Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2006/025 - in: AMOS - Kritische Blätter aus dem Ruhrgebiet

AWACS wegen Großleinwänden

Tobias Pflüger (10.04.2006)

https://www.imi-online.de/download/TP-AWACS.pdf

„Der Innenminister macht sich zu Recht um die Sicherheit bei der WM Sorgen. Dabei sind weniger die Stadien das Problem als vielmehr die Großleinwände mit Tausenden Zuschauern in den Innenstädten. Deshalb werden wir beispielsweise neben vielen anderen Unterstützungsleistungen auch AWACS-Flugzeuge zur Überwachung einsetzen.“ (Interview mit dem deutschen Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) in „Welt am Sonntag“ am 12.02.2006).

AWACS-Aufklärungsflugzeuge seien wegen den Großleinwänden bei der Fußball-Weltmeisterschaft notwendig. Wenn das nicht ein Minister gesagt hätte, hätte man diese Person ganz einfach für verrückt erklärt. Wobei ja Franz-Josef Jung offiziell noch den Zurückhaltenden spielt. Antreiber eines Einsatzes der Bundeswehr im Innern ist der Innenminister Wolfgang Schäuble. Der ließ keine passende und vor allem unpassende Gelegenheit aus, immer wieder genau das zu fordern. Warum nur, fragt sich da der Beobachter?

Inzwischen gleicht die Debatte einem Dammbruch. Verteidigungsminister Franz Josef Jung wird zur Absicherung der Fußball-WM erheblich mehr Soldaten bereitstellen als bisher geplant. „Ich bin mir mit Bundesinnenminister Schäuble darin einig, dass die Bundeswehr im Bedarfsfall bis zu 7000 Soldaten zum Schutz unserer Bevölkerung und der Gäste der Fußball-Weltmeisterschaft bereit hält“, sagte Jung der „Bild am Sonntag“. Ursprünglich waren nur etwa 2000 Soldaten im Gespräch. Insgesamt liegen Jung mehr als 100 Anträge auf Bundeswehr-Hilfe aus Ländern und Gemeinden vor.

„Dümmlich und gefährlich“ – mit drastischen Worten kommentiert der Fan-Forscher und Soziologe Gunter Pilz von der Universität Hannover die Warnungen vor großen Hooligan-Schlachten bei der WM 2006. Außerdem kritisiert er die Politik: Die Debatte über den Bundeswehr-Einsatz produziere eine Atmosphäre der Angst. In einem Interview mit tagesschau.de wies Pilz darauf hin, dass die Innenminister in den vergangenen Jahren immer Großereignisse genutzt haben, „um ihre Begehrlichkeiten voranzubringen und sich auch in anderen Gebieten etwas weiter vorzuwagen. Das sieht man auch jetzt bei der Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr. Man sollte besonnener sein und solche Anlässe nicht dazu nutzen, um unsere Verfassung weiter auszuhöhlen.“

Evelyn Kenzler wies bei einer der früheren Debatten zu recht darauf hin, dass: „gerade die Trennung von Polizei und Militär eine nicht zu unterschätzende Errungenschaft des demokratischen Rechtsstaates“ ist. „Polizeibeamte sind eben nicht dem Prinzip von Befehl und Gehorsam unterworfen, sondern haben strikt nach dem Legalitätsprinzip und auf der Grundlage eines engmaschigen Regelungsnetzes zu handeln. Diese wichtigen rechtsstaatlichen Garantien würden durch erweiterte Einsatzbefugnisse der Bundeswehr erheblich aufgeweicht werden.“

Der Einsatz der Bundeswehr bei der Fussball-WM wäre denn auch der erste wirkliche Einsatz deutschen Militärs seit 1945 im Inland, sieht man einmal ab von den Sandsackschlachten gegen Hochwasser oder dem Einsammeln toter Vögel, um der Vogelgrippe vorzubeugen. Mit ihm würde ein weiterer Schritt in Richtung der völligen Aushöhlung des verfassungsrechtlichen Trennungsgebots von Militär und Polizei gegangen. Das heißt wie die Beschränkungen für den Einsatz des deutschen Militärs außerhalb der Bundesrepublik, die aus der Niederlage der deutschen Wehrmacht und des deutschen Faschismus herrühren, in den 90er Jahren geschleift wurden, so sollen jetzt offensichtlich auch die Beschränkungen für einen Einsatz im Inneren fallen. „Der deutsche Militarismus und Nazismus werden ausgerottet“, hatte es im Abschlussdokument der Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 geheißen. 61 Jahre danach soll Militär auch im Inneren wieder zu Normalität werden.

Besonders brisant: Der Einsatz der AWACS-Maschinen muss vom NATO-Militärausschuss in Brüssel genehmigt werden. Die Mitglieder der Nordatlantikpakt-Organisation (NATO) übernehmen dann diese Aufgabe und setzen dazu AWACS (Airborne Warning and Control System – luftgestütztes Frühwarn- und Kontrollsystem)-Fernaufklärer ein, in denen Soldaten verschiedener NATO-Mitgliedsländer als integrierte Einheit tätig sind. Mit diesen Flugzeugen werden Flugbewegungen, Fußballstadien und Großleinwände aus großer Höhe erfasst; sie können zugleich als Feuerleitstand für den Einsatz von Jagdflugzeugen dienen. Etwa ein Drittel des militärischen Personals des AWACS-Verbandes sind Soldaten der Bundeswehr in verschiedenen Funktionen. Dies wäre dann ein wesentlicher Schritt zur Militarisierung der Innenpolitik, bei dem die Fußballstadien im wahrsten Sinne des Wortes zu Schlachtfeldern zu werden drohen.

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