Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2003/032 - in: Telepolis, 23.07.2003

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Im UN-Sicherheitsrat wurde der Irakische Regierungsrat begrüßt, aber ein schnelles Ende der Besetzung verlangt, für die Entsendung von Truppen verlangen viele Staaten eine neue UN-Resolution

Dirk Eckert (03.08.2003)

http://imi-online.de/download/IMI-Analyse-2003-032-Irak-Eckert.pdf

Der Irak ist gefährliches Gelände für die US-Soldaten. Über 150 Soldaten sind bereits getötet [1] worden – so viele wie im gesamten Golfkrieg von 1991. Das Pentagon hat inzwischen eingeräumt, es mit einem Guerillakrieg zu tun zu haben. Hinzu kommen Besatzungskosten von vier Milliarden Dollar im Monat, die amerikanische Steuerzahler tragen müssen. In ihrer Not wendet sich die US-Regierung jetzt sogar an Frankreich und Deutschland, die vor nicht all zu langer Zeit als Feiglinge verunglimpft wurden. Selbst die Vereinten Nationen werden reaktiviert. Inzwischen hat die Tötung der beiden Hussein-Söhne neue Hoffnung für ein Zurückgehen des Widerstand entstehen lassen. US-Präsident rief, zufrieden mit der endlich einmal wieder guten Nachricht, das „Ende des Regimes“ aus.

All zu viel Zeit bleibe den USA nicht mehr, die Lage im Irak zu verbessern. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls das „Center for Strategic and International Studies“ (CSIS), das im Auftrag des Pentagon eine Studie [2] zur Lage im Irak erstellt hat. In den nächsten drei Monaten müsste das Ruder herumgerissen werden, mahnen die Experten, die vom 27. Juni bis zum 7. Juli den Irak besucht hatten. Im Einzelnen fordern sie mehr Geld und Personal und mahnen die Einbeziehung von Irakern in den Wiederaufbau an, ebenso wie eine Verbesserung der Kommunikation mit den Irakern.

Doch auch aus innenpolitischen Gründen muss George W. Bush bald Erfolge vorweisen. Gelingt ihm das nicht, wird der nächste Präsidentschaftswahlkampf vielleicht um die Frage geführt, wer die G.I.s am schnellsten aus der Hölle von Bagdad herausholt. Einige frustrierte Soldaten haben sich bereits kritisch in den US-Medien über ihre Lage geäußert [3] und dabei auch Bush angegriffen – keine gute Werbung für den Amtsinhaber im Weißen Haus.

Abhilfe sollen jetzt mehr Soldaten bringen. Die werden schon deshalb dringend benötigt, weil der wirtschaftliche Aufschwung nicht all zu schnell eintreten wird, wie Paul Wolfowitz, stellvertretender Außenminister und als Mann der klaren Worte bekannt, jüngst bei einem Besuch in der nordirakischen Stadt Mossul einräumte [4]. Geplant ist ein Mix aus mehr US-Soldaten, privaten Sicherheitsdiensten, einheimischen Hilfstruppen und frischen Soldaten aus anderen Ländern.

So wird die Zahl der gegenwärtig im Irak stationierten Soldaten nicht verringert, sondern bleibt bei 150.000, von denen die USA 140.000 stellen, die anderen Besatzungsmächte 13.000. Zu diesem Zeck wurde die Rückkehr von rund 9000 Soldaten der 3. Infanterie- Division, die eigentlich für August und September geplant war, auf unbestimmte Zeit verschoben [5]. Die 3. Infanterie-Division war von Anfang an am Krieg beteiligt und auch bei der Eroberung Bagdads dabei. Außerdem will [6] das Pentagon 10.000 Nationalgardisten in den Irak schicken. Der neue US- Oberbefehlshaber im Irak, John Abizaid, will noch mehr Soldaten anfordern, wenn sich die Lage verschlimmere.

Zudem will das US-Militär jetzt einheimische Truppen heranziehen. Insgesamt 7000 Iraker sollen als „zivile Verteidigungstruppe“ gegen Gewalt und Sabotage eingesetzt werden, wie Abizaid, sagte [7]. Die Truppe soll in 45 Tagen einsatzbereit sein und trainiert werden von einem privaten Sicherheitsdienst, der DynCorp [8], auf deren Dienste das Pentagon schon bei der Zerstörung von Coca-Feldern in Kolumbien zurückgegriffen hatte. Überhaupt geht der Trend eindeutig in die Richtung, private Dienste in Krieg und Wiederaufbau einzubeziehen. P.W. Singer von der Brookings Institution schreibt [9] in der „New York Times“, dass im Irak-Krieg ein privater „military worker“ in der Region auf zehn Soldaten kam. Beim Golfkrieg 1991 betrug das Verhältnis noch 1 zu 100.
Schließlich hat die US-Regierung andere Länder um zusätzliche Truppen ersucht. Die japanische Regierung will [10] demnächst 1000 Soldaten zur Unterstützung schicken. Die Türkei überlegt [11] aufgrund einer Bitte der USA, Truppen zu schicken. Doch hier beginnen die Probleme für die US- Regierung: Einige der angefragten Länder bestehen auf politische Mitsprache. Indien, Russland, Frankreich sowie Deutschland haben schon klar gesagt [12], dass sie ein neues Mandat des UN-Sicherheitsrates wollen. Das ist auch kein Wunder, haben sie doch eigene Interessen, wie dies zumindest Bernd Ulrich in der „Zeit“ in Bezug auf Deutschland formulierte [13]:

„Der Irak wird mit oder ohne uns zum politischen Laboratorium für die ganze Region. Da geht es um wirtschaftliche Interessen, auch um Öl, und um entwicklungspolitische Perspektiven. Dabei kann Deutschland – ein Mandat der UN vorausgesetzt – nur fehlen, wenn wir nicht genug Soldaten haben, um sie dorthin zu schicken.“ Konsequenterweise stellt Autor Bernd Ulrich die rhetorische Frage, ob sich die Regierung auf das „unwichtigere Afghanistan“ beschränken will: „Berlin sollte seine Chance im Irak nutzen“.

Entscheidend im Streit um Besatzung und Mitsprache ist der Zugriff auf finanzielle Ressourcen. Bisher kontrollieren die USA und Großbritannien die Finanzen des Irak, besonders die Einnahmen aus dem Ölverkauf. EU-Außenkommissar Chris Patten hat sich deshalb in einem im Auftrag der Staats- und Regierungschefs der EU erstellten internen Diskussionspapier für einen Fond zum Wiederaufbau Iraks ausgesprochen [14], der nicht unter alleiniger Kontrolle der USA stehen soll, sondern von Vereinten Nationen und Weltbank verwaltet wird. Der deutsche Außenminister Joschka Fischer wie auch andere EU- Politikern begrüßten den Vorschlag umgehend. Geht es nach der EU, findet im Oktober eine Geberkonferenz statt. Unabhängig davon hat die EU bereits 730 Millionen Euro an humanitärer Hilfe zugesagt.

Bush [15] hält allerdings eine neue Resolution des Sicherheitsrates nicht für notwendig. Bush schloss eine Resolution aber auch nicht kategorisch aus, und so beschäftigte sich der UN-Sicherheitsrat am 22. Juli erstmals nach Kriegsende mit der Lage im Irak. Doch die Differenzen sind noch zu groß: Kofi Annan forderte [16] einen Zeitplan für den Rückzug, was der US-Zivilverwalter im Irak, Paul Bremer, jedoch sofort öffentlich ablehnte. Bremer argumentierte, dass die Aufgaben der Besatzungstruppen beendet seien, wenn eine Verfassung verabschiedet, Wahlen durchgeführt und die erste irakische Regierung im Amt ist.
Eine neue Resolution zum Irak kam in der Sicherheitsratssitzung nicht zustande [17]. US-Botschafter John Negroponte betonte, dass militärische Hilfe auch ohne neue Resolution möglich sei. Die Einberufung des irakischen Regierungsrates wurde als wichtiger erster Schritt begrüßt [18]. In dem Bericht [19] für den Sicherheitsrat bezeichnete auch der UN-Sonderbeauftrage für den Irak, Sergio Vieira de Mello, die Einrichtung des Regierungsrates als wichtigen Schritt, forderte aber ein schnelles Ende der militärisches Besatzung und einen genauen Zeitplan für die Übergabe der Souveränität an eine gewählte Regierung. Die UN könne zur Not auch ohne neue Resolution eine wichtige Rolle spielen.

In seinem gestern vorgestellten Programm hat der von der US-Regierung eingesetzte Irakische Regierungsrat festgelegt, Sicherheit und Stabilität garantieren zu wollen und gegen Terrorismus und Sabotage zu kämpfen. Die Ideologie der Ba’ath-Partei müsse verschwinden, um die „Prinzipien des politischen Pluralismus und der Demokratie“ bei der Bevölkerung zu stärken. Angehörige des Hussein-Regimes sollen wegen Kriegsverbrechens zur Rechenschaft gezogen werden.

Links

[1] http://cryptome.org/mil-dead-iqw.htm
[2] http://www.csis.org/isp/pcr/IraqTrip.pdf
[3] http://www.rferl.org/nca/features/2003/07/22072003161528.asp
[4] http://www.nytimes.com/2003/07/22/international/worldspecial/22WOLF.html
[5] http://www4.army.mil/ocpa/read.php?story_id_key=5050
[6] http://:www.bayarea.com/mld/mercurynews/news/special_packages/iraq/6364344.ht m
[7] http://www.nytimes.com/2003/07/20/international/worldspecial/20CND- WOLF.html
[8] http://www.dyncorp.com/
[9] http://www.nytimes.com/2003/07/21/opinion/21SING.html
[10] http://famulus.msnbc.com/FamulusIntl/reuters07-21- 220710.asp?reg=PACRIM
[11] http://www.turkishpress.com/turkishpress/news.asp?ID=11987
[12] http://www.welt.de/data/2003/07/20/138676.html
[13] http://www.zeit.de/2003/30/Erster_Leiter
[14] http://www.nzz.ch/2003/07/18/al/page-article8ZFYS.html
[15] http://www.whitehouse.gov/news/releases/2003/07/20030721.html
[16] http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=7781&Cr=Iraq&Cr1=report
[17] http://www.nytimes.com/2003/07/23/international/worldspecial/23NATI.html
[18] http://www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=7799&Cr=Iraq&Cr1=
[19] http://www.un.org/apps/news/infocusnewsiraq1.asp?NewsID=573&sID=12

Original-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/special/irak/15285/1.html
http://imi-online.de/download/IMI-Analyse-2003-032-Irak-Eckert.pdf

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