Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

in: Neues Deutschland, 07.12.02

Fertiger Zeitplan

Gastkolumne im Neuen Deutschland

Tobias Pflüger (10.12.2002)

Heute wird das irakische Regime die in der Resolution 1441 des UN-Sicherheitsrates geforderte Liste mit seinen Angaben zu nuklearen, biologischen und chemischen Waffen sowie zu Raketenprogrammen vorlegen. Diese Liste soll »neue Elemente« enthalten. Sobald die Liste vorliegt, wird der konkrete Zeitplan des Irak-Krieges in den USA fertig gestellt werden. Entweder muss die US-Regierung die UN-Inspektionen noch etwas ertragen oder der Startschuss kann gleich gegeben werden.

Denn während die UN-Inspektionen laufen, bereitet sich die US-Regierung weiter intensiv auf den fest eingeplanten Krieg vor. Paul Wolfowitz, stellvertretender Verteidigungsminister, einflussreichster Hardliner und Spiritus Rector des jetzigen Kriegsgeschreis, war in der Türkei und hat dort um Unterstützung beim Krieg geworben.

In türkischen Medien heißt es, dass die USA 100000 bis 150000 Soldaten in der Türkei stationieren wollen und auf einen Einsatz von bis zu 40000 türkischen Soldaten drängen. Als Gegenleistung würde die Türkei Finanzhilfen der USA im Umfang von bis zu 25 Milliarden Dollar erhalten.
Das Kriegsszenario wird also deutlich: Ein Einmarsch über die Türkei und das de facto autonome Kurden-Gebiet im Nordirak in den Zentralirak. Gleichzeitig laufen Verhandlungen mit den politischen Vertretern der nordirakischen Kurden, dass sie sich zumindest »neutral« verhalten. Die kurdische Zivilbevölkerung ist wieder einmal – wie schon 1991 – in einer Sandwich-Situation.

Deutschland wolle sich an einem Krieg gegen den Irak nicht beteiligen, hieß es während des Wahlkampfes. Das führte nicht unwesentlich zum Wahlsieg von Gerhard Schröder und Joschka Fischer. Diese angebliche Antikriegsposition von SPD und Grünen war auch ein Grund, warum die PDS geschreddert wurde.

Gleichzeitig wurde der Irakkrieg über die militärische Infrastruktur der USA in Deutschland wesentlich vorbereitet. Die Transporte von Soldaten und Kriegsmaterial über Frankfurt Airbase, Ramstein und Spangdahlem liefen schon vor dem Wahltermin. Die im März von Schröder an Bush gegebene Kriegszusage galt die ganze Zeit. Nur das Auftreten von SPD-Verantwortlichen im Wahlkampf führte zu Irritationen in Washington, ob es dabei geblieben sei.

Beim NATO-Gipfel in Prag teilte Gerhard Schröder offiziell mit, dass die deutsche Regierung Überflugrechte und Nutzung der militärischen Infrastruktur genehmigen wird. Sie hätte hier die Möglichkeit und bei einem Angriffskrieg sogar die Pflicht, eine Nutzung zu untersagen.
Um welche Standorte es geht, ist auch schon klar: um die Verlegung der 1. Panzerdivision der US Army im Kriegsfall. Die »Freigabe« des Transportes der Soldaten und ihres Kriegsmaterials aus den Kasernen in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz zur Verschiffung nach Bremerhaven ist nun erfolgt.

Deutschland wird sich also indirekt am Irakkrieg beteiligen. Gegenüber den offiziellen Anfragen für Waffenlieferungen an Israel, die seit langer Zeit vorlagen und dilettantisch »falsch verstanden« wurden, knickte die Bundesregierung »gerne« ein. Historische Schuld wird hier instrumentalisiert, um heutige Kriegspolitik zu ermöglichen. Sollten die Fuchs-Transportpanzer nicht an Israel geliefert werden, weil ihr Einsatz in den besetzten palästinensischen Gebieten möglich, gar wahrscheinlich wäre, werden eben andere Waffen geliefert oder Kompensationsleistungen geboten.

Der Irakkrieg wird einen gefährlichen »Dominoeffekt« auslösen. Deutschland wird seinen »deutschen Weg« (Schröder) in den Krieg gehen – er führt über die Türkei und über Israel. Deshalb ist Protest und Widerstand auch gegen deutsche Kriegspolitik dringend erforderlich. Die riesigen Demonstrationen in London und beim motivierenden Europäischen Sozialforum in Florenz waren erste Schritte. Es müssen weitere folgen. In unserem Land unter anderem am 14. Dezember und Anfang Februar gegen die so genannte »Sicherheitskonferenz« in München.

Original: http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=27727&IDC=33

Der Politologe Tobias Pflüger ist Vorstandsmitglied der Tübinger Informationsstelle Militarisierung.

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