„Krieg ist keine Lösung“

Die Abschlusserklärung des Friedenspolitischen Kongresses in Hannover im Wortlaut

von: Friedenskongress Hannover | Veröffentlicht am: 4. September 2002

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

Thesen zum Abschluss des Kongresses:
Die TeilnehmerInnen des friedenspolitischen Kongresses in Hannover stellen fest:

a)Wir sind überzeugt: Eine andere Welt ist möglich – eine friedliche Welt ohne Hunger, Elend und Knechtschaft. Wir streiten für die gewaltfreie Überwindung der riesigen sozialen, ökonomischen, ökologischen und politischen Probleme auf der Welt. Wir sagen entschieden NEIN zum Krieg! Kein anderer Weg als der ziviler Konfliktlösungen verspricht Erfolg. Wir rufen auf, auch und gerade im reichen und mächtigen Deutschland den Widerstand gegen milliarden-teure Aufrüstung und Militarisierung, gegen Kriegshetze und Kriegspolitik zu verstärken. Krieg ist keine Lösung! Krieg ist ein Verbrechen!

b) Krieg ist keine Lösung – auch nicht für den Irak. Selbst wenn das einst auch mit deutscher Waffen- und Giftgastechnik aufgerüstete diktatorische Regime in Bagdad militärisch gestürzt würde – absehbar ist, dass der von den USA angekündigte Feldzug die Probleme in der Region nur katastrophal verschärfen wird: humanitär, wirtschaftlich und politisch. Ungeheuerlich ist die Ankündigung der US-Regierung und des britischen Verteidigungsministers, im Zweifel selbst vor einem Einsatz von Atomwaffen nicht zurückschrecken zu wollen. Wir rufen dazu auf, die Proteste gegen diese gefährliche Eskalation des sogenannten „Krieges gegen den Terror“ zu verstärken. Wir erklären uns solidarisch mit den Kriegsgegnern in den USA. Wir ermutigen sie, weiter NEIN zu sagen. Wir unterstützen die irakischen Demokraten in ihrem Widerstand gegen Krieg und Diktatur. Wir fordern die Regierungen insbesondere der EU-Staaten auf, endlich entschiedene Bemühungen für eine zivile Konfliktlösung der „Irak-Frage“ im Rahmen der UNO zu unternehmen und den diplomatischen Obstruktionsversuchen der US-Regierung entgegen zu treten.

c) Krieg ist keine Lösung – deshalb begrüßen wir die außenpolitische Wendung der rot-grünen Bundesregierung, die nun ebenfalls vor einem Angriffskrieg gegen den Irak warnt. Wir fordern die Regierung auf, ihren Kriegswarnungen noch vor der Bundestagswahl eindeutige Taten folgen zu lassen. Dazu müssen mindestens gehören

* die Zusicherung, dass Deutschland keine militärische und finanzielle Unterstützung bei einem Krieg gegen Irak leistet;
* der Rückzug der deutschen Truppen aus Kuwait und der Marineverbände aus der Golfregion;
* die Erklärung, dass der US-Regierung im Fall eines Krieges die Nutzung der militärischen Infrastruktur in Deutschland einschließlich der US-Stützpunkte wie Spangdahlem, Ramstein und des Frankfurter Flughafens verweigert wird;
* die unbürokratische Aufnahme irakischer (Kriegs-) Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland.

d) Krieg ist keine Lösung – doch einen „deutschen Weg“ als national-gestimmte Begründung für eine Absage an militärische Gewalteinsätze lehnen wir ab. Diese zu ächten ist ein Gebot der Menschlichkeit, der friedenspolitischen Vernunft und ein Auftrag von UN-Charta und Grundgesetz . Deshalb

* muss die Umrüstung der Bundeswehr zur weltweit einsetzbaren Interventionstruppe sofort gestoppt werden;
* die 1992 von der Kohl-Regierung erlassenen und vom Bundestag nie beschlossenen „verteidigungspolitischen Richtlinien“, die die militärische Durchsetzung deutscher Wirtschafts- und Machtintererssen in der Welt vorgeben, müssen rückgängig gemacht werden;
* die von Bundeskanzler und Außenminister im Bundestag durchgepeitschte Beteiligung am sogenannten „Jahrhundertkrieg gegen en Terror“ muss gestoppt, die in Afghanistan, in Usbekistan, in der Türkei, in Ost-Afrika, im Arabischen Meer und in der Golf-Region eingesetzten deutschen Truppen müssen sofort zurückgeholt werden.

e) Krieg ist keine Lösung – auch Terroristen lassen sich nicht mit Flächenbombardements oder „schlauen“ Raketen besiegen. Die fürchterlichen Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington sind ein krimineller Akt, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dessen Hintergründe sind bis heute nicht aufgeklärt. Vieles spricht dafür, dass der Verweis der US-Regierung auf ihren einstigen Waffengefährten Ossama bin Laden nur die am leichtesten massenmedial-manipulativ zu choreografierende Antwort auf die Frage nach den Drahtziehern und Hintermännern ist.

Wir fordern: Die Verantwortlichen der Attentate gehören ermittelt, vor Gericht gestellt und zur Rechenschaft gezogen. Wir betonen: Auch Terror rechtfertigt keinen Krieg! Er rechtfertigt auch nicht, Demokratie und Freiheitsrechte der Bürger im Namen abzubauen, den liberalen Rechtsstaat im Namen von angeblich mehr Sicherheit in einen Überwachungsstaat umzubauen. Wir rufen auf, die innerstaatlichen Freiheitsrechte und die rechtsstaatlichen Prinzipien der Gewaltenteilung zu verteidigen. Wir wenden uns insbesondere gegen

* den diskriminierenden Umgang mit Flüchtlingen und anderen Ausländern und den Abbau ihrer Rechte,
* gegen polizeiliche Ermittlungen ohne konkreten Verdacht und staatsanwaltliche Kontrolle;
* gegen die Aufweichung des Datenschutzes und ausufernde Auskunftsrechte der Behörden gegenüber Internet-Betreibern, Banken und anderen Institutionen ohne Information der Betroffenen,
* gegen Berufsverbote und Maßregelungen von Lehrern wie dem Siegener Kollegen Bernhard Nolz und drei Lehrerinnen in Ostdeutschland;
* gegen den Einsatz der Bundeswehr im Innern.

Auch die Kehrseite der Kriegspolitik, die verschärfte Repression nach innen, muss entschieden bekämpft werden. Ohne Rechtstaatlichkeit und umfassende Demokratisierung aller Lebensbereiche (auch der Wirtschaft) ist keine menschenwürdige Zukunft zu gewinnen.

f) Krieg ist keine Lösung – im Gegenteil: Wer wie im „Jahrhundertkrieg gegen den Terror“ massenhaft Unschuldige bombardiert und tötet, begibt sich auf das Niveau des Schuldigen. Er riskiert zudem einen Flächenbrand aus organisierten wie unorganisierten neuen Terroranschlägen. Dies um so mehr, als dieser von den USA und ihren Verbündeten geführte Kampf alle Merkmale eines imperialistischen Krieges trägt.

Es geht dabei um die Durchsetzung geostrategischer Machtinteressen, um die Errichtung neuer US-Militärbasen, die offenbar vor allem der noch engeren Einkreisung Russlands und Chinas in Asien dienen. Insbesondere geht es um die Kontrolle über die knapper werdenden fossilen Energiervorräte in Zentralasien und im Mittleren Osten, wo rund 75 Prozent der Welterdöl- und rund 33 Prozent der Erdgasreseven liegen. Die Parole „Kein Blut für Öl!“ ist aktueller denn je.
Die Bekämpfung von Terroristen dient nur als Vorwand. Es geht den Krieg führenden Mächten um die Neuaufteilung der Welt. Um die militärische Zurichtung neuer Märkte für die transnationalen Konzerne. In deren Interesse soll mit Militäreinsätzen – die inzwischen von Kolumbien über Afrika, den Mittleren Osten, Zentral- und bis nach Südostasien forciert werden – eine „neue“ Weltordnung abgesichert und ausgebaut werden.

Diese zeichnet sich vor allem durch eins aus: durch schreiende soziale Ungerechtigkeiten – das Vermögen der drei reichsten Personen der Welt übersteigt im Wert den kumulierten Besitz der Bevölkerung der 48 ärmsten Länder. Und sie wird geprägt durch eine weltgeschichtlich zuvor so nie gekannte globale Hegemonie einer einzigen Macht, den USA.

g) Eine andere Welt ist möglich – sie wird nicht zu erringen sein ohne die Ächtung des Krieges, ohne erfolgreiches Ringen um radikale Abrüstung. 60 Prozent aller Weltmilitärausgaben tätigen die NATO-Staaten – Tendenz steigend. Allein die USA wollen ihr Militärbudget auf wahnwitzige 470 Milliarden Dollar jährlich erhöhen. Krieg und Rüstung verschlingen Ressourcen, ohne die die wirklich entscheidenden Zukunftsfragen der Menschheit nicht gelöst werden können.

Jährlich sterben 6000 Tierarten aus, 17 Milliarden Hektar Wald (die vierfache Fläche der Schweiz) werden Jahr für Jahr abgeholzt, weltweit ist die Verschmutzung der Biosphäre mit klimaschädlichen Treibhausgasen in den vergangenen zehn Jahren um neun Prozent (USA: 18 Prozent) gewachsen, mehr als vier Milliarden Menschen haben immer noch keinen oder nur unzureichenden Zugang zu sauberem Trinkwasser.

Das Geld für die Rüstung fehlt für Programme gegen Hunger und Elend. Es fehlt für den notwendigen Schuldenerlass für die Länder des Trikonts. Es fehlt zur Eindämmung und Überwindung der globalen ökologischen Krise, für entschiedenen Umwelt- und Klimaschutz. Das Geld fehlt für Gesundheitsschutz und bessere Bildung. Krieg und Rüstung ruinieren die Welt.

Schon mit 40 Milliarden Dollar jährlich, so die Umweltbehörde der UNO, könnte gewährleistet werden, dass alle Menschen sauberes Wasser, eine Grundversorgung in Nahrung und Gesundheit und alle Kinder eine Grundausbildung erhalten könnten. Wir fordern deshalb auch von der deutschen Bundesregierung: Rüstet endlich ab! Holt die Soldaten heim! Löst die Einsatztruppen auf! Streicht den mindestens 8,6 Milliarden Euro teuren Kauf von 73 Militärtransportflugzeugen A 400M Gerade auch angesichts der akuten Not der Hochwasser-Opfer darf der Haushaltsausschuss des Bundestages am 12. September 2002 die zwei Milliarden Euro für 410 neue Schützenpanzer nicht genehmigen. Steuert um! Der Frieden ist der Ernstfall!

Und wir rufen die Friedensbewegung auf, die AktivistInnen in Schulen und Hochschulen, in Betrieben und Verwaltungen, in Gewerkschaften und Parteien: Lasst Euch nicht entmutigen, schließt Euch zusammen, bildet Netzwerke, vertraut auf Eure eigene Kraft!

Schon Lao Tse wusste: Weiches Wasser, das sich bewegt, höhlt den stärksten Stein.

—–

Die Kernpunkte der Analysen von IMI insbesondere zum geplanten Irakkrieg oder den neuen Bundeswehrbeschaffungsprojekten sind in diese Erklärung mit eingeflossen…

—–

Weiteres u.a. Fotos vom Friedenskongress unter: http://www.friedenskongress-hannover.de

Dank an die Organisator/inn/en, für diesen erfolgreichen und guten Kongress!