Pressebericht - in: Radio Z, 31.05.2004

Gegen die Traditionspflege der Gebirgsjäger

Bericht von den Aktivitäten gegen das alljährliche Gebirgsjägertreffen in Mittenwald

von: Maike Dimar / Radio Z / Pressebericht / Dokumentation | Veröffentlicht am: 1. Juni 2004

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von Maike Dimar

Radio Z, Nürnberg 95,8 MHz

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Der kleine Gebirgsort Mittenwald, am Fuß der Alpen, Pfingsten. Seit 1952 feiert hier der „Kameradenkreis der Gebirgsjäger“. Dabei: alte Wehrmachtsoldaten, Bundeswehrler, VertreterInnen aus Militär und Politik.

Seit 3 Jahren erhalten sie unliebsamen Besuch. Der „Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege“und die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes reiben den Gebirgsjägern deren Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs unter die Nase. Sie protestieren und zerren verschwiegene Wahrheiten ans Licht der Öffentlichkeit.

Auch dieses Jahr wurde in Mittenwald wieder demonstriert, schilderten Überlebende von Massakern ihre Erlebnisse.

Maike Dimar war dabei:

SKRIPT:
Es wird ein unruhiges Pfingstwochenende werden, raunt man sich hinter vorgehaltener Hand in Mittenwald zu. Wieder soll die Feier der Gebirgsjäger gestört werden. Angekündigt hatten sich Gegenaktivitäten schon im Vorfeld: das Denkmal für ihre „Kameraden“ war besprüht worden, die EinwohnerInnen fanden den „Mittenwalder Landboten“ in ihren Briefkästen. Ausführlich darin geschildert: die Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger.

Doch zunächst mussten die DemonstrantInnen zum Kundgebungsort kommen. Überall Vorkontrollen der massiv vertretenen Polizei. Mit einiger Verzögerung beginnt die Kundgebung am Samstag vormittag im bayerischen Mittenwald, Ulrich Sander vom VVN-BdA:

O-Ton

Seit Jahrzehnten ehrt der „Kameradenkreis der Gebirgstruppe“ seine gefallenen „Helden“, verliert kein Wort über die Verbrechen und die Opfer. An 50 Orten verübten die Gebirgsjäger Verbrechen, Massaker an der Bevölkerung, haben HistorikerInnen nachgewiesen. Kein einziger wurde wegen Kriegsverbrechen aus dem Traditionsverband ausgeschlossen. Eine fragwürdige Traditionspflege, meinen die Protestierenden – und Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung geht noch einen Schritt weiter in die gegenwart:

O-Ton

Die Demonstration, nach Angaben der VeranstalterInnen fast 600 Menschen, erregt Aufsehen: die Leute stehen vor ihren Läden, PassantInnen bleiben stehen, AnwohnerInnen lehnen am Gartenzaun. Die Gesten der meisten sind eindeutig: sie zeigen den DemonstrantInnen den Vogel, schütteln den Kopf, einer stützt sich demonstrativ auf einen Axtstiel – neben einer Reihe Fahnen im Vorgarten.

Was sie vom Treffen der Gebirgsjäger und den Gegenaktivitäten halten?

O-Ton

Vornehme Zurückhaltung allenorten.

O-Ton

Das höchste der Gefühle: lavieren zwischen vorsicht

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iger Zurückhaltung und leiser Zustimmung:

O-Ton

Ein Zweck des „AK Angreifbare Traditionspflege“, auf die Verbrechen der Gebirgsjäger zumindest aufmerksam zu machen, Denkprozesse in Gang zu setzen, doch erreicht?

Doch andere zeigen sich unbelehrbar und pöbeln rum. Aufnahmen am Rande der Demo:

o-Ton

Doch als sich Stephan Stracke vom „AK Angreibare Traditionspflege“ einmischt und ihm historisches Faktenwissen entgegenhält, wird er unsicher – und wird ausfällig.

O-Ton

Nichts gesehen, nichts gehört, nicht dabei. Und ein Anderer springt ihm bei und glänzt mit stichhaltigen Argumenten:

o-Ton

Bei der Zwischenkundgebung wird eine provisorische Gedenktafel, die an die Opfer der Gebirgsjäger, erinnert, angebracht. Doch sie hält nicht lang: wenige Minuten nachdem der Demozug weiterzieht, zertreten Jugendliche die Tafel.
Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, im Laufe des Tages wandern mehrere Menschen in „Unterbindungsgewahrsam“, wie es heißt.

O-Ton

Auseinandersetzungen mit einem Mittenwalder musste Ernst Grube, Überlebender des KZ Theresienstadt und beim VVN-BdA erleben:

O-Ton

Grubes erste Reaktion: Er könne es kaum fassen und ist geschockt:

O-Ton

Grubes Gefühl täuscht ihn nicht: Die Veranstaltung mit ZeitzeugInnen, mit Überlebenden von Massakern und Widerstandskämpfern ist an den Stadtrand verbannt, Interesse von MittenwalderInnen:? Fehlanzeige!
Besonders beeindruckend: der Bericht des jüdischen Partisan Jacob Baruch Szmulewicz :

O-Ton

Am Sonntag dann: die leicht abgespeckten Feierlichkeiten der Gebirgsjäger. Der öffentliche Druck scheint kleine Früchte zu tragen. Dieses Jahr keine offiziellen Redner der Bundeswehr, auch der prominenteste Redner der letzten Jahre und langjähriges Mitglied des Traditionsverbandes, Edmund Stoiber lässt sich nicht blicken. Die Musikkapelle der Bundeswehr, die mal ab- und wieder zugesagt hatte, spielt aber doch. Ernst Coqui, Präsident des „Kameradenkreis der Gebirgsjäger“ spricht von Kriegsverbrechen, allerdings seien sie Reaktionen auf Partisanenaktionen gewesen.

DemonstrantInnen, die versuchen, die Straße zu der Feier zu blockieren, werden kurzzeitig eingekesselt, einige der Festgenommenen vom Samstag kommen erst Sonntag mittag wieder auf freiem Fuß.

Dennoch, der Druck auf die Gebirgsjäger, auf Politik und Bundeswehr wächst.
Erste Prozesse gegen Gebirgsjäger sind in Kürze zu erwarten. Und die Anzahl der Teilnehmer an der Feier schrumpft – wohl nicht nur altersbedingt – jedes Jahr.

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