Dokumentation / in: Die Welt vom 25.04.2003

Entwurf der neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien 2003

"Die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr"

von: Dokumentation / Die Welt | Veröffentlicht am: 23. April 2003

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Die Sicherheitslage hat sich grundlegend gewandelt. Die Erfordernisse einer vorausschauenden deutschen Außen- und Sicherheitspolitik führen zu erweiterten Anforderungen an die Bundeswehr. Neue sicherheitspolitische Chancen und Risiken erfordern veränderte Fähigkeiten. Die begonnene umfassende Reform der Bundeswehr wird weiter entwickelt. … Die Allgemeine Wehrpflicht bleibt in angepasster Form für Einsatzbereitschaft, Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Bundeswehr ohne Alternative. Die Sicherheitspolitik hat zum Ziel, eine umfassende Grundvorsorge des Staates für die Sicherheit und den Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Sie nutzt dazu die bestehenden regionalen und globalen Sicherheitssituationen wie die Europäische Union (EU), die Nordatlantische Allianz (NATO), die Vereinten Nationen (VN) und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). … Die fortschreitende Erweiterung und Vertiefung der euroantlantischen Sicherheitsstrukturen schaffen einen weltweit einzigartigen Stabilitätsraum. Die Öffnung von NATO und EU für neue Mitglieder festigt Sicherheit und Stabilität, bedingt aber auch die Bereitschaft, mehr Pflichten zu übernehmen. Deutschland profitiert von dieser Entwicklung in Europa. Eine Gefährdung des deutschen Staatsgebietes durch konventionelle Streitkräfte gibt es derzeit und auf absehbare Zeit nicht. Die Anpassung der NATO an das veränderte sicherheitspolitische Umfeld sichert auch für die Zukunft die zentrale Rolle der Allianz für die euro-atlantische Sicherheit. Sie garantiert die feste Verankerung des amerikanischen Bündnispartners in Europa. Vornehmlich religiöser Extremismus und Fanatismus, im Verbund mit der weltweiten Reichweite des internationalen Terrorismus, bedrohen die Errungenschaften moderner Zivilisationen. In Europa sind auch weiterhin gewaltsam ausgetragene, nationalistische und ethnisch motivierte Konflikte möglich. Die fortdauernd labile Sicherheitslage auf dem Balkan erfordert weiterhin das besondere Engagement gerade der europäischen Nationen. Militärische Beiträge zur Gestaltung eines sicheren Umfeldes für eine nachhaltige politische und gesellschaftliche Normalisierung bleiben zwingend erforderlich. Für die deutsche Sicherheits- und Verteidigungspolitik ergeben sich daraus drei Folgerungen: Erstens: Die transatlantische Partnerschaft bleibt das Fundament der Sicherheitsarchitektur im euroatlantischen Rahmen. Ohne die Vereinigten Staaten von Amerika kann es auch künftig keine Sicherheit in und für Europa geben. Die transatlantische Partnerschaft verlangt einen angemessenen deutschen Beitrag, um gemeinsam die neuen Herausforderungen in und um Europa bewältigen zu können. Zweitens: Der Stabilitätsraum Europa wird durch eine breit angelegte, kooperative und wirksame Sicherheits- und Verteidigungspolitik gestärkt. … Drittens: Deutschland beteiligt sich an den internationalen Staatengemeinschaften wie den VN und der OSZE Hinzu kommen Einsätze im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, auch als Beiträge zur Unterstützung von Bündnispartnern. Die Bundeswehr bekämpft weltweit operierende Terrororganisationen und trägt dazu bei, ihnen sichere Rückzugsgebiete zu entziehen und Seeverbindungswege zu sichern. Künftige Einsätze der Bundeswehr lassen sich wegen des umfassenden Ansatzes zeitgemäßer Sicherheits- und Verteidigungspolitik und ihrer Erfordernisse weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen. Der politische Zweck bestimmt Ziel, Ort, Dauer und Art eines Einsatzes. Die Notwendigkeit für eine Teilnahme der Bundeswehr an multinationalen Operationen kann sich weltweit und mit geringem zeitlichen Vorlauf ergeben und das gesamte Einsatzspektrum bis hin zu Operationen mit hoher Intensität umfassen. Zum Schutz der Bevölkerung und lebenswichtiger Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen wird die Bundeswehr Kräfte und Mittel entsprechend dem Risiko bereithalten. Auch wenn dies vorrangig eine Aufgabe für Kräfte der inneren Sicherheit ist, werden die Streitkräfte immer dann zur Verfügung stehen, wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen oder wenn zum Schutz der Bürger und kritischer Infrastruktur ein erheblicher Personaleinsatz erforderlich wird. Die bisher ausschließlich für die Landesverteidigung gegen einen konventionellen Angreifer vorgehaltenen Fähigkeiten werden angesichts des neuen internationalen Umfeldes nicht länger benötigt. Sie können zudem angesichts der knappen, zur Schwerpunktbildung zwingenden Ressourcenlage nicht mehr erbracht werden, ohne dass sich dies nachteilig auf die künftig erforderlichen Fähigkeiten auswirkt. Notwendig bleibt vielmehr eine Befähigung, die es erlaubt, die Landesverteidigung gegen einen Angriff mit konventionellen Streitkräften innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens wieder aufzubauen. Der Wehrpflicht kommt in diesem Zusammenhang eine zentrale Bedeutung zu. Der Schutz Deutschlands einschließlich der Befähigung zur Rekonstitution sowie die eventuelle Unterstützung bei Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen begründen auch künftig die allgemeine Wehrpflicht. Umfang, Ausgestaltung und Dauer des Grundwehrdienstes werden der Lage angepasst. (Auszüge)