IMI-Analyse 2003/037

„Wir wollen Eure Eier nicht !“

Oder bis Ostern soll das so genannte Parlamentsbeteiligungsgesetz für Bundeswehr-Auslandseinsätze beschlossen sein.

von: Michael Haid | Veröffentlicht am: 2. Dezember 2003

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Zu Ostern 2004 möchte Bundesverteidigungsminister Struck das sog. Parlamentsbeteiligungsgesetz durch den Bundestag gebracht und dem Parlament wie der Öffentlichkeit ein äußerst unliebsames Osterei ins Nest gelegt haben. Dieses Gesetz hätte schlimmste Folgen für die parlamentarische Demokratie, da der Bundestag in einer der wichtigsten Fragen überhaupt, der Frage von Krieg und Frieden, sich seiner Entscheidungshoheit selbst berauben würde. Was steht also bis Ostern auf dem Spiel ?

Entscheidungen über Bundeswehreinsätze ins Ausland waren bislang relativ riskante Vorhaben für die Bundesregierung, da die Öffentlichkeit diese eher passiv hinnahm als zustimmte, öffentliche Mobilisierung dagegen gelang und ParlamentarierInnen wie die einzelnen Fraktionen vor der Öffentlichkeit zu diesem brisanten Thema Farbe bekennen mussten, was sich in den Augen der Bundesregierung in äußerst unliebsamen Debatten wiederspiegelte. Im November 2001 sah sich sogar Bundeskanzler Gerhard Schröder veranlasst, erstmalig die Vertrauensfrage mit einer Sachentscheidung, dem weitreichenden „Enduring- Freedom“- Mandat, zu verbinden, um dem Parlament die Kriegsbeteiligung abzuzwingen. Nach dieser entscheidenden Wegmarke waren weitere Einsätze- bzw. deren Verlängerung leider einfacher zu verabschieden. Trotzdem soll diese Hürde für die Exekutive nun ebenfalls fallen. Die Auffassung der Bundesregierung, sich von diesem Korsett des Parlamentsvorbehalts bei Auslandseinsätzen nun endgültig befreien zu können, steht im engen Zusammenhang mit der Beteiligung am sog. „Krieg gegen den Terror“.

Die Erklärung der „uneingeschränkten Solidarität“ mit den USA durch Bundeskanzler Schröder, der Deutschland durch seine „gestiegene internationale Verantwortung“ nachkommen müsse, folgten bekanntlich eine Vielzahl von militärischen Einsätzen in aller Welt. Diese Tatsache bedeutet nichts anderes als ein permanenter Kriegs- und Ausnahmezustand, der willentlich herbeigeführt wurde, um augenscheinlich außerordentliche Maßnahmen rechtfertigen zu können. Beispielhaft sei hier die Aufrüstungsverpflichtung in der EU- Verfassung trotz gestiegener sozialer Bedürfnisse der Bevölkerung genannt. Vor allen Dingen aber auch ermöglicht diese Erklärung es der Exekutive, die Schranken niederzureißen, die im alltäglichen Politikgeschäft ihrem Handeln entgegenstehen. Der Politologe Harald Müller äußerte hierzu: „Wie eine Dampfwalze rollte die „uneingeschränkte Solidarität“ über die Kontrollaufgaben des Parlaments hinweg“.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 hat zwei Voraussetzungen vor einen Auslandseinsatz der Bundeswehr gestellt: Erstens, dass sie im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems stattfinden (wozu durch dieses Urteil erstmals die NATO als Militärbündnis gezählt wurde) und zweitens dass der Bundestag mit einfacher Mehrheit in der Regel im Vorhinein dem „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ zustimmt. Dieser, nach Bekunden aller Fraktionen im Bundestag und dem gesteigerten Drängen der Bundeswehrführung anscheinend unerträgliche Zustand, soll nun gänzlich geändert werden.

Die Forderung der CDU nach einer Grundgesetzänderung den Parlamentsvorbehalt zu stürzen, ist der Regierungskoalition wegen des zu erwartenden, dramatisch sich steigernden Interesses der Öffentlichkeit, denkbar unangenehm. Aber der Konsens aller Fraktionsmitglieder, sich in dieser Frage quasi selbst zu entmachten, lässt dem aufmerksamen Beobachter die Haare zu Berge stehen und an deren Verstand ernsthaft zweifeln.

Deshalb legte die SPD einen Gesetzentwurf vor, der, in ihrer Terminologie, lediglich das Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1994 „präzisiere“. Demnach seien künftig drei Arten von Einsätzen zu unterscheiden, die bestimmten, ob das Parlament noch eine geringe Mitentscheidungsbefugnis besäße oder überhaupt keine mehr. Grundsätzlich beziehe sich die Benennung „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ nur auf Bundeswehreinsätze, bei denen es sich um „bewaffnete Unternehmen“ handele. Bei allen Einsätzen, die nicht unter diese undefinierte Kategorie fielen, bedürfe es keiner Konsultation des Bundestages. Der Gesetzentwurf beinhaltet im Kern drei Arten von Bundeswehreinsätzen, die jeweils unterschiedlich zu behandeln seien. Zunächst ist einmal die Rede von „Planungs- und Vorbereitungsmaßnahmen sowie humanitären Hilfsdiensten“. Sofern Waffen hier nur „zum Zweck der Selbstverteidigung“ mitgeführt werden, bedürften solche Einsätze keiner Zustimmung des Bundestages. Eine Zustimmung im „vereinfachten Verfahren“ ist „bei Einsätzen von geringer Bedeutung“ vorgesehen. Zustimmung heißt: Der Bundestag erhält einen Regierungsantrag, und wenn nicht mindestens fünf Prozent der Abgeordneten Widerspruch einlegen, gilt der Antrag ohne Abstimmung als angenommen. Von geringer Bedeutung sind nach Ansicht der SPD zum Beispiel Erkundungskommandos oder die Abordnung einzelner Soldaten bei multinationalen Einsätzen. Es geht hier also nur um die quantitative Dimension, die politisch- militärische tut nichts zur Sache, wobei der Bundesregierung damit eine Eskalationsmöglichkeit von Konflikten in den Schoss gelegt wird, an der anscheinend niemand Anstoß nimmt. Schließlich gibt es auch weiterhin traditionell zu behandelnde Einsätze, bei denen das Parlament gefragt werden muss, allerdings nicht häufiger als unbedingt nötig. Kampfeinsätze könnten künftig auch ohne Befristung beschlossen werden. Und wenn doch Fristen festgelegt wurden, so soll die Verlängerung den Bundestag nicht mehr belasten. Nach dem SPD Entwurf gilt dann wieder das „vereinfachte Verfahren“.

Die Absichten der Bundesregierung lassen sich nur unschwer erahnen. Bisher mussten die VolksvertreterInnen, innerhalb der Fraktionen als auch vor der Öffentlichkeit, ihren Standpunkt erläutern, ablehnende Meinungen führten zu fraktionsinternen Querelen bis zur drohenden Verfehlung der Kanzlermehrheit in der Abstimmung über das „Enduring Freedom“- Mandat vor zwei Jahren. Diskussionen um Kriegseinsätze schlugen in der Öffentlichkeit teils hohe Wellen und erleichterte den KriegsgegnerInnen die öffentliche Mobilisierung. Deswegen soll die sog. Handlungsfähigkeit der Bundesregierung, sprich die ungehinderte und unkontrollierte Kriegsführungsfähigkeit, innerhalb wie außerhalb des Parlaments durch die Öffentlichkeit nicht mehr in Frage gestellt werden können. Kriegseinsätze sollen nach Ansicht der Regierung kein diskussionswürdiges Politikum mehr darstellen, um Deutschland auf seinem Weg hin zur politischen „Normalität“ nicht zu gefährden. Eine Gefährdung dieser „Normalität“ wäre allerdings dringend geboten.

Als politisches Druckmittel für die Entscheidung zur Verabschiedung eines Entsendegesetzes werden wieder einmal Sachzwänge benannt, derer Deutschland, ob es will oder nicht, nachzukommen habe. Konkret könne Deutschland sich nach der Verpflichtung zum maßgeblichen Mitaufbau der schnellen EU- und Nato- Eingreiftruppen, die in sehr kurzer Zeit zum Einsatzort in Marsch gesetzt werden sollen, sich nicht entziehen. Aus dieser angeblichen Zwangslage leitet der Bundesverteidigungsminister seine Forderung nach einem Entsendegesetz ab.

Den Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) vom Mai 2003 kann dazu folgendes entnommen werden: „Die Verpflichtung Deutschlands zur schnelleren militärischen Reaktionsfähigkeit im Rahmen der Nato und EU macht eine ebenso schnelle politische Entscheidungsfähigkeit auf nationaler Ebene unabdingbar“. Struck bezieht sich also auf die sog. Einsatzfähigkeit der neuen Nato- und EU- Eingreiftruppen, die es nicht mehr erlauben würden, dass Staaten langwierige (vielleicht gar demokratische ?) Verfahrensabläufe zur Entsendung ihrer Truppen vorsähen. Der ehemalige Parteichef der CDU Wolfgang Schäuble betrachtete bereits vor zwei Jahren in einem Fraktionspapier das Verfahren der Parlamentszustimmung als problematisch, die Handlungsmöglichkeiten der Regierung als unvertretbar eingeschränkt und plädierte lediglich für ein Informationsrecht des Bundestages.

Es wird also von Seiten der Befürworter des Gesetzentwurfs der Eindruck erweckt, als gäbe es eine große Zahl von Szenarien, die den unmittelbaren Einsatz der Bundeswehr notwendig machten. Diese Notwendigkeit dient als wesentliche argumentative Unterfütterung für das Entsendegesetz. Ließe mensch sich auf diese militärpolitische Logik ein, so kann trotzdem konstatiert werden, dass es keine Einsatzszenarien in den letzten Jahren gab, in denen nicht eine hinreichend lange Vorlaufszeit gegeben war, um den Bundestag, wie üblich, seiner Entscheidungsfindung nachkommen zu lassen.

Auch der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, erklärte in der Stuttgarter Zeitung, dass er sich in den nächsten Jahren keinen Fall vorstellen könnte, in dem die Bundesrepublik wegen des Parlamentsvorbehalts in Zeitverzug gegenüber der Nato geriete. Deshalb müsse ausdrücklich davor gewarnt werden, in „einem Entsendegesetz Einsatzentscheidungen zu entfristen bzw. einen Verlängerungsautomatismus einzuführen, falls das Parlament nicht von sich aus die Rückholung der ausgesandten Verbände beschließt. Die Befristung ist ein außerordentlich sinnvolles Instrument, um regelmäßig die Zweckmäßigkeit und Rechtfertigung von Bundeswehreinsätzen darzulegen und zu überprüfen. Die automatische Verlängerung enthebt die Exekutive dieser Rechtfertigungspflicht und entbindet de facto das Parlament von seiner Aufsichtspflicht.“

Einen Vorgeschmack darauf, wie es mit der Achtung vor demokratischen Entscheidungsverfahren bestellt ist, gaben die politisch wie militärisch Führenden im vergangenen Frühsommer ab. Anscheinend in Vorwegnahme des künftigen Entsendegesetzes schickte Peter Struck Anfang Juni ein Erkundungsteam ins nordöstliche Afghanistan zur Vorbereitung der Stationierung des Bundeswehrkontingents in Kundus. Diese Aktion war nur mit den Fraktionsvorsitzenden des Bundestages abgesprochen, laut Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1994 hätte er aber diese Mission dem gesamten Parlament zur Abstimmung vorlegen müssen.

Bis Weihnachten möchte Struck die erste Lesung, bis Ostern die zweite und dritte Lesung im Bundestag gehalten sehen, damit das Parlamentsbeteiligungsgesetz rechtzeitig für neue Kriege zur Verfügung steht. Aber diese Ostereier wollen wir nun wirklich nicht in unseren Osternestern vorfinden.

Literaturverzeichnis
– Arnold, Rainer 2003, in: Yahoo Nachrichten, 15. 10. 2003, 17 Uhr 20, Artikel URL: http//:de.news.yahoo.com/031015/12/3p2ky.html
– Hennecke, Hans Jörg 2003: Die dritte Republik. Aufbruch und Ernüchterung, Propyläen: München
– Brendle, Frank 2003: In unwichtige Kriege, in: Jungle World vom 29. 10. 2003, Jg. 7, Nr. 45
– Müller, Harald 2003a: Supermacht in der Sackgasse ? Die Weltordnung nach dem 11. September, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe Bd. 419, Fischer: Frankfurt am Main
– Müller, Harald 2003b: Reformziel verfehlt, aber Exekutive gestärkt, HSFK- Standpunkte Nr. 4
– Pflüger, Tobias 2003, in: Jungle World vom 29. 10. 2003, Jg. 7, Nr. 45
– Rath, Christian 2003: Schröder will Entsendegesetz, in: die Tageszeitung vom 4. 4. 2003, Nr. 7022, S. 4
– Struck, Hans- Peter 2003, 12. 10. 2003, 9 Uhr 39, Quelle: http//:www.rp-online.de
– Wiesmann, Gerrit 2003 : Union stellt Bedingungen für Entsendegesetz, in : Financial Times Deutschland, 13. 6. 2003