in: SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2002, Seite 3 / IMI-Analyse 2002/51b

Wenig glaubwürdig

Die neue Position der rot-grünen Bundesregierung zum Irakkrieg

von: Tobias Pflüger | Veröffentlicht am: 4. September 2002

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Gerhard Schröder und Joschka Fischer haben sich in den letzten Wochen eindeutig gegen einen neuen Irak-Krieg ausgesprochen. Dies ist eine neue Positionierung. Aufgrund der Vorgeschichte (frühe Kriegszusage im März 2002) und der Bilanz von „rot- grüner“ Kriegspolitik ist dieser „Antikriegskurs“ von Schröder und Fischer wenig glaubwürdig.

Wir wissen, dass Gerhard Schröder schon im März 2002 der US-Regierung eine interne Zusage für eine deutsche Beteiligung an einem Krieg gegen den Irak gemacht hat. Die damaligen Bedingungen waren: Erstens, der Krieg solle nach den Wahlen in Deutschland stattfinden; zweitens, der Angriff müsse mit einem UN-Mandat versehen werden. Diese Information wurde inzwischen von Karl Lamers (CDU) öffentlich bestätigt (Reuters, 6.8.2002).

Eine der wichtigsten Fragen derzeit ist, ob diese Kriegszusage heute noch gilt. Notwendig ist eine öffentliche Erklärung der Bundesregierung, dass es keine Zusagen gegenüber der US-Regierung für eine Unterstützung oder Teilnahme bei einem Krieg gegen den Irak mehr gibt oder dass die frühere Zusage der Bundesregierung zurückgenommen wurde oder dass sie nicht mehr bindend ist.

Darüber hinaus muss die Bundesregierung der US-Regierung gegenüber erklären, dass die Bundesregierung den Krieg gegen den Irak in folgenden Bereichen nicht unterstützt:
– Keine finanzielle Unterstützung,
– kein Zurverfügungstellen von Bundeswehrtruppen,
– keine Truppenunterstützung,
– kein Zurverfügungstellen von militärischer Infrastruktur in Deutschland (das schließt auch die US-amerikanischen Basen wie Spangdahlem, Ramstein, Frankfurt Airport u.a. mit ein),
– Veto innerhalb der NATO gegen die Unterstützung eines Irakkrieges.
Sofortiger Abzug aus Kuwait

Derzeit sind im Rahmen von Enduring Freedom in Kuwait noch 52 ABC-Abwehrkräfte der Bundeswehr mit 6 Spürpanzern Fuchs stationiert. Das Gerät wurde zurückgelassen von einem Manöver in Kuwait, an dem 250 Bundeswehrsoldaten teilnahmen.

Die ABC-Soldaten sollen sich nach einer Übung im März nun wieder an einem Manöver beteiligen. Die genaue „Aufgabenstellung“ sei noch offen.

Verstärkte Manöver in Kuwait sind, da sind sich alle Militärexperten einig, ein wichtiges Anzeichen für einen demnächst bevorstehenden Angriff auf den Irak. Bei den ersten Kriegsplanungen gegen den Irak im Dezember 2001, die dann aufgrund der Absagen der westorientierten arabischen Regierungen an Vizepräsident Cheney verschoben wurden (Hintergrund war das brutale Vorgehen des israelischen Militärs in den palästinensischen Gebieten), gab es ebenfalls verstärkte Manöver („Desert Spring“) in Kuwait.

Der neue „Verteidigungsminister“ Peter Struck hat entschieden, dass die ABC- Abwehrkräfte auf Wunsch der US-Regierung in Kuwait bleiben, u.a. zum Schutz von US-Soldaten.

Die Erklärung Strucks, die ABC-Abwehrkräfte hätten eine andere Aufgabe, als bei einem Irakkrieg mit dabei zu sein, ist völlig unglaubwürdig. Es wurden doch gezielt ABC-Abwehrkräfte in Kuwait stationiert, um bei einem Angriff auf den Irak angreifenden Truppen zu Hilfe zu kommen. Friedrich Merz (CDU) sieht das klarer: „Alles ABC-Abwehrmaterial ist in Kuwait geblieben; wenn es dort in der Region zu einem Konflikt kommt, ist Deutschland natürlich dabei.“ (Financial Times, 24.5.)

Unsere Forderung ist deshalb klar: Sofortiger Abzug aller Bundeswehr-Soldaten aus Kuwait!

Die Bevölkerung ist gegen den Krieg

Die Parteiendiskussion zum Irakkrieg zeigt viel Wahlkampfkalkül: CDU-Schäuble und SPD-Klose sprechen für den Krieg, CDU-Lamers, Schröder und Fischer öffentlich dagegen. CDU-Pflüger wünscht ein UN-Mandat, hält es aber nicht für zwingend. Die FDP kritisiert das „Hineinziehen der Außenpolitik in den Wahlkampf“ (!) und Alt-Außenminister Hans-Dietrich Genscher will eine Bundestagsaussprache zum geplanten Irakkrieg. Der Kanzlerkandidat der CDU/CSU will sich offenbar nicht zum Thema äußern. Stoiber weiß, dass eine Pro-Kriegs-Position nicht populär ist.

Entscheidend ist: Die bundesdeutsche Bevölkerung ist je nach Umfrage zu 73% (n- tv/Emnid) bzw. bis zu 91% (Der Spiegel) gegen den Irakkrieg. Diese Werte waren im Übrigen schon vor dem oberflächlichen Schwenk der „rot-grünen“ Bundesregierung erreicht.

Eine oberflächliche Ablehnung des Krieges wird SPD und Grünen aber kaum Stimmen bringen. Der neue „Antikriegskurs“ von Schröder und Fischer ist wenig glaubwürdig: Die „rot-grüne“ Regierung hat sich bisher zweimal an Angriffskriegen beteiligt (am NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien, dem sog. „Kosovo“-Krieg, und am Krieg gegen Afghanistan). Außerdem hat „Rot-Grün“ die Bundeswehr durch Strukturveränderungen (genannt „Reform“) ? bei allen Unzulänglichkeiten ? entscheidend kriegführungsfähig gemacht.

Gegen einen „deutschen Weg“

Die SPD will nun auf Außenpolitik im Wahlkampf setzen, soweit so gut. Doch die Begründungen lassen schaudern. Zitate Gerhard Schröder: „Wir haben uns auf den Weg gemacht, auf unseren deutschen Weg. Aber wir haben nicht alles geschafft. Deshalb brauchen wir ein Mandat, diesen Weg bis zum Ende zu gehen.“ „Ich denke, wir haben nach dem 11.September bewiesen, dass wir besonnen und im Interesse der Sicherheit unserer Menschen handeln, mit der Staatengemeinschaft, mit den Freunden in den USA, dass wir aber für Abenteuer nicht zur Verfügung stehen, und dabei bleibt es.“

Von Besonnenheit kann bekanntlich beim Krieg in Afghanistan nicht die Rede sein (Stichwort: Einsatz des Kommandos Spezialkräfte). Das Interessanteste ist aber die Formel vom „deutschen Weg“, die sich die SPD-Wahlkämpfer haben einfallen lassen. Die Reden von Gerhard Schröder und Franz Müntefering bei ihren Wahlkampfauftritten sind nur so gespickt mit Formulierungen eines „deutschen Weges“.

Die Kriegsablehnung der Friedensbewegung hat mit dieser Position, die Anleihen bei nationalistischem Gedankengut macht, nichts zu tun. Ziel muss für die Friedensbewegung natürlich nicht nur sein, eine deutsche Kriegsteilnahme zu verhindern, sondern den Krieg selbst zu verunmöglichen. Die militärische Infrastruktur in Deutschland ist für die Kriegführungsfähigkeit der US-Truppen von großer Bedeutung. Die Zusammenarbeit mit Friedens-, Antikriegs- und Antiglobalisierungsbewegungen über den gesamten Globus ist sehr wichtig. Wir müssen mit den Kriegsgegnern in den USA und den anderen europäischen Ländern gemeinsam gegen den Kriegskurs der jeweiligen Regierungen kämpfen.
Das Embargo aufheben

Der scheidende CDU-Außenexperte Lamers hat auf einen weiteren entscheidenen Punkt verwiesen: „Niemand hat eine Vorstellung, was nach einer möglichen Entmachtung Saddam Husseins passiert, und wie das Land dann noch zusammengehalten werden kann.“ (AFP, 4.8.)

Schon nach dem 2.Golfkrieg lies die damalige Kriegskoalition die kurdische und schiitische Bevölkerung schrecklich ins Messer laufen, Saddam Hussein blieb an der Macht.

Die Bevölkerung des Irak, nicht das in aller Schärfe zu kritisierende Regime von Saddam Hussein, leiden schwer unter dem Embargo, das gegen das Land verhängt wurde. Das Embargo ist ein Krieg gegen die irakische Zivilbevölkerung. Eine Antikriegsposition ist nur dann glaubwürdig, wenn es ihr auch um die irakische Bevölkerung geht. Deshalb muss das Ziel ganz klar die Aufhebung des Embargos gegen den Irak sein. Die Bundesregierung muss sich also, ist sie tatsächlich gegen einen Krieg, dringend für eine Aufhebung des Embargos einsetzen, sie sollte das Embargo selbst nicht mehr beachten, und sie muss Hilfe für die notleidende irakische Bevölkerung organisieren.

Wenn die deutsche Regierung einen Krieg gegen den Irak ablehnt, muss sie sich innerhalb der UNO für zielgerichtete Verhandlungen mit der irakischen Regierung einsetzen. Ziel könnte sein, die frisch ausgesprochenen Einladungen der irakischen Regierung anzunehmen und ernsthaft zu verhandeln.

Die derzeitigen Verhandlungen der UN-Vertreter erwecken nämlich den Eindruck, dass ? aus Rücksicht gegenüber der US-Regierung – dem Irak keine reale Chance gegeben werden soll, die Bedingungen für die UN- Inspekteure tatschlich zu erfüllen.

Es wurde nun ja auch offiziell – durch den damaligen Leiter der UNSCOM-Mission Rolf Ekéus (1991?1997) – bestätigt, dass unter den UNSCOM-Inspekteuren US-Agenten waren, die UNSCOM für Spionagezwecke nutzten. Ziel sei die Installation von Abhöreinrichtungen gewesen. Unter klarer Missachtung des UN-Mandats hätten sich die Agenten auch für Einrichtungen des irakischen Geheimdienstes und der irakischen Armee interessiert. Nach seiner Ablösung durch den Australier Richard Butler habe es seines Wissen eine Reihe „zweifelhafter Inspektionen“ gegeben.

Ekéus erklärte weiter, auch andere Mitglieder des UN-Sicherheitsrats hätten Druck ausgeübt, damit die UNSCOM provokative Forderungen an den Irak stellt, um so einen Vorwand für ein militärisches Vorgehen gegen das Regime um Saddam Hussein zu bekommen. Misstrauen gegenüber den UN-Inspekteuren ist also durchaus berechtigt.

Der Krieg kann verhindert werden!

Am 24./25.September findet in Warschau das sog. „informelle Treffen der Verteidigungsminster der NATO“ statt. Es ist damit zu rechnen, dass die einzelnen NATO-Staaten dort erklären müssen, wie sie sich an einem Irak-Krieg beteiligen.

Wenn die Bundesregierung tatsächlich gegen den Irakkrieg ist, muss sie schon heute erklären, dass Peter Struck dort mitteilen wird, er werde weder Truppen noch Infrastruktur für einen Krieg gegen den Irak zur Verfügung stellen.

Die Wahrscheinlichkeit eines Kriegs würde stark abnehmen, wenn die europäischen NATO-Staaten sich konsequent, entschlossen und geschlossen gegen eine Irak-Invasion aussprächen. In der International Herald Tribune vom 25.7. heißt es, die europäischen NATO-Staaten könnten durchaus einen Krieg gegen den Irak verhindern oder doch zumindest um Monate hinauszögern, die US-Regierung wäre zu sehr auf die in Europa befindliche militärische Infrastruktur angewiesen.

Außerdem muss die Bundesregierung darauf drängen, dass die diversen Kriegspläne, die George W. Bush vorgelegt wurden, öffentlich gemacht werden. Der Oberbefehlshaber der am Golf stationierten US-Truppen, General Franks, hatte am 6.August Bush einen neuen Angriffsplan gegen den Irak vorgelegt. Dieses Kriegsszenario geht von einer Invasion mit 50000-80000 Soldaten aus, die massiv von der Luftwaffe unterstützt werden. Ein anderer Kriegsplan spricht von etwa 250000 Soldaten, mit denen die Irak-Invasion durchgeführt werden soll. In einem weiteren Kriegsplan ist von „Kommandounternehmen“ die Rede?

Im Krieg selbst ist wohl mit einem wesentlich massiveren Einsatz von Hightechwaffen, wie Lenkwaffen, Cruise Missiles und sog. „Präzisionsbomben“ („Kollateralschäden“ eingeschlossen) zu rechnen.

Um keine Kriege führen zu können, ist es notwendig, die Kriegführungsfähigkeit von Armeen abzubauen. Dazu gibt es das Konzept der „qualitativen Abrüstung“, was bedeutet, als erstes die Truppen abzubauen, mit denen Kriege geführt werden können; in Deutschland sind dies die Einsatzkräfte der Bundeswehr. Solange kriegführungsfähige Truppen zur Verfügung stehen, werden sie erfahrungsgemäß auch eingesetzt. Diese Bundeswehreinsatzkräfte – früher Krisenreaktionskräfte – müssen aufgelöst werden!

Tobias Pflüger ist Politikwissenschaftler und Vorstandsmitglied der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.

Original: http://members.aol.com/soz9/020903.htm