Dokumentation - Vortrag anlässlich des 10. IMI-Geburtstags

Weltweite Kriege und antimilitaristische Optionen im 21. Jahrhundert


von: Johannes Becker | Veröffentlicht am: 8. März 2006

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Im Folgenden handelt es sich um die thesenartige Zusammenfassung des Vortrages von Johannes Becker anlässlich des 10. Geburtstags der Informationsstelle Militarisierung (IMI) am 5.3.2006 in Tübingen. Wer den vollständigen Vortrag (in zwei Teilen) hören möchte:

http://freie-radios.info/portal/content.php?id=11798
http://freie-radios.info/portal/content.php?id=11800

Thesen

1. Die Kriege zu Beginn des 21. Jahrhunderts werden geprägt
1.1 vom US-amerikanischen Unilateralismus seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation,
1.2 von Verteilungskämpfen um die versiegenden Rohstoffe sowie
1.3 von der weiter wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich sowie der neuen Rolle des Islam in diesem Zusammenhang.

2. Die Rolle der Europäischen Union als ökonomischem „global player“ (0,5 Mrd. ProduzentInnen/KonsumentInnen) ist einstweilen ungeklärt. Wird ihre Verfassung ratifiziert und befolgt, wird die EU in die militärpolitische Konkurrenz mit den USA eintreten – eine fatale Entwicklung. Alternativen liegen auf der Hand.

3. In allen Staaten der EU (wie auch in den USA) läuft der Prozess der „Banalisierung des Militärischen“ nahezu reibungslos – die Gegenkräfte scheinen marginalisiert. Ein „neues Bild vom Krieg“ hat das Denken der Menschen ergriffen.

4. Seit „9/11“ erklären sich die USA legitimiert zum „Krieg gegen den internationalen Terror“, dies mit Hilfe der Politik der „permanenten Intervention“ und der Politik der „Prävention/Präemption“. Die treibenden Interessen in den USA indes haben mit den Anschlägen nur peripher zu tun. Russland wiederum sieht sich durch die US- und EU-Politik in Jugoslawien (1999), d.h. durch die Verletzung der UN-Charta, zum Agieren in Tschetschenien und anderenorts legitimiert.

5. Neue Feindbilder werden nach ökonomischen und geopolitischen Interessen aufgebaut.
Außenpolitisch: Der Irak wird in 25 Jahren über ein Drittel der Öl-Vorräte der Erde verfügen, Iran ist heute der viertgrößte Öl- und Gasexporteur und die politische Führungsmacht des Islam.
Innenpolitisch: Die „Soziale Hängematte“, die „Sozialausbeuter“ des rheinischen Kapitalismus, Langzeitarbeitslose, ImmigrantInnen, AyslbewerberInnen…

6. Interessant ist, dass Angriffskriege heute nicht mehr gewinnbar erscheinen. Jugoslawien, Afghanistan, Irak… Nordkorea hat sich atomar bewaffnet, Iran scheint dies anzustreben… Und in Venezuela wird die Bevölkerung bewaffnet (übrigens von, wie die herrschenden Medien uns glauben machen wollen, einem Diktator). Die Konsequenzen für alle, die nicht vom Krieg profitieren, liegen eigentlich auf der Hand…

7. Überhaupt kommt Hoffnung heute aus Lateinamerika: Nach Kuba haben sich Venezuela und Bolivien eindeutig zu einer anderen Logik des Wirtschaftens entschlossen. Brasilien, Argentinien Chile und andere sind zumindest den Klauen der Militärdiktaturen entrissen. Der Unilateralismus sieht sich hier – anderweitig gebunden… – in der Defensive…

8. Die Streitpunkte der weltweiten Friedensbewegungen liegen neben den überkommenen Konflikten zwischen Pazifisten und Nicht-Pazifisten derzeit in
8.1 der Beurteilung der Rolle der USA versus nationaler Imperialismen (beispielhaft in der BRD: Auseinandersetzungen zwischen „Anti-US-Amerikanismus“ und „Anti-Deutschtum“),
8.2 der Beurteilung der EU-Militarisierung, zentral derzeit: in der Haltung gegenüber der Verfassung der EU (generelle Ablehnung, oder „eingreifendes Mit-Gestalten“) sowie
8.3 der Beurteilung der Potenzen supranationaler Organisationen wie der UNO/OSZE.
8.4 In der Ablehnung der „Globalisierung“, so wie sie nach 89/90 abläuft, ist sich die Friedensbewegung weltweit im Prinzip einig. Die Armen werden schutzloser, ärmer, die starken Ökonomien durchdringen alle Märkte. Im Fahrtwind der „Globalisierung“ spaltet der Neoliberalismus auch die Gesellschaften der reichen Staaten weiter.
8.5 Auseinandersetzungen über den Charakter von Befreiungsbewegungen in Entwicklungsländern (bspw. der „bolivarischen Revolution“ in Venezuela oder Cubas) sind hingegen in den Hintergrund gerückt.

9. Insgesamt hat in Deutschland die Friedensbewegung dem Schwenk der Sicherheitspolitik von einer Orientierung eher an der Zivillogik hin zur Militärlogik („Deutscher Weg“, „Verteidigung deutscher Interessen am Hindukusch“) keine Mobilisierung einer kontinuierlichen starken außerparlamentarischen Bewegung entgegensetzen können. Diese existiert auch nicht in den europäischen Nachbarländern – deren politische Kultur ist eh stärker interventionistisch geprägt. Der Zusammenhang zwischen den „zivilisatorischen“ Konfliktkatalysatoren Sozialabbau (sh. Feindbilder) und Globalisierung auf der einen Seite und der umfassenden Militarisierung auf der anderen Seite wird nur von einer Minderheit gesehen.

10. Von der Friedensbewegung und der Bewegungsforschung vernachlässigt wird m.E. der Einfluss der Sozial- und Wirtschaftspolitik auf den Zustand des Landes, betr. v.a. die Frage nach dem eigenartigen Auseinanderklaffen von Interventionstätigkeit von BRD/EU/NATO einerseits (die Bundeswehr steht mit Tausenden Soldaten in mehreren Konflikten, die Freiheit Ds wird am Hindukusch verteidigt, das Wesentliche Ergebnis der ersten Legislaturperiode Schröder/Fischers war die „Enttabuisierung des Militärischen“…) Andererseits gibt es keine sichtbare antimilitaristische Bewegung, wie sie dieser Lage angemessen wäre (man/frau stelle sich mal vor: So eine Politik in den 80ern…!
Dies hat m.E. wesentlich zu tun mit drei Faktoren:
a) Die Menschen sind durch die Massenarbeitslosigkeit verunsichert, Zukunftsängste, Perspektivlosigkeit der Jugend, Verarmungsängste…
b) Die Menschen haben die individuelle Schuldzuschreibung durch die Herrschenden verinnerlicht. Der „Fehler“ der acht (!) Millionen Arbeitslosen wird bei den Individuen gesucht, nicht beim System!
c) Die Menschen glauben, dass in diesem Land derzeit „nichts zu verteilen ist“…
Insbesondere die Punkte b) und c) müssen von uns bekämpft werden

Fazit: Die Optionen der antimilitaristischen Bewegungen liegen in der fortwährenden Aufklärung über die o.a. Zusammenhänge, darin sich nicht entmutigen zu lassen, nicht dem „Charme der Macht“ zu erliegen, keine faulen Kompromisse einzugehen, einander weiter zuzuhören. Weiter IMI zu bleiben: — Instinctively Mainstream-Ignoring!