Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2004/014 - zugleich Presseerklärung

Erklärung zum 20. März, dem ersten Jahrestag des Angriffs auf den Irak

Tobias Pflüger (19.03.2004)

von Tobias Pflüger *

Am 20. März ist der erste Jahrestag des Beginn des Irakkrieges. Wir erinnern uns: Trotz gigantischer weltweiter Proteste begannen am 20.03.2003 Truppen der USA und Großbritanniens einen Angriffskrieg gegen den Irak. Die verschiedenen Kriegsbegründungen haben sich – wie Gruppen der Friedens- und Antikriegsbewegung schon vor Kriegsbeginn immer wieder betont haben – erwartungsgemäß als Lügen herausgestellt: Es gibt keine Massenvernichtungswaffen im Irak und das Regime von Saddam Hussein hatte nichts mit den Anschlägen vom 11. September zu tun.

Wir von der Informationsstelle Militarisierung haben vor, während und nach der Bombenphase des Irakkrieges auch immer wieder die deutsche Doppelstrategie beim Irakkrieg kritisiert und analysiert.

Die rot-grüne Doppelstrategie zeichnete sich einerseits aus durch umfangreiche, grundgesetz- und völkerrechtswidrige Kriegsunterstützung u.a. durch Zurverfügungstellung der in Deutschland befindlichen v.a. us-amerikanischen und britischen militärischen Infrastruktur (insbesondere Rhein-Main-, Ramstein- und Spangdahlem-Airbases), Überfluggenehmigungen, Wachdiensten vor US-Kasernen und Stationierung von deutschen Soldaten in Kuwait und in den AWACS-Überwachungsflugzeugen über der Türkei. Die Bundeswehr entlastete zugleich us-amerikanische Truppen in Afghanistan substanziell. Der Irakkrieg wurde dadurch wesentlich mit ermöglicht.

Andererseits erklärte die deutsche Regierung keiner kriegsunterstützenden UN-Resolution zustimmen zu wollen und sie startete vor allem zusammen mit der französischen Regierung gemeinsame Initiativen für eine weitere Herausbildung einer Militärmacht Europäischen Union (EU), die nicht nur, aber eben auch, gegen die Interessen der US-Regierung gerichtet sind.

Diese deutsche Doppelstrategie vor und während der Bombenphase setzt sich nun in der Besatzungsphase fort. Die deutsche Regierung hat allen UN-Resolutionen, die die Besatzung zementieren, zugestimmt, auch der, in der die Übergabe der Souveränität auf den Sankt Nimmerleintag verschoben wird („dann, wenn es möglich ist“). Die deutsche Regierung hat sich auf die Seite der völkerrechtswidrigen Besatzer geschlagen und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch deutsche Besatzungssoldaten auch im Irak stehen werden. Der Übergangsschritt dazu wird die Übernahme einer Besatzungszone im Irak durch die NATO. Die Bundesregierung hat erklärt, dieses nicht blockieren zu wollen. Als Truppen für diese NATO-Besatzungszone sind die Allied Rapid Reaction Corps (ARRC) aus Mönchengladbach und das deutsch-niederländische Korps aus Münster im Gespräch, beide Truppen haben wesentlich deutsche Soldaten in ihren Stäben. Damit wäre Deutschland in die Besatzung des Irak involviert. Wir als Informationsstelle Militarisierung wiederholen noch einmal die Forderung, keine deutsche Soldaten in den Irak zu schicken oder in die Besatzung des Irak zu involvieren.

Der Aktionstag am 20. März – ausgerufen vom Weltsozialforum in Mumbai (Bombay) in Indien – richtet sich bewusst gegen Krieg und Besatzung. Die Besatzung des Irak bedeutet für viele Menschen dort neues Leid und das Ausgeliefertsein gegenüber Willkürherrschaft. Wir von der Informationsstelle Militarisierung fordern deshalb ganz klar ein Ende der völkerrechtswidrigen Besatzung und der ökonomischen Ausraubung des Irak. Der Vorschlag, den Arundhati Roy in ihrer brillanten Rede in Mumbai gemacht hat, zwei US-Konzerne zu boykottieren, die von der Kriegsmaschinerie profitieren, ist gut, allerdings ist eine Konzentration ausschließlich auf US-Konzerne politisch falsch. In Kommunikation mit attac (Sven Giegold u.a.) wurde deshalb die Idee geboren, statt zwei US-Konzernen, auch einen EU-Konzern mit in eine politische Boykottkampagne mit einzubeziehen. Wir schlagen hiermit in Absprache mit dem Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) München (Claus Schreer u.a.) vor, eine Boykottkampagne gegen den Konzern Siemens zu beginnen. Siemens ist einer der wichtigsten deutschen Kriegsprofiteure (Nähere Informationen beim isw oder unter https://www.imi-online.de/2004.php3?id=844 ).

Nach dem brutalen Anschlag von Madrid am 11. März und den Vertuschungen erster Ermittlungsergebnisse und einseitiger Schuldzuweisungen Richtung ETA durch die bisherige konservative Regierung Aznar gewann die bisher oppositionelle sozialistische Partei die Wahlen. Ein Wahlversprechen des designierten Regierungschefs Zapatero war der Abzug der spanischen Besatzungstruppen aus dem Irak. Wir begrüßen den geplanten Abzug als Informationsstelle Militarisierung ausdrücklich. Wir kritisieren zugleich die völlig inakzeptable Position der deutschen Regierung, die sich irritiert zeigte, über das beabsichtigte Erfüllens des Wahlversprechens der Sozialisten, die spanischen Besatzungssoldaten abzuziehen.

Der erste Dominostein der Besatzung ist gefallen, nicht etwa wegen der Anschläge, sondern weil ein schon vor dem Anschlag von Madrid gegebenes Wahlversprechen erfüllt werden soll und weil es richtig ist die Souveränität im Irak Stück für Stück in Zusammenarbeit mit der UN an eine zu wählende irakische Regierung zu übergeben. Bei dem Erfüllen des Wahlversprechens muss es nun aber auch bleiben. Wir begrüßen ebenfalls die – inzwischen wieder dementierte – Ankündigung des polnischen Präsidenten Alexander Kwasniewski die polnischen Soldaten früher als geplant aus dem Irak abzuziehen. Wir begrüßen weiterhin, dass sich die südkoreanische Regierung nun weigert, 3.000 Soldaten bei Kirkuk zu stationieren.

In Deutschland wurde der Anschlag von Madrid genutzt, um wieder einmal einen verschärften Einsatz der Bundeswehr im Innern einzufordern. Der bayrische Innenminister Beckstein versucht sich hier auf dem Rücken der Toten von Madrid politisch zu profilieren. Ein Bundeswehreinsatz im Innern ist und bleibt politisch falsch und vermischt polizeiliche und militärische Aufgaben. Die rot-grüne Bundesregierung agiert hier doppelzüngig: Offiziell lehnt sie einen Bundeswehreinsatz im Innern noch ab, gleichzeitig ist genau dieser in den von rot-grün verabschiedeten „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ von 2003 als dem verbindlichen Strategiepapier für die Bundeswehr festgehalten worden. Dort heißt es: „Zum Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen wird die Bundeswehr Kräfte und Mittel entsprechend dem Risiko bereithalten. Auch wenn dies vorrangig eine Aufgabe für Kräfte der inneren Sicherheit ist, werden die Streitkräfte im Rahmen der geltenden Gesetze immer dann zur Verfügung stehen, wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen oder wenn der Schutz der Bürgerinnen und Bürger sowie kritischer Infrastruktur nur durch die Bundeswehr gewährleistet werden kann.“ Was nichtterroristische „asymmetrische Bedrohung“ sein soll, ist bis heute offen geblieben.

Die Forderungen nach einem Bundeswehreinsatz im Innern war auch schon bei der Debatte um die Regierungserklärung zur Bundeswehr von Peter Struck gefallen. In dieser Debatte hatte Struck das neue Bundeswehrkonzept vorgestellt, nach dem es in Zukunft 35.000 Eingreifkräfte (für militärische Interventionen), 70.000 Stabilisierungskräfte (für von anderen Ländern entweder gewollte, unterstütze oder abgelehnte Besatzungen) und 137.500 Unterstützungskräften. Das Bundeswehrkonzept von Peter Struck ist das bisher ehrlichste Bundeswehrkonzept, denn nun werden Truppen für Kriegsführung, „Stabilisierung“ bzw. Besatzung und Unterstützungskräfte für diese Truppen vorgehalten. Die politische Forderung ist weiterhin klar: Auflösung der kriegsführungsfähigen Einsatzkräfte als ersten Schritt hin zu einer strukturellen Kriegsführungsunfähigkeit.

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