IMI-Analyse 2003/012 - in: Graswurzelrevolution 276 Februar 2003 - no war - Sturmwarnung

Deutschland, NATO, EU und Irakkrieg

ISSN 1611-213X

von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 2. März 2003

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Die US-Regierung will mit Hilfe der britischen Regierung einen Krieg gegen den Irak führen, um an die umfangreichen Ölreserven heranzukommen.

Dieser Krieg ist der zweite Schritt einer umfassenden Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens mit kriegerischen Mitteln. Als Vorwand dient der sogenannte „Krieg gegen den Terror“. Die von Bush aufgeschriebene „Achse des Bösen“ wird nun kriegstechnisch „abgearbeitet“.

Nach Afghanistan soll der Irak unter westliche Kontrolle gebracht werden. (Der Konflikt mit Nordkorea „stört“ derzeit nur.) Im Rahmen des noch laufenden Afghanistankriegs wurden mehrere tausend Zivilisten und gegnerische Kämpfer, die zu Taliban oder El Kaida erklärt wurden, umgebracht. Beim Angriff auf den Irak rechnet das UNHCR (UN-Flüchtlingswerk) mit ca. ½ Million Flüchtlingen. Der Angriff soll von drei Seiten erfolgen, von der Türkei über den Nordirak aus dem Norden eine Bodeninvasion, intensive Luftangriffe auf Bagdad und andere Städte im Zentrum Iraks und Invasionen im schiitischen Gebiet im Süden des Irak. Geplant wird von US-amerikanischer Seite mit ca. 150.000 bis 250.000 Invasionssoldaten. 150.000 Soldaten hat die Kriegskoalition aus USA und Großbritannien schon in den Anrainerstaaten des Irak: Z.B. in Kuwait, Qatar, Saudi-Arabien und auf Flugzeugträgern im Persischen Golf. Mit dem Angriff ist ab dem 27. Januar, der Vorlage des Abschlußberichtes der UN-Inspektoren zu rechnen. Der ehemalige NATO-General Wesley Clark geht davon aus, dass die neuen NATO-Kandidaten bei einem möglichen Irak-Krieg dabei sind. Er rechnet mit einem Kriegsbeginn Ende Januar und der Teilnahme von Italien, Spanien, den USA, Großbritannien, Bulgarien, Polen, Ungarn, Rumänien, Lettland, Litauen und Estland.

Deutschland ist offiziell gegen den Krieg, das hat die Regierung vor der Bundestagswahl so erklärt und sie wurde nicht zuletzt deshalb wiedergewählt.

So ist es aber nicht. Die Bundesregierung hat im März 2002 gegenüber der US-Regierung eine Kriegszusage gemacht und diese nie zurückgenommen. Voraussetzungen damals: Mit UN-Mandat und nach den Bundestagswahlen. Im Mai beim Besuch von Bush in Berlin wurde diese Kriegszusage bekräftigt. Anfang August im Wahlkampf hatte dann Schröder erklärt: „Mit mir wird es keine Beteiligung am Irakkrieg geben.“ Zuerst hatte er diese angebliche Neupositionierung noch mit dem gefährlichen Begriff des „deutschen Wegs“ unterlegt. Plötzlich war es erlaubt in Deutschland „gegen den US-Krieg“ zu sein. Doch einige SPD-Getreue wie Herta Däubler-Gmelin wurden ausfällig und so kam es zu Verstimmungen mit der US-Regierung. Im September ließ die US-Regierung deshalb anfragen, ob es bei der bisherigen Zusage geblieben sei.

Gleichzeitig wurde der Irakkrieg seit Juli 2002 über die US-Militär-Infrastruktur in Deutschland wesentlich vorbereitet, die Transporte von Soldaten und Kriegsmaterial über Frankfurt Airbase, Ramstein und Spangdahlem liefen auch schon vor dem Wahltermin. Die Haupttransporte über Vielseck (Bayern) und Bremerhaven kamen später dazu. Die 1. Panzerdivision der U.S. Army wurde von Deutschland an den Golf verlegt. Die „Freigabe“ des Transportes der Soldaten und ihres Kriegsmaterials aus den Kasernen in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz zur Verschiffung nach Bremerhaven ist erfolgt. Ebenso die 1. Panzerdivision der Briten, die ebenfalls in Deutschland stationiert ist. Und auf dem größer werdenden Militärgelände Grafenwöhr bei Nürnberg findet eines der zentralen Manöver für den Irakkrieg statt.

Beim NATO-Gipfel in Prag am 21./22.11.2002 musste Schröder die Hosen runter lassen und mitteilen, dass die deutsche Regierung Überflugrechte und Nutzung der militärischen Infrastruktur genehmigen wird. Sie hätte hier die Möglichkeit und bei einem Angriffskrieg die Pflicht, eine Nutzung zu untersagen. Und die ABC-Panzer in Kuwait würden nicht abgezogen (wie Struck noch im Wahlkampf tönte)

Am 15.11.2002 hatte die Bundesregierung im Bundestag relativ geräuschlos eine Verlängerung des „Enduring Freedom“-Mandats durchbekommen -, vor einem Jahr bedurfte es dazu noch der „Vertrauensfrage“ – obwohl der Auftrag ausgeweitet wurde. Teil des Beschlusses sind auch 52 ABC-Abwehrsoldaten in Kuwait. Nach Ansicht von Militärexperten ist klar, dass durch die Aufgaben der ABC-Abwehrkräfte in Kuwait (Unterstützung von US-Soldaten) im Gesamtverband vor Ort, sowie deren Unterstellung unter US-Befehl eine Teilnahme deutscher Soldaten beim Irak-Krieg wahrscheinlich geworden ist. Die tschechischen Soldaten der gleichen Einheit sind schon von den USA angefordert worden und die Regierung des NATO-Neulings hat zugesagt.

Kurz nach Weihnachten ließ Joschka Fischer die Katze aus dem Sack: Man könne sich vorstellen im UN-Sicherheitsrat, in den Deutschland als nichtständiges Mitglied seit 2003 aufgestiegen war, auch nicht mit „Nein“ zu stimmen, außerdem sei eine weitere UN-Resolution (für den Krieg) nicht nötig. Damit war der deutsche Außenminister auf der Linie der Falken in der US-Regierung und überholte die französische, russische, chinesische Regierung u.a. „rechts“. Doch ein Gutes hatte dieser Hinweis Fischers, das rot-grüne Milieu, das Schröder/Fischer geglaubt hatte (als ob es keinen NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien gegeben hätte!) wachte auf und ein Teil davon schloss sich der Friedens- und Antikriegsbewegung an.

Währenddessen bastelte die EU weiter an ihrer Militarisierung. Die EU-Staaten haben vereinbart, eine EU-Interventionstruppe zu schaffen, die im Einsatz bis zu 60.000 Mann umfassen soll. Insgesamt haben die EU-Regierungen (mit Ausnahme Dänemarks, das sich nicht an der militärischen Komponente der EU beteiligt) und der EU-Kandidaten ca. 100.000 Soldat/inn/en „angemeldet“.

Die Bundesregierung dazu: „Insgesamt werden von den Mitgliedstaaten rund 100.000 Soldaten bereitgestellt, von denen 60.000 für ein Jahr permanent weltweit einsatzfähig sein sollen.“

Diese Interventionstruppe soll innerhalb von 60 Tagen einsatzfähig sein. Der Interventionsradius von 4.000 km rund um Brüssel wurde verbindlich festgelegt. Die EU-Interventionstruppe ist keine „stehende Truppe“, sondern wird aus den bereitgehaltenen Truppenkontingenten jeweils zusammengestellt. Die Truppe soll im Laufe des Jahres 2003 „einsatzfähig“ sein. Ob diese Zeitplanung umgesetzt wird, ist noch offen, wird aber ständig deklariert, wie jetzt vom griechischen „Verteidigungs“-minister. Politisch interessant ist die Zusammensetzung der Truppe: Österreich: 3.500, Belgien: 1.000, Großbritannien: 12.500, Finnland: 2.000, Frankreich: 12.000, Griechenland: 3.500, Irland: 1.000, Italien: 6.000, Luxemburg: 100, Niederlande: 5.000, Portugal: 1.000, Schweden: 1.500. Deutschland stellt mit 18.000 Soldat/inn/en das mit Abstand größte Kontingent. Stolz verkündet die Bundesregierung: „Ein Drittel aus Deutschland“, „Die Bundesregierung sagte einen Beitrag von insgesamt 32.000 Soldaten zu. Die Fähigkeiten der Bundeswehr beziehen sich vor allem auf die Bereiche Strategische Aufklärung, Führungsfähigkeit und Strategische Verlegefähigkeit.“

Um 18.000 einsatzfähige Soldat/inn/en zu haben, sind 32.000 notwendig, die extra dafür ausgebildet werden, davon 12.000 aus dem Heer. Zugesagt sind zudem 93 Kampf-, 35 Transport- und 3 Überwachungsflugzeuge, vier Kampfhubschrauber und Einheiten der Marine. Der Befehlshaber der EU-Truppe wird der deutsche General Rainer Schuwirth sein. Der „Kern eines Operation Headquarters der Europäischen Union“ ist das Einsatzführungskommando in Potsdam-Geltow. Die FAZ über die Befehlszentrale in Potsdam: „Mit dem Einsatzführungskommando verfügt die Bundeswehr über einen operativen Führungsstab auf der Armee-Ebene, der in seinen Funktionen Aufgaben wahrnimmt, die in den früheren deutschen Armeen von Generalstäben wahrgenommen wurden“, also ein De-facto-Generalstab der Bundeswehr.

Interessant ist das Verhältnis der neuen NATO Response Force und der EU-Interven-tionstruppe. Trotz aller Beteuerungen ist es Ziel der EU-Oberen, eine Interventionstruppe, ob mit oder ohne Rückgriff auf NATO-Equipment, zu schaffen, die unabhängig von der NATO, also auch unabhängig von der USA agieren kann.

Auf der Homepage der Bundesregierung hört sich das so an: „Diese Kräfte in Form einer europäischen Eingreiftruppe sollen für gemeinsame Einsätze der EU unabhängig von der NATO zur Verfügung stehen.“ Wenn Militärinterventionen durchgeführt werden sollen, an denen die US-Regierung kein Interesse hat oder bei denen ein anderes Interesse der US-Regierung vorliegt, dann soll in Zukunft auf die EU-Truppe zurückgegriffen werden. Insofern deutet sich ein Konkurrenzverhältnis EU-USA an.

Fischer hat nun zusammen mit dem französischen Außenminister de Villepin dem EU-Konvent ein Papier vorgelegt, in dem sie eine Forcierung des Prozesses der „Entwicklung der militärischen Fähigkeiten“ und der „Entwicklung einer europäischen Rüstungspolitik“ vorschlagen. Zentraler Punkt in ihrem Papier ist der Vorschlag „eine solche Zusammenarbeit mit qualifizierter Mehrheit“ umzusetzen. Sprich die alte Idee eines „Kerneuropa“ von Wolfgang Schäuble taucht wieder auf, Fischer hatte das mal als „Gravitationszentrum“ der EU bezeichnet. Der deutschen und der französischen Regierung ist es eilig mit der Herausbildung einer „Supermacht EU“ (So Javier Solana Tony Blair zitierend), bevor die NATO und damit die USA das Rennen gewonnen haben.

Die Bundesregierung bezieht ihre Haltung zum Irakkrieg „nicht aktiv mitzubomben“ auch, weil sie in der Region andere Interessen als die USA hat, Stichwort: Iran. Der Iran ist bei der US-Regierung das nächste Kriegsziel nach dem Irak, Deutschland hat enge wirtschaftliche Beziehungen zum Iran und will diese ausbauen. Diese Konkurrenz ist weit weg von einer direkten auch militärischen Konfrontation. Dazu sind die Interessen der westlichen Staaten zu nah beieinander: Allen geht es um eine auch militärische Absicherung des westlichen Wohlstandes gegen alle anderen.

Den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und militärischer EU machte der frühere Staatssekretär Stützle aus dem deutschen Verteidigungsministerium auf dem Symposium „Sicherheit, Menschenrechte und Stabilität in Europa und der NATO“ am 28.6.1999 im Haus der Industrie in Wien deutlich: „Eine Union, die sich nicht verteidigen kann, ist keine Union. Eine harte Währung, die eine schwache Verteidigung hat, ist auf lange Frist keine harte Währung. Daraus gilt es, die praktischen Schlüsse für die Tagesarbeit zu ziehen, es gilt, die zwei Prozesse miteinander zu harmonisieren und im Gleichgewicht zu halten.“

Die Militarisierung der EU ist insbesondere für die deutsche Regierung ein zentrales Projekt. Die Verhinderung oder Behinderung dieses Projektes wird nicht von Regierungen kommen, sondern nur durch Protest und Widerstand und vor allem eine andere Grundstimmung in den Bevölkerungen. Wir sollten wir durch Informationen und Aktionen dafür sorgen, dass sich immer mehr Menschen wehren.

Der Irakkrieg wird einen gefährlichen „Dominoeffekt“ auslösen. Ein Beispiel dafür ist der – nach dem permanenten „stillen Transfer“ sprich einer Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung aus der Westbank – der während des Irakkrieges befürchtete dann offene „Transfer“.

Deutschland wird seinen „deutschen Weg“ (Schröder) in den Krieg gehen. Protest und Widerstand sind gegen die globale aber insbesondere deutsche Kriegspolitik erforderlich!

http://www.graswurzel.net/276/nowar3.shtml