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IMI-Analyse 2003/008 - in: Volksstimme 16.01.2003 // ISSN 1611-213X

Klein aber bedeutend

Als engster Verbündeter der Vereinigten Staaten beteiligte sich die britische Regierung von Anfang an sehr engagiert am "Krieg gegen den Terror". Doch Tony Blair hat zunehmend Probleme, seine Partei auf Linie zu halten.

Dirk Eckert (20.01.2003)

Während Gerüchte die Runde machen, dass die Bush-Regierung einen Krieg gegen den Irak doch noch aufschieben könnte, geht am Golf der Truppenaufmarsch weiter. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld schickte am 10. Januar weitere 35.000 SoldatInnen an den Golf, wenig später nochmals 27.000, so dass die Vereinigten Staaten Mitte Februar am Golf über eine mehr als 150.000 SoldatInnen starke Streitmacht verfügen

Auch Großbritannien ist an dem Aufmarsch beteiligt. Am 11. Januar schickte London sein größtes Schiff, den Flugzeugträger „Ark Royal“, für ein Manöver in Richtung Golf. „Ark Royal“ wird einen Flottenverband von insgesamt 16 Schiffen anführen. Dazu gehören der Hubschrauberträger „HMS Ocean“, drei Zerstörer, eine Fregatte, vier Versorgungsschiffe, drei Landungsschiffe, zwei Minensucher und ein U-Boot. Kampfflugzeuge der Royal Air Force sollen an einer 12-tägigen Übung in Jordanien teilnehmen und dort mit jordanischen Mirage-Kampfflugzeugen trainieren, die denen des Irak ähnlich sind.

Außerdem will das Verteidigungsministerium 1.500 Reservisten einberufen, um sie in die Golfregion zu schicken. Damit hätte Großbritannien wieder Bodentruppen am Golf. Die letzten Jahren sorgten lediglich Luftwaffe und Marine für eine britische Militärpräsenz am Golf, die die BBC „klein, aber bedeutend“ nennt. So ist die Royal Air Force auf den Luftwaffenstützpunkten Incirlik in der Türkei, Ali Al Salem in Kuwait sowie Price Sultan in Saudi-Arabien stationiert. Von der Türkei aus beteiligt sich Großbritannien an der Überwachung der einseitig verhängten Flugverbotszone im Nordirak, die in Kuwait und Saudi-Arabien stationierten Flugzeuge überwachen die südliche Flugverbotszone. Schiffe der Royal Navy, darunter Zerstörer und Minensucher, kreuzen im Persischen Golf.

Der britische Premier Tony Blair gerät wegen seiner Unterstützung der US-Politik jedoch zunehmend unter Druck aus den eigenen Reihen – anders als nach dem 11. September, als die Labour-Partei den Krieg gegen Afghanistan im Großen und Ganzen mitgetragen hat. Entwicklungsministerin Clare Short bezog öffentlich gegen einen Krieg ohne UN-Mandat Position: „Die Rolle Großbritanniens in dieser historischen und gefährlichen Zeit ist es, zu versuchen, die USA weiter auf UN-Kurs zu halten, die Autorität der UN zu stärken und nicht vom UN-Weg abzuweichen.“ Blair hält dagegen ein UN-Mandat für einen Krieg für wünschenswert, aber nicht unbedingt nötig.

Labour Revolte

Die Tageszeitung „Guardian“ schätzte, dass rund hundert Labour-Abgeordnete im britischen Unterhaus revoltieren werden, wenn es zu einem Krieg ohne UN-Mandat kommen sollte. Außerdem würden einige Regierungsbeamte ihren Rücktritt erklären. Die Zweifel in der Labour-Partei würden immer größer, seit die UN-Inspektoren ungehindert im Irak unterwegs sind und keine Hinweise auf Massenvernichtungswaffen finden können, so der Guardian.

Der Parteitag von Labour im Herbst hatte zwar militärischen Aktionen „im Rahmen des Völkerrechts“ zugestimmt, aber die KriegsgegnerInnen bekamen mit ihrem Antrag gegen einen Krieg immerhin 40 Prozent der Stimmen. Einen Antrag auf Unterstützung der Regierungspolitik musste Blair mangels Erfolgsaussichten zurückziehen. Auf dem Kongress des britischen Gewerkschaftsdachverbandes Trades Union Congress (TUC) hatte sich zuvor eine ähnliche Linie abgezeichnet. In einer Resolution unterstützten die GewerkschafterInnen einen Krieg, sofern bewiesen sei, dass der Irak Massenvernichtungswaffen produziere und ein UN-Mandat vorliege.

Inzwischen werfen die britischen Konservativen Blair vor, das Land sei nur „halb vorbereitet“ für den Krieg gegen den Irak. Blair könne das Land nicht von der Notwendigkeit eines Krieges überzeugen, wenn er nicht mal sein eigenes Kabinett voll überzeugen könne, giftete Tory-Chef Iain Duncan Smith. Auch Parteifreunde von Blair warnen inzwischen, der Premierminister müsse seine Politik besser „verkaufen“, wie der „Sunday Telegraph“ berichtet. „Tatsache ist, dass die Öffentlichkeit noch nicht davon überzeugt ist“, so Donald Anderson, der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses im Unterhaus. „In einer Demokratie braucht man für jeden Krieg öffentliche Unterstützung.“

Möglicherweise kommt Blair den Bedenken der ParteifreundInnen entgegen. So häufen sich die Zeitungsberichte, dass Blair den UN-Inspektoren mehr Zeit geben und sogar Bush dazu bewegen wolle, den Krieg gegen den Irak auf Herbst zu verschieben. Außenminister Jack Straw erregte bei einem Besuch in Indonesien, dem größten muslimischen Land der Erde, einiges Aufsehen, als er eine Entwaffnung des Irak und nicht einen Machtwechsel im Irak als Ziel nannte. Letzteres ist die Linie der Bush-Regierung.

Im britischen Unterhaus (am 7. Januar) kündigte er eine „Fortsetzung der militärischen Planungen und Vorbereitungen“ an, „für den Fall, dass militärische Maßnahmen erforderlich werden sollten, mit denen eine Einhaltung der Verpflichtungen des Irak in Bezug auf Massenvernichtungswaffen und ballistische Flugkörper gemäß den Sicherheitsratsresolutionen erzwungen wird.“ Seine Einschätzung, die Wahrscheinlichkeit eines Krieges gegen den Irak sei mittlerweile von 60 auf 40 Prozent gesunken, tat ein Übriges: Der britische „Daily Telegraph“ vermutete prompt Meinungsverschiedenheiten zwischen Blair und seinem Außenminister, was ein Sprecher von Blair jedoch als „kategorisch falsch“ zurückwies.

Fragwürdige Dossiers

In der Tat: Die jeweiligen Kriegsbegründungen schwanken. Schließlich war es das Außenministerium von Straw, das am 2. Dezember 2002 auf Menschenrechtsverletzungen des irakischen Regimes aufmerksam gemacht hatte, was amnesty international als Instrumentalisierung seiner Berichte für Kriegszwecke kritisierte, aus denen das Dossier zusammengeschrieben worden war. Amnesty verwies darauf, dass die britische Regierung nach dem Einsatz von Giftgas gegen Kurden in Halabja 1988 durch den Irak geschwiegen habe.

Im Übrigen will Blair die guten Beziehungen zur Bush-Regierung auf jeden Fall beibehalten. Auf der Botschafterkonferenz des Außenministeriums am 7. Januar hob er die Rolle Großbritanniens als „engster Verbündeter der USA“ hervor. Da sein Land „im Zentrum Europas“ agiere, sei es auch eine „Brücke zwischen den USA und Europa“. Außenminister Straw argumentierte auf der selben Konferenz, „starke Beziehungen zu den USA und zur EU“ würden sich keineswegs ausschließen.

Als engster Verbündeter der Vereinigten Staaten beteiligte sich die britische Regierung von Anfang an am „Krieg gegen den Terror“. So ließ sie mehrere – allerdings fragwürdige – Dossiers zu den Anschlägen des 11. September und zum Irak anfertigen. Die gesammelten „Beweise“ in dem Dossier vom 4. Oktober 2001 gegen Osama bin Laden hätten vor Gericht nicht Bestand, wie die Verfasser selbst einräumten. Auch mit dem Dossier zum Thema „Irak und Massenvernichtungswaffen“ vom 24. September 2002 konnte die Blair-Regierung keine klaren Beweise vorlegen.

Stattdessen erfuhr die Öffentlichkeit bspw., dass der Irak in ein bis zwei Jahren Atomwaffen bauen könnte, wenn er „spaltfähiges Material und andere essentielle Bauteile“ aus dem Ausland bekomme. „Auch das ist keine neue Erkenntnis – wenn ein Land die wichtigsten Bestandteile für eine Atomwaffe von außen geliefert bekommt, wird es wohl auch eine Atomwaffe bauen können“, kommentierten die kritischen NaturwissenschaftlerInnen vom „Sunshine Project“. Dass der Irak gegenwärtig Atomwaffen produziere, sei damit nicht bewiesen.

Original-URL: http://www.volksstimme.at/arch/woche/2003/03-07-01.html
oder http://www.dirk-eckert.de/texte.php?id=373

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