Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

[0212] Eskalation in Afghanistan/ EU-Verfassungsvertrag/ Links zu neuen Texten

(30.05.2005)

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Online-Zeitschrift „IMI-List“
Nummer 0212 ………. 9. Jahrgang …….. ISSN 1611-2563
Hrsg.:…… Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Red.: IMI / Claudia Haydt / Tobias Pflüger / Jürgen Wagner
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Archiv: ……. https://www.imi-online.de/mailingliste.php3
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Liebe Freundinnen und Freunde!

in dieser Ausgabe der IMI-List findet sich:

1) Eskalation in Afghanistan – KSK-Rambos auf dem Vormarsch
2) 10 plus 3 Gründe gegen den EU-Verfassungsvertrag
3) Links zu einigen neuen Texten auf der IMI-Homepage

Am heutigen Freitag wird der Bundesrat voraussichtlich mit
überdeutlicher Mehrheit für den EU-Verfassungsvertrag stimmen. Gründe
gegen diesen Verfassungsvertrag zu stimmen gibt es zwar mehr als
genug. Aber die große Mehrheit der Parteienvertreter in Deutschland
hat sich mit diesen Gründen nie ernsthaft auseinandergesetzt. „Zehn
und drei Gründe“ gegen die EUropäische „Militärverfassung“, die Tobias
Pflüger auf einer Pressekonferenz von attac benannte, finden sich in
dieser e-mail. Auch die Festschreibung der neoliberalen
Wirtschaftsordnung und der unzureichende Grundrechteschutz sind Gründe
gegen den Verfassungsvertrag.

In Frankreich wird am Sonntag die Bevölkerung entscheiden. In jüngsten
Umfragen werden nur 45 Prozent Ja-Stimmen erwartet, dagegen aber 55%
Nein-Stimmen. Es wird aber wohl recht knapp werden – wir dürfen
gespannt sein.  Am Samstag gibt es noch die Möglichkeit, den Protest
in Frankreich zu unterstützen mit eurer Teilnahme an der
„Rheinwanderungen gegen diese EU-Verfassung“. Treffpunkt am 28.5.2005
um fünf vor 12 in Kehl an der Rheinbrücke (Flugblatt:
http://www.netpioneer.de/frieden/aktion/05052128.pdf ).

Die Militarisierung der Außenpolitik geht leider in jedem Fall mit
großen Schritten voran. Die EU-Außen- und Verteidigungsminister haben
sich in dieser Woche getroffen um den weiteren Aufbau militärischer
Interventionskapazitäten voranzutreiben. Es ging um die Erfüllung des
Headlinegoal 2010, um den noch rascheren Aufbau der
Kriegsführungsfähigkeiten, um die bessere Zusammenarbeit mit den
Nicht-EU-Mitglieder Türkei, Kroatien und Norwegen sowie um
detaillierte Pläne für die EU-Rüstungsagentur. (Mehr:
https://www.imi-online.de/2005.php3?id=1168 )

In Afghanistan sind wieder einmal KSK-Soldaten im Einsatz ohne dass es
dazu irgendeine offizielle Stellungnahme gibt. Eine Analyse des
KSK-Einsatzes in Afghanistan von Claudia Haydt und Tobias Pflügern
findet ihr in dieser mail.

1) Eskalation in Afghanistan – KSK-Rambos auf dem Vormarsch

Klammheimlich wurden am Pfingstwochenende Voraustruppen des Kommando
Spezialkräfte (KSK) aus Calw nach Afghanistan geschickt. Die
Hauptkräfte werden in den nächsten Tagen folgen, das berichtete
Spiegel-Online am 21. Mai 2005. Ein kleinerer Teil des KSK soll die
ISAF-Truppen im Norden unterstützen während ein größeres Kontingent
die US-amerikanischen Truppen beim Kampf gegen Aufständische im
Grenzgebiet zu Pakistan verstärken soll. Besonders in dieser Region
hat sich die Lage in den letzten Wochen dramatisch zugespitzt. In der
Zwischenzeit gibt es erste Fotos (Die Welt, 25.5.2005) aus
Afghanistan, die belegen, dass die deutschen Elite-Soldaten vor Ort
sind. Die Fotos wurden im US-Luftwaffenstützpunkt Bagram und in Khost,
in der Grenzregion zu Pakistan, aufgenommen. Der Einsatz der
KSK-Soldaten soll mindestens bis zur afghanischen Parlamentswahl im
September – höchstens aber 6 Monate dauern. Offizielle Informationen
zu Art, Ziel und Umfang des Einsatzes gibt es wie immer bei
KSK-Einsätzen nicht.

Das KSK als Regierungstruppe

Formal stützt sich die Bundesregierung auf den am 16.11.2001 nach den
Anschlägen vom 11. September gefassten Bundestagsbeschluss, deutsche
Soldaten im „Krieg gegen Terror“ einzusetzen. Im Rahmen von Enduring
Freedom ist auch der Einsatz von bis zu 100 Spezialkräften möglich.
Die Bundesregierung nutzt diesen Beschluss seither als
Vorratsbeschluss, um je nach politischer Opportunität für wechselnde
Ziele und ohne jede öffentliche Diskussion ihre Elitetruppe zu
entsenden. Das Parlament wird dabei nicht informiert, weder vor und
während noch nach den Einsätzen. Nach § 6 des
Parlamentsbeteiligungsgesetzes (ParlBetG) hat die Regierung zwar eine
Unterrichtungspflicht gegenüber dem Parlament: „(1) Die
Bundesregierung unterrichtet den Bundestag regelmäßig über den Verlauf
der Einsätze und über die Entwicklung im Einsatzgebiet.“ Doch wie
schon bei früheren Einsätzen von Spezialkräften ignoriert die
Bundesregierung diese Vorgaben. Selbst die Obleute der Fraktionen
„kennen den genauen Auftrag und den militärischen Befehl nicht“
(Spiegel – Online, 21.05.2005) Faktisch ist damit das KSK eine Truppe
der Exekutive und auf keinen Fall mehr eine Parlamentsarmee.

Schlechtes Timing

Der von deutschen Elitesoldaten unterstützte „Vormarsch der
Freiheit“(Georg W. Bush, 22.05.05) findet zu einem denkbar ungünstigen
Zeitpunkt statt. Die Öffentlichkeit in Afghanistan ist aufgebracht
über Berichte von Koranschändungen in Guantanamo. Proteste haben
bereits zu massiven Unruhen und Opfern in der Zivilbevölkerung
geführt. Diese Art von „Freiheit“ und „Rechtsstaatlichkeit“ ist für
die afghanischen Bevölkerung erlebbar in Form von willkürlichen
Verhaftungen, Misshandlungen, Folter und Tötungen von Gefangenen in
US-Gefängnissen in Afghanistan. Hier stellt sich in der Tat auch die
Frage nach der Glaubwürdigkeit des „Antiterror-“ und
„Antidrogeneinsatzes“ der KSK-Soldaten.
Mehr als nur schlechtes Timing ist der KSK-Einsatz, wenn wann
berücksichtigt, dass der Hamburger Innersenator Udo Nagel seit Mitte
dieser Woche Zivilisten nach Afghanistan abschieben lässt. Nagel weist
dabei zu Recht darauf hin, dass das kein Hamburger Alleingang ist
sondern lediglich die Umsetzung der Beschlusslage der
Innenministerkonferenz. Es ist also ganz offizielle Bundespolitik,
Flüchtlinge ohne Skrupel in eine Situation abzuschieben, die
militärisch so gefährlich ist, dass die Regierung ihre Elitetruppe
einsetzt. Doch auch ökonomisch ist Afghanistan nicht in der Lage die
Flüchtlinge aufzunehmen. Selbst Basisinfrastruktur wie Wasser- und
Abwasserversorgung ist in Kabul noch längst nicht wieder
flächendeckend hergestellt.

Deutsches Kommando?

Die deutschen Soldaten werden laut Spiegel-Online in ihrem
Einsatzgebiet die „Coordinating Authority“ besitzen und somit die
Ziele weitgehend selbst bestimmen. Diese Feststellung ist irreführend,
denn das Oberkommando für Enduring Freedom liegt nach wie vor beim
US-amerikanischen Central Command. Die KSK-Soldaten die nun im Süden
auf die Jagd nach angeblichen Terroristen gehen, müssen sich im
Zweifelsfall immer nach den Befehlen des CentCom richten. In
begrenztem Umfang können die KSK-Soldaten aber nun offensichtlich über
direkte Kampfhandlungen „direct action“ selbst entscheiden. „Das war
schon immer unser Wunsch“ zitiert die Agentur ddp (26.5.2005)
KSK-Vertreter aus Calw. Noch größere „Entfaltungsmöglichkeiten“
könnten deutsche Soldaten in Zukunft bei einem eigenen deutschen
Besatzungssektor im Norden erhalten – wenn dieser nicht als Teil von
Enduring Freedom geführt wird. Das grundsätzliche Dilemma des Umgangs
mit Gefangenen bleibt aber in jedem Fall bestehen. Auch ohne
Folterskandale gibt es das Problem, dass Gefangenen in den USA die
Todesstrafe droht da sie nicht als Kriegsgefangene behandelt werden
und dass ein Auslieferung in den möglichen Tod gegen deutsches Recht
verstößt. Die „deutschen“ Gefangenen sollen deswegen nun an
afghanische Sicherheitskräfte übergeben werden. Diese „Lösung“ stellt
allerdings ebenfalls ein Problem dar, denn von rechtsstaatlichen
Grundsätzen ist das afghanische Justizsystem noch weit entfernt und
die Todesstrafe gibt es auch dort. Das Foltern und Morden an
afghanische Behörden zu delegieren ist jedoch viel „eleganter“ und
sorgt für wesentlich weniger schlechte Presse.

Absehbares Eskalationsszenario

Es weist vieles darauf hin, dass die Entsendung des KSK ein zentraler
Baustein im Aufbau eines effektiven Besatzungsregimes ist, das sich
auf das gesamte afghanische Territorium erstreckt. Der zukünftige
deutsche Sektor wird sich wahrscheinlich über den gesamten Norden
Afghanistans erstrecken. „Die Aufteilung des Landes in Zonen mit
unterschiedlicher nationaler Zuständigkeit ist verbunden mit einer
Intensivierung des Kampfes gegen den Drogenanbau.“ (Berliner Zeitung,
23.05.2005)

Ziel ist möglicherweise weniger der „Kampf gegen Drogen“ als vielmehr
die Zerstörung der Drogenökonomie, aus der sich der Widerstand in
Afghanistan finanziert. Da der Mohnanbau auch für Teile der
Bevölkerung eine wichtige Einnahmequelle ist, kann sowohl von starkem
Widerstand der Gruppen ausgegangen werden, die am Drogenanbau
verdienen als auch von verstärktem Rückhalt dafür in der Bevölkerung.
Die Befürchtungen des Verteidigungsministeriums, dass „die deutschen
Soldaten dadurch vermehrt zum Ziel von Anschlägen werden können“
(Berliner Zeitung, 23. Mai 2005) sind wohl berechtigt. Die
Unterscheidung zwischen den ISAF „Friedenstruppen“ und den Soldaten,
die im Rahmen von Enduring Freedom Krieg führen, wird vor Ort wohl
kaum vorgenommen werden. Der Einsatz einiger KSK-Soldaten zum „Schutz“
von ISAF-Truppen in Faisabad wird zur weiteren Verwischung der Grenzen
zwischen den verschiedenen Einsätzen sorgen. Dass mit einer Eskalation
der Lage gerechnet wird, zeigen die Pläne die Anzahl der britischen
Truppen von 500 auf 5500 zu erhöhen (Scotland on Sunday, 22.5.2005).
Der britische Einsatzschwerpunkt wird vor allem im Süden liegen. Die
Einsätze der Koalition gegen den Terror in allen Teilen Afghanistans
stehen unter dem Vorzeichen zunehmender Kampfhandlungen. Der Ausbruch
eines offenen Krieges wird dann wohl mehr als 100 deutsche KSK
Soldaten „nötig“ machen.

Die deutsche Regierung lässt sich ganz bewusst auf ein
wahrscheinliches Eskalationsszenario ein. Eine Information oder gar
eine Beteiligung von Parlament und Öffentlichkeit ist nicht vorgesehen.

Claudia Haydt / Tobias Pflüger

2) 10 plus 3 Gründe gegen den EU-Verfassungsvertrag
Beitrag auf der Pressekonferenz von attac Deutschland am 12.05.2005 in
Berlin

Gerade eben hatte ich die Gelegenheit, mir die Debatte im Bundestag
zum EU-Verfassungsvertrag anzuhören, und Gerhard Schröder meinte – ich
zitiere es mal -, in diesem Augenblick möge man „nicht allzu kleinlich
und detailversessen auf den einen oder anderen Halbsatz in diesem oder
jenem Paragraphen des Gesamtwerkes starren, der unseren Erwartungen
vielleicht nicht völlig entspricht“.

Man muss bei diesem Satz, den Gerhard Schröder da gesagt hat, wissen:
er spricht über den europäischen Verfassungsvertrag, von dem Herr
Chirac gesagt hat, er soll für die nächsten fünfzig Jahre gelten. Und
da sollen wir nicht auf die konkreten Ausführungen, die drinstehen,
achten? Das fand ich doch eine sehr problematische Äußerung. Sie zeigt
insgesamt aber auch den Umgang mit diesem Verfassungsvertrag.

Der Militärbereich ist so etwas wie das Rückgrat dieses
Verfassungsvertrages. Deshalb sage ich auch immer, es ist eine
Militärverfasssung.

Es gibt zehn plus drei Gründe, warum wir als Friedensbewegung, als
attac gegen diesen Verfassungsvertrag sind. Diese Punkte ziehen sich
durch den gesamten Verfassungsvertrag durch und sind im Grunde
genommen nicht herausnehmbar, denn wenn man die herausnehmen würde,
würde man das Rückgrat herausnehmen, und dieser Verfassungsvertrag
wäre nicht mehr das, was er jetzt ist.

Der erste Grund für unsere Ablehnung ist der Stellenwert der Außen-
und Militärpolitik in diesem Verfassungsvertrag. Von der EU-Kommission
wird sehr deutlich mitgeteilt, dass die grundlegenden Veränderungen
des Verfassungsvertrages für den Bereich der Außen- und Militärpolitik
gelten. Wir haben gerade im Europäischen Parlament über einen Bericht
abgestimmt, den so Corbett-Mendez-de Vigo-Bericht. In diesem Bericht
wird sehr richtig festgestellt – ich habe gegen diesen Bericht
gestimmt, aber in diesem Bericht wird sehr richtig festgestellt -,
dass die meisten Fortschritte, die die Verfassung gewährt, im Bereich
der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik liegen. Das ist
analytisch völlig richtig, was bedeutet, dass es sich tatsächlich
lohnt, sich die einzelnen Punkte im Konkreten anzuschauen.

Zweitens gibt es diesen berühmten, inzwischen berüchtigten Artikel
I-41(3), in dem es heißt: „Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre
militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“ Ich kriege bei
den Debatten immer wieder mit, dass dieser Artikel von der politischen
Ebene dahingehend beschrieben wird, dass das halt notwendig sei und
man sozusagen die militärischen Kapazitäten angleichen müsse.
Im Gegensatz zu diesen Einschätzungen sind wir als Kritiker mit
denjenigen, die von dem Artikel profitieren, analytisch völlig einig,
nämlich mit der Rüstungsindustrie. Als Abgeordneter im Europäischen
Parlament werde ich inzwischen häufiger von der Rüstungsindustrie
eingeladen – beispielsweise zum Mittagessen -, und bei solchen
Gesprächen wird diese Regelung genauso wie bei uns als
Aufrüstungsverpflichtung verstanden. Die Rüstungsindustrie weiß, was
sie von diesem Artikel hat: er ist eine Aufrüstungsverpflichtung und
soll dafür sorgen, dass die jeweiligen Mitgliedstaaten mehr für
militärische Kapazitäten ausgeben. Dies wird insbesondere für die ost-
und mitteleuropäischen neuen Mitgliedstaaten eine ganze Reihe von
Auswirkungen auch auf die innergesellschaftliche Situation haben.

Drittens: Im EU-Verfassungsvertrag werden im Artikel III-309 die so
genannten Petersberg-Aufgaben, die es bisher schon gab,
festgeschrieben und ergänzt durch weitere militärische Optionen der
Europäischen Union. Der Begriff „Petersberg-Aufgaben“ umfasst so
genannte humanitäre Aktionen bis hin zu Kampfeinsätzen. Die bisherigen
Aufgaben werden ergänzt durch zwei neue Arten von Militäroptionen,
eine davon die so genannten „militärischen Abrüstungsmaßnahmen“.
Dieser Begriff  führt regelmäßig zu Verwirrung, weil logischerweise
niemand weiß, was darunter zu verstehen ist. Im Bericht, über den wir
abgestimmt haben, wird es am besten ausgedrückt, dort heißt es
„Entwaffnungsmissionen“. Ergo: „Entwaffnungsmissionen“ durch Militär,
genauer gesagt: mit militärischen Mitteln sollen andere Staaten
„abgerüstet“ werden.

Unter dieser Aufgabe kann man sich eine ganze Menge vorstellen. Wir
hatten im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlaments dazu eine
Debatte, und in diesem Kontext fielen die Stichworte Mazedonien und
Irak-Krieg.

Der zweite Aspekt, der zusätzlich zu den Petersberg-Aufgaben
eingeführt wird, ist gleichzeitig mein vierter Punkt. Der
Verfassungsvertrag besagt, dass Unterstützung für Drittländer
geleistet wird „bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem
Hoheitsgebiet.“ Das ist völlig neu und bedeutet, dass sich dadurch die
Europäische Union in Konflikten konkret auf eine Seite schlagen und
dabei das bekämpfen kann, was in dem spezifischen Konflikt als
„Terrorismus“ bezeichnet wird. Diese Neuerung ist insofern sehr
wichtig, als dass sie genau der Praxis entspricht, die die USA
durchführt, zum Beispiel auf den Philippinen. Dort sind
US-amerikanische und philippinische Truppen dabei, das zu bekämpfen,
was dort als „Terrorismus“ bezeichnet wird.

Punkt fünf bezieht sich auf die so genannte Rüstungsagentur –
inzwischen hat sie den schöneren Namen Verteidigungsagentur. Diese
Agentur ist ebenfalls für die europäische Rüstungsindustrie von
wesentlicher Bedeutung. Durch sie werden militärische
Beschaffungsmaßnahmen nicht nur koordiniert, sondern auch
administrativ durchgeführt, und das ist neu.

Punkt sechs ist der Artikel I-41(2), der in der französischen Debatte
eine ganz wichtige Rolle spielt. In diesem Artikel wird der NATO eine
Rolle in diesem Verfassungsvertrag eingeräumt, und es wird explizit
darauf Bezug genommen, dass einige EU-Mitgliedstaaten Teil der NATO
sind und dass die EU-Militärpolitik völlig kompatibel sein muss mit
der NATO-Politik. Von meinen häufigen Besuchen in Frankreich in der
letzten Zeit weiß ich, dass das dort ein ganz wichtiger Aspekt ist.
Denn es  bedeutet im Grunde genommen, dass die NATO durch die
Hintertür über diesen Verfassungsvertrag quasi Teil des Ganzen wird.

Der siebente Punkt ist der Artikel III-304, das wurde schon
angedeutet. Wir haben als Europäisches Parlament nach wie vor nur die
Möglichkeit, „Anfragen“ zum Bereich der Außen- und Militär-Politik zu
stellen, und werden „auf dem Laufenden“ gehalten. Eine
Entscheidungsgewalt zu diesem Themenbereich gibt es für uns nicht.

In dem Kontext ist auch der nächste, der achte, Punkt spannend,
Artikel III-376, wonach der Europäische Gerichtshof ebenfalls nicht
zuständig ist für den Bereich der Außen- und Militärpolitik. Der EUGH
hat in diesem Bereich explizit nichts zu sagen und nichts zu entscheiden.

Bei dem neunten Punkt handelt es sich um die so genannte militärische
Solidaritätsklausel, festgeschrieben im Artikel I-43. Dort
verpflichten sich die Mitgliedstaaten dazu, sich bei terroristischen
Angriffen militärischen Beistand zu leisten. Dieser militärische
Beistand geht sogar über den militärischen Beistand der NATO hinaus.

Und – last but not least – die meiner Ansicht nach wichtigste
Neuregelung des Verfassungsvertrages im Militärbereich: die so
genannte „Strukturierte Zusammenarbeit“. Diese Strukturierte
Zusammenarbeit beinhaltet, dass einzelne Mitgliedstaaten der
Europäischen Union – die, wie es so schön heißt, „untereinander
festere Verpflichtungen eingegangen sind“, militärpolitisch
vorausgehen können, und die anderen Mitgliedstaaten haben nur die
Chance einer so genannten konstruktiven Enthaltung. Im Militärbereich,
wo ja weitestgehend das Einstimmigkeitsprinzip gilt, bezieht sich
dieses Prinzip der Einstimmigkeit also bezüglich der Strukturierten
Zusammenarbeit nur auf die Länder, die an dieser Strukturierten
Zusammenarbeit teilnehmen.

Das muss man sich mal vorstellen: Die Europäische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik sieht Battle-Groups – 13 Battle-Groups à 1.500
Soldaten – vor und ein European Rapid Reaction Corps mit 60.000
Soldaten. Wenn dann einzelne Staaten sagen, dass sie gemeinsame
militärische Aktionen durchführen wollen, und wenn sie das Votum vom
Ministerrat bekommen, liegt die Durchführung ausschließlich in den
Händen derjenigen, die an den Aktionen teilnehmen. Die anderen haben
dabei nichts mehr zu sagen, sie können sich nur konstruktiv enthalten.

Das ist so etwas wie die Festschreibung des militärischen Kerneuropas.
Es ist völlig klar, wer diese Option hauptsächlich in Anspruch nehmen
wird: das werden die Großen sein, Deutschland, Frankreich und
Großbritannien. Man hat für diesen Bereich dem EU-Verfassungsvertrag
sogar ein eigenständiges Protokoll angefügt, wo diese Strukturierte
Zusammenarbeit detailliert geregelt ist. Es ist also eines der
wichtigsten Projekte des Verfassungsvertrages. Auch wenn jetzt über
einen Plan B diskutiert wird,  taucht immer diese Strukturierte
Zusammenarbeit als der Teil auf, der anderweitig geregelt werden
müsse. Das zeigt wiederum, wie wichtig dieser Punkt ist.

Warum habe ich am Anfang gesagt: Zehn plus drei Gründe? Weil auch der
Kontext wichtig ist. In Artikel I-6 steht, dass dieser
Verfassungsvertrag für sich in Anspruch nimmt, Verfassungswirkung zu
haben. Das ist für die Rechtswirkung des Verfassungsvertrages ganz
wesentlich. Ein Jurist hat das sehr schön beschrieben, er sagte: es
ist ja eigentlich weder eine Verfassung noch ist es ein normaler
Vertrag zwischen den 25 Mitgliedstaaten. Es ist so eine Art Zwitter.
Aber er wird immer mehr zu einer Verfassung, er entwickelt immer mehr
Verfassungswirkung. Das ist nicht nur für den Militärbereich von
wesentlicher Bedeutung, sondern auch für alle anderen Bereiche. Es
bedeutet insbesondere für die Regelungen im Grundgesetz, dass sie
Stück für Stück überlagert werden durch die Regelungen im
Verfassungsvertrag.

Der zweite Zusatzgrund liegt im EURATOM-Vertrag, welcher eine
Förderung der Atomenergie beinhaltet, er bleibt einerseits als
einziger EU-vertrag außerhalb des EU-Verfassungsvertrages bestehen und
wird andererseits angepasst und Teil des Verfassungsvertrages. Dieser
Punkt hat bisher in der Debatte kaum eine Rolle gespielt und
beinhaltet natürlich auch eine militärische Komponente.

Und als allerletzter Punkt: Die Grundrechte-Charta, die immer so
gelobt wird, der zweite Teil des Verfassungsvertrages, wird durch
Erläuterungen wesentlich wieder eingeschränkt. Artikel II-112 verweist
auf  die 12. Erklärung, wo zu jedem Grundrecht der Charta eine
Erläuterung und wesentliche Einschränkungen stehen. Ein Beispiel, das
sich auf die Frage von Krieg und Frieden bezieht, zeigt, wie mit der
Todesstrafe umgegangen wird. Die Todesstrafe wird in der
Grundrechte-Charta in Artikel II-62(2) explizit ausgeschlossen. Aber
in der Erläuterung wird das Verbot der Todesstrafe in Bezug auf Krieg
oder mögliche Kriegsaktionen und selbst bei Aufständen, wieder so
eingeschränkt, dass es nicht mehr gilt. Ich denke, entweder man
schreibt das Verbot der Todesstrafe fest, oder man lässt es sein. Aber
so eine Öffnung, die sich nicht nur auf Kriege bezieht, sondern auch
auf andere Situationen, ist sehr problematisch.

Politisch zusammengefasst: Dieser EU-Verfassungsvertrag verändert die
Europäische Union – sollte er angenommen werden -, wesentlich,
insbesondere im Bereich der Außen- und Militär-Politik. Damit folgt
die Europäische Union den USA auf dem falschen Weg der
Militarisierung, und damit soll die Europäische Union zu einem
militärisch basierten Global Player werden.

Was wir dagegen wollen, ist eine Europäische Union, die als ziviler
Akteur handelt und nicht genau die gleichen Fehler macht, wie sie im
Bereich der US-amerikanischen Außen- und Militär-Politik passieren.
Deshalb gibt es diesen Aufruf für ein soziales, demokratisches und
friedliches Europa.

Tobias Pflüger

3) Links zu einigen neuen Texten auf der IMI-Homepage

IMI-Analyse 2005/013
10 plus 3 Gründe gegen den EU-Verfassungsvertrag
Beitrag auf der Pressekonferenz von attac Deutschland am 12.05.2005 in
Berlin
https://www.imi-online.de/2005.php3?id=1171
25.5.2005, Tobias Pflüger

IMI-Standpunkt 2005/033 – in: Junge Welt vom 26.05.2005
Europäische Visitenkarten
EU-Verteidigungsminister beschlossen Verhaltenskodex für
Militärinterventionen
https://www.imi-online.de/2005.php3?id=1172
26.5.2005, Tobias Pflüger

IMI-Standpunkt 2005/032
Rede von Tobias Pflüger in Mittenwald, 14. Mai 2005
https://www.imi-online.de/2005.php3?id=1170
23.5.2005, Tobias Pflüger
IMI-Standpunkt 2005/031
EU-EURATOMsponsoring
Kritik an 7,3 Mio Euro EURATOM-Forschungsgelder für das EU-
„Endlager“-Projekt in Bure, am geplanten atomfreundlichen neuen 7.
EU-Forschungsrahmenprogramm und an der Einbindung des
EURATOM-Vertrages in den EU-Verfassungsvertrag
https://www.imi-online.de/2005.php3?id=1169
23.5.2005, Tobias Plüger

IMI-Standpunkt 2005/030
Auf EU-Ministergipfel: Militarisierung wird weiter vorangetrieben –
Moratorium beim Aufbau der Rüstungsagentur gefordert
https://www.imi-online.de/2005.php3?id=1168
23.5.2005, Tobias Pflüger

IMI-Standpunkt 2005/029
Seid ‚kleinlich‘ und ‚detailversessen‘ – NEIN zu diesem
EU-Verfassungsvertrag!
https://www.imi-online.de/2005.php3?id=1167
12.5.2005, Tobias Pflüger

CONSTITUTION WATCH: EU-Verfassungsvertrag – Nr. 5 – 05.05.2005
Die Behauptung: Ständige Verbesserung der EU-Verfassung möglich
https://www.imi-online.de/2005.php3?id=1166
5.5.2005, Tobias Pflüger

IMI-Standpunkt 2005/028
Redebeitrag zu EURATOM und EU-Verfassung auf der Demo in Obrigheim am
24. April 2005
https://www.imi-online.de/2005.php3?id=1163
28.4.2005, Markus Pflüger

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