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Die UN-Resolution 1441 zwischen Krieg und Frieden. Eine Textanalyse

und Das Sanktionssystem der Vereinten Nationen und sein Mißbrauch gegen den Irak

Bernhard Graefrath / Dokumentation (04.12.2002)

So demütigend wie möglich für den Irak

Die UN-Resolution 1441 zwischen Krieg und Frieden. Eine Textanalyse

Nach wochenlangen Beratungen seiner ständigen Mitglieder hat der Sicherheitsrat auf Antrag der USA und Großbritanniens am 8. November einstimmig die Resolution 1441 angenommen. Sie wird sowohl als Chance für die Erhaltung des Friedens und Zurückweisung der amerikanischen Kriegspläne verstanden als auch als Feigenblatt zur Rechtfertigung des geplanten Angriffskrieges. Sie ist das Ergebnis der erpresserischen Forderungen des US-amerikanischen Präsidenten Georg W. Bush vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen: Entweder es gibt ein UN-Mandat für den Krieg gegen den Irak oder wir handeln allein. „Erhebliche Verletzung“ Die Resolution tut leider so, als hätte es nicht sieben Jahre Abrüstungsmaßnahmen und Kontrollen der UNO im Irak gegeben, als wäre nicht klar, daß es keine Atomwaffen im Irak gibt, als wären die chemischen Waffen, die einst mit Hilfe der USA produziert wurden, nicht ebenso unter Aufsicht der UNO vernichtet worden wie ihre Produktionsstätten und Ausgangsmaterialien. Daß die USA die Realisierung des Übereinkommens zwischen dem Irak und dem Vorsitzenden der UNMOVIC, Hans Blix, zur Wiederaufnahme der Inspektionen Mitte Oktober verhinderten, wird mit Stillschweigen übergangen. Die Resolution behauptet nur „erhebliche Verletzungen“ der Abrüstungs- und Kontrollverpflichtungen aus der Resolution 687. Es wird so getan, als würde das einer Feststellung einer Friedensbedrohung gleichkommen. Aber gerade diese von den USA behauptete These wird durch die Resolution nicht bestätigt. Darin liegt ihre potentielle Rolle zur Erhaltung des Friedens. Allerdings bedarf es zu ihrer Realisierung einer schnell wachsenden Bewegung gegen den vorbereiteten und angedrohten Irak-Krieg. Die Resolution verschärft andererseits aber nicht nur die Abrüstungsverpflichtungen des Irak und die Kontrollbefugnisse der UNO, sie bedient mit ihrer provokativen, anklägerischen und bewußt unbestimmten Terminologie auch die amerikanische Propagandamaschine bei der Vorbereitung des geplanten Angriffskrieges gegen den Irak. Es ist nicht zu übersehen, daß sie ganz wesentlich die Gefahr erhöht, daß beliebige Vorkommnisse oder Versäumnisse als erhebliche Verletzung von Verpflichtungen ausgegeben und als Vorwand für militärische Aktionen mißbraucht werden. Die USA jedenfalls sehen sie als Instrument im Bush-Krieg. Dem Irak bleibt trotzdem gar nichts anderes übrig, als der Resolution zuzustimmen. Eine Ablehnung, selbst der Versuch über Einzelheiten der Resolution zu verhandeln, würde den USA nur sofort als Vorwand für den geplanten Angriffskrieg dienen. Ob der Irak allerdings überhaupt in der Lage ist, die weitgehenden Forderungen der Resolution vollinhaltlich und zeitgerecht zu erfüllen, hängt keineswegs nur von ihm ab. Zu vielfältig sind die eingebauten Fallstricke für den Irak und Sprungbretter für jene, die den Krieg mit oder ohne UN-Mandat wollen. Die Resolution macht leider nicht unmöglich, daß sie als Persilschein für den geplanten Angriffskrieg mißbraucht wird. Das wäre furchtbar – für den Irak, für den Frieden, für die Entwicklung im Nahen Osten und nicht zuletzt für die Organisation der Vereinten Nationen selbst, die als Instrument zur Wahrung des internationalen Friedens gedacht ist. Gewollte Ungenauigkeit Eines der Vehikel zur Zuspitzung der Situation, die die Resolution herbeiführt, ist die Einführung des Begriffs der „erheblichen Verletzung“ (material breach). Derartige Verletzungen werden für Vergangenheit und Gegenwart schon mal vorsorglich festgestellt. (Operativer Absatz 1, im folgenden OA.). Angedroht wird als weitere „erhebliche Verletzung“ jede falsche Angabe oder Auslassung sowie jegliches Versäumnis des Iraks, die Resolution zu befolgen oder bei ihrer Durchführung uneingeschränkt zu kooperieren (OA. 4). Ein weites Feld für amerikanische Interpretationen. Jede solche „erhebliche Verletzung“ – von wem immer berichtet – führt zum sofortigen Zusammentritt des Sicherheitsrats, „um über die Situation und die Notwendigkeit der vollinhaltlichen Befolgung aller einschlägigen Ratsresolutionen (und das sind viele) zu beraten, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu gewährleisten.“ (OA. 12) Es wird so getan, als wäre jede Verletzung von Verpflichtungen aus einer der zahlreichen Irak-Resolutionen eine Bedrohung des Friedens. Angedroht werden „ernsthafte Konsequenzen“ (OA.13). Das ist eine beliebig auslegbare politische Formulierung. Sie dient als Ersatzformel für die Androhung von Sanktionen. In der UN-Charta gibt es diesen Begriff nicht. Ihn mit Sanktionen, ökonomischen oder militärischen, nach Kapitel VII gleichzusetzen, wäre eine Verletzung der Charta, weil diese keine ernsthaften Konsequenzen bei erheblichen Verletzungen völkerrechtlicher Verpflichtungen kennt. Das alles ist darauf angelegt, den Eindruck zu erwecken, als hätte der Sicherheitsrat festgestellt, daß der Irak eine Bedrohung für den Weltfrieden ist, als genüge die Verletzung einer Verpflichtung, selbst wenn es sich um eine „erhebliche Verletzung“ handeln sollte, militärische Sanktionen zu beschließen. Dafür aber gibt es in der UN-Charta keine Grundlage. Der Sicherheitsrat ist nicht berechtigt, die Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen mit ökonomischen oder militärischen Sanktionen durchzusetzen. Diese Mittel der Charta stehen ihm nur für die Abwendung einer Bedrohung oder Verletzung des Friedens zur Verfügung. Wenn die Medien jetzt allgemein den Eindruck erwecken, als würde eine Verletzung von Berichts- oder anderen Verpflichtungen aus der Resolution 1441 den Einsatz militärischer Mittel rechtfertigen, so bedienen sie die amerikanischen Kriegsvorbereitungen. Ein Erfolg der französischen Intervention besteht gerade darin, daß die Resolution keine Feststellung enthält, daß vom Irak eine Bedrohung des Friedens ausgeht. Im Zentrum der Resolution 1441 steht die Einführung eines verschärften Abrüstungs- und Kontrollmechanismus (OA. 2-7). Von einer auch nur zeitweiligen Aussetzung des für die Zivilbevölkerung verheerenden Handelsembargos ist im Gegensatz zur Resolution 1284 nicht mehr die Rede. Auch an die Feststellung der Resolution 687, daß man sich der Bedrohung bewußt ist, die alle Massenvernichtungswaffen (nicht nur die des Irak) für den Frieden und die Sicherheit im Nahen Osten darstellen, wird nicht mehr erinnert, auch nicht an die Notwendigkeit, eine Zone frei von Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten zu schaffen. Neue Verpflichtungen für Irak Es werden neue Verpflichtungen für den Irak eingeführt. So erstreckt sich die Berichtspflicht jetzt nicht nur auf die Programme, sondern auf „alle Aspekte seiner Programme zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen“, was immer „alle Aspekte“ sind. Es ist nicht mehr vom Verbot ballistischer Raketen mit einer Reichweite von mehr als 150 Kilometer die Rede, sondern von ballistischen Flugkörpern und anderen Trägersystemen, wie unbemannten Luftfahrzeugen und Ausbringungssystemen (OA. 3). Zusätzlich zu Komponenten und Subkomponenten werden „Agenzien und dazugehöriges Material“ erfaßt, wo immer die Grenzen liegen. Selbst der Vorsitzende der Inspektionsgruppe, Hans Blix, hielt es für unwahrscheinlich, daß ein so umfassender Bericht innerhalb von 30 Tagen akkurat und vollständig zusammengestellt werden kann. Die UN-Kontrollorgane können nicht nur jedermann an einem beliebigen Ort verhören, sondern auch nach ihrem Ermessen Befragungen in- und außerhalb Iraks durchführen und die Ausreise der Befragten und ihrer Angehörigen erzwingen (OA. 5). Anzunehmen, daß damit ein breites Tor für Spionage und die systematische Abwerbung von Spitzenkräften eröffnet wird, ist keineswegs abwegig. Es sei nur an den Mißbrauch der UNSCOM durch die CIA erinnert. Schließlich wird die Resolution 1154 (1998), die das Übereinkommen zwischen der UN und dem Irak über Inspektionen in Bereichen der Präsidentenpalais regelte, einseitig aufgehoben. Sie sollen jetzt zu den gleichen Bedingungen wie andere Stätten zugänglich sein (OA.7, 3). Die Sicherheit der Inspektoren soll durch eine ausreichende Zahl von Sicherheitskräften der UN gewährleistet werden (OA. 7,5). Weder auf die Anzahl dieser Kräfte noch deren Zusammensetzung hat der Irak irgendeinen Einfluß. Nur bezahlen darf er sie, wie den ganzen übrigen Kontrollapparat auch. Bewußt im Dunkeln bleiben auch die Grenzen des Rechts der Kontrollorgane, ganze Gebiete zu „Geschlossenen Zonen“ zu erklären, in denen der Irak alle Bewegungen in der Luft und am Boden einstellen muß (OA. 7,6). Diese Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, daß die weitere Verschärfung des ohnehin rigiden Abrüstungs- und Kontrollsystems durch die Resolution 1441 mit ihren vagen Begriffen und offenen Kompetenzen beliebig neuen Konfliktstoff schaffen wird. Das System ist so demütigend wie möglich ausgestaltet, nahezu unzumutbar für einen Staat, dem versichert wird, daß seine Souveränität respektiert wird. Es wurden keinerlei Sicherheiten für den Irak erörtert oder gar beschlossen, um einen erneuten Mißbrauch des Kontrollsystems für amerikanische Militärspionage auszuschließen, obgleich das angesichts der Erfahrungen mit UNSCOM und der offenen Ankündigung eines Angriffskrieges gegen den Irak als vertrauensbildende Maßnahme dringlich notwendig gewesen wäre. Die Resolution 1441 kompliziert die Gesamtsituation auch dadurch, daß sie nicht nur einen verschärften Abrüstungsmechanismus einführt, sondern diesen mit einer Reihe anderer Aspekte der Irak-Resolutionen verbindet, was die Möglichkeiten für Streitfälle und Komplikationen vervielfältigt. Dazu gehört z.B., daß in der Präambel zum ersten Mal im Zusammenhang mit Abrüstungsresolutionen und im Rahmen des Kapitel VII auf die Resolution 688 (1991) hingewiesen und deren Verletzung gerügt wird (OA. 1 und 9). Damit werden nicht nur die ethnischen und religiösen Spannungen mit Kurden und Schiiten im Irak instrumentalisiert, sondern auch der Versuch unternommen, vergangene und zukünftige Militäraktionen der USA in diesem Bereich mit dem Segen der UN zu versehen. Schließlich hat die Resolution des US-Kongresses vom Oktober 2002 Bush ermächtigt, auch Militär einzusetzen, „um die Ziele der Resolution 688 zu realisieren.“ Ein anderer Versuch, die andauernden Bombardierungen des Irak durch die USA und Großbritannien abzusegnen, findet sich im Absatz 4 der Präambel. Dort wird so getan, als bezöge sich die Autorisierung der Resolution 678 (1990), militärische Gewalt anzuwenden, nicht nur auf die Befreiung Kuweits (Resolution 661, 1990), sondern auch auf alle danach ergangenen Irak-Resolutionen. Das widerspricht ganz offensichtlich dem Wortlaut und der Zielsetzung der Resolution 687 (1991), kommt aber den amerikanischen Interessen zur Rechtfertigung ihrer unilateralen militärischen Aktionen gegen den Irak sehr entgegen. Besonders gefährlich ist die Formulierung im Präambelabsatz 10, die anglo-amerikanische Theorien bedient, daß jeder Staat berechtigt sei, bei einer „erheblichen Verletzung“ des Waffenstillstandes durch den Irak, die Feindseligkeiten wieder aufzunehmen. Das würde auch jedes erneute Reagieren des Sicherheitsrats überflüssig machen. Eine solche Interpretation wird erreicht, indem der Eindruck erweckt wird, als wäre der Waffenstillstand nur bedingt eingetreten, nämlich abhängig davon“ (be based on), daß Irak die Bestimmungen der genannten Resolution … akzeptiert“. Jede erhebliche Verletzung der Bestimmungen würde die Verbindlichkeit der Einstellung der Feindseligkeiten aufheben. Guter Wille wird nicht reichen In der Resolution 687 (1991) aber wird der Waffenstillstand gegründet auf „die offizielle Notifikation der Annahme der Resolution durch den Irak an den Generalsekretär und den Sicherheitsrat“ (OA. 33) und nicht auf eine zukünftig festzustellende Erfüllung der Bestimmungen der Resolution 687. Hier wird der Text der Resolution 687 durch die Resolution 1441 geradezu verfälscht. Diese läßt im Unterschied zur Resolution 686 (Abs. 4) eben keinen Raum für die Wiederaufnahme militärischer Aktionen. Die Absurdität der Theorien, daß eine Verletzung der Resolution 687 zur Wiederaufnahme der Feindseligkeiten berechtige, wurde u. a. bereits 1998 von Thomas Franck, einem der bekanntesten amerikanischen Völkerrechtler, nachdrücklich unterstrichen. Er erklärte, wenn man nach all dem, was nach Beendigung der Feindseligkeiten unter UN-Aufsicht im Irak geschehen sei, noch behaupten wolle, daß die UN nicht das Heft in der Hand habe … und daß noch immer unter Berufung auf die Resolution 678 jedes Mitglied der Vereinten Nationen volle Freiheit habe, jederzeit militärische Gewalt gegen den Irak anzuwenden, sobald es der Meinung sei, es liege eine Verletzung der Bedingungen vor, die durch die Resolution 687 gestellt wurden, so würde das das gesamte UN-System zum Narren machen. Die Resolution 1441 mit dem provokativ verschärften Abrüstungs- und Kontrollsystem, dessen Text voller „constructive ambiguities“ (gewollter Ungenauigkeiten) ist, seiner Konstruktion „erheblicher Verletzungen“ beliebiger Irakresolutionen, den Bemühungen, die ständigen Bombardierungen des Irak zu rechtfertigen und der unbestimmten Drohung mit ernsthaften Konsequenzen läßt viele Wege zum Mißbrauch offen. Es bedarf großer Wachsamkeit und des gebündelten Einsatzes aller Friedenskräfte, wenn sie zu einem Instrument zur Erhaltung des Friedens werden soll. Die Annahme der Resolution durch den Irak und der gute Wille, sie zu erfüllen, werden leider dazu nicht ausreichen. * Unser Autor lehrte Völkerrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin und war von 1986 bis 1991 Mitglied der Völkerrechtskommission der UNO.

Ein ganzes Volk als Geisel genommen
Das Sanktionssystem der Vereinten Nationen und sein Mißbrauch gegen den Irak
Bernhard Graefrath

Der Begriff Sanktion ist im allgemeinen Völkerrecht nicht eindeutig definiert. Übereinstimmung besteht aber dahingehend, daß unter Sanktionen Zwangsmaßnahmen verstanden werden, die von internationalen Organisationen im Rahmen ihrer Satzung gegen schwerwiegende Rechtsverletzungen angewandt werden. Man unterscheidet im allgemeinen zwischen nichtmilitärischen und militärischen Sanktionen. Im Rahmen der UN-Charta dürfen sowohl nichtmilitärische, also vor allem ökonomische, als auch militärische Sanktionen nur vom Sicherheitsrat (Art. 39) und nur zur Abwehr einer Bedrohung des Weltfriedens oder zur Wiederherstellung des Friedens gegen einen bewaffneten Angriff beschlossen werden (Art. 41, 42). Zur Sicherung anderer Ziele und Prinzipien der Charta oder zur Durchsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen einzelner Staaten kennt die Charta keine Sanktionen. Auch der Sicherheitsrat (SR) hat bei Beschlüssen über Sanktionen in Übereinstimmung mit den Zielen und Prinzipien der Charta zu handeln (Art. 24). Diese werden im wesentlichen in den Artikeln 1 und 2 sowie Artikel 55 der Charta definiert. Daraus ergibt sich insbesondere, daß auch der SR bei der Verhängung von Sanktionen zwingende Normen des Völkerrechts oder grundlegende Menschenrechte nicht verletzen darf. Ermächtigung zur Gewalt Die umfassendsten Sanktionen sind von den UN gegen den Irak beschlossen worden. Noch am 2. April 1990, als irakische Truppen Kuwait besetzten, stellte der SR eine Verletzung des Friedens Resolution 660, 1990 fest, verurteilte die irakische Intervention, verlangte vom Irak den sofortigen Rückzug seiner Truppen und forderte beide Staaten auf, ihre Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln beizulegen. Als der Irak dieser Aufforderung nicht sofort nachkam, beschloß der SR am 6. April 1990 mit seiner Resolution 661 (1990) unter Berufung auf Kapitel VII der Charta und in Anwendung des Artikels 41 die Verhängung ökonomischer Sanktionen, ein totales Embargo, um Irak zu zwingen, seine Truppen zurückzuziehen und die Autorität der legitimen Regierung von Kuwait wiederherzustellen (Abs. 2 der Resolution 661). Zur Koordinierung, Überwachung und Durchsetzung des umfassenden Embargos wurde ein Sanktionskomitee eingesetzt, das im Laufe der Zeit zur Aufsichtsbehörde über die gesamte irakische Wirtschaft und die Lebensbedingungen des irakischen Volkes wurde. Das Embargo ist von nahezu allen Staaten respektiert worden. Unter den gegebenen Bedingungen war die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen zu dem angegebenen Zweck, nämlich: Abzug der irakischen Truppen aus Kuwait und Wiederherstellung der legitimen Regierung in Kuwait, in Übereinstimmung mit der Charta und dem allgemeinen Völkerrecht eine angemessene Sanktion, um den Frieden wiederherzustellen. Ausgenommen von dem umfassenden Embargo waren lediglich medizinische Artikel, wobei dieser Begriff sehr eng ausgelegt wurde. Lebensmittel durften nur eingeführt werden, wenn es die humanitäre Situation erforderte. Ob eine solche Situation bestand, konnte nur durch einen Beschluß des Sicherheitsrates oder des Sanktionskomitees festgestellt werden, unterlag also dem Vetorecht der ständigen Mitglieder des SR. Da der Irak 70 bis 80 Prozent seines Lebensmittelbedarfs durch Einfuhren deckte, war klar, daß das Verbot der Einfuhr von Lebensmitteln beträchtliche Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung haben würde. Von Anfang an vertraten die USA, Großbritannien und Frankreich aber die absurde Auffassung, daß ein Embargo für Lebensmittel gegenüber einer nationalen Volkswirtschaft zulässig sei, Beschränkungen des humanitären Rechts nur für Einschränkungen gegenüber einzelnen Menschen gelten würden. „Verkehrtes Veto“ Normalerweise sollten Sanktionen mit der Erreichung ihres Zieles wegfallen oder aufgehoben werden. Sobald aber die Erreichung des Zieles von einer Feststellung durch den Sicherheitsrat abhängig gemacht wird, ist das Ende der Sanktionen im Grunde von einer neuen Entscheidung des SR abhängig. Es entsteht ein „verkehrtes Veto“. Die Verhängung der Sanktionen konnte nur mit Zustimmung aller ständigen Mitglieder des SR beschlossen werden, aber die Aufhebung der Sanktionen kann nunmehr jederzeit durch das Veto eines ständigen Mitgliedes des SR verhindert werden. Genau dieses Verfahren wurde im Irak-Fall angewandt. Es entfaltet seine verhängnisvolle Wirkung bis heute. Ohne Zustimmung der USA gibt es keinerlei Milderung oder Aufhebung der verheerenden ökonomischen Sanktionen. So wurden die einmal mit der Resolution 661 beschlossenen umfassenden ökonomischen Sanktionen trotz Erreichung des Zieles und Zwecks über die Resolution 687 (1991) bis heute aufrechterhalten, zwölf Jahre nach der Beendigung der Feindseligkeiten. Sie konnten und können noch immer wegen des drohenden Vetos der USA nicht formell aufgehoben werden. Mit der Resolution 678 (27.11.1990) ermächtigte der SR die UN-Mitgliedstaaten, „alle notwendigen Mittel“, das heißt auch militärische Mittel, einzusetzen, um die Resolution 660 durchzusetzen, d. h. die Okkupation des Kuwait zu beenden und die rechtmäßige kuwaitische Regierung wiedereinzusetzen. Der SR ging innerhalb seines Sanktionssystems von den ökonomischen zu militärischen Sanktionen über, ohne auch nur kurzfristig abgewartet zu haben, ob die wirtschaftlichen Sanktionen greifen und ohne selbst militärische Mittel einzusetzen. Die Androhung militärischer Sanktionen änderte jedoch nichts an der Zielsetzung der Sanktionen. Sie blieb die gleiche wie bei den ökonomischen Sanktionen der Resolution 661, auch wurden die ökonomischen Sanktionen nicht aufgehoben. Die Ermächtigung zur Gewaltanwendung für eine nichtdefinierte Gruppe von Staaten war ein höchst zweifelhaftes Verfahren, das in der UN-Charta nicht vorgesehen war, weil es den Einsatz militärischer Mittel ohne Aufsicht und Kontrolle des SR zuließ. Es führte zu dem 42 Tage dauernden Bombardement des Irak durch eine Militärallianz unter dem Kommando der USA und ohne jede Kontrolle des SR. Durch die gezielte Zerstörung der Infrastruktur des Irak wurde nicht nur die Industrie, sondern auch die Energie- und Wasserversorgung der Bevölkerung sowie der gut entwickelte Gesundheitssystem zerschlagen. Als am 2. März 1991 mit der Resolution 686 (1991) die Beendigung der Feindseligkeiten durch die Annahme der Waffenstillstandsbedingungen festgestellt wurde, waren „die meisten der notwendigen Stützen des modernen Lebens … zerstört oder bis zur Unkenntlichkeit ausradiert. Der Irak ist für die nächste Zeit in ein vorindustrielles Zeitalter zurückversetzt worden, aber mit all den Behinderungen einer industriellen Abhängigkeit von Energie und Technik.“ Nach dieser detaillierten und, wie sich erwiesen hat, realistischen Einschätzung der Lage kam Martti Oiva Kalevi Ahtisaari (der spätere Staatspräsident Finnlands) zu dem Ergebnis, „Sanktionen hinsichtlich der Lebensmittellieferungen sollten sofort aufgehoben werden, ebenso wie die Sanktionen in bezug auf den Import landwirtschaftlicher Ausrüstung und Zubehör“ (Abs. 18). Der Bericht endete mit Empfehlungen, was getan werden müsse, um die dringendsten humanitären Bedürfnisse zu befriedigen und warnte: „Ohne Brennstoff, Energie oder Kommunikation könnten sich die aufgezeigten notwendigen Maßnahmen als mehr oder weniger untauglich erweisen.“ (Abs. 27d) Das bewog den Generalsekretär, in seinem zusammenfassenden Bericht vom 8. April 1991 ausdrücklich zu betonen, „allein durch die Wiederherstellung der irakischen Wirtschaft können diese Auflagen auf eine sichere und dauernde Grundlage gestellt werden“. Die Aufhebung des Handelsembargos war bereits zu diesem Zeitpunkt auch aus juristischen Gründen geboten. Sein Ziel, Abzug der irakischen Truppen aus Kuwait und Wiederherstellung der legitimen Regierung in Kuwait, war mit der Annahme der Resolution 686 (2.3.1991) durch den Irak erreicht. Damit war die Rechtsgrundlage für die ökonomischen Sanktionen entfallen. Mit der Annahme der Resolution 686 und dem Eintreten des Waffenstillstandes hätten also die mit der Resolution 661 verhängten umfassenden ökonomischen Sanktionen beendet werden müssen. Gerechtfertigt wären ausschließlich militärische Beschränkungen, ein Waffenembargo und Abrüstungskontrollen gewesen, wie sie dann, allerdings neben den ökonomischen Sanktionen, beginnend mit der Resolution 687 (3.4.1991) eingeführt wurden. Seitdem haben wir es, was das Handelsembargo bzw. die ökonomischen Sanktionen anbelangt, nicht mehr mit völkerrechtlich gerechtfertigten Sanktionen gegen den Irak, sondern mit einem System ökonomischer Erpressung und Ausbeutung zu tun, das auch wegen seiner völkerrechtswidrigen Auswirkungen auf die irakische Bevölkerung eine grobe Verletzung geltenden Völkerrechts darstellt. Die Resolution 687 bekundet die endgültige Einstellung der Feindseligkeiten. Die Vollmacht, Waffengewalt anzuwenden, die in der Resolution 686 Absatz 4 noch ausdrücklich offengehalten wurde, findet sich in der Resolution 687 nicht mehr. Damit wird auch deutlich, daß alle Einzelgewaltanwendungen – wie die fortwährenden Bombardierungen des Irak durch Flugzeuge der USA und Großbritanniens – keine Rechtfertigung im Geflecht der Irak-Resolutionen finden. Auch eine Wiederaufnahme von Feindseligkeiten wegen einer angeblichen Verletzung einzelner Verpflichtungen durch den Irak kann nicht auf die Resolution 687 gestützt werden. Erpressungsinstrument In der Resolution 687 werden jedoch die ökonomischen Sanktionen nicht nur aufrechterhalten, sondern in unzulässiger Weise ausgedehnt und umfunktioniert (Resolution 687 Abs. 20-28). Die Sanktionen dienen jetzt der Durchsetzung von Demilitarisierungsmaßnahmen (Abs. 8,9,10, 12,13 der Resolution 687), der Rückgabe kuwaitischen Eigentums (Abs. 15), der Eintreibung von Reparationen und der Sicherung von Auslandsschulden, der Freilassung aller Gefangenen und Internierten und der Rückführung sterblicher Überreste. Es wird eine umfassende Kontrolle über die gesamte Wirtschaft des Irak begründet, ein Reparationssystem etabliert, auf das der Irak keinerlei Einfluß hat und eine umfassende Kontrolle der Abrüstung begründet. Das Genehmigungsverfahren für die Einfuhr von Lebensmitteln und lebenswichtigen Gütern geht völlig an das Sanktionskomitee über, unterliegt aber auch in diesem Komitee dem Veto durch die ständigen Mitglieder des SR. Es bürgert sich die Formel ein, daß der Irak sämtliche Forderungen der verschiedenen UN-Resolutionen voll und uneingeschränkt erfüllen muß, bevor der SR an eine Milderung oder Aufhebung der Sanktionen denken kann. Sowohl die Unbestimmtheit der Forderungen als auch die Subjektivität der Entscheidung darüber, was voll und uneingeschränkt ist, gestatten den USA oder Großbritannien wie jedem anderen ständigen Mitglied des SR, jederzeit gegen die Aufhebung des Embargos ein Veto einzulegen. Das Embargo ist damit von einer Sanktion in ein Erpressungsinstrument umgewandelt worden, das willkürlich zur Erreichung politischer Zwecke eingesetzt werden kann. Bei der periodisch geplanten Überprüfung, ob die Sanktionen gemildert oder aufgehoben werden können, soll der SR die Politik und Praxis der irakischen Regierung im Hinblick auf die Erfüllung aller relevanten Resolutionen des SR in Betracht ziehen (Abs. 21). Die Unbestimmtheit dieser Formel garantiert, daß eine Macht, die an der Fortsetzung der Sanktionen interessiert ist, immer einen Grund findet, Nichterfüllung geltend zu machen. Ausdrücklich wird gesagt, daß die Sanktionen erst wegfallen können, wenn der Sicherheitsrat das Reparationsprogramm beschlossen hat und die Abrüstungsbestimmungen erfüllt sind. Bis zu einer gegenteiligen Entscheidung wird die Fortsetzung der ökonomischen Sanktionen aus der Resolution 661 (1990) beschlossen (Abs. 24). Dies geschah, obgleich klar war, daß die Rechtsgrundlage für diese Sanktionen inzwischen entfallen war und die Fortsetzung des umfassenden Embargos in erster Linie die Bevölkerung Iraks treffen würde: Also bereits zur Zeit der Annahme der Resolution 687, d. h. vor zwölf Jahren, war dem Sicherheitsrat bekannt, daß mit dem erweiterten Sanktionssystem besonders das irakische Volk getroffen würde. Offenbar war das beabsichtigt. Die Sanktionen wurden zu einem ökonomischen Hebel einiger Mächte des SR, der ihnen gestattete, den Irak ökonomisch auszuplündern, beliebig Druck auf den Irak auszuüben und das irakische Volk als Geisel zu nehmen. Die Sanktionen fungierten in der amerikanischen Außenpolitik gewissermaßen als Kollektivstrafe, solange das irakische Volk nicht gegen das bestehende Regime opponierte. Hunger und Elend sollten zur Rebellion gegen das Regime anstiften. Im Laufe der Zeit wurde das Sanktionskomitee, bei dem die Genehmigung von Einfuhren lag, zum Kontrollinstrument über die gesamte irakische Wirtschaft. Von der Zustimmung des USA-Vertreters im Sanktionskomitee hing die Einfuhr aller lebenswichtigen Güter, sowohl medizinischer und sanitärer Artikel als auch jedes einzelnen Ersatzteiles für Bohreinrichtungen, Wasserleitungen, von Schaltern oder Isolatoren für E-Werke, ab. Immer wieder haben die USA dieses Instrument genutzt, den notwendigen Wiederaufbau der irakischen Wirtschaft, aber auch der Krankenhäuser zu behindern. „Oil for Food“ Das System der Ausplünderung des irakischen Volkes wird mit dem Slogan „Oil for Food“, Öl für Nahrungsmittel, umschrieben. Es wird von den Medien im allgemeinen als Wohltat für das irakische Volk ausgegeben. Bereits in der Resolution 687 Abs. 23 wird dem Sanktionskomitee gestattet, in gewissem Umfang irakische Ölexporte zu genehmigen, um einen Teil der Mittel für den Ankauf von lebenswichtigen Gütern bereitzustellen. Der Kontroll- und Verteilungsmechanismus, der mit diesem Programm verbunden war, wurde dann in den Resolutionen 705 und 706 vom 15.8.1991 im einzelnen entwickelt. Da sich der Irak auf diese Erpressung nicht einließ, wurde versucht, die zunehmende Verelendung des irakischen Volkes der irakischen Regierung anzulasten und als Hebel zu nutzen, den Irak zur Produktion und zum Export von Öl zu zwingen. Die Erlöse sollten auf ein Sperrkonto der UN gehen. 30 Prozent sollten für die Kompensationskommission zur Befriedigung von Reparationen, ein Teil für die Finanzierung des aufwendigen UN-Verfahrens und andere Kosten des UN-Überwachungsapparates verwandt werden. Nur der Rest durfte für den Import lebenswichtiger Güter durch den Irak bereitgestellt werden. Dazu kam, daß das umständliche Genehmigungsverfahren einen normalen Handel unmöglich machte. Die Resolutionen 706 (1991) und 712 (1991), die dieses Verfahren mit einer engen Exportobergrenze vorsahen, wurden deshalb nie praktisch. Da diese Finanzierungspläne nicht auf die Bedürfnisse der irakischen Bevölkerung abstellten, wurden sie von der irakischen Regierung nicht akzeptiert. So kam es schließlich 1995 zur Resolution 986, die eine größere Exportrate vorsah und festlegte, daß aus dem Erlös der Ölexporte wenigstens 53 Prozent für die Befriedigung irakischer Bedürfnisse verwandt werden dürfen. Das bedeutete theoretisch 113 US-Dollar, praktisch 70 Dollar pro Einwohner im Jahr. Aber auch hier erwies sich das Genehmigungsverfahren des Sanktionskomitees als leicht zu instrumentalisierendes Hindernis. Auch weitere Korrekturen dieses Systems durch die Resolution 1153 (1998) änderten an der Sache nichts. Außerdem war die irakische Ölindustrie infolge fehlender Ersatzteile und Ausrüstungen nicht in der Lage, die vorgesehenen Mengen zu produzieren. Erst mit der Resolution 1210 (1999) wurde durch den SR der Kauf der nötigen Ersatzteile und Pumpenausrüstungen genehmigt. Alle Vorstöße im SR, endlich das verheerende Sanktionssystem aufzuheben, erstickten im Vorfeld. Nach der Bombardierung Bagdads 1998 und dem Abzug der Waffeninspekteure beschloß der SR mit Resolution 1284 (1999), ein neues Inspektionssystem zu etablieren. Gewissermaßen als Anreiz für den Irak, dem zuzustimmen, sollte die Höhe der Ölexporte nicht mehr begrenzt werden. Es wurde eine kurzzeitige Suspendierung der Embargobestimmungen ins Auge gefaßt. Sie war jedoch an die Errichtung und Funktionsfähigkeit des neuen Waffeninspektionssystems (UNMOVIC) und Berichte der Inspektionsgruppe und der Atomenergiebehörde geknüpft, in denen bestätigt wird, daß der Irak alle seine Verpflichtungen erfüllt hat, das neue Kontroll- und Verifikationssystem funktioniert und der SR einen entsprechenden Beschluß über die zeitweilige Aufhebung der Sanktionen faßt. Unverändert sollte also jede Entscheidung über die zeitweilige Aussetzung der Sanktionen von den USA abhängen. Zusätzlich wird im Absatz 36 gesagt, daß eine eventuell erfolgte vorläufige Suspendierung der Sanktionen automatisch, d. h. ohne besonderen Beschluß des SR, wieder entfällt, wenn der Vorsitzende der Kontrollgruppe UNMOVIC oder der Generaldirektor der Internationale Atomenergie-Organisation berichten, daß der Irak nicht in jeder Hinsicht kooperiert. Auf die Weise wird sichergestellt, daß im Gegensatz zur Aufhebung der Sanktionen ihre Wiedereinführung nicht durch das Veto eines Staates verhindert werden kann.

Illegal und inhuman

Die katastrophalen Auswirkungen der Sanktionen auf die irakische Bevölkerung haben internationale Organisationen und Beobachter ausführlich dokumentiert. Auch der UN-Generalsekretär mußte in seinem Bericht vom März 2000 darauf hinweisen, daß, selbst wenn das Öl-für-Nahrungsmittel-Programm erfüllt würde, es sich sehr wohl herausstellen könnte, daß es unzureichend ist, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Inzwischen (1998) sind Denis Halliday, ehemals UN-Assistant Secretary-General und Humanitarian Coordinator im Irak und im Februar 2000 auch sein Nachfolger Hans von Sponeck und unmittelbar danach im März 2000 die Vertreterin des Welternährungsprogramms in Bagdad, Jutta Burghardt, aus Protest gegen die andauernden Sanktionen zurückgetreten. Tödliches Embargo Infolge der katastrophalen Lebensbedingungen starben Tausende Zivilisten, namentlich alte Menschen und Kinder. Bereits im März 1993 schätzte die irakische Regierung, daß infolge der Sanktionen 234000 Menschen gestorben seien, darunter 83000 Kinder. In ihrer Erklärung in der New York Times vom 17. Oktober 2002 beziffert die irakische Regierung die durch die Sanktionen verursachten Todesfälle mit 1,7 Millionen. UNICEF schätzte 1999 in ihrem Bericht, daß die Säuglingssterblichkeit im Irak heute doppelt so hoch ist wie vor dem Krieg, Hauptursache seien schlechtes Wasser und Unterernährung. Die Anzahl der Kinder, die seit Ende des Krieges infolge der Sanktionen ums Leben gekommen sind, wird mit 500000 angegeben. Unterernährung, Arbeitslosigkeit, mangelhafte Versorgung mit Wasser, unzulängliche medizinische Versorgung, Mangel an Medikamenten, Niedergang des Schulsystems, wachsende Kriminalität sind Stichworte, die die verheerende soziale Situation nur dürftig umschreiben, die im Irak heute durch das Sanktionssystem der UN verursacht, begünstigt und aufrechterhalten wird. Das umfassende Handelsembargo, das mit der Resolution 661 (6.4.1990) vom Sicherheitsrat (SR) in Übereinstimmung mit der Charta als Sanktion gegen den Irak verhängt wurde, um den Abzug der irakischen Truppen und die Wiedereinsetzung der kuwaitischen Regierung zu erzwingen, wurde praktisch mit der Erreichung dieses Zieles obsolet. Seine Aufrechterhaltung und Ausweitung auf andere Ziele, die mit der Resolution 687 (3.4.1991)begann, entbehrt jeder Rechtsgrundlage. Es wäre ein neuer Sanktionsbeschluß notwendig gewesen, der nur erneut auf eine Bedrohung oder Verletzung des Friedens durch Irak entsprechend Artikel 39 und 41 der Charta hätte gestützt werden können. Für einen solchen Beschluß aber gab es keinerlei Anlaß. Das gleiche gilt übrigens für die Anwendung von Gewalt, die militärische Form der Sanktion, die mit der Resolution 678 in Form der Autorisierung für die Allianz ausgesprochen worden war. Auch sie war darauf gerichtet, Kuwait zu befreien. Sie endete demzufolge mit der Annahme der Resolution 687 durch den Irak. Die Resolution 687 gibt, auch wenn einzelne Verpflichtungen daraus verletzt werden, keinerlei Berechtigung für einzelne Staaten, erneut Waffengewalt gegen den Irak anzuwenden und schon gar nicht mit der Zielsetzung, die Regierung zu beseitigen oder Waffeninspektionen zu erzwingen. Schon bei der Annahme der Resolution 687 im Sicherheitsrat, die im wesentlichen im State Department in Washington ausgearbeitet worden war, bestanden erhebliche Bedenken gegen die „Fortführung“ der Sanktionen. Das spiegelt sich in der Erklärung des Vertreters Frankreichs: „Das notwendige Ziel der Wiederherstellung des dauerhaften Friedens in der Golf-Region sollte keine Maßnahmen umfassen, die unnötigerweise strafend und rachsüchtig gegen die irakische Bevölkerung gerichtet sind. Es würde unrecht sein, wenn sie für die Handlungen ihrer Führer verantwortlich gemacht wird.“ (S/PV. 2981, 1991) Die Kombination des Handelsembargos mit dem Reparationsplan, der zwar vom Generalsekretär vorgelegt, aber ebenfalls in Washington ausgearbeitet worden ist, bewirkte, daß die ökonomischen Sanktionen zu einem Mittel der Erpressung Iraks, der Ausplünderung und Ausbeutung des irakischen Volkes wurden. Ein ganzes Volk ist in Schuldknechtschaft genommen, obgleich jedermann im Sicherheitsrat bekannt ist, daß der UN-Menschenrechtspakt selbst die Schuldknechtschaft für einzelne Personen ausdrücklich verbietet (Art. 11 der UN-Konvention für Bürger- und politische Rechte). Instrument der US-Außenpolitik Die Sanktionen wurden zum Instrument der amerikanischen Außenpolitik, die spätestens mit dem Iraq Liberation Act auf die gewaltsame Ablösung Saddam Husseins orientiert war und keinerlei Rücksichten auf die Verluste nahm, die dadurch unter der irakischen Bevölkerung verursacht wurden. Von Anfang an war bekannt, „daß die derzeitige Politik der Wirtschaftssanktionen verheerende Auswirkungen auf das irakische Volk hatte, eine Gesellschaft zerstörte und den Tod Tausender alter und junger Menschen verursachte.“ (Hans v. Sponeck/Denis Halliday: Bagdad im Visier, Freitag, 7.12.01) Eine solche Politik hat mit rechtmäßigen ökonomischen Sanktionen nichts gemein. Sie steht im Widerspruch zur UN-Charta, verfolgt kein legitimes Ziel und ist auch mit den Bestimmungen des Kapitel VII der Charta nicht zu vereinbaren. Die Charta gibt dem Sicherheitsrat nicht das Recht, die Absetzung einer unliebsamen Regierung zu erzwingen oder die Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen im allgemeinen und auch nicht von Verpflichtungen aus Friedensverträgen mit den im Kapitel VII vorgesehenen Zwangsmitteln durchzusetzen. Der SR darf Sanktionen nur dann anordnen, wenn die Verletzung von Verpflichtungen sich als eine Bedrohung für den Frieden darstellt und er diese Friedensbedrohung oder -verletzung ausdrücklich feststellt(Art. 39). Die Resolution 687 stellt aber keineswegs fest, daß vom gerade militärisch besiegten Irak eine Friedensbedrohung ausgeht. Dagegen war man sich sehr wohl bewußt, daß von den Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten eine Gefahr für Frieden und Sicherheit ausgeht und daß es notwendig ist, dahin zu arbeiten, im Nahen Osten eine Zone frei von Massenvernichtungswaffen zu schaffen (Resolution 687). Die UN-Inspektoren haben im Irak zwar ein Kernwaffenprogramm, aber keine Kernwaffen gefunden. Sie haben alle Anlagen, die für deren Herstellung geeignet gewesen wären, zerstört. Die weiteren Kontrollen zur Verhinderung einer Kernwaffenproduktion im Irak könnten durch das normale Kontrollsystem der Atomenergiebehörde gewährleistet werden. Über die Kernwaffen in Israel, die gemäß Resolution 687 ebenso eine Gefahr für den Frieden in der Region sind, wurde vom SR noch nie verhandelt. Bislang sind auch keine Bemühungen der UN zu erkennen, im Nahen Osten eine Zone frei von Massenvernichtungswaffen zu schaffen. Nachdem die irakischen Chemiewaffen und -anlagen unter Aufsicht der UN-Inspekteure zerstört worden sind, würde es naheliegen, den Irak in das strenge Kontrollsystem der Chemiewaffenkonvention einzubeziehen. Das würde auch einer Normalisierung der Beziehungen dienen. Versuche des Generaldirektors der Organisation für das Verbot von chemischen Waffen, dergleichen zu erörtern, sind von den USA mit Nachdruck zurückgewiesen worden und haben zur Ablösung des Generaldirektors geführt, ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der internationalen Organisationen. Gleichzeitig haben die USA das Kontrollsystem der Chemiewaffenkonvention aufgeweicht und die Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems für das Verbot biologischer Waffen verhindert. Qualitativ entwaffnet Auf der einen Seite versuchen die USA mit Gewalt, den Irak einem immer schärferen Kontrollsystem zu unterwerfen, während sie andererseits systematisch an der Schwächung der allgemeinen völkerrechtlichen Waffenkontrollsysteme arbeiten. Dabei könnten die Kontrollmaßnahmen zur Abrüstung des Irak – abgesehen von denen für weitreichende Trägersysteme – inzwischen durchaus mit gängigen völkerrechtlichen Instrumenten betrieben werden. Wenn die USA nicht die Errichtung eines wirksamen Kontrollsystems gegen Biowaffen verhindert hätten, bräuchte man das Sondersystem der Irak-Resolution im Grunde nicht mehr, um eine wirksame Kontrolle zu gewährleisten. Schon gar nicht gibt es eine Rechtfertigung, die Einhaltung dieses diskriminierenden Systems mit Sanktionen zu erzwingen, für die es in der UN-Charta keinerlei Rechtsgrundlage gibt. Auch eine neue Irak-Resolution kann da keine Abhilfe schaffen. Sie hätte allenfalls Sinn, wenn sie die Ablösung des derzeitigen Systems und seine Überleitung in die bestehenden allgemeinen Kontrollsysteme regeln und bei der Gelegenheit das derzeit infolge der USA-Intervention auf Eis liegende Kontrollsystem für Biowaffen in Kraft setzen würde. Im übrigen weisen von Sponeck und Halliday mit Recht darauf hin, daß der Medienrummel um Kontrollinspektionen im Grunde nur als Vorwand dient: „Die britischen und amerikanischen Nachrichtendienste erklären stolz, daß sie in Afghanistan aus großer Höhe Personen auf dem Boden ausmachen und mit Hilfe verfügbarer Technologie menschliches Leben in den Höhlen Afghanistans nachweisen können. Sie wissen, was sich in den ›Höhlen des Irak‹ befindet. Sie wissen genau, daß der Irak qualitativ entwaffnet ist. Dies zuzugeben würde der gesamten, zum Selbstzweck verkommenen UN-Politik den Todesstoß versetzen.“ (Freitag, 7. Dezember 2001) Die Völkerrechtswidrigkeit der derzeitigen Wirtschaftssanktionen gegen den Irak ergibt sich auch daraus, daß mit den Sanktionen grundlegende Menschenrechte der irakischen Bürgerinnen und Bürger verletzt werden. Bei der Beratung von zulässigen Gegenmaßnahmen bei Völkerrechtsverletzungen wurde in der UN-Völkerrechtskommission von zahlreichen Mitgliedern nachdrücklich darauf hingewiesen, daß Gegenmaßnahmen niemals zwingende Normen des Völkerrechts oder grundlegende Menschenrechte verletzen dürfen. Gleiches gilt für Sanktionen, die der Sicherheitsrat beschließt. Der SR hat in seiner Entscheidung darüber, ob eine Friedensbedrohung oder Verletzung vorliegt, sehr breiten Spielraum. Aber er steht nicht über oder außerhalb der Charta und der grundlegenden Normen des Völkerrechts. Das wird im Artikel 24 ausdrücklich gesagt. Daraus ergibt sich, daß dem SR insbesondere bei seinen Sanktionsbeschlüssen durch die zwingenden Normen des Völkerrechts, die grundlegenden Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht deutliche Grenzen gesetzt sind. Da unzweifelhaft belegt ist, daß die Sanktionen ursächlich für den Tod Hunderttausender unschuldiger Zivilisten im Irak, darunter zirka 500000 Kinder sind, muß nachdrücklich unterstrichen werden, daß keinerlei Sanktionen die Aufhebung oder Verletzung des Rechts auf Leben rechtfertigen, das in allen Menschenrechtskonventionen zu den Grundrechten gehört, die auch in Krisenzeiten nicht eingeschränkt werden dürfen. Die massenhafte Verletzung des Rechts auf Leben im Zuge der Irak-Sanktionen hat zusammen mit der systematischen Einschränkung der allgemeinen Lebensbedingungen, der Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten solche Ausmaße erreicht, daß Marc Bossuyt in einer Studie für die UN feststellt: „Wenn auch die Todesfälle infolge humanitärer Maßnahmen aufhören sollten, so blieben noch immer massive, systematische Verletzungen anderer Rechte der irakischen Bürger, die auf die Sanktionen zurückzuführen sind. Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte der irakischen Menschen wurden beiseite geschoben, ebenso ihre Rechte auf Entwicklung und Bildung.“ Und Denis Halliday gab als Grund für seinen Rücktritt vom Amt des UN-Koordinators für UN-Hilfsprogramme an: „Wir sind dabei, eine ganze Gesellschaft zu zerstören. Es ist eine einfache und entsetzliche Tatsache. Es ist illegal und amoralisch.“ (Independent, 15.10.1998) Die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen, die geeignet sind, die körperliche Zerstörung des irakischen Volkes ganz oder teilweise herbeizuführen, kann Bestimmungen der Völkermordkonvention verletzen. Sie wäre selbst in Kriegszeiten nach dem geltenden humanitären Völkerrecht verboten. Die Genfer Konventionen schützen die Zivilbevölkerung (Art. 48 f. Zusatzprotokoll I) und verbieten ausdrücklich die Zerstörung von Gütern, die für das Überleben der Bevölkerung notwendig sind. In Friedenszeiten wird die Zerstörung der Lebensbedingungen eines Volkes durch die allgemein geltenden Menschenrechtsbestimmungen verboten, wie sie in den Menschenrechtspakten der UN und der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948 niedergelegt sind. Zusammenfassend muß man feststellen: Das Sanktionsregime gegen den Irak ist nach geltendem Völkerrecht eindeutig illegal. Es findet keine Rechtsgrundlage in der Charta und verletzt das geltende humanitäre Völkerrecht wie die internationalen Bestimmungen zum Schutz der Menschenrechte. Zu Recht stellt Bossuyt die Verantwortlichkeit des SR für die Folgen der Sanktionen heraus, denn dem SR sind sie im einzelnen seit langem bekannt. Trotzdem hat er die illegale Sanktionspolitik fortgesetzt und zumindest das Sterben weiterer Tausender Menschen in Kauf genommen. Seit langem haben die USA die Sanktionen gegen Irak zu einem Instrument ihrer Politik gemacht, die auf die Beseitigung Saddam Husseins gerichtet ist. Diese Zielsetzung ist von der Bush-Administration offen proklamiert und sogar als Rechtfertigung für einen Aggressionskrieg geltend gemacht worden. Sie wurde bereits im US Iraq Liberation Act offen als amerikanisches Gesetz verkündet, ist also nicht neu. Diese Politik findet ihren Ausdruck in diversen verdeckten Aktivitäten des Geheimdienstes, die im Grunde nichts anderes als eine Form des Staatsterrorismus sind, in der Aussetzung eines Kopfgeldes auf Saddam Hussein, in Attentatsversuchen auf Saddam Hussein und seinen Sohn, der Finanzierung oppositioneller Gruppen und der Unterstützung und Ausbildung von Guerillatruppen durch die CIA. Diese von den Ölinteressen der USA diktierte Politik wird in offener Verletzung des Völkerrechts praktiziert. Sie verhindert systematisch eine Friedenslösung im Nahen Osten. Eine auf die Sicherung des Friedens gerichtete Politik in dieser Region verlangt seit langem eine Aufhebung der ökonomischen Sanktionen, die Überleitung der Waffenkontrollen in die allgemeinen internationalen Kontrollsysteme der entsprechenden Konventionen und die Schaffung einer Zone frei von Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten, wie dies in der Resolution 687 in Aussicht genommen wurde. Eine umfassende Friedenslösung in dieser Region wird jedoch nicht ohne die Lösung des Konfliktes zwischen Israel und dem palästinensischen Volk möglich sein. Auch die UNO ist verantwortlich, wenn ihre Organe völkerrechtliche Verpflichtungen verletzen. Bei Entscheidungen des SR ist das jedoch schwierig zu realisieren. Offensichtlich kann sich die Verbindlichkeitsregel des Artikels 25 nur auf Entscheidungen des SR beziehen, die dieser in Übereinstimmung mit Artikel 24 der UN-Charta im Rahmen seiner durch die Charta definierten Kompetenz fällt, nicht aber auf Entscheidungen, die diesen Rahmen überschreiten (ultra vires). Wenn die Entscheidungen oder ihre Auswirkungen Verletzungen zwingender Normen des Völkerrechts darstellen, so sind diese nichtig. Das würde bedeuten, daß kein Staat daran gebunden ist und dies durch Nichtbefolgung deutlich machen kann. In der politischen Praxis können sich das nur Supermächte leisten. Jedoch könnte eine Nichtbefolgung solcher Entscheidungen durch viele Staaten durchaus wirksam sein, sie ist aber schwierig herbeizuführen. Sie birgt allerdings die Gefahr als Nebeneffekt, die Autorität der Organisation zu untergraben, kontraproduktiv zu wirken. Die rechtlichen Grenzen Wie aber können sich die Staaten gegen Beschlüsse des SR, die nicht mit den Zielen und Prinzipien der Vereinten Nationen in Einklang stehen (Art. 24, 2) und zwingende Normen verletzen, zur Wehr setzen? Es ist dies eine komplizierte Frage. Einerseits kann es nicht einfach jedem einzelnen Mitgliedsstaat überlassen bleiben zu entscheiden, ob es sich um einen illegalen Akt handelt, und andererseits ist „es in einem Rechtssystem inakzeptabel, Entscheidungen eines Exekutivorgans mit der unwiderlegbaren Vermutung der Legalität auszustatten“. Diese Problematik ist vom Internationalen Gerichtshof (IGH) sowohl in seinem Gutachten zu Namibia berührt worden (ICJ Reports 1971, S. 53) als auch von einigen Richtern im Lybien-Fall. Offenbar war sich die Mehrheit der Richter darüber einig, daß es auch für den Sicherheitsrat überprüfbare Grenzen bei der Ausübung seiner Tätigkeit gibt. Zweifellos wäre es schon hilfreich, wenn sich eine Mehrheit von Staaten finden würde, die in der Generalversammlung in einer Resolution die Illegalität der fortdauernden Sanktionen geltend machte und eine Normalisierung des Kontrollsystems forderte. Das würde auch eine beachtliche Hürde gegen die amerikanischen Pläne für einen aggressiven Präventivkrieg gegen den Irak aufrichten. Darüber hinaus aber muß eine rechtliche Kontrolle der Rechtsgrundlagen von Entscheidungen des SR entwickelt werden. Der Mißbrauch des UN-Sanktionssystems gegen den Irak wäre vielleicht ein geeigneter Anlaß für die Generalversammlung, den Internationalen Gerichtshof um ein Gutachten zu ersuchen, wo die rechtlichen Grenzen von Sanktionen liegen, die im Rahmen von Kapitel VII verhängt werden können und wie mit Ultra-Vires-Akten umzugehen ist. Unter den gegebenen internationalen Bedingungen werden diese Fragen immer wieder von großer Bedeutung sein. Es sollte heute möglich sein, wenn die Frage für das Gutachten sorgfältig formuliert wird, eine Mehrheit von Staaten in der Generalversammlung zu gewinnen, die ein solches Gutachten vom IGH einfordern. Schon die Debatte über eine solche Gutachtenanforderung würde nicht nur für die Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak politisch sehr wichtig sein. Sie würde die Stellung der Generalversammlung gegenüber dem SR im allgemeinen stärken. Ein solches Gutachten dürfte auch deutliche Grenzpfähle gegen einen zukünftigen Mißbrauch der Macht des Sicherheitsrates aufrichten und damit von prinzipieller Bedeutung sein.

* Der vollständige Text kann nachgelesen werden unter: www.irak-kongress-2002.de und unter http://www.jungewelt.de

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Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de