperationsfähigkeit aufrecht erhalten.“ (S. 30)

„Die notwendige Integration der nationalen Rüstungsmärkte zu einem gemeinsamen europäischen Rüstungsmarkt kann nur bei gleichen Wettbewerbsbedingungen erfolgen. Deutschland tritt daher für den Abbau von Wettbewerbsverzerrungen und Hemmnissen und für die einheitliche Auslegung der Exportbestimmungen ein.“ (S. 52)

Wehrpflicht/ BW-Strukturen

„Die Allgemeine Wehrpflicht sichert darüber hinaus ein umfangreiches Potenzial schnell verfügbarer Kräfte zum Schutz Deutschlands und seiner Bürger und schafft eine solide Grundlage, um geeigneten Nachwuchs an länger dienenden Soldaten zu erhalten.“ (S. 48)

„Einsätze zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung unterscheiden sich hinsichtlich Intensität und Komplexität nicht von Einsätzen zur Verteidigung von Bündnispartnern.
Bei Angriffen auf Bündnispartner und bei Krisen und Konflikten, die zu einer konkreten Bedrohung von Bündnispartnern eskalieren können, ist Deutschland zum Beistand verpflichtet. Dies gilt auch bei der Abwehr asymmetrischer und terroristischer Angriffe.“ (S. 54)

„Die Abwehr terroristischer und anderer asymmetrischer Bedrohungen innerhalb Deutschlands ist heute vorrangig eine Aufgabe der Innenbehörden von Bund und Ländern. Die Bundeswehr hält hierzu Kräfte und Mittel entsprechend der Risikobewertung bereit. Sie kann immer dann im Rahmen geltender Gesetze zum Einsatz kommen, wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügt oder wenn der Schutz der Bevölkerung und gefährdeter Infrastruktur nur durch sie möglich ist. Grundwehrdienst Leistende sowie Reservisten kommen dabei in ihrer klassischen Rolle zum Einsatz: dem Schutz ihres Landes und ihrer Mitbürger.“ (S. 54)

„Deutschland muss über ein im internationalen Kontext angemessenes Streitkräftekontingent für friedenserzwingende Maßnahmen verfügen. Die dazu erforderlichen militärischen Fähigkeiten unterscheiden sich wesentlich von den Fähigkeiten, die zum Aufbau staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen benötigt werden. Sie erfordern den Einsatz von Waffengewalt im Rahmen streitkräftegemeinsamer vernetzter Operationen hoher Kampfintensität. (…)Zusätzlich sind Kräfte für grundsätzlich in nationaler Verantwortung durchzuführende Evakuierungsoperationen vorzuhalten. Dabei können auch die Fähigkeiten der Spezialkräfte zum Tragen kommen.
Friedensstabilisierende Einsätze bilden den Schwerpunkt der aktuellen Einsatzrealität der Bundeswehr. (…) Nationale Zielvorgabe ist der Einsatz von gleichzeitig bis zu 14.000 Soldatinnen und Soldaten, aufgeteilt auf bis zu fünf verschiedene Einsatzgebiete. Zum Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger sowie für subsidiäre Hilfeleistungen im Inland ist ein angemessenes Fähigkeitspotenzial vorgesehen. Gerade einsatzorientierte Streitkräfte verfügen über Fähigkeiten, die bei Einsätzen im Inland benötigt werden könnten. (…)Hierzu gehören vor allem ABC-Abwehrkräfte (…), Pioniere, Feldjäger, die Aufklärungsfähigkeit von Luftwaffe, Heer und Marine, die Gewährleistung der Sicherheit im Luft- und Seeraum, sanitätsdienstliche Kapazitäten, Luftrettungsfähigkeiten über Land/See, Hilfeleistung in See, Unterstützung durch Logistik und Transport, Fähigkeiten zur Operativen Information sowie psychologische Betreuung von zivilen Einsatzkräften und Bevölkerung.“ (S. 57)

„Schutzaufgaben innerhalb Deutschlands lassen sich nur streitkräftegemeinsam und vernetzt mit zivilen Stellen und Einrichtungen bewältigen. (…) Die Zivil-Militärische Zusammenarbeit wird weiter ausgebaut und verbessert. (…) Künftig wird insbesondere die Zivil-Militärische Zusammenarbeit zu den mittleren und unteren Katastrophenschutzbehörden deutlich intensiviert.“ (S. 57)

„Deutschland benötigt Streitkräfte, die im gesamten Aufgabenspektrum verwendbar sind. Sie müssen für die wahrscheinlicheren Einsätze rasch verfügbar und auf Einsätze höchster Intensität vorbereitet sein.“ (S. 70)

„Im Jahr 2005 wurden knapp 40 Prozent der Soldaten auf Zeit in den Laufbahnen der Mannschaften und Unteroffiziere aus der Gruppe der Grundwehrdienst Leistenden gewonnen.“ (S. 99)