IMI-Standpunkt 2003/021, ISSN 1611-2725

„Kein Krieg ohne uns!“

oder Was vom deutschen Nein übrig bleibt

von: Dr. Silke Reinecke | Veröffentlicht am: 12. März 2003

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Tagtäglich wird über die in der ganzen Republik stattfindenden Friedensdemonstrationen berichtet. Der Tenor in den Massenmedien lautet mehr oder weniger unisono, die Friedensbewegung unterstütze die Bundesregierung in deren Ablehnung des Irak-Krieges. Für die „Mitläufer“ des 15. Februar, Herrn Thierse & Co., mag dies vielleicht zutreffen, doch große Teile der Friedensbewegung haben erkannt, dass die Bundesregierung trotz aller Lippenbekenntnisse keineswegs eine konsequente Ablehnung des Irak-Krieges betreibt. Dies lässt sich an zahlreichen Punkten deutlich machen:

· Deutschland ist eine wichtige Drehscheibe für Truppen- und Materialtransporte der US-Armee in die Krisenregion. Frankfurt Airbase, Ramstein, Spangdahlem, Bremerhaven etc. sind wesentlich für den raschen Aufmarsch am Golf. Damit leistet Deutschland Beihilfe zur Vorbereitung eines Angriffskrieges.

· Die Bundesrepublik wird den USA im Kriegsfall Überflugrechte gewähren und die Nutzungsrechte der Militärbasen auf deutschem Boden nicht beschränken. Dies sagte Bundeskanzler Schröder bereits beim NATO-Gipfel im November 2002 zu. Zu diesem Schritt gibt es keinerlei rechtliche Verpflichtung, auch nicht aus dem NATO-Truppenstatut. Österreich hingegen hat den US-Truppen Überflugs- und Durchfahrtrechte für deren Aufmarsch entzogen, zumindest bis zu einer neuen UN-Resolution.

· Auf dem größten US-Truppenübungsplatz in Europa, in Grafenwöhr, wurde von Ende Januar bis Anfang Februar 2003 das groß angelegte virtuelle Manöver „Victory Scrimmage“ zur Kriegsvorbereitung durchgeführt. Rund 1000 Offiziere probten mittels computergestützter Simulationen den Angriff auf den Irak, geduldet von der Bundesregierung.

· Die Bundeswehr entlastet die US-Armee durch Bewachung von rund 95 US-Kasernen und Truppenübungsplätzen auf deutschem Boden (u.a. Grafenwöhr, Vilseck, Hohenfels/Franken, Rhein-Main-Airbase/Frankfurt) und entbindet dafür 7000 ihrer SoldatInnen voraussichtlich für zwei Jahre von anderen Aufgaben. Damit werden mehr US-Soldaten für eine direkte Kriegsbeteiligung frei.

· Deutschland hat gemeinsam mit den Niederlanden am 10. Februar 2003 die Führungsrolle der ISAF in Afghanistan übernommen und stellt mit bis zu 2500 SoldatInnen das größte Kontingent der gut 4000 Köpfe starken Truppe. Das Kommando Spezialkräfte bleibt weiterhin von der Öffentlichkeit unbeachtet in Afghanistan aktiv, während amerikanische Spezialeinheiten die „Terroristenjagd“ aufgegeben haben, um für andere Aufgaben frei zu sein. Bundeskanzler Schröder wird nicht müde, den „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ „Seite an Seite mit Amerikanern“ (Regierungserklärung vom 13. Februar) zu betonen. Dies bedeutet eine weitere indirekte Unterstützung für die US-Armee, die nun personelle und logistische Kapazitäten für den Krieg gegen Irak umlenken kennen.

· Deutschland belässt die rund 50 ABC-Abwehrkräfte mit ihren sechs Spürpanzern Fuchs in Kuwait, statt sie sofort abzuziehen. Stattdessen ist im Falle einer Verschärfung der Lage eine Aufstockung des Kontingents auf 250 Soldaten geplant. Die betroffenen Soldaten des ABC-Abwehrbataillons 7 in Höxter befinden sich gegenwärtig in 60-Stunden-Bereitschaft, müssen also stets mit einer Verlegung in weniger als drei Tagen rechnen.

· Deutschland stellt Soldaten als Besatzung für AWACS-Flugzeuge zur Verfügung. Diese Flugzeuge dienen im Kriegsfall als militärische Gefechtsstände und werden sich an der Zielplanung für Angriffe auf den Irak beteiligen.

· Die Bundeswehr hat Personal zu Bedienung der LUNA-Aufklärungsdrohnen zur Verfügung gestellt. Etwa 20 Soldaten werden, offiziell von der Bundeswehr beurlaubt und als UN-Mitarbeiter deklariert, die Waffenkontrolleure im Irak unterstützen. Das Szenario für den Kriegsfall ist ungewiss. Möglicherweise müsste das KSK der Bundeswehr diese Personen evakuieren und wäre damit direkt in den Krieg verwickelt.

· Deutschland hat am 17. Februar 2003 einer Erklärung der Europäischen Union zum Irak zugestimmt. In dieser Erklärung wird der Gebrauch von Gewalt als letztes Mittel gerechtfertigt. Noch problematischer ist ein in der Öffentlichkeit wenig beachteter Satz, mit dem die zunehmende Eskalation der Kriegsgefahr gerechtfertigt wird: „Wir erkennen an, dass (…) der militärische Aufmarsch wesentlich gewesen (…)(ist), um die Rückkehr der Inspektoren zu erreichen. Die Faktoren bleiben wesentlich, wenn wir die gewünschte volle Kooperation erreichen wollen.“ Mit anderen Worten: Der massive Militäraufmarsch, wesentlich von deutschem Boden aus, wird nicht nur hingenommen, sondern bewusst und gewollt weiterbetrieben!

· Deutschland hat einem Grundsatzbeschluss der NATO für Hilfe für die Türkei, im Besonderen der Lieferung von Patriot-Luftabwehrraketen und ABC-Spezialeinheiten zugestimmt, ohne dass die Türkei angegriffen wurde. Eine Bedrohung der Türkei wird lediglich als Reaktion auf einen Angriff auf den Irak vermutet, den die Bundesregierung doch angeblich mit allen Mitteln verhindern will und die daher gar nicht eintreten dürfte.

· Deutschland hält weiterhin am Embargo gegen den Irak fest, das bereits jetzt zu einer massiven Verelendung des Landes geführt hat und einen Großteil der Infrastruktur des Iraks zerstört hat. Das Embargo stellt einen nicht-militärischen Krieg gegen die Zivilbevölkerung des Landes dar und fördert die Diktatur Saddam Husseins, indem es eine oppositionelle, gebildete Mittelschicht zerstört. Außerdem stellt das Embargo eine indirekte Vorbereitung des militärischen Angriffs dar, da es den Irak weitgehend geschwächt und massive Gegenwehr unrealistisch gemacht hat.

· Die Bundesregierung lehnt es ab, Deserteuren der US-Armee politisches Asyl zu gewähren, obwohl sie vielfach Repressionen und staatlicher Verfolgung seitens der USA ausgesetzt sind.

· In Deutschland werden konsequente Kriegsgegner, die die Lippenbekenntnisse der Bundesregierung als Lügen entlarven, eingeschüchtert und einer ungerechtfertigen strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt. Prominente Beispiele sind Tobias Pflüger und Konstantin Wecker, die sich wegen ihres Aufrufes an die deutsche AWACS-Besatzung, unrechtmäßige Befehle nicht zu befolgen, sondern zu desertieren, mit der Staatsanwaltschaft auseinandersetzen müssen.

· Die Haltung im Sicherheitsrat der UN wird sich bei dem von den USA einzubringenden Resolutionsentwurf noch beweisen müssen. Die Vorankündigungen sind äußerst vage, ein klares Nein zu einem militärischen Angriff auf den Irak notfalls auch im Alleingang eher unwahrscheinlich.

Es bleibt angesichts dieser überwältigenden Fülle von Tatsachen nur festzustellen, dass vom deutschen „Nein zum Krieg!“ leider nur wenig übrig bleibt. Selbst wenn keine deutschen SoldatInnen Jagdbomber fliegen, hat die Bundesregierung den geplanten Krieg gegen den Irak wesentlich ermöglicht und unterstützt. Von einer Friedenspolitik ist deutsche Politik selbst in Sachen Irak weit entfernt. Aufgabe der Friedensbewegung bleibt es, dies auch in das Bewusstsein der öffentlichen Meinung zu tragen.

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