Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

in: Telepolis, 3.10.2002

Die irakischen Massenvernichtungswaffen

Dem Dossier von Blair haben Kritiker aus den Reihen der Labour-Partei ein Gegendossier entgegengestellt, das von "wilden Behauptungen als einem Vorwand für den Krieg" spricht

Dirk Eckert (05.10.2002)

Tony Blair hat im September ein Dossier vorgelegt, das die Gefährlichkeit des Irak beweisen und somit einen Krieg gegen das Land als legitim erscheinen lassen sollte ( [1]Beweise jenseits allen Zweifels …). „Die Geschichte von Saddams Massenvernichtungswaffen ist keine amerikanisch-britische Propaganda. Die Geschichte und die gegenwärtige Gefahr sind wirklich vorhanden“, so Blair. Genau das wird in einem [2]Gegendossier bezweifelt, das Kritiker des Kurses von Tony Blair über das Rüstungspotenzial des Irak verfasst haben.

Die Autoren des Gegendossiers sind Alan Simpson, Abgeordneter von Blairs Labour-Partei, und Glen Rangwala, Dozent für Politik am Newnham College der Universität Cambridge.

„Es gibt keinen Grund für einen Krieg gegen Irak. Das Land hat nicht gedroht, die USA oder Europa anzugreifen, und hat keine Verbindung zur al-Qaida. Es gibt kein Anzeichen dafür, dass das Land neue Massenvernichtungswaffen oder Trägersysteme hat.“

So seien etwa die Aussagen von Tony Blair und George W. Bush über das Atompotenzial des Irak nicht glaubwürdig. Am 7. September hatten Blair und Bush Satellitenbilder gezeigt, auf der neue Gebäude in der Nähe einer Atomanlage zu sehen sind. Für die USA und Großbritannien ein Beweis dafür, dass der Irak wieder an der Entwicklung von Atomwaffen arbeite. Simpson und Rangwala konfrontieren diese Behauptung mit Aussagen der Internationalen Atomenergiebehörde ( [3]IAEA), von der die Bilder stammen. „Wir wissen nicht, ob das etwas bedeutet. Eine Gebäude zu errichten ist das eine, ein Nuklearwaffenprogramm erneut zu starten, ist das andere.“ Was C-Waffen betreffe, so hat der Irak diese Waffen größtenteils unter Aufsicht der Unscom zerstört. Das gleiche gelte für die Produktionsanlagen. Auch Al-Hakam, die Anlage für die Herstellung von B-Waffen, wurde 1996 zerstört. Vor dem zweiten Golfkrieg, als Saddam Hussein noch ein nützlicher Verbündeter gegen den Iran war, gingen Großbritannien und die USA noch anders mit dem Land um. Auch darauf weisen die Autoren des Gegendossiers hin. In den Jahren vor der Invasion Kuwaits hat der Irak unter Saddam Hussein tatsächlich Chemiewaffen produziert und eingesetzt – zuerst im Krieg gegen den Iran, dann 1988 in Halabja gegen die kurdische Bevölkerung im eigenen Land. Der Unterstützung durch die USA und Großbritannien konnte sich das Regime in Bagdad sicher sein, wie Simpson und Rangwala zeigen.

Die USA hätten das Land dabei mit Waffentechnik unterstützt, darunter auch Hubschrauber, die 1988 gegen die Kurden zum Einsatz gekommen seien. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen habe in dieser Zeit keine einzige Resolution verabschiedet, die den Einsatz von C-Waffen kritisiert hätte, weil die USA und Großbritannien das verhindert hätten. Auch nach 1988 hätten die USA ihre militärische Unterstützung des irakischen Regimes nicht ausgesetzt. London habe das Massaker von Halabja zwar verbal verurteilt, zehn Tage später aber einen 400-Millionen-Pfund-Kredit verlängert. Die Autoren ziehen daraus die Schlussfolgerung:

„Der Irak hat niemals chemische Waffen gegen einen äußeren Feind eingesetzt ohne die Zustimmung der mächtigsten Staaten.“

C-Waffen seien immer nur dann eingesetzt worden, wenn sich der Irak „durch eine Supermacht vor Verurteilungen und Gegenmaßnahmen geschützt sah“. Deshalb sei auch nicht anzunehmen, dass Saddam Hussein heute solche Waffen einsetze, sollte er denn welche haben.

„Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die irakische Führung heute irgendwelche militärischen Gewinne, die sie möglicherweise durch den Gebrauch von C-Waffen erzielen könnte, über ihren Wunsch stellen könnte, internationale Allianzen mit Großmächten zu schließen.“

Mit ihrer Kritik stehen Simpson und Rangwala nicht allein. Auch das deutsche Fernsehmagazin [4]Monitor hatte das Dossier angezweifelt, da es allenfalls Indizien, aber keine Beweise enthalte. Dem Irak werde etwa bescheinigt, Geräte für ein Nuklearprogramm kaufen zu wollen. „Doch kam es wirklich zum Kauf? Kein Wort davon im Blair-Papier.“

Der britische Journalist Robert Fisk [5]erinnerte am 25. September im „Independent“ daran, was es bedeutet, wenn die Angaben von Blair zu Saddams Massenvernichtungswaffen korrekt sind: „Unsere massive, obstruktive, brutale Politik der UN-Sanktionen ist völlig fehlgeschlagen. In anderen Worten, eine halbe Millionen irakischer Kinder wurde von uns getötet – für nichts.“

Dossier hin, Dossier her: Beim Parteitag von Labour Anfang dieser Woche hatte Premierminister Tony Blair zwar einen schweren Stand, bekam aber trotzdem ein Ergebnis, mit dem er leben kann. Einen Antrag, nach dem Labour seine Regierungspolitik unterstützt hätte, zog Blair noch schnell zurück – mangels Aussicht auf Erfolg. Die Kriegsgegner in der Partei konnten sich nicht damit durchsetzen, dass die Partei einen Krieg unter allen Umständen ablehnt. Bei der Abstimmung bekamen sie aber immerhin 40 Prozent. Schließlich setzte sich die Parteiführung durch mit einer Formulierung durch, wonach militärische Aktionen „im Rahmen des Völkerrechts“ durchgeführt werden dürften.

Links
[1] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/13308/1.html
[2] http://www.labouragainstthewar.org.uk/link5.html
[3] http://www.iaea.or.at/
[4] http://www.wdr.de/tv/monitor/beitraege.phtml?id=443
[5] http://www.independent.co.uk/story.jsp?story=336404

Telepolis, http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/13355/1.html
und http://www.dirk-eckert.de/texte.php?id=333

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