Dokumentation / in: Ha'aretz / ZNet 22.11.2003

„Ich schlug einen Araber ins Gesicht“


von: Gideon Levy / Dokumentation / Ha'aretz / Znet | Veröffentlicht am: 26. November 2003

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Feldwebel ( der Reserve) Ron Furer ist nicht in der Lage, sein Leben jetzt einfach routinemäßig fortzusetzen. Er wird von den Bildern seiner drei Militärdienstjahre in Gaza verfolgt. Und der Gedanke, dass dies ein Syndrom sein könnte, das jeden befällt, der an den Checkpoints seinen Dienst macht, gibt ihm keine Ruhe. Kurz vor dem Abschluss seiner Studien im Design-Programm an der Bezalel-Kunstakademie, entschied er sich, alles fallen zu lassen und all seine Zeit einem Buch zu widmen, das er schreiben möchte. Die größeren Verleger, denen er dies Anliegen vorlegte, lehnen es ab, dieses Buch zu veröffentlichen. Der Verleger, der es schließlich akzeptierte ( Gevanim) sagt, dass der Steinmatzki-Buchgroßhandel sich weigert, es zum Verkauf aufzunehmen. Aber Furer hat sich entschieden, sein Buch in die Öffentlichkeit zu bringen.

„Du kannst die härtesten politischen Ansichten vertreten, aber keine Eltern wären damit einverstanden, wenn der Sohn ein Dieb, ein Krimineller oder eine gewalttätige Person wird“ sagt Furer. „Das Problem ist, dass es nie in dieser Weise dargestellt wurde. Der junge Mann stellt sich niemals in dieser Weise seiner Familie vor, wenn er aus den (besetzten) Gebieten zurückkommt. Im Gegenteil – er wird als Held begrüßt, als jemand, der die wichtige Aufgabe des Soldaten erfüllt. Keiner kann dem gegenüber gleichgültig sein, dass es viele Familien gibt, in denen es gewissermaßen schon zwei Generationen Kriminelle gibt. Der Vater machte dies durch und nun der Sohn – und keiner spricht am Mittagstisch davon.

Furer ist sich sicher, dass das, was er erlebte, keineswegs einmalig ist. Zu Hause war er ein kreativer, sensibler Abiturient des Thelma Yellin Kunst-Gymnasiums, der am Checkpoint zum (wilden) Tier wurde, zum gewalttätigen Sadisten, der Palästinenser zusammenschlug, weil sie ihm gegenüber nicht die nötige Höflichkeit zeigten, der auf Autoreifen schoss, weil der Autobesitzer (angeblich) sein Autoradio zu laut laufen ließ, der einen behinderten Jungen, der mit Handschellen auf dem Boden des Jeeps lag, misshandelte, nur weil er gerade seine Wut an jemandem auslassen musste. Das „Checkpoint-Syndrom“ – so auch der Titel des Buches – verwandelt jeden Soldaten nach und nach in ein (wildes) Tier – behauptet er, egal, welche Werte er von zu Hause mitbringt. Keiner kann sich dieser ansteckenden Verhalten entziehen. An einem Ort, an dem fast alles erlaubt ist und wo Gewalt als normales Benehmen empfunden wird, testet jeder Soldat seine eigenen Grenzen von Gewaltimpulsen gegenüber seinen Opfern – den Palästinensern.

Sein Buch liest sich nicht leicht. Es ist in knapper, eindeutiger Prosa geschrieben, in der derben und groben Ausdrucksweise der Soldaten. Er rekonstruiert Szenen aus den Jahren, in denen er in Gaza seinen Dienst machte ( 1996–99), also in Jahren, in denen es relativ ruhig war …Er beschreibt, wie er und seine Kameraden einige Palästinenser gezwungen haben „Elinor“ zu singen. Es war wirklich toll, wie diese Araber ein Zohar-Argovlied gesungen haben – wie im Film“. Sie weckten Gefühle in ihm: manchmal haben mich diese Araber wirklich angewidert, besonders die, die versuchten, vor uns zu scharwenzeln; die Älteren, die zum Checkpoint mit diesem Lächeln im Gesicht kommen“; die Reaktionen, die sie hervorriefen: “ wenn sie uns auf den Wecker gingen, fanden wir einen Weg, sie stundenlang am Checkpoint festzuhalten. So verloren sie manchmal einen ganzen Arbeitstag. Aber nur auf diese Weise lernen sie.“

Er beschrieb, wie sie Kinder vor einer Inspektion befahlen, den Checkpoint zu reinigen, wie ein Soldat mit Namen Shohar ein Spiel erfand: Er kontrollierte eine Identitätskarte und statt sie zurückzugeben, warf er sie in die Luft. Er hatte seinen Spaß daran, wie der Araber aus seinem Wagen aussteigen und seine Identitätskarte vom Boden aufheben musste. Mit diesem Spiel konnte er eine ganze Schicht verbringen ,…., wie sie ein Erinnerungsfoto mit einem blutigen, gefesselten Araber machten, den sie zusammengeschlagen hatten, wie Shahar auf den Kopf eines Arabers pisste, weil der Mann es wagte, einen Soldaten anzulächeln, wie Dado einen Araber zwang, auf allen Vieren zu gehen und wie ein Hund zu bellen, wie sie Gebetsketten und Zigaretten stahlen. Miro wollte, dass man ihm Zigaretten gibt, die Araber wollten dies aber nicht, so brach Miro einem die Hand und Boaz zerschnitt die Reifen.

Abschreckende Bekenntnisse

Das abschreckendste persönliche Bekenntnis: „Ich rannte auf sie zu und schlug einem Araber direkt ins Gesicht. Niemals habe ich jemanden so geschlagen. Er fiel auf die Straße. Die Offiziere sagten, wir müssten ihn nach seinen Papieren durchsuchen. Wir zogen seine Arme nach hinten, legten ihm Plastikhandschellen an. Wir verbanden ihm die Augen, damit er nicht sieht, was im Jeep ist. Ich hob ihn von der Straße auf. Blut floss ihm von den Lippen. Ich führte ihn hinter das Jeep und warf ihn hinein. Seine Knie schlugen gegen die Wand und er landete drinnen. Wir saßen hinten, unsere Füße auf dem Araber….unser Araber lag ganz ruhig da und wimmerte leise vor sich hin. Sein Gesicht lag gerade auf meiner Jacke. Er blutete und Speichel rann aus seinem Mund. Das gefiel mir gar nicht und machte mich ärgerlich, so packte ich ihn bei den Haaren und drehte ihn zur Seite. Er schrie laut auf und wir brachten ihn zum Schweigen, indem wir härter auf seinen Rücken traten. Das ließ ihn für eine Weile ruhiger werden. Dann fing er wieder zu weinen an. Wir meinten, dass er entweder behindert ist oder verrückt. Der Kompaniechef informierte uns über die Sprechanlage, dass wir ihn zur Militärbasis bringen sollten. „Gute Arbeit geleistet, ihr Tiger“, sagte er uns hänselnd. Alle andern Soldaten standen da und warteten, was wir da gefangen hatten. Als wir mit dem Jeep hereinkamen, klatschten sie wild Beifall und pfiffen. Wir legten den Araber in die Nähe der Wache. Er hörte nicht auf zu weinen, und jemand, der arabisch verstand, sagte, dass ihm die Hände wegen der Handschellen schmerzten. Einer der Soldaten ging auf ihn zu und stieß ihn in den Magen. Der Araber wand sich vor Schmerzen und knurrte. Wir lachten alle. Es war lustig … ich stieß ihn wirklich hart in den Arsch. Er flog nach vorne, wie ich es erwartet hatte. Sie schrieen, dass ich total verrückt sei und lachten weiter … und ich war glücklich. Unser Araber war ein gerade 16 jähriger, geistig behinderter Junge.“

Im Dachgeschoss der Tel Aviver Wohnung, wo Furer, 26, jetzt wohnt, begegnet man einem nachdenklichen, intelligenten jungen Mann. Er wuchs in Givatayim auf, nachdem seine Eltern in den 70er Jahren aus der Sowjetunion immigrierten….Seine Familie sei nicht politisch gewesen. Er wollte in eine Kampfeinheit der Armee und diente in zwei Eliteeinheiten der Infanterie. Er machte seinen ganzen Militärdienst im Gazastreifen.

Nach der Armee reiste er nach Indien wie so viele andere. „Jetzt war ich frei. Die seltsame Atmosphäre von Goa und die Chakras öffneten mir die Augen …Ihr habt mich in dieses stinkende Gaza gesteckt und vorher habt ihr mich durch eine Gehirnwäsche gehen lassen mit euren Gewehren und Märschen. Ihr habt aus mir einen Putzlappen gemacht, der nicht mehr selbst denkt“, schrieb er aus Goa. Aber erst danach, als er in Bezalel studierte, war es, dass ihn seine Erfahrungen beim Militärdienst wirklich zu quälen begannen.

„Mir wurde klar, dass es da ein unveränderliches Muster gibt“, sagte er. „Während der 1. Intifada war es genau so wie in der ruhigen Zeit, in der ich Militärdienst machte, und nun während der 2. Intifada. Es wird zu einer bleibenden Realität. Allein die Tatsache, dass so eine belastetes Thema kaum in der Öffentlichkeit erwähnt wird, weckte in mir ein sehr ungemütliches Gefühl. Man hört dem Opfer zu und hört auf die Politiker, aber der Stimme, die sagt: „ich tat dies, wir taten Dinge, die falsch waren – die wirklich Verbrechen waren“ – solch eine Stimme hörte ich nicht. Der Grund, warum sie nicht gehört wurde, war eine Mischung von Verdrängung – genau so wie ich es selbst verdrängt und ignoriert habe – und einem tiefen Schuldgefühl. Sobald man aus der Armee entlassen ist, interessieren sich weder Politiker noch die Medien für das, was man zu sagen hat. Ich erinnere mich, wie sehr ich überrascht war, dass bis jetzt kein Soldat damit in die Öffentlichkeit gegangen war. In den Debatten geht es nur immer wieder um die Legitimität der Siedlungen in den (besetzten) Gebieten, um die Besatzung – für oder gegen – aber niemals verbunden mit der Routine, wie Besatzung aufrechterhalten wird. Davon erschien weder in den Medien noch in der Kunst etwas.“

Es ist kein Einzelfall

Furer ist gerade dabei, zu beweisen, dass dies ein Syndrom ist und nicht eine Sammlung von isolierten Einzelfällen. Deshalb löschte er aus dem ursprünglichen Manuskript eine Reihe persönlicher Details, um das Allgemeine dessen zu betonen, was er beschreibt. Während meiner Militärzeit glaubte ich, dass ich untypisch sei, weil mein persönlicher Hintergrund die Kunst und die Kreativität war. Ich wurde als moderater Soldat betrachtet – aber ich fiel in dieselbe Falle, in die die meisten Soldaten auch fallen. Ohne Angst vor Strafe und ohne Aufsicht ließ ich mich hinreißen, in primitivster Weise zu handeln. Beim ersten Mal ist man noch aufgeregt. Mit der Zeit gewöhnt man sich an den Checkpoint; dann wird dies Benehmen normal. Nach und nach werden die eigenen Grenzen dieses Benehmens gegenüber den Palästinensern getestet. Es wird immer rauer.

„Je mehr wir mit der Situation vertraut und wir uns bewusst wurden – übrigens jeder zu einem andern Zeitpunkt –dass wir die Herrschenden und die Starken waren, fühlten wir unsere Macht. Daraufhin hat jeder seine Grenzen – je nach Persönlichkeit –weiter gesteckt. Sobald der Dienst am Checkpoint zur Routine wurde, wurden alle Arten von abweichendem Benehmen normal. Es begann mit dem Einsammeln von Erinnerungsstücken. Wir konfiszierten Gebetsketten, dann Zigaretten und so weiter. Es wurde normal.

„Danach kamen die Machtspiele. Wir erhielten von oben den Befehl, dass wir uns ernsthaft und abschreckend gegenüber den Arabern verhalten sollten. So wurde physische Gewalt auch zur Routine. Wir fühlten uns frei, jeden Palästinenser zu bestrafen, der am Checkpoint nicht einen bestimmten Code von Benehmen einhielt. Jeder , von dem wir glaubten, er benähme sich uns gegenüber nicht höflich genug oder der versuchte, sich forsch zu benehmen, wurde schwer bestraft. Es war absichtliche Schikane unter trivialsten Vorwänden.

„Während meines Militärdienstes gab es keinen einzigen Vorfall, der uns aufhorchen ließ, oder dass ein Kommandeur uns zur Rechenschaft zog. Keiner redete darüber, was erlaubt und was verboten war. Alles war nur Routine. In der Rückschau war es nicht etwas, das am Checkpoint geschah und das mir das größte Schuldgefühl gab, sondern etwas, das am Zaun von Gush Katif geschah, nachdem wir den behinderten Jungen gefangen hatten. Ich demonstrierte das extremste Benehmen. Für mich war es die Gelegenheit, jemanden zu fangen, am besten einen Terroristen. Hier war die Gelegenheit, allen Druck und Frust, der sich in mir aufgestaut hatte, loszuwerden – und zwar in der Weise, wie ich wollte. Wir waren es gewöhnt, Ohrfeigen auszuteilen, Leute in Handschellen zu legen, ein wenig mit den Füßen zu stoßen, zu schlagen. Und hier war die Gelegenheit, in der es gerechtfertigt war, sich ganz gehen zu lassen. Selbst der Offizier, der mit uns war, war sehr gewalttätig. Wir gaben dem Jugendlichen eine gehörige Portion Schläge. Und als wir zum Militärposten kamen, fühlte ich mich richtig stolz, dass ich wie ein wirklich Starker behandelt wurde. Sie sagten: Du bist wie ein Verrückter, was so viel bedeutete wie „Du warst richtig stark!“

An den Checkpoints haben junge Leute die Gelegenheit „die Herren zu spielen“. Und Macht und Gewalt auszuspielen, wird legitimiert – und dies ist ein viel grundsätzlicherer Beweggrund als politische Ansichten und Werte, die man von zu Hause mitbringt. Sobald Gewaltanwendung legitimiert, ja sogar belohnt wird, besteht die Tendenz, so weit als möglich zu gehen und diese Impulse so weit als möglich auszukosten. Es geht um die Befriedigung des Machttriebes jenseits dessen, was die Situation erfordert. Heute würde ich dies sadistische Impulse nennen.

„Wir waren keine Kriminellen oder besonders gewalttätige Leute. Wir waren eine Gruppe guter Jungs, eine relativ „hoch-qualifizierte“ Gruppe, und für uns alle – wir sprechen noch immer über diese Zeit – wurde der Checkpoint ein Platz, an dem wir unsere Grenzen testeten: wie hart, wie grob, wie wild wir sein konnten. Und wir dachten darüber in einem positiven Sinn nach. Die Situation – an einem gottverlassenen Platz, weit weg von zu Hause, keinerlei Kontrolle –rechtfertigte dies. Die Grenze für das, was verboten ist, wurde nie genau gezogen. Keiner wurde jemals bestraft. Sie haben uns einfach weitermachen lassen.

“ Heute bin ich davon überzeugt, dass auch die ranghöchsten Ränge – der Brigadekommandeur, der Bataillonskommandeur – sich der Macht der Soldaten in dieser Situation bewusst sind und was sie mit dieser erreichen. Wie könnte ein Kommandeur sich dessen nicht bewusst sein; denn je wilder und rauer seine Soldaten sich benehmen, um so ruhiger ist es in seinem Sektor. Das komplizierte Bild der langfristigen Auswirkungen des gewalttätigen Benehmens ist etwas, das einem erst dann bewusst wird, wenn man den Checkpoint verlassen hat.

„Heute ist mir klar, dass der Junge, dessen Vater wir aus fadenscheinigsten Gründen gedemütigt haben, mit einem Hass gegen jeden aufwachsen wird, der das vertritt, was wir gegenüber seinem Vater getan haben. Ich verstehe jetzt endlich ihre Motive. Wir stellen die Grausamkeit und die Macht dar. Ich bin sicher, dass ihre Antwort mit Umständen, die mit ihrer Gesellschaft zu tun haben, zusammenhängt – Missachtung des menschlichen Lebens und die Bereitschaft, Leben zu opfern – der ursprüngliche Wunsch aber, Widerstand zu leisten, der Hass und die Angst sind. Dies ist meinem Empfinden nach vollkommen gerechtfertigt und legitim — selbst wenn es gewagt ist, dies so auszusprechen.

“ Es ist unmöglich, in solch einem emotional aufgeladenen Zustand auf Urlaub nach Hause zu gehen und sich davon völlig zu lösen. Ich war damals gegenüber den Gefühlen meiner Freundin sehr unsensibel. Ich war wie ein ( wildes) Tier, wenn ich auf Urlaub war. Es steckt auch nach dem Militärdienst noch in einem. Ich sah die Reste des Syndroms in Indien – als man mit dunkelhäutigen Menschen zusammen war, das brachte das Schlechteste des „hässlichen Israeli“ ( wie Israeli dies nennen) hervor. Oder die Art und Weise, wie man auf ein Lächeln reagiert. Wenn Palästinenser am Checkpoint mich anlächelten, wurde ich nervös und empfand es als Herausforderung, als Frechheit. Wenn mich jemand in Indien anlächelte, ging ich sofort in die Defensive.

„Ich war ein durchschnittlicher Soldat“, sagte er, „Ich war der Spaßmacher in der Gruppe. Jetzt sehe ich, dass ich oft der war, der in gewalttätigen Situationen die Führung übernahm. Ich war oft derjenige, der die Ohrfeige verpasste. Ich war derjenige, der alle möglichen Ideen hatte, wie z.B. die Luft aus den Reifen zu lassen. Es klingt jetzt irgendwie seltsam, aber wir bewunderten wirklich jeden, der einen Kerl zusammenschlagen konnte… Wir bewunderten den Offizier am meisten, der seine Waffe bei jeder Gelegenheit abfeuerte. Von allen, mit denen ich sprach, bin ich derjenige, der nun die meisten Schuldgefühle hat ….Ein Freund aus der Armee las dies Buch und sagte, dass ich recht hätte, dass wir schlimme Dinge getan hätten, aber wir seien doch noch Kinder gewesen…

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