Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

Pressebericht - in: Jungle World, Nummer 45 vom 29. Oktober 2003

In unwichtige Kriege

Der Entwurf der SPD für ein Parlamentsbeteiligungsgesetz erleichtert der Regierung das Führen von Kriegen.

Frank Brendle / Jungle World / Pressebericht / Dokumentation (01.11.2003)

Von einem Tabubruch mag Gerit Ziegler nicht mehr reden. »Diese Bundesregierung konfrontiert einen ja im Wochenrhythmus mit Ungeheuerlichkeiten«, sagt die Bundessprecherin der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG-VK). Die neueste trägt den Namen Parlamentsbeteiligungsgesetz und soll Kriegsbeschlüsse in Zukunft einfacher machen.

Der Name der geplanten neuen Regelung ergibt tatsächlich Sinn. Bisher liegt die Entscheidung über einen Auslandseinsatz der Bundeswehr einzig und allein beim Parlament. In Zukunft soll die Regierung entscheiden, und das Parlament kann sich daran beteiligen. Manchmal jedenfalls.

Für das Reformvorhaben haben sich generell alle Fraktionen ausgesprochen. Im Hinblick darauf, dass die Bundeswehr meist im Verbund mit der EU, der Nato oder der Uno ins Feld zieht, sei eine gesetzliche Regelung der Einsätze erforderlich. Die fehlt nämlich bisher, als rechtliche Grundlage dient nur ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1994, das »für einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte« eine vorherige Bundestagsentscheidung fordert.

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel hatte auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2002 beklagt, der Parlamentsvorbehalt könne sich »zu einem Hindernis für reibungslose und schnelle Reaktionen« im Rahmen multilateraler Einsätze entwickeln. Auch Verteidigungsminister Peter Struck forderte in etlichen Interviews, »dass wir schnellere Entscheidungsverfahren bekommen«.

Die Einschätzung, ein langatmiges parlamentarisches Prozedere sei einer modernen Armee unangemessen, teilt auch der grüne Koalitionspartner. »Wir müssen den veränderten politischen Rahmenbedingungen Rechnung tragen«, heißt es aus dem Büro des grünen Rechtspolitikers Volker Beck. Klarer als er formulierte der Berliner Tagesspiegel das Problem: »Die Nato bildet eine Schnelle Eingreiftruppe mit Marschbereitschaft binnen fünf Tagen – soll die warten, bis die Deutschen mit dem Abstimmen fertig sind?« Es wäre interessant, einmal der grundsätzlich antiparlamentarischen Haltung nachzuforschen, die in solchen Diskussionsbeiträgen durchscheint.

Die SPD hat nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, der wichtige von unwichtigen Kriegen unterscheidet. Danach entscheidet über jene der Bundestag, über diese allein die Regierung.

Der Gesetzentwurf »präzisiert« zunächst die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1994. Der Begriff »Einsatz bewaffneter Streitkräfte« beziehe sich nur auf Bundeswehreinsätze, bei denen es sich um »bewaffnete Unternehmen« handele. Alle anderen bräuchten ohnehin nicht im Bundestag verhandelt zu werden. Wer großes Vertrauen in die Regierung besitzt, kann hier etwa an Hilfseinsätze im überfluteten Mozambique denken.

Darüber hinaus nennt der Gesetzentwurf drei Kategorien von Bundeswehreinsätzen, die jeweils unterschiedlich zu behandeln seien. Da ist zunächst die Rede von »Planungs- und Vorbereitungsmaßnahmen sowie humanitären Hilfsdiensten«. Sofern Waffen hier nur »zum Zweck der Selbstverteidigung« mitgeführt werden, bedürfen solche Einsätze keiner Zustimmung des Bundestages.

Eine Zustimmung im »vereinfachten Verfahren« ist »bei Einsätzen von geringer Bedeutung« vorgesehen. Zustimmung heißt: Der Bundestag erhält einen Regierungsantrag, und wenn nicht mindestens fünf Prozent der Abgeordneten Widerspruch einlegen, gilt der Antrag ohne Abstimmung als angenommen. Wer schweigt, stimmt zu. Von »geringer Bedeutung« sind nach Ansicht der SPD zum Beispiel Erkundungskommandos oder die Abordnung einzelner Soldaten bei multinationalen Einsätzen. Es geht hier also nur um die quantitative Dimension.

Schließlich gibt es auch weiterhin »richtige« Einsätze, bei denen das Parlament gefragt werden muss, allerdings nicht häufiger als unbedingt nötig. Kampfeinsätze könnten künftig auch ohne Befristung beschlossen werden. Und wenn doch Fristen festgelegt wurden, so soll die Verlängerung nicht mehr den Bundestag belasten. Nach dem SPD-Entwurf gilt dann wieder das »vereinfachte Verfahren«.

Struck hatte schon am 7. April in der Frankfurter Rundschau erzählt, was er sich von dem Gesetz erhofft. »Um beispielsweise den Einsatz der Awacs-Flugzeuge … sollte es zukünftig keine Diskussion im Bundestag geben.« Dieser Einsatz würde künftig in die Kategorie »von geringer Bedeutung« fallen, betrifft er doch nur wenige Soldaten. Wie groß die militärische Bedeutung ist, tut nichts zur Sache. Die Awacs-Flugzeuge dienten immerhin dazu, die türkische Flanke während des Irakkrieges abzusichern beziehungsweise der »Koalition der Willigen« Einblick in den irakischen Raum zu geben. Und überhaupt haben zahlenmäßig kleine Erkundungskommandos nun mal die Aufgabe, größere Einsätze vorzubereiten.

Die Definitionsmacht darüber, ob bei einem Einsatz ein »bewaffnetes Unternehmen« abzusehen ist oder allenfalls Diarrhöe und Schnupfen, liegt nach dem Gesetzentwurf bei der Regierung. Wenn es im Rahmen »humanitärer Maßnahmen« zu Schusswechseln kommt, die von den deutschen Soldaten als Selbstverteidigung interpretiert werden, hat der Bundestag auch nichts mehr zu melden. Und reicht die Selbstverteidigung als Rechtfertigung nicht aus, kann die Regierung von der Regelung »Gefahr im Verzug« Gebrauch machen, die weiterhin gilt, und einen größeren Militärschlag anordnen, um unmittelbar drohenden Schaden abzuwenden. Um Erlaubnis fragen muss die Regierung dann erst hinterher.

Bei dem Gesetzesvorhaben gehe es weniger darum, dass schneller Krieg geführt werden soll, sondern darum, dass »die Öffentlichkeit in Zukunft nichts mehr mitbekommt«, sagt Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung. Bisher sorgen Abstimmungen über Kriegseinsätze und deren Verlängerung noch für öffentliches Interesse, die Abgeordneten werden gezwungen, Farbe zu bekennen. Fällt die Zustimmungspflicht weg, dürfte auch die öffentliche Mobilisierung schwerer fallen.

Bevor es so weit ist, muss noch verhandelt werden. Den Grünen geht der Entwurf der SPD zu weit. Volker Beck schlägt vor, bei einem nicht weiter definierten »Kleinsteinsatz« nur den Auswärtigen Ausschuss abstimmen zu lassen. Auf eine Befristung von Einsätzen und auf Fristverlängerungen durch den Bundestag will er vorerst nicht verzichten. Die CDU dagegen möchte am liebsten eine Grundgesetzänderung, um die Bundeswehr unbeschadet von parlamentarischen Mehrheiten losschicken zu können.

Die Praxis hat indes die Rechtslage schon überholt. Der Bundestag ermächtigte am vergangenen Freitag die Bundesregierung zu »begrenzten« Einsätzen in ganz Afghanistan, wenn sie für die Absicherung der fürs nächste Jahr geplanten Wahlen erforderlich seien. Die »Begrenzung« wurde nicht weiter definiert, Struck kündigte lediglich an, er werde Bescheid geben und bei erheblichem Widerstand Abstand vom jeweiligen Einsatz nehmen. Auch was »erheblich« heißt, wurde nicht definiert. Gerit Ziegler von der DFG-VK kommentierte lakonisch: »Freischüsse für die Bundeswehr.«

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