in: Neues Deutschland 16.09.02

Welchen Sinn macht eine Wahl

40.000 forderten in Köln eine andere Welt: "Her mit dem schönen Leben!"

von: Dirk Krüger / Neues Deutschland / Dokumentation | Veröffentlicht am: 17. September 2002

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Zum Aktionstag unter dem Motto „Her mit dem schönen Leben. Eine andere Welt ist möglich“ hatten Gewerkschaftsjugend und Globalisierungskritiker am Sonnabend nach Köln eingeladen. „Die Zahl von 40.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern wird auch denjenigen auffallen, die Wahlkampf machen“, machte Peter Wahl, Mitglied im Koordinierungskreis von Attac, sich und anderen Mut.

Der Termin für die größte Demonstration der außerparlamentarischen Opposition in diesem Jahr, eine Woche vor der Bundestagswahl, war mit Bedacht gewählt: Weil die rot-grüne Bundesregierung vor vier Jahren auf einen Politikwechsel verzichtete, gingen die Initiatoren für ihre Ziele auf die Straße. In den Kernforderungen an die künftige Regierung, aus welchem Lager sie auch stammen wird, sind sich Attac, die Jugendorganisationen der Industriegewerkschaften Metall, BAU und NGG, von ver.di und Transnet sowie zahlreiche Friedens- und Erwerbsloseninitiativen einig: Gerechtigkeit, Frieden und Demokratie. Neben dem Kampf gegen die neoliberale Golbalisierung, die Einschränkung von politischen und Freiheitsrechten stehen auch die Finanzierung von Bildung und Ausbildung, eine emanzipatorisch gestaltete Politik für Migrantlnnen und die Situation der Illegalisierten auf der Agenda.

Gute Absichten allein reichen nicht, ist den Teilnehmern klar: „Umverteilen von oben nach unten“ statt neoliberaler Sparpolitik und Besserstellung von Besitzenden, fordern sie deshalb. Das „schöne Leben“ soll allen ermöglicht werden, auch auf dem südlichen Teil des Globus. Bei aller Einigkeit in den großen Linien steckt bei einer solch heterogenen Trägerschaft „der Teufel im Detail“: Die grundsätzliche Entscheidung über eine Wahlbeteiligung und die Suche nach geeigneten Politikformen standen ebenso zur Debatte wie aktuelle Fragen der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.

Einige dieser Konflikte wurden offen ausgetragen: „Welchen Sinn macht eine Wahl, wenn diejenigen, die uns zum Wählen auffordern, nicht müde werden zu betonen, es gibt gar keine Alternative zu mehr, Markt, mehr Flexibilität, mehr Militär und mehr Ungleichheit“, fragte Markus Wissen vom Bundeskongress Internationalismus (BUKO). Stattdessen müssten die Menschen „weiter gehen und nichts weniger als ein neues Verständnis von Politik entwickeln“. Der BUKO hatte bereits vorm Johannesburg-Gipfel aufgerufen, lieber „etwas Schönes zu machen“, statt sich in den hoffnungslosen Verhandlungsmarathon zu begeben.

Ganz anders sieht das Astrid Kraus von Attac. Sie kündigt Aktionen des Netzwerks der Globalisierungskritiker zu den anstehenden G8-Gipfeln und WTO-Verhandlungen an und blickt kämpferisch in die Zukunft: „Wir werden immer mehr. Und kein Kanzler, welcher Couleur auch immer, wird an uns vorbeikommen“.

Wesentlich leiser kamen die Gegensätze zwischen Gewerkschaften und Erwerbsloseninitiativen daher. Die Debatte um die Vorschläge der Hartz-Kommission von den Gewerkschaftsvorständlern während des Veranstaltungsresümee dem die Initiatitiativen fehlten, „differenziert“ bewertet. „Es gibt eine Reihe an Punkten, die wir unterstützen“, erklärte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Frank Werneke. Seine Gewerkschaft wolle sich neuer Konzeptionen nicht verschließen, lediglich die „Ausbildungswertpapiere“ und die bisherige Ausgestaltung der „Personalserviceagenturen“ machen ihm zu schaffen. Deutlicher wurden die auf dem Aktionstag anwesenden Initiativen, sie sehen hierin nur eine Gefahr nicht-existenzsichernder, prekärer Beschäftigung und Zwangsvermittlung. Statt Arbeitslose zu bestrafen, fordern sie ein umfassendes Konzept, das die Existenz von Erwerbslosigkeit akzeptiert und eine entsprechend ausgerichtete soziale Integration der Betroffenen vorbereitet.

Gemeinsam positionieren konnten sich alle Beteiligten im Hinblick auf die neue Welt(un)ordnung: Die von Schröder stolz verkündete „Enttabuisierung des Militärischen“ müsse beendet werden. Mit großer Skepsis wird aber der neue „friedenspolitische“ Kurs der Regierung betrachtet „Die Antikriegsshow unserer Staatsschauspieler ist beeindruckend, aber nicht überzeugend“, erklärte Claudia Heydt von der Informationsstelle Militarisierung. Nur konkrete Schritte wie der Abzug der Spürpanzer aus Kuweit könnte die Glaubwürdigkeit von Rot-Grün wieder herstellen. „Eine Achse des Frieden abhängig von den politischen Parteien“ forderte Andreas Buro vom Komitee für Grundrechte und Demokratie.

Einig sind sich die Orgamsatoren auch darin, keine Wahlempfehlungen zu geben, zu tief ist die Skepsis gegenüber allen potenziellen Regierungslagern: „Im gesellschaftspolitischen Grundkurs gibt es keinen Unterschied zwischen den Parteien, unter Rot-Grün werden der Neoliberalismus und die Steuer- und Sparpolitik der Vorgängerregierung fortgeführt“, erläuterte Peter Wahl diese Position und betonte: „Druck erfolgt auch nach dem 22. September vor allem außerparlamentansch.“

Quelle: http://www.friedenskooperative.de (http://www.friedenskooperative.de/netzwerk/k1409-52.htm)