Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

in: New York Times 19.09.2002

Nicht in unserem Namen

Eine Moralische Standortbestimmung

"Not in Our Names" / Dokumentation / New York Times (02.10.2002)

Lassen wir es nicht so weit kommen, daß man sagt, die Menschen in den Vereinigten Staaten wären untätig geblieben, als ihre Regierung einen uneingeschränkten Krieg verkündete und strikte Maßnahmen der Repression einführte.

Die Unterzeichner dieser Erklärung fordern das Volk der Vereinigten Staaten auf, sich der Politik bzw. der generellen politischen Richtung seit dem 11. September 2001 zu widersetzen, da dies alles eine ernste Gefahr für die Menschen in der Welt bedeutet.

Wir glauben, daß Völker u. Staaten das Recht haben, ihr Schicksal eigenverantwortlich zu bestimmen – und zwar frei von militärischem Zwang durch mächtige Staaten. Wir glauben ferner, daß alle Personen, die von der Regierung der Vereinigten Staaten festgehalten oder vor Gericht gestellt werden, dasselbe Recht auf einen fairen Prozeß haben. Wir glauben, daß Fragen gestellt, Kritik geübt u. abweichende Meinungen geäußert werden müssen – und daß dies hochgeschätzt u. verteidigt werden sollte. Wir sind der Auffassung, daß der Wert (der freien Meinungsäußerung) und das Recht darauf ständig bedroht sind und entsprechend verteidigt werden müssen.

Wir glauben, daß Menschen, die ein Gewissen haben, sich dafür verant- wortlich fühlen müssen, was ihre Regierungen tun. A priori müssen wir uns der Ungerechtigkeit widersetzen, die in unserem Namen begangen wird. In diesem Sinne appellieren wir an alle Amerikaner, dem Krieg u. der Unterdrückung WIDERSTAND ZU LEISTEN, die die Bush-Regierung über die Welt gebracht hat / noch bringt. Das alles ist ungerecht, unmoralisch u. illegitim. Wir haben uns entschlossen, uns an die Seite der Menschen in aller Welt zu stellen.

Aber auch wir haben natürlich mit Schrecken die furchtbaren Ereignisse des 11. Septembers 2001 mitverfolgt. Auch wir haben die tausende Unschuldiger betrauert, die getötet wurden und konnten nur den Kopf schütteln angesichts der Horror-Bilder schier unglaublicher Vernichtung – selbst wenn wir dabei unwilkürlich an ähnliche Bilder aus Bagdad, Panama City – oder eine Generation früher Vietnam – denken mußten. Und wie Millionen anderer Amerikaner haben auch wir voller Schmerz gefragt: Wie konnte soetwas nur geschehen?

Aber das Trauern hatte kaum begonnen, als die höchsten Führer unseres Landes auch schon den Geist der Rache entfesselten. Eine simplifizierende Botschaft von ‘Gut versus Böse’ wurde entworfen und durch die ebenso glatten wie einge- schüchterten Medien verbreitet. Man sagte uns, die Frage nach dem Grund für diese schrecklichen Ereignisse grenze an Verrat. Eine Debatte wurde nicht gestattet. Man legte einfach fest: es existieren keine berechtigten Fragen moralischer oder politischer Natur. Die einzig mögliche Antwort sei: Krieg nach außen und Repression nach innen.

In unser aller Namen hat die Regierung Bush – praktisch ohne jede Gegenstimme vonseiten des Kongreß – Afghanistan angegriffen. Aber nicht nur das, sie hat sich und ihre Verbündeten darüberhinaus auch noch ermächtigt, an jedem Ort und zu jeder Zeit militärisch einzugreifen. Die brutalen Auswirkungen (dieser Selbstermächtigung) kann man jetzt überall besichtigen – auf den Philippinen ebenso wie in Palästina, wo die Panzer bzw. Bulldozer der Israelis ja eine Spur der Verwüstung und des Todes gezogen haben. Und nun bereitet sich die US-Regierung also auch noch offen auf einen ‘End-Krieg’ gegen Irak vor – ein Land, das schließlich nichts zu tun hat mit dem Horror des 11. Septembers. Was für eine Welt wird das sein, in der die US-Regierung praktisch Blankovollmacht besitzt, überall und woimmer sie will ihre Bomben abzuwerfen, ihre Militärkommandos oder Mörder einzuschleusen?

In unserem Namen hat die US-Regierung im eigenen Land ein Zweiklassensystem errichtet: Menschen, denen die grundlegenden Rechte unseres Rechtssystems zumindest theoretisch zugestanden werden und solche, die keinerlei Rechte irgendwelcher Art zu besitzen scheinen. Die Regierung hat über 1000 Immigranten verhaften lassen – und hält sie seither auf unbestimmte Zeit und an geheimen Orten fest. Hunderte wurden abgeschoben, und hunderte schmachten nach wie vor in Gefängnissen. Diese Prozedur erinnert stark an die berüchtig- ten Internierungslager für japanischstämmige Amerikaner während des ‘Zweiten Weltkriegs’. Und zum erstenmal seit Jahrzehnten werden bei der Immigration auch wieder Menschen bestimmter Nationalität rausgefiltert u. sonderbehandelt.

In unserem Namen hat die Regierung ein Leichentuch der Repression über die Gesellschaft gelegt. So warnt beispielsweise der Präsidentensprecher, die Bürger sollten “aufpassen, was sie sagen”. Künstler mit abweichender Meinung, Intellektuelle, Professoren machen die Erfahrung, daß ihre Ansichten falsch wiedergegeben bzw. angefeindet bzw. gleich ganz unterdrückt werden. Der sogenannte ‘Patriot Act’ (Patriotengesetz) – zusammen mit einer ganzen Latte ähnlicher Maßnahmen auf Staatsebene – verleiht der Polizei sehr weitgehende neue Vollmachten zu Durchsuchung und Festnahme. Kontrolliert wird die Polizei hierbei, falls überhaupt, lediglich durch Geheim-Kommissionen, die im stillen agieren.

In unserem Namen hat die Exekutive langsam aber sicher Aufgaben und Funktionen an sich gerissen, die eigentlich in den Bereich der übrigen Regierungs- instanzen gehörten. Per Befehl der Exekutive wurden Militärtribunale eingerichtet – Militärgerichte, vor denen eine eingeschränkte Beweispflicht gilt bzw. die Angeklagten nicht das Recht haben, vor ordentlichen Gerichten in Berufung zu gehen. Gruppierungen können mit einem einzigen Federstrich des Präsidenten zu ‘Terroristen’ erklärt werden.

Wir müssen die höchsten Militärs unseres Landes ernstnehmen, wenn sie von einem Krieg sprechen, der eine ganze Generation währen wird – und wenn sie von einer neuen Innenpolitik reden. Nach außen verfolgen wir inzwischen ja eine offen imperialistische Politik, nach innen eine Politik, die darauf angelegt ist, Angst zu produzieren und diese Angst der Menschen zu benutzen, um die Rechte einzuschränken.

Die Ereignisse der letzten Monate beschreiben eine tödliche Kurve – wir müssen das endlich begreifen und entsprechend Widerstand leisten. Denn viel zu oft in der Geschichte war es ja schon so, daß Menschen zu lange warteten – bis es für (effektiven) Widerstand zuspät war.

Präsident Bush hat erklärt: “Entweder, ihr seid für uns oder gegen uns”. Hier unsere Antwort: Wir wehren uns dagegen, daß Sie sich anmaßen, für das gesamte amerikanische Volk zu sprechen. Wir werden unser Recht, Fragen zu stellen nicht aufgeben. Wir werden unser Gewissen nicht aufgeben – nicht für Ihr leeres Versprechen von Sicherheit. Wir sagen NICHT IN UNSEREM NAMEN. Wir weigern uns, mit diesen Kriegen irgendetwas zu tun zu haben und weisen jede Unterstellung zurück, sie würden auch in unserem Namen geführt bzw. in unserem Interesse. Vielmehr reichen wir all denen in der Welt die Hand, die unter dieser Politik zu leiden haben. Wir werden unsere Solidarität mit Worten und Taten unter Beweis stellen.

Wir, die Unterzeichnenden, rufen alle Amerikaner dazu auf, sich zusammen- zuschließen und sich dieser Herausforderung zu stellen. Wir begrüßen u. unterstützen den derzeitigen Protest und die kritischen Fragen – wenngleich uns durchaus bewußt ist, daß es viel, viel mehr brauchen wird, um diesen blutrünstigen Götzen wirklich zu stoppen. Wir sind inspiriert durch das Beispiel der israelischen Reservisten – die unter Inkaufnahme großer persönlicher Risiken erklärt haben: “es GIBT eine Grenze” und sich konsequent weigern, ihren Teil zur Besatzung des Westjordanlands u. Gazas beizutragen.

Wir berufen uns außerdem auf die Geschichte der Vereinigten Staaten – die ja viele Beispiele von Widerstand und moralischer Gewissensentscheidung kennt – angefangen bei denen, die gegen die Sklaverei revoltiert haben – oder an der ‘underground railroad’ mitwirkten – bis hin zu jenen, die gegen den Vietnam-Krieg kämpften – indem sie Befehle nicht befolgten, den Militärdienst verweigerten oder den Verweigerern solidarisch beistanden.

Lassen wir es also nicht zu, daß die Welt draußen an unserem Schweigen und unserer Handlungsunfähigkeit verzweifelt. Schwören wir ihr statt dessen: wir werden gegen diese Maschinerie des Kriegs und der Unterdrückung ankämpfen und fordern auch andere dazu auf, sie mit aller Macht zu stoppen.

Erstunterzeichnende:
(Stand: 1. Juni 2002)

Michael Albert
Laurie Anderson
Edward Asner, Schauspieler
Russell Banks, Autor
Jessica Blank, Schauspielerin / Dramatikerin
Medea Benjamin, Global Exchange
William Blum, Autor
Theresa Bonpane, Geschäftsführerin des ‘Office of the Americas’
Blase Bonpane, Direktor des ‘Office of the Americas’
Henry Chalfant, Autor/Filmemacher
Bell Chevigny, Autorin
Paul Chevigny, Rechtsprofessor, NYU (Universität von New York)
Stephanie Coontz, Historikerin am Evergreen State College
Kia Corthron, Dramatikerin
Kevin Danaher, Global Exchange
Ossie Davis
Mos Def
Carol Downer, im Vorstand von Chico (CA) ‘Feminist Women’s Health Center’
Eve Ensler
Leo Estrada, Professor für Stadtplanung an der UCLA (University of California Los Angeles)
John Gillis, Autor, Professor für Geschichte am Rutgers
Jeremy Matthew Glick, Herausgeber von ‘Another World is Possible (Eine andere Welt ist möglich)
Suheir Hammad, Autor
Rakaa Iriscience, Hip-hop-Künstlerin
Eric Jensen, Schauspieler, Dramatiker
Casey Kasem
Robin D.G. Kelly
Martin Luther King III, Präsident der ‘Southern Christian Leadership Conference’
Barbara Kingsolver C. Clark Kissinger, ‘Refuse & Resist’ (Verweigern u. Widerstehen)
Jodie Kliman, Psychologin
Yuri Kochiyama, Aktivist
Tony Kushner
James Lafferty, Geschäftsführer ‘National Lawyers Guilt’/L.A. (Nationale Anwaltsgilde von Los Angeles)
Rabbi Michael Lerner, Herausgeber der Zeitschrift ‘TIKKUN’
Barbara Lubin, ‘Middle East Childrens Alliance’ (Allianz für die Kinder in Nahost)
Staughton Lynd
Anuradha Mittal, Ko-Direktorin des ‘Institute for Food and Development Policy / Food First’ (Institut für Nahrungs- u. Entwicklungpolitik / Nahrung zuerst)
Robert Nichols, Autor
Rev. E. Randall Osburn exec, v.p., ‘Southern Christian Leadership Conference’
Grace Paley
Jeremy Pikser, Drehbuchautor
Juan Gómez Quinones, Historiker an der UCLA
Michael Ratner, Präsident des ‘Center for Constitutional Rights’ (Zentrum für Verfassungsrecht)
Boots Riley, Hip-hop-Künstler, ‘The Coup’
Edward Said
Starhawk
Michael Steven Smith, ‘National Lawyers Guild’
Bob Stein, Herausgeber
Gloria Steinem
Alice Walker
Naomi Wallace, Dramatikerin
Rev. George Webber, emeritierter Präsident des Theologischen Seminars (‘Theological Seminary’) von New York
Leonard Weinglass, Anwalt
John Edgar Wideman
Saul Williams, Spoken-word-Artist
Howard Zinn, Historiker

Originalhomepage: http://www.nion.us

Die Originalanzeige als PDF-Datei: http://imi-online.de/download/nion_NYT9-19.pdf

dpa-Agenturmeldung zur Anzeige:

Montag 23. September 2002, 17:16 Uhr

Künstler und Wissenschaftler in USA protestieren gegen Kriegspläne

New York (dpa) – Namhafte amerikanische Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler haben in einem Appell zu landesweiten Protestaktionen gegen die geplante US-Militärintervention im Irak sowie gegen «Unterdrückungsmaßnahmen» im eigenen Land aufgerufen. Bei Kundgebungen in New York sowie in Los Angeles, San Francisco und anderen Städten solle zwischen dem 5. und 7. Oktober der Angriffskurs der Regierung verurteilt werden, erklärten die Organisatoren der Kampagne «Not In Our Name» (Nicht in unserem Namen) am Montag in New York.

Dem Appell haben sich nach Angaben der Gruppe Hunderte von Persönlichkeiten angeschlossen. Er werde unter anderem von den Schauspielerinnen Jane Fonda und Susan Sarandon, den Schriftstellern Kurt Vonnegut und Gore Vidal, den Dramatikern Eve Ensler und Tony Kushner sowie von mehreren Universitätsprofessoren unterstützt. Die größte Protestkundgebung werde am 6. Oktober im New Yorker Central Park erwartet, hieß es. Bereits vor Wochen hatten sich zahlreiche andere US-Intellektuelle hinter den Kurs der Bush-Regierung gestellt und unter anderem die Militäraktionen in Afghanistan als «gerechten Krieg» eingestuft.

Die Gruppe «Not In Our Name» hatte erstmals am vergangenen Donnerstag mit einer ganzseitigen Anzeige in der «New York Times» zum Widerstand gegen die Politik der US-Regierung nach den Terroranschlägen vom 11. September aufgerufen: «Die Unterzeichner dieser Erklärung fordern das Volk der Vereinigten Staaten auf, sich der Politik beziehungsweise der generellen politischen Richtung seit dem 11. September 2001 zu widersetzen, da dies alles eine ernste Gefahr für die Menschen in der Welt bedeutet.»

Die Regierung in Washington habe «den Geist der Rache» entfesselt, heißt es in dem Appell weiter. «Eine simplifizierte Botschaft von ‚Gut und Böse‘ wurde entworfen und durch die ebenso glatten wie eingeschüchterten Medien verbreitet. Man sagte uns, die Frage nach dem Grund für diese schrecklichen Ereignisse grenze an Verrat. Eine Debatte wurde nicht gestattet.»

Die Gegner des US-Regierungskurses werfen Washington auch vor, unter dem Motto «Kampf dem Terror» in vielen Teilen der Welt Konflikte und Spannungen verschärft zu haben – «auf den Philippinen ebenso wie in Palästina, wo die Panzer beziehungsweise Bulldozer der Israelis ja eine Spur der Verwüstung und des Todes gezogen haben». Während die USA einen Krieg gegen den Irak vorbereiteten, der «nichts mit dem Horror des 11. September zu tun hat», stelle sich die Frage: «Was für eine Welt wird das sein, in der die US-Regierung praktisch Blankovollmacht besitzt, überall und wo immer sie will Bomben abzuwerfen, ihre Militärkommandos oder Mörder einzuschleusen?»

Über den Appell wurde in der amerikanischen Presse bislang so gut wie nichts berichtet. Die Organisatoren der Kampagne riefen deshalb auch zu Geldspenden auf, um weitere Anzeigen in US-Zeitungen schalten zu können.

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