IMI-Standpunkt 2004/012 - Pressebericht - in: Bezirksbühne, Zeitung der PDS Charlottenburg-Wilmersburg

Schröder und Fischer nicht besser als Bush und Blair

Fragen an Tobias Pflüger zum Irak-Krieg ein Jahr danach. Und zu den zwei Seiten der sozialen Medaille

von: Natalie Rottka / Pressebericht / Interview Bezirksbühne / Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 10. März 2004

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Irakkrieg, Genfer Konvention, Guantanamo… Ist die USA-Regierung überhaupt willens mit der Weltgemeinschaft auf Basis des Völkerrechts zu kooperieren?

Die derzeitige US-Regierung gebärdet sich offen als einzige Weltmacht – und das ist nachlesbar in der National Security Strategy (NSS) – sie nehmen sich heraus, auf ihren Verdacht hin, Krieg gegen andere Staaten zu führen. Das sogenannte Präventivkriegskonzept ist das schlimmste Element der Bush-Politik. Eine US-Regierung unter John Kerry würde dies nur leicht abschwächen, es würde wieder mehr „abgesprochen“ werden, wann gegen wen Krieg geführt werden wird.

Einseitige Kriegsenderklärung durch die USA; ständige Meldungen über Attentate, tote Zivilisten und Soldaten. Ist ein Ende des Krieges absehbar?

Der Krieg im Irak wird leider noch sehr lange dauern. Die Bombenphase wurde durch die Besatzungsphase abgelöst – diese scheint noch tödlicher zu sein, für die Besatzer aber auch für die Zivilbevölkerung (vgl. http://www.occupationwatch.org). Eine Voraussetzung für das Ende des Krieges ist ein sofortiges Ende der Besatzung durch die alliierten Truppen und die Übergabe an eine gewählte irakische Regierung.

Der Krieg gegen den Irak war unrechtmäßig, die Besatzung des Irak ist es auch. Mich ärgert besonders, dass die deutsche Regierung alle UN-Resolutionen, die eine Zementierung und Legalisierung der Besatzung bestätigen, unterstützt hat: U. a. dass die Hoheit über den Irak an eine irakische Regierung gegeben werden soll, „so bald, wie dies machbar ist.“ Wann dies sein soll, steht allerdings in den Sternen.

Nun sieht es sogar danach aus, dass auch deutsche Soldaten involviert sein werden: In den Stäben der derzeit diskutierten NATO-Korps für den Irak, dem Allied Rapid Reaction Corps (ARRC) aus Mönchengladbach und des deutsch-niederländischen Korps aus Münster sitzen sehr viele deutsche Soldaten. Schröder setzt damit seine bisherige Linie fort: Gegen den Irak-Krieg reden und alles dafür tun, damit er funktioniert.

Pulverfass Naher Osten: Palästina-Konflikt, vermeintliche Schurkenstaaten… Sind die USA und die EU noch ernstzunehmende Vermittler?

Nein, sowohl die USA als auch die EU sind nicht Vermittler, sondern agieren fast nur nach ihren eigenen geopolitischen Interessen. Am offensichtlichsten wurde das bei den gescheiterten WTO-Verhandlungen im mexikanischen Cancun. Dort haben EU, USA und Japan mit ihrem Einfluss in den WTO-Gremien gemeinsam ihre Handelsvorstellungen gegen die sogenannten Entwicklungsländer versucht brutal durchzusetzen.

In Bezug auf den Konflikt Israel/Palästina sind sowohl die derzeitige US-Regierung als auch innerhalb der EU insbesondere die rot-grüne deutsche Regierung – und dort vor allem Joschka Fischer – diejenigen, die die israelische Regierung unter Ariel Scharon immer wieder bei ihrer brutalen Besatzungspolitik stützen. Auf Initiative der UN-Vollversammlung war jetzt die Anhörung zur israelischen Trennungsmauer in palästinensischem Gebiet beim internationalen Gerichtshof in Den Haag. Die deutsche Regierung behauptete, dass allein die Anhörung über die Trennungsmauer die Umsetzung der Road Map gefährde.

Nur alle wissen, das Gegenteil ist der Fall: Mit der Trennungsmauer wird es keine Road Map mehr geben. Damit stützt die deutsche Regierung den Mauerbau in Palästina. Und sie arbeitete gegen das Recht der UN-Vollversammlung, den internationalen Gerichtshof anzurufen, um eine (unverbindliche!) juristische Stellungnahme zu erbitten. Selbst dieses Recht wird nun der UN-Vollversammlung von den reichen und einflussreichen Staaten abgesprochen, allen voran von den USA und Deutschland.

Setzen sich Schröder und Fischer mit ihren Vorstellungen von europäischer Sicherheit und Terrorismusbekämpfung entscheidend von Bush und Blair ab?

Nein. Es gibt Unterschiede, diese sind aber inzwischen rein quantitativer Natur. Die Bundeswehr wird weiter zur Interventionsarmee umstrukturiert. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien schaffen dazu die strategischen Voraussetzungen. Wenn ich die verabschiedete Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) lese, dann ist diese offensichtlich an der NSS angelehnt, unterscheidet sich nur im Duktus. Aber: „Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen.“ Das ist nichts anderes als wenig verklausuliert das aus der National Security Strategy der USA bekannte „Präventivkriegskonzept“, nur diesmal für die EU.

Hat die Friedensbewegung gemeinsam mit den welt- und europaweiten sozialen Bündnissen eine Chance gegen Militarisierung und ihre sozialen Folgen?

Ja, natürlich. Das Wissen um die Kriegslügen des Irakkrieges sind inzwischen Allgemeingut. Warum der Krieg geführt wurde, wissen auch alle: Es ging um Neuordnung der Region und um Zugang zu Öl. Der Hauptansatz von Friedens-, Antikriegs- und globalisierungskritischer Bewegung weltweit muss es sein, zuerst gegen das Agieren der eigenen Regierung und dann gegen das Agieren aller westlichen Regierungen politisch vorzugehen.

Die inhaltliche Hauptaufgabe hierzulande muss es meiner Ansicht nach sein, den Zusammenhang deutlich zu machen: Das Sozialabbauprogramm Agenda 2010 habe, so sagte Schröder 2003, direkt etwas zu tun mit dem, was er „Emanzipation Europas“ nennt, sprich der Herausbildung einer Militärmacht Europäische Union: Sozialabbau und Militarisierung, neoliberale und neoimperiale Politik sind also zwei Seiten einer Medaille. Die Aktionstage am 20. März, 2./3. April und am 9. Mai sollten dies deutlich machen.

Wir müssen eine grundlegend andere Politik einfordern, eine, die sich nicht gemein macht mit dieser falschen, die auf Kosten der Menschen im Süden geht.