Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

IMI-Analyse 2002/071

Lackmustest für Schröders und Fischers angebliche Kriegsgegnerschaft

Die Bundesregierung gewährt den USA wohl politisch und juristisch gefährliche militärische Unterstützungsleistungen für den Irak-Krieg

Tobias Pflüger (18.09.2002)

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In der ersten Version vom 13.09.2002 auch in: analyse und kritik (ak) Nummer 465, 20.09.2002, aktualisierte Fassung noch unveröffentlicht

http://imi-online.de/download/IMI-Analyse-071-Lackmustest.pdf

1. Die Friedensbewegung als Impulsgeberin?

Fast schien es so, dass die Friedensbewegung die Impulsgeberin der deutschen Debatte zum Irakkrieg gewesen war. In der IMI-Analyse 2002/052, „Wir glauben Euch noch nicht“ vom 07.08.2002 (1) hat die Informationsstelle Militarisierung (IMI) darauf hingewiesen, dass den Worten der rot-grünen Bundesregierung, sie lehne den Krieg gegen den Irak ab, Taten folgen müssten. Wir haben darin fünf Punkte aufgeführt, die erfüllt werden müssten, damit eine im Wahlkampf formulierte deutsche „Antikriegsposition“ glaubwürdig sei. Diese fünf Punkte lauten: Erstens keine finanzielle Unterstützung, zweitens kein Zurverfügungstellen von Bundeswehr-Truppen, drittens keine Truppenunterstützung, viertens keine Zurverfügungstellung der militärischen Infrastruktur in Deutschland („das schließt nicht nur die deutschen sondern auch die us-amerikanischen Basen wie Spangdahlem, Ramstein, Frankfurt Airport u.a. mit ein“). Und fünftens die Einlegung eines Vetos innerhalb der NATO gegen die Unterstützung eines Irak-Kriegs.

Diese Punkte sind erfreulich stark aufgegriffen worden. Stück für Stück machte selbst die Bundesregierung – in der Schlußphase des Wahlkampfes – den Eindruck, als wollte sie diese Punkte erfüllen. Bundeskanzler Gerhard Schröder und in seinem Gefolge andere SPD-Politiker und Grünen-Vertreter sprachen sich klar gegen eine finanzielle Unterstützung des Irak-Kriegs aus.

Verteidigungsminister Peter Struck stellte sogar den Abzug der Panzer in Kuwait bei Kriegsbeginn in Aussicht. Der Kriegsbeginn ist allerdings genau der falsche Zeitpunkt, dies kommt einem Nichtabzug gleich. Denn die Aufgabe der Bundeswehrsoldaten ist explizit die Unterstützung von US-Soldaten. Sollte also ein Angriff gegen den Irak beginnen, sind die Bundeswehrsoldaten und damit Deutchland in den Krieg direkt involviert.

2. Gegen den Krieg reden und für den Krieg handeln? Schröders Nichtaussage die gilt.

Doch gegen den Krieg reden und etwas real gegen eine Kriegsteilnahme zu tun, sind offensichtlich zwei paar Schuhe. Ein zentraler Punkt in unserem Papier war: „Keine Zurverfügungstellung der militärischen Infrastruktur in Deutschland (das schließt nicht nur die deutschen sondern auch die US-amerikanischen Basen wie Spangdahlem, Ramstein, Frankfurt Airport u.a. mit ein).“ Auch dieser Punkt war in der veröffentlichten Debatte, beispielweise in der Bundespressekonferenz vom 4. September 2002. Die dortige Auseinandersetzung zeigt, wie relevant der Punkt ist.

In der Bundespressekonferenz wurde sehr vorsichtig die folgende Frage gestellt: „Herr Bundeskanzler, es beginnt eine kleine Diskussion darüber, ob Deutschland auch Konsequenzen ziehen müsste, weil es ja Überflugrechte und Nutzungsrechte amerikanischer Flughäfen usw. gibt, die in einem solchen Fall auch sicherlich genutzt werden würden. Könnten Sie dazu etwas sagen?“ Gerhard Schröder antwortet gereizt: „Ich bin nicht bereit, hier zu jeder kleinen Diskussion, die von wem auch immer begonnen wird, Erklärungen abzugeben. Ich glaube, dass die Grundsatzposition Deutschlands ganz klar ist, und dabei soll es bleiben.“

Daraufhin hakte ein etwas mutigerer Journalist nochmal nach und wollte wissen, ob denn nun der deutsche Luftraum und die Basen, die die USA in Deutschland unterhalten, für einen Angriff auf den Irak zur Verfügung stünden. Der Frager wurde dafür scharf abgekanzelt: „Ich hatte auf die Frage Ihres Kollegen schon gesagt: Lassen Sie uns Fragen diskutieren, wenn sie anstehen; denn ich denke nicht daran, über jedes Stöckchen – auch nicht über Ihres – zu springen.“

Jetzt faßte der Journalist allen Mut zusammen und legt nochmal nach: „Verzeihung, Herr Bundeskanzler, aber das ist kein Stöckchen, sondern alle Militärexperten sind sich einig, dass die militärisch maßgebliche Frage für die Amerikaner die ist, ob der deutsche Luftraum genutzt werden kann.“ Darauf Gerhard Schröder abschließend: „Nehmen Sie meine Antwort so, wie ich sie Ihnen gegeben habe. Die gilt.“ Schröder hat keine Antwort gegeben und die gilt.

3. Die juristische Situation

Um zu beurteilen, welche Handlungsspielräume eine deutsche Regierung hätte, lohnt sich ein Blick in das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut. Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der internationalen Juristenvereinigung IALANA, die sich für ein weltweites Verbot von Atomwaffen einsetzt, beschreibt in der Frankfurter Rundschau vom 11. September 2002 die völkerrechtliche Situation einer Nutzung (US-amerikanischer) militärischer Infrastruktur in Deutschland in Bezug auf den angekündigten Irak-Krieg. (2) Deiseroth zählt vier Möglichkeiten des Rückgriffs der USA auf militärische Infrastruktur in Deutschland auf:

– Die deutsche Regierung könnte um Überflugrechte im deutschen Luftraum ersucht werden.

– US-Militärflugzeuge könnten auf US-Militärflughäfen in Deutschland (z.B. US-Air-Base Rhein-Main) zwischenlanden und von hier aus in ihre Einsatzgebiete weiterfliegen.

– Die US-Regierung könnte versuchen, US-Kriegsmaterial, das in Deutschland befindlichen US-Stützpunkten eingelagert ist, sowie hier stationierte Truppen auf dem Luft- oder Seeweg in das Kriegsgebiet zu verbringen.

– In Deutschland gelegene US-Kommandoeinrichtungen (z.B. US-EUCOM in Stuttgart-Vaihingen) sowie Kommunikations- und Infrastruktursysteme könnten in die Planung und Durchführung militärischer Operationen gegen Irak einbezogen werden.

Deiseroth macht deutlich, „für Militärschläge gegen Irak mit dem Ziel, das Regime von Saddam Hussein zu stürzen und Irak zum amerikanischen Einflussgebiet zu machen, kann sich die US-Regierung … nicht auf Artikel 51 der UN-Charta berufen“.

Darüberhinaus würde „ein Nato-Staat, der eine Aggression plant und ausführt, … nicht nur gegen die UN-Charta, sondern zugleich auch gegen Art. 1 NATO-Vertrag (verstoßen)“. Spannend wird es für die Bundesregierung, wenn Deiseroth sagt: „Völkerrechtswidrig handelt freilich nicht nur der Aggressor, sondern auch derjenige Staat, der einem Aggressor hilft, etwa indem er auf seinem Hoheitsgebiet dessen kriegsrelevante Aktionen duldet oder gar unterstützt.“

Als Aggressionshandlung und damit als Verstoß gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot ist unter anderem die „Handlung eines Staates (zu qualifizieren), die in seiner Duldung besteht, dass sein Hoheitsgebiet, das er einem anderen Staat zur Verfügung gestellt hat, von diesem anderen Staat dazu benutzt wird, eine Angriffshandlung gegen einen dritten Staat zu begehen“. Dies wird in Art. 3 f der von der UN-Generalversammlung am 14. Dezember 1973 beschlossenen Resolution ausdrücklich festgelegt.

Deiseroth berichtet weiter, dass schon früher bundesdeutsche Regierungen in die Situation geraten sind, völkerrechtswidrige Kriegsunterstützung untersagen zu müssen: „Erstmals im Zusammenhang mit dem israelischen Yom-Kippur-Krieg im Jahre 1973 wurde die Einbeziehung des deutschen Hoheitsgebietes in militärische Konflikte außerhalb des ‚Nato-Gebietes‘ zu einem brisanten Thema: Drei israelische Frachter hatten sich auf Veranlassung der amerikanischen Regierung im Oktober 1973 an der Reede von Bremerhaven eingefunden, um Kriegsmaterial der in der Bundesrepublik stationierten US-Streitkräfte an Bord zu nehmen; der damalige Bundeskanzler Willy Brandt entschied zusammen mit seinem Vizekanzler und Außenminister Walter Scheel, die Verladungen sollten ohne Verzug eingestellt werden und die israelischen Schiffe die deutschen Hoheitsgewässer sofort verlassen. Ein weiteres Mal stellte sich die angesprochene Problematik, als der damalige US-Oberbefehlshaber in Europa, General Rogers, öffentlich erklärte, die am 14./15. April 1986 von der US-Luftwaffe durchgeführten Bombenangriffe auf Libyen seien von seinem Hauptquartier in Stuttgart-Vaihingen aus ‚vorbereitet‘ und ‚gesteuert‘ worden.“

Und jetzt kommt das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut ins Spiel: „Nach allgemeinem Völkerrecht, das auch in internationalen Übereinkommen seinen Niederschlag gefunden hat (vgl. u.a. Art.1 des Chicago-Abkommens von 1944), besitzt jeder Staat im Luftraum über seinem Hoheitsgebiet ‚volle und ausschließliche Lufthoheit‘. Sind allerdings – wie in Deutschland – ausländische Truppen stationiert, so werden Umfang und Grenzen der Bewegungsfreiheit dieser Stationierungsstreitkräfte regelmäßig in speziellen völker-rechtlichen Abkommen geregelt. Nach der Aufhebung des Besatzungsregimes erfolgte dies in Deutschland in Gestalt des so genannten Zusatzabkommens zum Nato-Truppenstatut. In der bis 1994 geltenden Fassung dieses Zusatzabkommens (ZA-NTS 1959), das in diesem Bereich die Regelungen aus der Besatzungszeit als Vertragsrecht weitgehend fortführte, war den in Deutschland im Rahmen der Nato stationierten US-Truppen eine sehr weitgehende Bewegungsfreiheit im deutschen Luftraum eingeräumt: Eine ‚Truppe‘ war berechtigt, mit Luftfahrzeugen ‚die Grenzen der Bundesrepublik zu überqueren sowie sich in und über dem Bundesgebiet zu bewegen‘ (Art. 57 Abs. 1 ZA-NTS 1959)“, erklärt Deiseroth.

Er führt weiter aus: „Würde es dagegen die deutsche Regierung im Falle eines US-Krieges gegen Irak widerspruchslos dulden, dass die US-Militärbasen in Deutschland sowie der deutsche Luftraum von US-Militärflugzeugen und ihrem Personal im Rahmen offenkundig völkerrechtswidriger Militäreinsätze genutzt würden, so wären die Folgen sicher: Zum einen würde eine deutsche Regierung mit der bewussten Duldung der Einbeziehung des deutschen Luftraums und deutschen Hoheitsgebietes in die Führung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges einen fatalen ‚Präzedenfall‘ für die Zukunft schaffen; denn eine sich herausbildende oder gar sich verfestigende Staatspraxis trägt zur authentischen Auslegung und Implementierung völkerrechtlicher Regelungen entscheidend bei. Zum anderen stünde jede deutsche Regierung vor dem Abgrund des Verfassungsbruchs. Wenn sie bewusst das deutsche Hoheitsgebiet in die Führung eines völkerrechtswidrigen Krieges verwickeln und einbeziehen (lässt), kommt es zum Konflikt mit Art. 26 GG und Art. 2 des Zwei-Plus-Vier-Vertrages.

Beide Normen verbieten ausdrücklich, die Führung eines Angriffskrieges ‚vorzubereiten‘. Dieses Verbot des Angriffskrieges umfasst nach seinem Wortlaut zwar nur dessen ‚Vorbereitung‘. Wenn ein Angriffskrieg jedoch von Verfassungs wegen bereits nicht ‚vorbereitet‘ werden darf, so darf nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift ein solcher erst recht nicht geführt oder gefördert werden, in welcher Form auch immer. Das grundgesetzliche Verbot des Angriffskrieges, das zudem strafrechtlich bewehrt ist, ist dabei umstands- und bedingungslos normiert: Die Vorbereitung, Führung und Unterstützung eines Angriffskrieges ist in jeder Hinsicht ‚verfassungswidrig‘ und ‚unter Strafe zu stellen‘. Darin unterscheidet es sich von der in Art. 26 GG enthaltenen anderen Verbotsalternative, die ‚Handlungen‘ erfasst, ‚die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören‘.“, soweit Deiseroth.

Die Bundesregierung muß auf diese völkerrechtliche Analyse reagieren, will sie glaubwürdig bleiben.

4. Die politische Situation oder die Transporte laufen wohl schon

Unabhängig von der völkerrechtlichen Bewertung ist die Frage politisch relevant. Aus Spangdahlem, Ramstein und Frankfurt Airport werden verstärkte Luftbewegungen gemeldet. Die umfangreichen Transporte von Kriegsmaterial über Deutschland laufen wohl schon.

Spangdahlem, Ramstein und die Frankfurter Air-Base – wie in der IMI-Analyse „Wir glauben Euch noch nicht“ genannt – sind die zentralen Umschlagplätze für Kriegsvorbereitung und Kriegsdurchführung, auch während des geplanten Irakkrieges.

Derzeit werden sowohl die Militärbasis Ramstein als auch Spangdahlem umfangreich ausgebaut. (3) Aus Spangdahlem flogen schon während des NATO-Krieges gegen Jugoslawien täglich Tarnkappenbomber direkt nach Jugoslawien. Auf der Frankfurter Airbase befinden sich derzeit viele sogenannte „Stratotanker“ KC-135 Tanktransportflugzeuge. Sie können bis zu 90.000 Liter Kerosin aufnehmen, um damit in der Luft Kampfflugzeuge zu betanken. Ebenso sind derzeit auf der Frankfurt Air Base „Starlifter“ C-41 Transportflugzeuge und die großen „Galaxy“-Flugzeuge. (4)

Langsam wird klar, warum Gerhard Schröder gereizt auf Nachfragen zur militärischen Infrastruktur und zu Überflugrechten reagiert: Diese militärische Unterstützung des Irakkrieges ist der Lackmustest für Schröder und Fischer und ihre angebliche Kriegsgegnerschaft: Alles sieht danach aus, daß SPD und Grüne nun – im Gegensatz zum NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien und dem noch laufenden Afghanistankrieg – zwar gegen den Krieg reden, aber – und das ist der zentrale Punkt – nichts gegen den Krieg tun. Oder, um den Titel der IMI-Analyse von Anfang August aufzugreifen: „Wir glauben Euch immer noch nicht.“

Tobias Pflüger, 13. September 2002, aktualisiert 18. September 2002

Tobias Pflüger ist Politikwissenschaftler und Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

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Anmerkungen:
1) Pflüger, Tobias: IMI-Analyse 2002/052, Wir glauben euch noch nicht: https://www.imi-online.de/2002.php3?id=159 und https://www.imi-online.de/download/Irak-deutsch.pdf
2) Deiseroth, Dieter: Am Abgrund des Verfassungsbruchs, in: Frankfurter Rundschau 11.09.2002, http://www.fr-aktuell.de/fr/160/t160001.htm und https://www.imi-online.de/2002.php3?id=202

3) vgl. auch: Klein, Thomas / Pflüger, Markus: „Flugzeugträger Rheinland-Pfalz“: Ausbau für die Kriege der Zukunft? in: junge Welt vom 18.09.2002, http://www.jungewelt.de/2002/09-18/018.php und https://www.imi-online.de/2002.php3?id=209
4) Klein, Thomas, Die Militärmaschinerie läuft, in: junge Welt 18.09.2002, http://www.jungewelt.de/2002/09-18/011.php

http://imi-online.de/download/IMI-Analyse-071-Lackmustest.pdf

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