Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

Pressebericht / in: Jungle World 34 - 13. August 2003

Im Pendelverkehr zur Sicherheit

Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan soll ausgeweitet werden. Deutschland will seine militärische Handlungsfähigkeit demonstrieren.

Frank Brendle / Pressebericht / Dokumentation (17.08.2003)

Bei der Bundeswehr geht das Rechnen los: Nachdem sich der Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) nach langem Zögern dafür ausgesprochen hat, den Einsatzradius seiner Truppe in Afghanistan über Kabul hinaus zu erweitern, wird in Planspielen ermittelt, wie viele Soldaten dafür in Frage kommen und wie viele anderswo abgezogen werden. Die Entscheidung soll bis September fallen.

Vor dem Irakkrieg hieß es noch, die Bundeswehr sei mit ihren bisherigen Einsätzen in Kabul, Djibouti, auf dem Balkan und anderswo schon komplett ausgebucht. Nun wurde die über 1200 Soldaten zählende Mission am Horn von Afrika schon halbiert, und bis zum Herbst soll sie nahezu komplett beendet werden. Offenbar gibt es nach dem Irakkrieg dort nichts mehr zu tun, womit mehr oder weniger deutlich eingestanden wird, dass der Einsatz doch nichts mit Terroristen zu tun hatte, die auf ihren Barkassen Afrika ansteuern könnten, sondern mit der Sicherung des amerikanischen Nachschubs in Richtung des Kriegsgebiets.

Hinzu kommen jene 800 Kämpfer, die vorerst aus Kabul abgezogen worden sind. Am Montag ging das deutsch-niederländische Kommando des Isaf-Einsatzes an die Nato über, die deutsche Truppe hat nun wieder die Stärke wie vor der Übernahme des Kommandos.

Wie es die Verteidigungspolitischen Richtlinien vorsehen, werden sie alsbald wieder im Einsatz sein, um »deutschen Interessen« weltweit Nachdruck zu verleihen. Voraussichtlich sollen 200 Soldaten im Herbst nach Afghanistan zurückkehren.

Was sie dort tun sollen, ist nur sehr vage umrissen: »Sicherheit und Stabilität« schaffen. Damit sieht es in der Tat schlecht aus. Knapp zwei Jahre nach dem Krieg kann von einem staatlichen Gewaltmonopol nicht die Rede sein. Die Regierung beherrscht ausschließlich Kabul, Milizen terrorisieren in fast allen Regionen die Bevölkerung. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erklärt in einem Bericht von Ende Juli, das Land werde bis auf Kabul »vollständig von den Warlords kontrolliert«, und die Menschenrechtssituation »scheint sich mit jedem Tag zu verschlechtern«. Erpressungen, Entführungen, die Einschüchterung politischer Aktivisten und immer wieder Gewalt gegen Frauen bestimmten den Alltag in den Provinzen.

Um dem ein Ende zu machen, fällt HRW allerdings auch nur ein, das Isaf-Mandat auf das ganze Land auszudehnen. Doch so sehr liegen die Menschenrechte der Afghanen den »Schutzmächten« nicht am Herzen. Schließlich kritisiert auch HRW, einzelne Milizenführer würden von den USA sowie vom afghanischen Verteidigungsminister unterstützt. Nach Einschätzung des bisherigen Kommandeurs, des Bundeswehrgenerals Norbert van Heyst, müssten allein zur Sicherung von zwölf Städten rund 10 000 Soldaten eingesetzt werden. Dazu ist niemand bereit.

Stattdessen sollen es nun Regionale Wiederaufbauteams (Provincial Reconstruction Teams) nach britischem und US-amerikanischem Vorbild richten. Es handelt sich um eine Art militärisch abgesicherter Entwicklungshilfekommandos, die Brücken, Krankenhäuser, Schulen und andere nützliche Dinge bauen, Taliban-Kämpfer abwehren und die afghanische Zivilgesellschaft zum Leben erwecken sollen.

Ob das gelingen wird, ist allerdings fraglich. Die am heftigsten umkämpften Regionen scheiden als Einsatzorte der Wiederaufbauteams aus. Zu gefährlich, befand ein Erkundungsteam, das sich im Juni in Afghanistan umschaute. Empfohlen wurde dagegen die 50 Kilometer von Kabul entfernte Stadt Charika, in der es – zurzeit einzigartig in Afghanistan – recht friedlich zuzugehen scheint. »Wegen der relativ kurzen Fahrtzeit«, so heißt es im Bericht des Teams, könne die Arbeit auch von Kabul aus erledigt werden. Das muss man sich dann so vorstellen: Der Schutz der afghanischen Zivilgesellschaft vor Milizen findet werktags von 8 bis 16 Uhr statt, und für die Beschützer wird ein Pendelverkehr eingerichtet.

Mitarbeiter der französischen Hilfsorganisation Acted und von Care International, die bereits in Charika arbeiten, äußerten sich sofort ablehnend zu diesen Plänen: »Wir brauchen hier keine deutschen Soldaten.« Die Helfer vor Ort fürchten um die Früchte ihrer bisherige Arbeit. Ein militärischer Schutz sei unsinnig, da es keine Angriffe gebe – was sich mit der Anwesenheit von Besatzungssoldaten ändern könnte.

Auf diese Kritik galt es rasch zu reagieren, nimmt sie doch dem Bundeswehreinsatz jeden Anschein von »Schutz und Hilfe«. Mittlerweile ist daher auch die Stadt Kundus, 200 Kilometer nordwestlich von Kabul, im Gespräch. Dort stehen aber bereits US-Streitkräfte. Wer nun wen beschützen soll, werden die Armeen einvernehmlich entscheiden, die Afghanen bleiben dabei sicherlich Statisten.

Irgendetwas soll jedenfalls passieren, erkannte Struck doch nicht zu Unrecht, dass der Einsatz an einem »Wendepunkt« steht. Kabul ist unter Kontrolle, aber drumherum macht jeder, was er will. Nun müsse man entweder über Kabul hinausgehen, »oder man erklärt die Mission für gescheitert«.

Letzteres darf natürlich nicht sein, also wird die Flucht nach vorn angetreten, in der Hoffnung, in einem irgendwann einmal stabilisierten Afghanistan mitreden zu können. Zugleich werden die Erwartungen der Nato-Partner erfüllt. Noch wichtiger dürfte das grundsätzliche Bedürfnis sein, auch in Zukunft glaubwürdig als Global Player auftreten zu können. Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung formulierte salopp, die Bundeswehr wolle eine Machtdemonstration und sei »wieder mal völlig bescheuert aufgetreten«. Denn nun sei jedem klar, dass hinter dem Einsatz in Afghanistan kein Konzept stehe, das dem Land wirklich hilfreich wäre.

Das wiederum ist nichts Ungewöhnliches für einen Bundeswehreinsatz; im Kosovo und in Bosnien wusste ja auch keiner, wie es weitergehen sollte, nachdem das Militär erst einmal gesiegt hatte. Irgendwann werden dort die Truppen abgezogen und woanders hingeschickt.

Sogar den Militärs scheint die Konzeptlosigkeit schon auf die Nerven zu gehen. Nicht nur der ewig unzufriedene Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, bezeichnete den neuen Einsatz als »falschen Weg«. Auch der Leiter des Heeresführungskommandos, Axel Bürgener, kritisierte, die Bundeswehr habe die Grenze ihrer Belastbarkeit bereits überschritten. Er meint damit die persönliche Belastung der Soldaten, die die Hälfte ihrer Dienstzeit im Ausland verbringen, den darunter leidenden Ausbildungsbetrieb und die mangelhafte Ausrüstung.

Die Welt empörte sich, es gehe nicht an, die Soldaten ständig irgendwohin zu schicken, um sie dann dort zu »vergessen«. Tatsächlich hat sich, wer einen gemütlichen heimatnahen Job suchte, mit der »Armee im Einsatz« den falschen Arbeitgeber gesucht.

Der Verdacht drängt sich auf, es könnte sich bei der Erweiterung des Einsatzes in Afghanistan auch um eine Kompensation für die relative Zurückhaltung im Irakkrieg handeln. Zumindest unterstellt das der Vorsitzende der FDP, Guido Westerwelle: Die Bundesregierung wolle »einen materiellen Ausgleich« für ihre bisherige verfehlte Außen- und Sicherheitspolitik anbieten.

Doch in den Regierungsparteien denkt man auch schon über einen Einsatz im Irak nach. Am Wochenende sprach sich Struck grundsätzlich für einen Nato-Einsatz auch im Irak im Falle eines Uno-Auftrags aus und schloss eine Mitwirkung deutscher Soldaten nicht aus. Auch in Washington denkt man über eine neue UN-Resolution nach, um mehr Staaten zur Truppenentsendung in den Irak zu bewegen.

Bis es so weit ist oder ein anderes Ziel ins Visier gerät, drückt sich die Bundeswehr eben in einem nordafghanischen Städtchen herum und stellt auf diese Weise ihren Anspruch als weltweit handlungsfähige Militärmacht dar.

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