in: Neues Deutschland 07.04.2003

»Fast könnte man sich wohl fühlen«

Sonderparteitag: PDS und Friedensaktivisten demonstrierten Einigkeit gegen den Krieg

von: Wolfgang Hübner / Neues Deutschland / Pressebericht | Veröffentlicht am: 8. April 2003

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Das war Balsam auf die zuletzt ziemlich gequälte PDS-Seele: Ein Parteitag, bei dem die latenten Streitthemen höchstens in Anspielungen eine Rolle spielten und mancher Außenstehende sich auch noch zum Lob der Partei aufraffte. Die PDS, erklärte etwa Tobias Pflüger von der Tübinger Informationsstelle Militarisierung, unterscheide sich schon dadurch von anderen Parteien, dass sie Vertreter der Friedensbewegung einlädt. »Bei diesen guten Reden heute könnte man sich fast wohl fühlen in der PDS«, geriet Pflüger leicht ins Schwärmen.

PDS-Insider gingen zunächst weniger euphorisch in den Sonderparteitag, weil die Anwesenheit von nur knapp zwei Dritteln der Delegierten »nicht gerade Planerfüllung« war, wie Tagungsleiterin Heidi Knake-Werner anmerkte. Parteichefin Gabriele Zimmer erklärte dies später mit der relativ kurzfristigen Einberufung des Kongresses und mit der Tatsache, dass etliche Delegierte sich wegen Antikriegs-Aktionen in ihren Heimatorten entschuldigt hatten.

Zimmer grüßte zu Beginn ihrer Rede nicht nur wie üblich die Genossen und Gäste, sondern auch die »lieben Freundinnen und Freunde Amerikas« und erklärte, sie könne jene Menschen nicht antiamerikanisch nennen, die gegen den US-Krieg auf die Straße gehen. Dagegen sei die Regierung Bush, »die Werte wie Demokratie, Freiheit und Menschenrechte in die Mülltonne schmeißt«, antiamerikanisch. Auf ihrer Schleimspur krieche CDU-Chefin Angela Merkel, »die FDJ-Blusenträgerin von einst«, die offenbar eine Supermacht gegen die andere ausgetauscht habe und nun Bushs Barbarisierung der Politik verteidige. Merkel gehöre ebenso wenig zur europäischen Friedenspartei wie Blair, Aznar und Berlusconi; zu dieser Friedenspartei gehöre die PDS ebenso wie der Papst, CSU-Mann Gauweiler und Frankreichs Präsident Chirac.

Kampf um das Öl und ein Marx-Zitat

Und selbstredend auch die Gäste der deutschen und internationalen Friedensbewegung, die der Einladung zum PDS-Sonderparteitag gefolgt waren. Der Berliner Politikwissenschaftler Elmar Altvater etwa plädierte für eine europäische Antwort auf die Aggression gegen Irak. Die USA hätten »oft bewiesen, dass sie auf ihre Bündnispartner nur Rücksicht nehmen, so lange diese selbstbewusst auftreten und nicht unterwürfig wie Satrapen mitmachen«. Da der Kampf um die knapper werdenden Energieressourcen ein wesentlicher Antrieb des Irak-Krieges sei, besteht für Altvater Friedenspolitik heute vor allem in der Reduzierung des Ölverbrauchs und der Förderung alternativer Energien. Dabei könne »Europa im Rahmen der UNO eine Vorreiterrolle übernehmen«.

Hassan Akif von der Kommunistischen Partei Iraks versicherte, niemand werde dem Diktator Saddam Hussein eine Träne nachweinen; dennoch lehne seine Partei diesen Krieg und jede Besatzung ab – egal, welcher Vorwand dafür gefunden werde. Christian Bautz von der Kampagne resist erklärte, ohne die massenhaften Proteste lägen Hürden für kommende Kriege weit niedriger. Als »gewöhnlichen, schmutzigen Kolonialkrieg« bezeichnete der Verfassungsrechtler Norman Paech die Aggression gegen Irak und konstatierte, die Bundesregierung drücke sich vor den Konsequenzen ihrer Weigerung, in den Krieg zu ziehen. Darin zeige sich ein schleichender Verfall der Verfassung. Der Grünen-Politiker Wolfgang Ullmann warnte in einer Gesprächsrunde am Rande des Parteitages davor, sich auf die Frage Bush oder Hussein einzulassen. Die wirkliche Alternative laute Weltkrieg oder Weltfriedensordnung.

Dieser Sonderparteitag war erwartungsgemäß eher eine einvernehmliche politische Demonstration als ein Meinungsstreit. Der friedenspolitische Sprecher des PDS-Vorstands Wolfgang Gehrcke entwarf Grundzüge eines Konzepts für eine Zivilmacht Europa, die ein Gegengewicht zur Weltmacht USA bilden könne. Dazu gehöre beispielsweise, die NATO in eine zivile Organisation umzuwandeln. Deutschland sollte nach Ansicht Gehrckes die Initiative gegen die atomare Erstschlagsdoktrin der NATO ergreifen. Der Widerstand gegen den Krieg müsse mit dem Kampf um eine andere Welt verbunden werden – kleiner gehe es nicht, meinte der Europaabgeordnete André Brie. Er warnte seine Parteifreunde davor, auf Bushs Sendungsbewusstsein mit dem elitären Selbstbewusstsein zu antworten, die besten Friedensfreunde zu sein.

Eine der schärfsten Polemiken trug die frühere Bundestagsabgeordnete Christa Luft vor, die sich angesichts des Krieges um Öl am Marx erinnert fühlt. Für 100 Prozent Profit stampfe das Kapital alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß – »300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens«, zitierte Luft eine Fußnote aus Marx’ »Kapital«. Beschämenderweise seien in Irak deutsche Rüstungsgüter im Einsatz. Für solche Firmen forderte Luft eine Art Rüstungsabgabe und wies auf den Zusammenhang zwischen Schröders Außenpolitik und den innenpolitischen Reformen hin. Die Bundesrepublik stehe vor den tiefsten Einschnitten in ihr Sozialsystem, hinzu kämen nun auch noch Überlegungen, wegen der Kriegsfolgen die Mehrwertsteuer zu erhöhen. »Das Friedensengagement muss ein Echo bei innenpolitischen Themen haben«, sagte Luft, »denn angegriffen wird auch der soziale Frieden.« Gabriele Zimmer kündigte verstärkte soziale Proteste der PDS in den kommenden Wochen an.

Ein schwacher Hauch von Münster

Lange berührte niemand direkt den wunden Punkt Münster. Gregor Gysi, der das Thema vor dem Parteitag wieder in die Öffentlichkeit gebracht hatte, war gar nicht erst gekommen. Lediglich die Parteivorsitzende hatte leicht salomonisch erklärt, die auch in der PDS »weit verbreitete Vorstellung, die UNO könne für immer und ewig in ein Machtinstrument der USA verwandelt werden«, habe sich als falsch erwiesen. Deutlicher wurde der Berliner Kultursenator Thomas Flierl, der sich gegen Denkverbote in Bezug auf die in Münster beschlossene Ablehnung von UN-Kampfeinsätzen wandte. Das wiederum rief die Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann auf den Plan, die auf der prinzipiellen Ablehnung von Gewalt als Mittel der Politik beharrte und auch angesichts der gegenwärtigen Debatte über eine EU-Verfassung »Kampfeinsätze für vorgeblich friedenssichernde Zwecke« strikt ablehnte. Kaufmann plädierte wie der ehemalige PDS-Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch dafür, dass sich die Linke inklusive der PDS Gedanken über eine eigenständige europäische Außen- und Sicherheitspolitik macht. Auf Münster ging Bartsch – damals erklärter Gegner von Kaufmann – nicht ein, schwenkte statt dessen kurz zur Programmdebatte und verließ das Rednerpult mit der nicht präzisierten Bekundung, beim Parteitag im Oktober werde es einen programmatischen »und gegebenenfalls auch anderen Neuanfang geben«. Ellen Brombacher wandte sich schließlich mit einer inständigen Bitte an Flierl: Seit in Berlin Rot-Rot regiere, habe die PDS zehn Prozent verloren – »bitte, bitte jetzt nicht auch noch die Revision von Münster, sonst stehen wir bald bei fünf Prozent«.