Pressebericht - in: junge Welt vom 11.02.2004

Europa rüstet sich

Großbritannien und Frankreich bauen gemeinsame Eingreiftruppe auf. Deutschland über Pläne informiert

von: Rüdiger Göbel / junge Welt / Pressebericht / Dokumentation | Veröffentlicht am: 11. Februar 2004

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von Rüdiger Göbel

Die mächtigen europäischen Imperialmächte des 19. Jahrhunderts rüsten sich für künftige Interventionen in ihren ehemaligen Kolonien. Presseberichten zufolge bereiten Frankreich und Großbritannien bereits den Aufbau einer gemeinsamen Interventionsstreitmacht vor. Die »sehr schnelle Eingreiftruppe« soll rund 1500 Elitesoldaten beider Nationen umfassen und bis 2007 einsatzfähig sein, berichtete die Financial Times am Dienstag über entsprechende Planungen in Paris und London. Einsatzgebiete seien vornehmlich, »aber nicht ausschließlich« zerfallende Staaten (von denen die meisten in Afrika liegen)«.

Die neue Elitetruppe soll binnen 15 Tagen verlegbar sein und bis zu 30 Tage lang kämpfen können – »in der Regel« mit einem Mandat der Vereinten Nationen, so die in London erscheinende Zeitung. Wie für die USA ist auch für die Europäer ein UN-Mandat mithin kein Muß mehr. Die am besten ausgebildeten und ausgerüsteten Soldaten Frankreichs und Großbritanniens würden speziell Einsätze im Dschungel, in Wüsten und in Bergregionen trainieren. Unter Berufung auf »diplomatische Kreise« berichtete die Financial Times weiter, die Truppe solle nicht mit NATO-Kräften in Konkurrenz treten, aber auf NATO-Ressourcen zurückgreifen.

Die »sehr schnelle Eingreiftruppe« steht anderen EU-Partnern offen, sofern sie die dafür erforderlichen militärischen Standards erfüllen – und sich den alten Kolonialmächten unterzuordnen verstehen. Der Verband soll bis 2007 interventionsfähig sein. »Briten und Franzosen wollen damit den europäischen Anspruch auf eine eigene europäische militärische Rolle in der Welt unterstreichen«, urteilte die Financial Times.

Und wo bleibt Deutschland? Hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder nicht erst in der vergangenen Woche die Soldaten der Sondereinheit KSK in Calw ausgezeichnet? Deutschland sei über die nun bekanntgewordenen Pläne informiert, hieß es in Regierungskreisen, und fühle sich nicht ausgeschlossen.

Die Financial Times Deutschland monierte allerdings, daß die BRD an der ersten Planungsphase offensichtlich nicht beteiligt sei. Die Zeitung sprach in diesem Zusammenhang von einer »Glaubwürdigkeitslücke«, die »zwischen den hehren Zielen deutscher Außenpolitik und dem tatsächlichen Engagement klafft«. Das »militärische Gemeinschaftsprojekt der Briten und Franzosen« mache deutlich, daß die Deutschen ihren eigenen politischen Ansprüchen nicht gerecht werden«.

Noch in dieser Woche soll das bilaterale Konzept den EU-Partnern im Sicherheitspolitischen Komitee in Brüssel im Detail vorgestellt werden. Großbritannien und Frankreich hatten bereits 1998 in Saint Malo vereinbart, gemeinsame europäische Militärstrukturen aufzubauen. Im vergangenen November hatte die französische Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie vor der Pariser Nationalversammlung über entsprechende Planungen für eine europäische Interventionstruppe gesprochen, ohne allerdings die Größe der Einheit zu benennen. Der französische Präsident Jacques Chirac und der britische Premierminister Anthony Blair hatten damals bei einem britisch-französischen Gipfel in London laut Alliot-Marie über diese Einheit gesprochen. Sie solle unabhängig von den 60 000 Soldaten der bereits bestehenden schnellen Eingreiftruppe der EU sein und als Vorauskommando sowohl autonome Operationen im Auftrag der EU ausführen als auch solche zur Durchsetzung von UN-Resolutionen.

Die im vergangenen Jahr vorgelegte EU-Militärstrategie stellte fest: »Unser herkömmliches Konzept der Selbstverteidigung, das bis zum Ende des Kalten Krieges galt, ging von der Gefahr einer Invasion aus. Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen. Die neuen Bedrohungen sind dynamischer Art. … Daher müssen wir bereit sein, vor dem Ausbrechen einer Krise zu handeln.«

Die in Tübingen ansässige »Informationsstelle Militarisisierung« stellte hierzu fest: »Damit wird das Kernelement der National Security Strategy (NSS) der USA – die sogenannte Bush-Doktrin – auch für den EU-Rahmen festgeschrieben. Die Bombenphase des Krieges gegen den Irak vor einem Jahr war der Testlauf für dieses „Präventivkriegskonzept“« Inzwischen gelte dieses Konzept offensichtlich unter Militärs und Regierungen des Westens als Erfolgsrezept. Im Bereich der expansiven Militärpolitik gebe es zwischen USA und EU damit nur noch einen quantitativen, aber keinen qualitativen Unterschied mehr.

In der kommenden Woche treffen sich Chirac, Blair und Schröder in Berlin zum Dreiergipfel. Der Bundeskanzler dürfte spätestens dann deutlich machen, daß Deutschland als größter europäischer Staat in Sachen Interventionsfähigkeit und -wille in der EU nicht hinter Frankreich und Großbritannien zurückstehen will.

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Original-URL: http://www.jungewelt.de/2004/02-11/001.php