Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2004/014 - in: AUSDRUCK - Das IMI-Magazin (Juni 2004)

Militarismus, Besatzung und Folter

Uwe Reinecke (07.06.2004)

http://imi-online.de/download/IMI-Analyse-2004-14UR-Folter.pdf

„Außer Kontrolle geraten“ oder „schreckliche Einzelfälle“ lauten die empörten Reaktionen auf die Folter-Bilder aus dem Irak. Sollten diese Äußerungen ehrlich gemeint sein, kann man nur über die daraus sprechende große Naivität entsetzt sein.
Die Folterungen im Irak durch US-amerikanische (und britische) SoldatInnen sind zu einem Einzelfall geworden, weil sie schnell öffentlich wurden. Das Bekanntwerden der Bilder ist der Einzelfall, nicht die Folter selber. Eine zivile Kontrolle der Militärs findet sowieso nicht statt.
Die nächste Stufe in der veröffentlichten Meinung geht schon in eine andere Richtung. Von „umstrittenen Verhörmethoden“ oder „harten Verhörmethoden im Kampf gegen den Terror“ ist nun die Rede. Gleich danach wird erklärt, dass das was geschehen ist, eben keine Folter sei. Schlafentzug und Dauerverhöre seien doch verständlich und geradezu notwendig. Schließlich müssten sich die Soldaten (Besatzer und Angreifer) doch vor „Angriffen“ schützen und über diese vorher Erkenntnisse einbringen. Ohne Konsequenzen verhallt so die offizielle Empörung über die Folter-Bilder aus dem Irak. Hierdurch wird nicht nur systematisch ausgeblendet, dass Folter grundsätzlich und unter allen Umständen menschenverachtend ist, sondern auch gezielt versucht, den grundsätzlichen Zusammenhang zwischen Militarismus und Folter zu verwischen, der sich nun am Beispiel Irak bestätigt hat, aber ebenso auch für die Bundeswehr gilt.

Verhörmethode?

Zunächst ist über Folter allgemein aufzuklären: Folter ist nicht neu. In wohl allen Kulturen kam/kommt sie vor. Folter ist ein Machtinstrument und hat immer die bewusste Demütigung des Gefolterten zum Ziel. Folter ist physische oder psychische Gewalt, die von staatlichen Stellen oder in deren Auftrag ausgeübt wird.
Von „Verhörmethoden“ zu sprechen, ist die Fortsetzung der Folter durch die Öffentlichkeit. Nimmt man doch mit diesem Wort das vorgebliche Motiv des Täters/der Täterin auf.
In der Geschichtsforschung über die Hexenprozesse ist es unstrittig, dass die unter Folter erpressten Geständnisse unsinnig waren. Frauen haben beispielsweise gestanden, mit dem Teufel Sex-Orgien gefeiert und eine Verschwörung gegen ihre Stadt vereinbart zu haben oder sie hätten angeblich die Ernte verflucht. Die perversen Sex-Phantasien der Folterer sind wahrscheinlich das einzig Wahrhafte an solchen Geständnissen, denn diese Aussagen wurden den Gefolterten von den Folterern in den Mund gelegt.
Wie kann man also heute noch davon ausgehen, dass unter Folter gegebene Informationen und Geständnisse irgend einen relevanten, also verwertbaren, Wahrheitsgehalt haben?
Um die Haltlosigkeit der Folter-Rechtfertigungen zu erkennen, reichen die zahlreichen Berichte von „amnesty international“ aus. Diese Berichte verdeutlichen, dass die Folterer oft nach dem selben Muster vorgehen. Das System der Folter funktioniert so „gut“, weil die Folterer auf ihre Aufgaben vorbereitet werden. Sie werden schlecht bezahlt und ihrerseits ständig von ihren Vorgesetzten schikaniert und gedemütigt. Diese Erniedrigung geben sie nach „unten“ weiter. Die BefehlshaberInnen befehlen nur selten die Folter direkt. Dieses System arbeitet automatisch und ist der Normalzustand in Befehlsketten. Eine spezielle Ausbildung zum Foltern ist nicht nötig.

Militarismus und Folter

Nach diesem Muster sind Armeen aufgebaut. Militarismus führt zwangsläufig zu Mord und Folter. In der „Ausbildung“ von SoldatInnen gibt es einen kurzen Spruch, der das beschreibt: „drill to kill!“ Die „AusbilderInnnen“ sollen die Hemmschwellen senken. Das Angreifen und Töten soll automatisch gehen, auf Befehl eines „Kameraden“. Eigenes Denken und Abwägen ist nicht erwünscht und werden aberzogen. Das Anonymisieren durch Uniformen steigert die Enthemmung.
Hinzu kommt, dass im Falle eines Krieges der „Feind“ systematisch entmenschlicht wird. Er ist Terrorist oder ungesetzlicher Extremist und Vergewaltiger. Das überfallene Land ist kulturlos und rückständig. Man selber aber ist gut und bringt Freiheit und Demokratie. Probleme im eigenen Land werden so verdrängt oder herunter gespielt. Ein schwarzer US-Sportler wollte nicht nach Vietnam in den Krieg und sagte trotzig: „Noch kein ‚Vietkong’ hat mich je ‚Nigger’ geschimpft!“
Nur Wenigen gelingt es, die Propaganda-Maschinerie zu durchbrechen.
Die Struktur der Armeen und die Kriege sind es, die die Menschen „verrohen“ lassen. Folter kommt besonders in besetzten Gebieten vor. Während der ersten Phase eines Krieges – also der Kampfhandlungen – ist für Folter weniger Zeit. Zerstören, Meucheln und Plündern bilden diese Phase. In der zweiten Phase verbleiben die SoldatInnen für einen längeren Zeitpunkt an einem Ort. Fern der Heimat und der Familie, stationiert bei gerade den Menschen, denen vorher von den Vorgesetzten stets das Menschsein abgesprochen wurde. Der Dienstfrust entlädt sich nun an den wehr- und schutzlosen Menschen. Das ist geplante und organisierte Besatzungsstrategie.

Bundeswehr und Folter

Der Zusammenhang zwischen Militarismus und Folter gilt dabei für die Bundeswehr ebenso wie für US-Armee. Anschaulich und interessant sind dazu zwei Zitate:
a) ein Rundfunkbericht zur Bundeswehr von „NDR 4“ vom 19.04.1996:
„Ein anderes Prob

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lem beim Bosnien-Einsatz ist neben der Auswahl der Teilnehmer die Ausbildung selbst. Die klassische Situation des Soldaten, sein Leben zu riskieren und das anderer zu zerstören, war für die Bundeswehr jahrzehntelang nur Theorie.“
und b) die „Westfälische Rundschau“ vom 11.11.1997:
„Nach den Enthüllungen von Gewaltvideos haben katholische Militärpfarrer die Vorbereitungen der Bundeswehr auf Auslandseinsätze als Nährboden für rechtsextreme Vorfälle bezeichnet. Der Ernstfall ändere das Bewusstsein der Soldaten und ziehe ein anderes Spektrum von Wehrpflichtigen an … Rechtes Gedankengut trete nicht als 'Krankheit' beim Auslandseinsatz auf, sondern bilde sich vielmehr bei den Vorbereitungsübungen im Inland. Soldaten der Krisenreaktionskräfte, die z.B. tagelang Kampfsituationen nachstellten, sähen sich schnell als Kriegsteilnehmer wie ihre Großväter in der Wehrmacht.“
Die angesprochenen Gewaltvideos haben Bundeswehr-Soldaten in Hammelburg angefertigt. Sie „spielten“ Vergewaltigungen und filmten einander dabei. In der Äußerung der Militärbischöfe geht es zwar konkret um rechtsextremes Handeln in der Bundeswehr, aber der von den Militärseelsorgern erkannte Mechanismus der zwangsläufigen Bewusstseinsänderung ist wesentlich und auf Folter zu übertragen. Die Militärseelsorge zieht daraus zwar nicht die einzig richtige Konsequenz, aber immerhin schreibt sie ehrlich, was Militärausbildung bedeutet.
Alle in dem Fall verwickelten Soldaten sollen aus der Ex-DDR – genauer Sachsen – stammen. Wichtig zu wissen ist allerdings, dass die Vorgesetzten selbstverständlich alle Alt-BRDler sind und das unwürdige Treiben über Wochen gewusst und geduldet hatten. Einer der Vorgesetzten war der damalige Oberst und spätere KSK-General Günzel. Dieser musste bekanntlich wegen seiner öffentlich gewordenen Zustimmung zu antisemitischen Äußerungen des CDU-Bundestagsabgeordneten Hohmann den Posten beim KSK aufgeben. Seine Verstrickung in den Fall Hammelburg scheint seiner Beförderung und seiner Führungsaufgabe im KSK offenbar keinesfalls geschadet zu haben.
Das sagt sehr viel über das Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw aus, das in Afghanistan keine eigenen Gefangenen machte, sondern diese den USA übergab. Die US-Army verfrachtete diese Menschen mit Wissen der Bundeswehr zum Foltern nach Guantánamo.
Foltervorwürfe gegen bundesdeutsche Stellen werden gerne auf die verflossene DDR geschoben. Erst kürzlich wurden Folter-Vorwürfe aus der Justizvollzugsanstalt Brandenburg bekannt. Dort sind JVA-Bedienstete nachweislich mehrmals vermummt in Gefängniszellen eingedrungen und haben die Häftlinge verprügelt. In den einschlägigen Fernsehberichten wurde stets darauf verwiesen, dass viele der Bediensteten noch zu DDR-Zeiten in den Staatsdienst übernommen wurden. Eine eventuelle damalige Stasi-Mitarbeit werde jetzt erneut und gründlicher überprüft, heißt es nun. Die Bundesrepublik kann sich aber 14 Jahre nach der Vereinigung nicht einfach auf eine unterstellende DDR-Vergangenheit einzelner Leute berufen. Unsere bundesrepublikanische Gesellschaft ist jetzt und hier von Gewalt geprägt und allein für diesen Zustand verantwortlich. Die jährlichen Berichte des „Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages“ weisen schon in den 1970er und 1980er Jahren sehr viele Vorfälle vom schikanösen und menschenverachtenden Verhalten nach. Dafür die DDR verantwortlich machen zu wollen, ist unsinnig. Die dokumentierte Menschenverachtung ist bundeswehrimmanent. Untersuchungen weisen nach, dass menschenverachtendes Gedankengut in der Bundeswehr durch den Umbau zur Interventionsarmee zugenommen hat.

Folterlegitimation durch deutsche Politiker

Ferner bestürzend ist die verhaltene Reaktion auf offene Folterrechtfertigungen in der bundesdeutschen Wissenschaft und Politik. Der Bundeswehr-Professor Michael Wolffsohn darf selbstverständlich seinen Lehrstuhl an der Bundeswehruniversität München behalten. Dass er Folter für legitim hält, darf er nur „privat“ an der Uni äußern. Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Friedbert Pflüger erklärt, dass beim Kampf gegen Terroristen „Täterschutz nicht höher sein darf als Opferschutz. Die EU-Menschenrechtskonvention müssen wir ändern.“
Wichtig bei seinen Überlegungen ist, dass die von ihm vorverurteilten „Terroristen“ zunächst nur „Verdächtige“ sind. Die demokratische Gesinnung der Verdächtiger und die Grundlage der Verdächtigungen sind allerdings in Zweifel zu ziehen. Ferner vergisst Friedbert Pflüger, dass „seine“ Terroristen im Falle der Folter „zu schützende Opfer“ und die Folterer die seiner Meinung nach „weniger zu schützenden Täter“ sind. Diesen Widerspruch erkennt die deutsche Öffentlichkeit nicht und nickt zustimmend bei den menschenverachtenden Äußerungen eines Bundestagsabgeordneten. Die Menschenrechts-Konventionen müssen nicht geändert, sondern beachtet und geschützt werden.
Die TäterInnen sind zu bestrafen. Also alle, die für solche Militärstrukturen und für Krieg und Besatzung verantwortlich sind. Das schließt die deutsche Regierung mit ein.
Die Opfer sind zu entschädigen. Es braucht eine internationale gerichtliche Aufarbeitung aller Foltervorwürfe. Kriege und Besatzungen sind sofort zu beenden. Die Gesellschaft muss sich zivilisieren und vom Militarismus befreien.

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