gekürzt in: Zeitung gegen den Krieg Nr. 11

Der kommende Angriff auf den Irak und die (atomare) US-Erstschlagsdoktrin

Die Entscheidung einen Krieg gegen den Irak zu führen wurde längst getroffen...

von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 17. August 2002

Drucken

Hier finden sich ähnliche Artikel

Die Entscheidung einen Krieg gegen den Irak zu führen wurde längst getroffen: ?Es war mit der Ansprache [des US-Präsidenten Ende Januar 2002] an die Nation vorüber,? betont ein hohes Regierungsmitglied in Washington. Die Hardliner innerhalb der US-Administration konnten sich offensichtlich durchsetzen. Offen ist lediglich, ob die Angriffe im Frühjahr 2003 oder noch im Herbst diesen Jahres beginnen und ob auf eine groß angelegte Invasion mit bis zu 250.000 Soldaten oder auf massive Luftangriffe gesetzt werden wird. Zu beiden Punkten gibt es augenblicklich widersprüchliche Aussagen.

Ebenfalls entschieden ist die Debatte um den Kurs der künftigen US-Außenpolitik. Um einen Krieg gegen den Irak rechtfertigen zu können hat die US-Administration inzwischen eine neue strategische Doktrin vorgelegt, die auf einen extrem aggressiven Kurs hindeutet.

Die Bush-Doktrin

In zwei programmatischen Grundsatzreden steckte US-Präsident George W. Bush den Rahmen der künftigen US-Strategie nach den Anschläge des 11. September ab.
Ende Januar 2002 betonte er, dass für seine Regierung die Bekämpfung der Proliferation das wichtigste Element im ?Kampf gegen den Terror? darstelle: ?Staaten, die versuchen an Massenvernichtungsmittel zu gelangen, stellen eine ernste und zunehmende Gefahr dar. Sie könnten sie an Terroristen weitergeben. […] Sie könnten unsere Verbündeten angreifen oder die Vereinigten Staaten erpressen. In jedem dieser Fälle wäre der Preis für eine Gleichgültigkeit katastrophal.?

Die Länder, an die diese Drohung adressiert wurde, waren die als ?Achse des Bösen? bezeichneten Nordkorea, Iran und Irak, gegen die dann auch militärische Aktionen nicht ausgeschlossen wurden. Anfang Juni 2002 ließ Bush dann sprichwörtlich die Bombe platzen: ?Unsere Sicherheit verlangt eine Transformation des Militärs […] ? eines Militärs, dass bereit sein muss, in kürzester Zeit in jeder dunklen Ecke der Welt einsatzbereit zu sein. Und unsere Sicherheit wird von allen Amerikanern fordern, vorausschauend, resolut und nötigenfalls bereit zu sein, für unsere Freiheit und die Verteidigung unserer Leben präventive Aktionen durchzuführen.?

Zum ersten Mal in der Geschichte erhob damit ein westliches Staatsoberhaupt die Führung von Präventivkriegen zur offiziellen Politik seines Landes. Da Saddam Hussein fest entschlossen sei, an Massenvernichtungsmittel zu gelangen und diese an Terroristen weiterzugeben, die mit ihnen weitere Angriffe auf die Vereinigten Staaten durchführen könnten, soll dies in einer Art ?Vorwärtsverteidigung? ? von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld als ?defensive Intervention? bezeichnet ? verhindert werden.

Verbunden mit den Ankündigungen zur künftigen US-Nuklearpolitik wird klar, dass sich die Bush-Administration zu einer dramatischen Militarisierung ihrer Außenpolitik entschieden hat. Kein militärisches Mittel ist inzwischen mehr Tabu.
Der Anfang April 2002 an die Öffentlichkeit gelangte Nuclear Posture Review (NPR) enthält die vom Pentagon erarbeitete Grundlagen der künftigen US-Nuklearpolitik und deren Einsatzszenarien. Die Anwendung von Atomwaffen wird dort in drei Fällen für möglich gehalten. Erstens im Falle einer Auseinandersetzung mit Russland und China. Zweitens als Vergeltung für einen Angriff mit chemischen oder biologischen Waffen ? ein mögliches Anwendungsgebiet, falls es zu einem Irakkrieg kommen sollte. Drittens, so die NPR, ?könnten Nuklearwaffen gegen Ziele eingesetzt werden, die in der Lage sind nicht-nuklearen Angriffen zu widerstehen.? Da Produktions- und Lagerstätten von Massenvernichtungsmitteln mit konventionellen Waffen teilweise nicht zerstörbar sind, ist man gewillt, diese mittels Atomwaffen ? wohlgemerkt ohne vorausgegangene Aggression – zu vernichten. ?Die Überprüfung macht?, wie Jim Hoagland, Journalist der Washington Post, feststellt, ?eine klare Wende des Bush-Teams hin zu einer Präventivschlagsstrategie deutlich, inklusive, wenn nötig, Nuklearwaffen.?

Angesichts dieser Pläne kann die Einschätzung der britischen Labour-Abgeordneten Alice Mahon geteilt werden: ?Die Wahnsinnigen haben im Weißen Haus die Kontrolle übernommen.? Bedauerlicherweise hat dieser Wahnsinn aber Methode. Er dient der Vorbereitung weiterer Angriffe zur Festigung der US-Vorherrschaft.

Pax Americana

Herbert Kremp wies in der Welt darauf hin, dass Washington explizit auf eine Erweiterung seines Einflusses abzielt: ?Die Bush-Doktrin wird sich in ihrer Entwicklung nicht auf die Beseitigung der terroristischen Untergrundmächte und ihrer Helfer beschränken. Ihre konsequente Verfolgung impliziert die Ausweitung in drei Richtungen:
– Kontrolle der vorder- und zentralasiatischen Transferstaaten vom Kaukasus
bis zum Hindukusch;
– Verhinderung der islamistischen Machtergreifung in Saudi-Arabien;
– Konzentration des Interesses auf den Iran, Indien und China, wo neue
Macht-Agglomerationen entstehen.“

Thomas Donnelly, Mitglied des Project for the American Century, einem einflussreichen Sammelbecken der Hardliner, beschreibt den richtungsweisenden Charakter der Bush-Doktrin: ?Seit dem 11. September hat auch Präsident George W. Bush gelernt, dass es schwer ist ein bescheidener Hegemon zu sein. […] Die Bush-Doktrin ist deshalb ein Ausdruck der Entscheidung des Präsidenten, die Pax Americana im gesamten Mittleren Osten und darüber hinaus zu erhalten und auszuweiten.? Wie dies geschehen soll verdeutlicht Kremp. Er bescheinigt der Bush-Doktrin: ?Sie diktiert einen Verhaltenskodex am Rande der Unterwerfung“.

Im Rahmen der US-Globalstrategie kommt dem Persischen Golf und speziell dem Irak dabei besondere Bedeutung zu: ?Vor zehn Jahren fasste der heutige stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz diese Strategie in der Defense Planning Guidance treffend zusammen, die die USA dazu aufforderte ?das Auftauchen eines neuen Rivalen? und ?die Kontrolle eines vitalen Gebietes durch irgendeine feindlichen Macht zu verhindern.? Eine dieser Regionen, die Wolfowitz im Sinn hatte, war der Persische Golf,? bemerkt Lawrence Kaplan, Herausgeber der New Republic. Die absolute Kontrolle über dieses ölreiche Gebiet ist eines der zentralen Ziele der US-Politik. Da der Irak dem im Wege steht kommt die Militärzeitschrift Soldat und Technik dann auch folgerichtig zu dem Schluss: ?So wäre z.B. eine Intervention im Irak auf der Grundlage der Bush-Doktrin möglich.?

Obwohl sowohl die CIA als auch zahlreiche weitere Quellen bestätigen, dass der Vorwurf, der Irak wäre bereit Massenvernichtungsmittel an Terroristen weiterzugeben, jeglicher Grundlage entbehrt ? die Motivation des Irak an solche Kampfstoffe zu gelangen speist sich aus dem Willen die USA von einer Intervention abzuschrecken -, soll genau diese Beschuldigung in Verbindung mit der Bush-Doktrin die Legitimation für den bevorstehenden Angriff liefern.

Damit wird deutlich, dass die Bush-Doktrin nur einen Deckmantel für die rigorose Durchsetzung US-amerikanischer (Öl)Interessen darstellt. Mit ihr entwickelten die Vereinigten Staaten eine neue außenpolitische Strategie, die es ermöglichen soll, missliebige Länder präventiv anzugreifen. Die Pax Americana bedeutet offensichtlich wirklich nichts anderes, als eine bedingungslose Unterwerfung unter die Vorgaben der einzigen Weltmacht und deren egoistische Interessen.

Der Autor ist im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI). Er veröffentlichte so eben ein Buch zur US-Hegemonialpolitik vor und nach dem 11. September:

Jürgen Wagner, Das ewige Imperium: Die US-Außenpolitik als Krisenfaktor. (VSA-Verlag Hamburg, August 2002), 172 Seiten, EUR 12.80 (ISBN 3-87975-884-0).