Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2006/008 - in: AUSDRUCK (April 2006)

Deutschgeführte Kommandozentralen zukünftiger EU-Kriege

Das Kommando Operative Führung Eingreifkräfte in Ulm und das Einsatzführungskommando in Potsdam-Geltow

Johannes Plotzki (12.04.2006)

https://www.imi-online.de/download/JP-KOFE-4-2006.pdf

Wer Angriffskriege führen will – und hieran lässt die Europäische Union, ganz besonders aber die Schwarz-Rote Bundesregierung keine Zweifel aufkommen – benötigt umfangreiche Planungskapazitäten. Aus diesem Grund ist dieser Tage das Einsatzführungskommando (EFK) in Potsdam-Geltow im Zusammenhang mit dem geplanten EU-Militäreinsatz im Kongo immer wieder in den Medien präsent. Das EFK betitelt sich selbst mit „Einsatzführung aus einer Hand – weltweit“[1], die Frankfurter Allgemeinen Zeitung bezeichnete es einmal als „operativen Führungsstab“ mit Aufgaben „die in den früheren deutschen Armeen von Generalstäben wahrgenommen wurden.“[2] Das Einsatzführungskommando besitzt drei parallel laufende Operationszentralen, die sein dreigeteiltes Aufgabenspektrum widerspiegeln.
Zum einen zur Führung aller Auslandseinsätze der deutschen Bundeswehrkontingente im Rahmen von EUFOR, ISAF und der UN-Missionen. Dafür steht ein gemischter Stab zur Verfügung, der Heer, Luftwaffe, Marine, Streitkräftebasis, Sanitätsdienst und Verwaltung umfasst. Zweitens eine für Evakuierungseinsätze bereitstehende Operationszentrale. Und drittens, politisch und militärisch besonders wichtig, das Operation Headquarters (OHQ) für EU-Militäreinsätze.

Im Einsatzführungskommando ist ein Kernstab für das deutsche OHQ eingerichtet. Dieser ist ständig arbeitsbereit und umfasst rund 50 Mitarbeiter. Im Falle seiner Aktivierung kann das OHQ stufenweise vom Kernstab auf bis zu 475 Mitarbeiter anwachsen. Dafür hält die Bundeswehr speziell ausgebildetes Personal bereit. Zusätzlich kommen Verstärkungskräfte anderer EU-Staaten hinzu. Das multinational zusammengesetzte OHQ ist dem Militärausschuss des EU-Rates nachgeordnet. Zwar soll es erst Anfang 2007 seine volle Operationsfähigkeit erlangen, das deutsche OHQ wird aber bereits eine erste Bewährungsprobe bei dem vom EU-Parlament am 23.3.2006 beschlossenen Kongo-Militäreinsatz bekommen.[3] Nach den Plänen des deutschen Verteidigungsministers Franz Joseph Jung wird dann in der Henning-von-Tresckow-Kaserne (Geltow bei Potsdam) das OHQ seine Arbeit für die strategisch-militärische Führung des EU-Einsatzes im Kongo aufnehmen. Die operative Führung im Einsatzland wird dabei von Frankreich geleistet, genauer von dessen in Paris stationierten Force Headquarters (FHQ).

Auch Deutschland verfügt seit knapp einem halben Jahr über ein FHQ, welches sich – noch in der Aufbauphase – in der Ulmer Wilhelmsburg-Kaserne befindet und vom dortigen „Kommando Operative Führung Eingreifkräfte“ gestellt wird. Damit ist Deutschland, neben Frankreich und Großbritannien, das einzige Mitglied der EU mit der Fähigkeit, beide Führungsebenen bereit zu stellen. Die Europäische Union hatte 1999 in Helsinki das sogenannte „European Headline Goal“ beschlossen, um eine eigenständige Fähigkeit zur militärischen Intervention, u.a. durch den Aufbau hierfür erforderlicher Planungs- und operativer Kapazitäten, aufzubauen. Die Mitgliedstaaten haben hierzu die Aufstellung von Hauptquartieren und Streitkräftekontingenten für Einsätze unter EU-Führung. In diesem Zusammenhang hat die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2001 unter anderem die Bereitstellung eines Operation Headquarters (OHQ) sowie eines Force Headquarters (FHQ) angeboten.

Der Kommandierende Befehlshaber des „Kommando Operative Führung Eingreifkräfte“ in Ulm, Generalmajor Jan Oerding, erklärt den Unterschied zwischen dem Einsatzführungskommando in Potsdam-Geltow und dem Kommando in Ulm wie folgt: „Die Aufgabenstellung der beiden Führungskommandos ist völlig unterschiedlich. Während das Einsatzführungskommando als Operation Headquarters Einsätze von Deutschland aus führt, ist unser Kommando ein hochmobiles operatives Hauptquartier, das Einsätze im Einsatzland führen wird. Dort ist es die Führungsebene, die eine einheitliche Führung multinationaler Truppen auch unterschiedlicher Teilstreitkräfte sicherstellt.“[4]

Dahinter steht, dass für militärische Einsätze in der Regel zwei Kommandoebenen notwendig sind: Ein Operation Headquarters (OHQ) und ein Force Headquarters (FHQ). Das Operation Headquarters, das die gesamte Operation führt und plant, ist im Normalfall ortsfest und entsprechend der jeweiligen Operation teilstreitkräfteübergreifend, das heißt sowohl für Marine, Heer und Luftwaffe, ausgerichtet. In der Ebene darunter (siehe Schaubild), ist ein Force Headquarters zur Führung der Streitkräfte im Einsatzgebiet notwendig, das ebenso teilstreitkräfteübergreifend ist und weltweit verlegt werden kann.

„Was wir zu bieten haben, ist Führungsleistung“[5]

Im baden-württembergischen Ulm wurde am 7. Oktober 2005 das neue „Kommando Operative Führung Eingreifkräfte“ eingeweiht. Es trat damit an die Stelle des vorher in der Ulmer Wilhelmsburg-Kaserne stationierten II. Deutsch-Amerikanischen Korps. Ein politisch sehr symbolträchtiger Wechsel von einer deutsch-us-amerikanischen Truppe zu einer zentralen EU-Truppe. Das 1956 aufgestellte II. deutsch-us-amerikanische Korps wurde kurz vor seinem 50. Geburtstag außer Dienst gestellt. „Jedem Ende wohnt auch immer ein neuer Anfang inne. Ich freue mich, dass wir heute gleichzeitig das ‚Kommando Operative Führung Eingreifkräfte‘ in Dienst stellen“, erklärte der baden-württembergische Innenminister Heribert Rech. Das neue Kommando werde noch mehr in internationale Mandate und Aufträge eingebunden sein als das II. Korps und Baden-Württemberg sei stolz darauf, Stationierungsort für dieses Kommando zu sein. Weiter: „Mit Blick auf die veränderten Sicherheitsbedingungen in Europa muss es aber auch möglich sein, die Streitkräfte zur Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Inland einzusetzen“, betonte der Minister.[6] Ginge es nach ihm, solle dies neben den Auslandseinsätzen eine zentrale Aufgabe der Bundeswehr werden. Bundeswehrsoldaten in Afrika und Asien und den Fußgängerzonen deutscher Städte haben nichts mehr mit der Landesverteidigung zu tun, für die die Truppe zumindest offiziell einmal aufgestellt wurde. Deutschland hat zur Zeit über 6500 Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz.

In Ulm daheim, in der Welt zu Hause

Nun wird mit dem „Kommando Operative Führung Eingreifkräfte“ ein neuerlicher Meilenstein für die Führungsrolle Deutschlands bei der Militarisierung der EU gesetzt. Dafür wird in der Ulmer Wilhelmsburg-Kaserne ein solches verlegefähiges Hauptquartier bereitgehalten. Innerhalb von zehn Tagen soll dieses FHQ mit bis zu hundert Arbeitsplätzen von Ulm überall in die Welt verbracht werden können, wo ein Militäreinsatz erfolgen soll. Aufgebaut wird das Hauptquartier in bis zu 53 aufblasbaren Zelten. In diesen befinden sich ergonomisch geformte Arbeitsplätze mit Computern, sowie eine Großbildleinwand, die Geländekarten oder Satellitenbilder zeigt. Da die mobile Einheit schnell aufgebaut sein, aber bis zu einem Jahr lang dauerhaft arbeiten können soll, besteht das Kommando außerdem aus 48 raumgroßen, klimatisierten Containermodulen, die bei einem längeren Aufenthalt in einem Krisengebiet mit einem der neuen Transportflugzeuge vom Typ Airbus A 400 M nachgeflogen werden. Die Anschaffungskosten für die Container, die Zelte, sowie für Computer- und Kommunikationstechnik belaufen sich auf 15 Millionen Euro.

Einen ersten Test für zukünftige EU-Kriege hat das Kommando in Ulm bereits durchlaufen: Im November und Dezember 2005 fand die Militärübung MILEX 05 statt, deren Szenario rein gar nichts mit Territorialverteidigung zu tun hatte. Basis des Szenarios ist ein so genannter „inner-ethnischer“ Konflikt auf einer Insel, in der Übung „Atlantia“ genannt. Angeblich um der wachsenden Gefahr zunehmender Instabilität zu begegnen werden die EU-Truppen entsandt. Ehrlicher ist da das European Defence Paper, Vorentwurf für ein EU-Weisbuch, vom Institut für Strategische Studien (ISS) in Paris erarbeitet, das als eines der möglichen EU-Militäreinsatzszenarien den EU-geführten Regionalkrieg zur Rohstoffsicherung benennt: „In einem Land x, das an den indischen Ozean grenzt haben anti-westliche Kräfte die Macht erlangt und benutzen Öl als Waffe, vertreiben Westler und greifen westliche Interessen an.“ Ziel sei es „das besetzte Gebiet zu befreien und die Kontrolle über einige der Ölinstallationen, Pipelines und Häfen des Landes x zu erhalten.“[7]

Schon bald wird der Ulmer Generalstab für die Kriegseinsätze der EU entscheidende Bedeutung besitzen. Bereits kurz nach den Prager Beschlüssen vom November 2002 zur Bildung von NATO Response Forces (NRF) (schnelle NATO-Eingreiftruppen) setzte sich die EU die Aufstellung sogenannter EU „Battle Groups“ zum Ziel. Hierunter versteht man Schlacht-Truppen in einer Personalstärke von jeweils ca. 1.500 Soldaten, die innerhalb von 15 Tagen an jedem Ort der Welt einsatzbereit sein können. Im Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments meinte der damalige britische Ratsvertreter, die deutschen Vertreter hätten zugesichert, diese 15 Tage immer einzuhalten, notfalls werde ein notwendiger Bundestagsbeschluss im Nachhinein eingeholt. Spätestens dann im Jahr 2006 sollen die ersten Battle Groups einsatzfähig sein. Hieran beteiligt sich Deutschland unter anderem durch Stellung des für Ulm eingeplanten Force Headquarters (FHQ) zur Führung der EU Battle Group.[8]

Aber auch so genannte Operationen (ca. 18.000 Soldaten) und große Operationen (60.000 Soldaten) sollen durch das in Ulm stationierte FHQ kommandiert werden. Darüber hinaus zielt das FHQ insbesondere auf die Zusammenarbeit mit zivilen Stellen, NGOs, EU-Behörden etc. ab. Auch vor Ort wollen die Militärs alles unter Kontrolle halten und sich auch ziviler Helfer bedienen, sich aber nicht von ihnen ins Handwerk pfuschen lassen (vgl. hierzu die Beiträge im letzten AUSDRUCK).

Finanzierungs-Tricks zum Unterhalt der Kommandozentralen

Abschließend soll nicht unerwähnt bleiben, wie die Finanzierung der beschriebenen Kommandostrukturen für EU-Militäreinsätze geregelt ist. Der derzeit gültige EU-Vertrag (Nizza-Vertrag) verbietet nach Art. 28, Absatz 3 einen eigenständigen Militärhaushalt. Um dies zu umgehen, gibt es den sogenannten ATHENA-Mechanismus. Hierbei zahlen die EU-Mitgliedsstaaten für Militäreinsätze der Europäischen Union in einen Extra-Topf, der explizit nicht ein EU-Haushaltstitel ist. Damit ist das EU-Parlament außen vor und eine Kontrolle fast unmöglich. Das ATHENA-Verfahren wird derzeit für den EU-Militäreinsatz EUFOR-Althea in Bosnien angewendet.

Im „Beschluss 2004/197/GASP des Rates vom 23. Februar 2004 über einen Mechanismus zur Verwaltung der Finanzierung der gemeinsamen Kosten der Operationen der Europäischen Union mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen“ heißt es im Anhang: „Für jede Militäroperation der Union übernimmt ATHENA die nachstehend definierten erforderlichen Mehrkosten der Operation als gemeinsame operative Kosten“. Unter der nachfolgenden Aufzählungen sind neben dem „Headquarters (OHQ)“, auch das „Force Headquarters (FHQ)“ aufgeführt, sowie „Transporte zum und aus dem Einsatzgebiet, um FHQ (…) zu verlegen, zu unterhalten und zurückzuführen; durch das OHQ verursachte Transportkosten, die für eine Operation anfallen.“[9]

Eine derartige Regelung zur Finanzierung von EU-Militäreinsätzen über den ATHENA-Mechanismus bedeutet, dass weder das Europäische Parlament noch die Parlamente der einzelnen Mitgliedsstaaten über diesen Finanzbereich abstimmen können, und das Verbot eines eigenen Militärhaushaltes der EU unterwandert wird. Letztlich passt auch dieser Baustein in eine militarisierte Außenpolitik der EU, die sich für Regionalkriege zur Ressourcensicherung bereit macht und mit dem bevorstehenden Kongo-Einsatz ein erstes (altes) Testfeld erhält (bereits 2003 kam es bekanntlich im Kongo zum ersten eigenständigen EU-Einsatz im Rahmen der Artemis-Mission). Spätestens mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 werden die EU-Battle-Groups soweit aufgestellt sein, dass dann endgültig der zeitliche Spielraum, sich für oder gegen einen Einsatz zu entscheiden, geschweige denn deren Sinn bzw. Unsinn im Parlament debattieren zu können, zu eng geworden ist, wie unlängst schon Marine-Inspekteur Lutz Feldt konstatierte.[10] Die mit Lichtgeschwindigkeit voranschreitende Militarisierung der Europäischen Union präjudiziert auch solche Militäreinsätze, wie dem bevorstehenden im Kongo, wo Parlamente erst hinterher das abnicken, was strategisch schon lange beschlossene Sache ist.

Anmerkung:

[1] Leitbild des Einsatzführungskommando der Bundeswehr, Quelle: http://www.einsatz.bundeswehr.de
[2] FAZ,10.07.2001
[3] Das Abstimmungsergebnis im Europäischen Parlament zum EU-Militäreinsatz am 23.03.2006: 455/139/15
[4] Generalmajor Jan Oerding, Befehlshaber des Kommandos in Ulm, In: truppen-info.de: 25.11.05
[5] Ebd.
[6] Innenministerium Baden-Württemberg, Presseerklärung vom 07.10.2005
[7] European Defence Paper: A Proposal for A White Paper, Institute for Security Studies, Paris, May 2004, S.83
[8] Vgl. Strategie und Technik, August 2005, S. 42
[9] Beschluss 2004/197/GASP des Rates vom 23. Februar 2004 über einen Mechanismus zur Verwaltung der Finanzierung der gemeinsamen Kosten der Operationen der Europäischen Union mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen
[10] Vgl. Die Welt v. 29. März 2006

https://www.imi-online.de/download/JP-KOFE-4-2006.pdf

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de