Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Standpunkt 2004/001 - in: junge Welt vom 05.01.2004

Kampagne gegen EU-Verfassung: Militarisierung Europas aufhalten?

jW sprach mit Tobias Pflüger, Mitarbeiter der Informationsstelle Militarisierung (IMI) in Tübingen, Interview: Wolfgang Pomrehn

Tobias Pflüger / Wolfgang Pomrehm / Interview / junge Welt / Dokumentation (06.01.2004)

F: Die Informationsstelle Militarisierung hat vor einigen Wochen der Friedensbewegung und anderen sozialen Gruppen vorgeschlagen, eine Kampagne gegen den EU-Verfassungsentwurf zu starten. Worum geht es Ihnen dabei?

Zwei Punkte sind an dem Text besonders problematisch: Zum einen die Militärpolitik. Die EU-Mitglieder werden zur Aufrüstung verpflichtet, Kampfeinsätze der EU werden festgeschrieben, entscheiden soll darüber künftig der EU-Ministerrat. Zum anderen wird mit dem Entwurf das neoliberale Wirtschaftsmodell festgeschrieben.

In vielen anderen Politikbereichen ist der Entwurf ähnlich problematisch. Daher bietet es sich an, eine bewegungsübergreifende Kampagne gegen diese EU-Verfassung zu organisieren.

F: Wie fällt die Resonanz auf den Vorschlag aus?

Wir haben sehr viele Rückmeldungen erhalten. Eine Reihe von Einzelpersonen und Organisationen reagierte sehr positiv, andere sagten, sie benötigten vor allem erst einmal mehr Informationen, und wieder andere meinten, es sei ohnehin schon alles gelaufen. Daß letzteres nicht stimmt, hat man beim EU-Gipfel Mitte Dezember gesehen, bei dem sich die Regierungen nicht auf den vorliegenden Verfassungstext einigen konnten. Der entscheidende Grund für das Scheitern war, daß die deutsche und die französische Regierung ihre Auffassungen durchpeitschen wollten.

F: Hat sich damit die Ausgangslage für eine Kampagne verbessert?

Ja. Damit bleibt mehr Zeit für Aufklärung. Der Entwurf ist immer noch ziemlich unbekannt, aber der Streit verschafft ihm Aufmerksamkeit. Wir haben also mehr Zeit, auf die vielen negativen Seiten dieses Verfassungsentwurfs hinzuweisen. Besonders wichtig finde es ich auch, daß das einst von Wolfgang Schäuble formulierte Kerneuropa-Konzept festgeschrieben werden soll.

F: Was ist darunter zu verstehen?

Dahinter verbirgt sich die Idee, daß innerhalb der EU eine kleinere Gruppe von Staaten in einzelnen Bereichen vorangehen soll. Später hat Joseph Fischer das aufgegriffen und vom Gravitationszentrum der EU gesprochen. Nach dem gescheiterten Gipfel wird inzwischen in der deutschen und französischen Regierung ganz offen davon gesprochen, daß man nun eben allein vorangehen wolle.

Natürlich werden die anderen Regierungen damit unter Druck gesetzt, denn Deutschland und Frankreich werden in vielen Bereichen Fakten schaffen, denen sich vor allem die kleinen und neuen Mitglieder kaum entziehen können. Österreich hat bereits angekündigt, daß es bei diesem Kerneuropa gerne dabei sein will, damit es nicht von den eigentlichen Entscheidungen ausgeschlossen wird.

F: In welchen Politikfeldern würde dieses Kerneuropa neue Fakten schaffen?

Vor allem im Militärbereich. Kaum beachtet, ist auf dem Gipfel die neue EU-Militärstrategie verabschiedet worden, in der ganz offen die Rede davon ist, daß die EU »Einfluß im Weltmaßstab« haben will. Das heißt, man möchte gerne eine neue Supermacht sein und fordert die USA heraus. In diesem Strategiepapier gibt es eine Passage, die wenig verklausuliert sogenannte Präventivkriege befürwortet. Man kann sagen, daß Paris und Berlin auf militärischer Ebene auch ohne Verfassung das durchgesetzt haben, was sie wollten. Das muß bei einer Kampagne bedacht werden.

F: Wie ist der Stand der Kampagne?

Sie läuft an. Anfang Dezember hat der Friedensratschlag in Kassel einen Aufruf unter der Überschrift »Gegen diese EU-Verfassung – Für ein Europa, das sich dem Krieg verweigert« angenommen. Dieser wird inzwischen von einer Reihe relevanter Friedensgruppen mitgetragen. Auf dem Europäischen Sozialforum hat man sich auf den 9. Mai als Aktionstag gegen die EU-Verfassung geeinigt, woran wir uns beteiligen werden. Und die Aktionstage im Vorfeld wie den 20. März als internationaler Aktionstag gegen Krieg und Besatzung und den 2. und 3. April gegen Sozialabbau werden wir nutzen, um weiter über den Verfassungsentwurf aufzuklären.

* Informationen zur Kampagne unter: www.imi-online.de

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Original-URL: http://www.jungewelt.de/2004/01-05/014.php

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