Quelle: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. - www.imi-online.de

in: unsere zeit, 05.07.2002

„Rot-grüne“ Kriegspolitik in Schwarz

Zur möglichen CDU/CSU-Außen- und Militärpolitik nach der Bundestagswahl

Michael Haid (05.07.2002)

„Wir machen nichts anders, aber vieles besser.“ Das Wahl-Motto Gerhard Schröders von der Bundestagswahl 1998 könnte man genauso auf die politischen Vorhaben Edmund Stoibers übertragen, falls er am 22. September 2002 zum Bundeskanzler gewählt werden sollte. Wir machen nichts anders, bedeutet, die zukünftige Politik eines Bundeskanzlers Edmund Stoiber wird die bisherige Kriegspolitik eines Bundeskanzlers Gerhard Schröder keinesfalls ablösen. Der Umbau der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee wird weitergehen und diese Bundeswehr wird weiterhin dazu genutzt werden deutsche Interessen weltweit militärisch durchzusetzen. Nur, Edmund Stoiber und die CDU/CSU-Führung möchten dies viel besser – durch mehr Geld, mehr Spezialtruppen und stärkere Interessendurchsetzung vor allem in der EU, aber auch in der Nato – zu Stande bringen.

Diese zukünftige Politik wird unter den Vorzeichen der Anschläge des 11. September und ihren weltpolitischen Folgen stehen und damit legitimiert werden. Auf der 31. Klausurtagung der CSU in Wildbad Kreuth im Januar diesen Jahres wurde festgehalten, dass der Bundeskanzler mit seinem Versprechen von der „uneingeschränkten Solidarität“ verhindert habe, klarzustellen, „dass Deutschland nicht nur abgeleitete, sondern eigene, nationale Interessen in der Terrorismusbekämpfung wahrnehmen muss“.

Deutschland wird wohl künftig stärker eigene Brötchen backen. So äußerte sich Stoiber in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2002: „Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel der Sicherheitspolitik (…) In der aktuellen Situation sehe ich die Chance und den Auftrag zur Herausbildung einer neuen globalen Sicherheitsarchitektur.“ Und Volker Rühe pflichtete ihm bei anderer Gelegenheit bei, dass „angesichts der aktuellen Herausforderungen (…) die Grundkoordinaten der auswärtigen Beziehungen wieder an den vitalen Interessen Deutschlands ausgerichtet und wieder ins Lot gebracht werden“ müssen. Um diese Chance verwirklichen zu können, liegt die Betonung der Präferenzen der CDU/CSU-Strategen eindeutig auf der Europäischen Union und der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik als Partner der USA und zugleich starker, immer unabhängigerer Akteur.

Osterweiterung der Europäischen Union

Als ersten Schritt zur Effektivierung der europäischen militärischen Ressourcen ist der Vorschlag des CDU-Bundesvorstands zu werten, eine 5 000 Mann umfassende europäische Spezialkräftetruppe, einschließlich des Kommandos Spezialkräfte, als quasi Sofortmaßnahme aufzustellen. Diese Truppe wäre eine Zusammenlegung der Spezialkräfte der drei wichtigsten europäischen Mächte Großbritannien, Frankreich und Deutschland und würde hauptsächlich das britische „Special Air Service“ SAS, die französischen „Forces spéciales francaises“ und das deutsche Kommando Spezialkräfte KSK umfassen. Diese Spezialkräfte sollen europäische militärische Macht in den neuen Anti-Terror-Kriegen projizieren helfen.

Die Vorstellungen, die Politik der Europäischen Union zu gestalten, weisen auf zwei Hauptlinien hin. Einerseits soll die Osterweiterung der Europäischen Union bis 2004 mittel- und osteuropäische Staaten umfassen, die den ökonomischen und geostrategischen Belangen Deutschlands gewaltig Rechnung tragen würden. Zum anderen soll das militärische Engagement der USA auf dem Balkan zugunsten einer De-facto-Übernahme der Protektorate Bosnien, Mazedonien und Kosovo durch die Europäische Union eingeschränkt werden.

Volker Rühe stellte in seiner Rede vor dem Forum „Wirtschaft und Politik“ die Vorteile einer Osterweiterung unmissverständlich heraus: „Durch die Erweiterung um die mittel- und osteuropäischen Beitrittsstaaten und ihrer Wachstumsmärkte wird die Europäische Union als mit Abstand größter Binnenmarkt der westlichen Welt ihre Interessen im globalen Wettbewerb besser behaupten können, sie wird ihr Gewicht und ihren Einfluss in der Welt und in den internationalen Organisationen wie der UNO und der Welthandelsorganisation WTO erhöhen können. Ein solches stabiles und starkes Europa wird als ein wirksamer Stabilitäts- und Ordnungsfaktor handeln können und wird damit auch die transatlantische Partnerschaft stärken.“ Die Osterweiterung der Europäischen Union sei nicht nur ökonomisch lukrativ, sondern sie müsse mit einer Übernahme der Protektorate Bosnien, Mazedonien und Kosovo durch die Europäische Union einhergehen. Auf dem 14. Parteitag der CDU in Dresden im Dezember 2001 wurde folgende Feststellung gemacht: „Wir sollten vielmehr von uns aus Vorschläge machen, wie Europa eine stärkere Rolle übernehmen kann. Deswegen sollten wir uns bereits heute darauf einstellen, die Friedensmissionen nicht nur in Mazedonien, sondern auch in Bosnien und mittelfristig auch im Kosovo in europäischer Hauptverantwortung durchzuführen.“

Deutsch-europäischer Hinterhof Balkan

Des Weiteren versucht die CDU/CSU-Führung die Nato auf eine Aufnahme der Staaten Bulgarien und Rumänien zu drängen. Die Gründe hierfür sind eindeutig. Auf dem deutsch-europäischen Hinterhof Balkan soll Ruhe herrschen. Die Blickrichtung hat sich längst angesichts der zunehmenden Abhängigkeit der Europäischen Union von Erdöl und Erdgas aus dem Nahen Osten und dem Gebiet des Kaspischen Beckens auf diese Regionen konzentriert. So äußerte sich die CSU-Landesgruppe im deutschen Bundestag: „Aufgrund der zahlreichen Konflikte im Krisenbogen Balkan, Kaukasus, Naher und Mittlerer Osten und nördliches Afrika werden wir (…) den strategischen Fokus der Nordatlantischen Allianz nach Südosten ausrichten. Auch deshalb müssen beim Nato-Gipfeltreffen im Herbst (…) auch Rumänien und Bulgarien zum Beitritt eingeladen werden.“

In einem deutsch-französischen Seminar der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung wird die Bedeutung des kaspischen Raums für die Europäische Union nochmals hervorgehoben. „Auch für eine Regelung der ethnischen Konflikte im südlichen Kaukasus muss Europa einen größeren Beitrag leisten. Im Windschatten der Afghanistan-Operation ist der Konflikt um das von Georgien abtrünnige Abchasien erneut eskaliert, und der staatliche Zusammenhalt Georgiens ist akut gefährdet – es entsteht ein neues ´schwarzes Loch´ der Ordnungslosigkeit. Es wird höchste Zeit, dass die EU mit politischen Initiativen und wirtschaftlicher Flankierung zur Stabilisierung dieser strategisch bedeutsamen Schnittstelle zwischen Europa und dem ressourcenreichen kaspischen Raum beiträgt.“

In diesem Zusammenhang ist auch das Bestreben der CDU/CSU zu sehen, der Behandlung der Türkei durch die Europäische Union eine neue Qualität zu verleihen. Diesem Schlüsselstaat zum Nahen und Mittleren Osten soll eine Mitentscheidungsbefugnis in der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gewährt werden. Als Gegenleistung erhält die Europäische Union die türkische Infrastruktur für militärische Operationen im Kaspischen Raum. Wohlgemerkt für europäische Operationen im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und nicht im Rahmen der Nato, denn in der Nato ist die Türkei schon längst Mitglied, genauso wie auch alle relevanten Staaten der Europäischen Union.

BRD will ständigen Sitz im Sicherheitsrat

Unabhängig davon strebt die Bundesrepublik Deutschland schon lange einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an. Ein Sitz im Sicherheitsrat ist nicht nur ein Symbol das Ansehen und die Anerkennung als Großmacht zu haben, sondern in dieser Position kann man entscheidende Weichenstellungen in den internationalen Beziehungen vornehmen. Da es als unwahrscheinlich anzusehen ist, dass Deutschland einen Sitz bekommt, läuft der Weg mal wieder über die Europäische Union. Deshalb formulierte der CDU-Bundesvorstand auf dem 14. Parteitag den Antrag, „dass die bereits bestehenden ständigen Sitze von Großbritannien und Frankreich in einer Übergangsphase europäisch mandatiert werden sollten; später könnten diese dann von Europa eingenommen werden.“ Damit wären zwei Fünftel der Stimmen im UN-Sicherheitsrat europäisiert und nicht mehr der alleinigen nationalen Verantwortung Großbritanniens und Frankreichs überlassen und Deutschland bekäme ein Mitspracherecht in den Angelegenheiten des UN-Sicherheitsrates. Ob diese beiden Staaten und die anderen Mächte das zulassen würden, steht auf einem anderen Blatt.

EU-Beteiligung an Raketenabwehr der USA?

Die europäische Handlungsfähigkeit zu steigern, liegt wohl auch der Beschluss des letzten Parteitages von CDU/CSU zugrunde: „Europa sollte das Angebot des amerikanischen Präsidenten Bush zur Schaffung eines über nationale Raketenabwehr (NMD) hinausgehenden umfassenden Abwehrsystems aktiv aufgreifen und sich mit eigenen Initiativen für eine europäische Schutzkomponente in den Entscheidungsprozess einbringen. Aus NMD muss AMD (Allied Missile Defense) werden.“ Die geplante Beteiligung am Raketenabwehrsystem der USA mit einer europäischen Komponente beziehungsweise die Weiterentwicklung zur Allied Missile Defense dient dem Ziel Einfluss auf die Handlungen der Vereinigten Staaten zu gewinnen. Den Zweck der amerikanischen nationalen Raketenabwehr hat Jürgen Wagner in seiner Studie „Krieg aus dem All?“ (isw Spezial Nr. 14, Juni 2001) treffend geschildert. Er geht von der Annahme aus, dass NMD der defensive Teil einer offensiven Strategie der USA ist, global militärisch agieren zu können. NMD dient dabei als Schutzschild. Da nun von der CDU dafür plädiert wird, sich auch unter diesen Schutzschild zu stellen, kann davon ausgegangen werden, dass die militärischen Ambitionen der Europäischen Union/Deutschlands in Regionen, in denen sogenannte „Schurkenstaaten“ mit atomaren, biologischen oder chemischen Waffen und geeigneten Trägermitteln sind, gedeckt werden soll.

Zu all diesen politischen Vorhaben der Konservativen ist eine Änderung des bisherigen Umbaus der Bundeswehr, wie sie im Juni 2000 von Verteidigungsminister Scharping beschlossen wurde, nötig. Generell ändert sich nichts daran, die Bundeswehr zu einer Interventionsarmee umzugliedern und neu auszurüsten. Aber in mehreren Bereichen wird sich doch einiges erheblich ändern. Die Bundeswehrgröße soll 300 000 SoldatInnen bei einem Wehrpflichtigenanteil von 100 000 Soldaten betragen. Das Modell sechs Monate Wehrdienst und zwei mal sechs Wochen „Auffrischung“ innerhalb von drei Jahren soll abgeschafft werden. Statt dessen können Wehrpflichtige nun, freiwillig versteht sich, aber versüßt durch hohe Auslandsvergütungen, ab dem sechsten Dienstmonat an Auslandseinsätzen teilnehmen. Die neue Bundeswehrstruktur soll hauptsächlich auf die „Herausforderungen des Terrorismus“ angepasst sein. So steht im Regierungsprogramm der CDU/CSU: „Eine zeitgemäße Bundeswehrreform baut auf einer Neuorientierung und Anpassung der Zielsetzung der deutschen Streitkräfte auf. Für die Zukunft wichtige Fähigkeiten sind: Rasche Einsatzfähigkeit schnell verlegbarer Verbände, personelle und materielle Durchhaltefähigkeit, höchste technische Standards bei der Bewaffnung, bei den Führungs- und Kommunikationsmitteln und bei der Aufklärung. Zur Abwehr der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus sind mehr Antiterroreinheiten, Gebirgs- und Fallschirmjäger notwendig und auch eine Verstärkung der Kräfte zum Objektschutz, des Pionierwesens, des ABC-Schutzes und des Sanitätswesens.“

Bundeswehr soll für die innere Sicherheit sorgen

Besonders nach dem 11. September wird die Feststellung gemacht, dass durch die „asymmetrische Kriegführung“ anscheinend die äußeren und inneren Bedrohungen immer mehr ineinander übergehen, so dass die Bundeswehr nicht nur gegen äußere Bedrohungen, sondern auch gegen Bedrohungen im Innern eingesetzt werden soll. Im Regierungsprogramm lautet dies so: „Innere und äußere Sicherheit lassen sich immer weniger voneinander trennen. Wir brauchen Strukturen, in denen sich die Kräfte für äußere und innere (…) Sicherheit wirksam ergänzen. Wir werden klare Rechtsgrundlagen und Zuständigkeiten schaffen, um in besonderen Gefährdungslagen den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen ihrer spezifischen Fähigkeiten ergänzend zu Polizei und Bundesgrenzschutz zu ermöglichen“.

Die Meinung der Konrad-Adenauer-Stiftung sei, dass die Zukunft der Bundeswehr zwischen neuen Anforderungen einerseits und drastisch beschnittenem Finanzrahmen andererseits die zentrale verteidigungspolitische Frage in Deutschland darstelle. Wie würde nun eine konservative Regierung diese Frage beantworten? „Die Bundeswehr benötigt einen Verteidigungshaushalt von 50 Milliarden DM im nächsten Jahr und ein stetiges Wachstum. Darüber hinaus sind Anschubfinanzierungen für ein Investitionsprogramm in Höhe von 2 Milliarden DM erforderlich.“ Der Vorschlag Volker Rühes geht noch weiter, er will „den Verteidigungshaushalt auf rund 26 Milliarden Euro anheben. Zusätzlich wird eine einmalige Anschubfinanzierung von 1 Milliarde Euro für Sofortmaßnahmen in weitgehender Eigenverantwortung der Kommandeure bereitgestellt, (…) Im Finanzplan wird wieder eine Steigerung vorgesehen: Der Verteidigungsetat wird um 6 Prozent jährlich für wenigstens vier Haushaltsjahre weiter aufgestockt.“

Parlament soll in Kriegsfragen ausgeschaltet werden

Es sind noch zwei Vorhaben zu nennen, die beide in der Beschlussfassung der 31. Klausurtagung der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth vom 7. bis zum 9. Januar 2002 auftauchen. Es soll „ein ´Nationaler Sicherheitsrat´ zur umfassenden, ressortübergreifenden Analyse neuer Bedrohungen der äußeren und inneren Sicherheit, zur Vorbereitung politischer Entscheidungen, zur Koordination aller Abwehrkräfte und zur einheitlichen Führung im Krisenmanagement“ geschaffen werden. Was dieser „Sicherheitsrat“ genau sein soll, kann man nur anhand der ihm zugeschriebenen Funktionen erahnen. Zumindest scheint eine Instanz in Planung zu sein, die die Verantwortung für Militäreinsätze, die bisher noch beim Parlament liegt, beschneidet oder die Entscheidungen zumindest vorstrukturiert. Unwahrscheinlich ist dies nicht, denn in der Klausurtagung wurde andererseits folgender Beschluss gefasst: „Das Verfahren zur Wahrnehmung des Parlamentsvorbehalts bei Bundeswehreinsätzen bedarf der Überprüfung. Es müssen Wege gefunden werden, die es der Bundesregierung in Vorbereitung der abschließenden Entscheidung des Parlaments erlauben, Vor- und Erkundungskommandos der Bundeswehr ins Einsatzland zu entsenden. Gleichzeitig muss die Frage geklärt werden, wie die Verantwortlichkeit der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag nach einer Entsendung wahrgenommen werden kann. Dies beinhaltet ein Rückholrecht des Bundestages bzw. einer Anpassung des Mandats an eine veränderte Lage. Das derzeitige Verfahren mangelt an Flexibilität (…) Die außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit darf aber unter dem verfassungsrechtlich begründeten Zustimmungsvorbehalt des Parlaments nicht behindert werden. Dies alles macht es sinnvoll, in der nächsten Legislaturperiode ein Bundeswehreinsatzgesetz zu verabschieden.“ Die CSU spricht eine klare Sprache. Das Parlament soll bei militärischen Interventionen entmachtet werden. Anscheinend soll allein die Regierung über Krieg und Frieden entscheiden dürfen, da die parlamentarische Kontrolle ausgeschaltet werden soll.

Diese Analyse soll keinesfalls eine Wahlwerbung für die jetzige Regierung sein. Essentiell bleibt, dass – unabhängig von der Farbe der Regierung – die deutsche Interessendurchsetzung in der Europäischen Union verstärkt und der Umbau der Bundeswehr zu einem kriegführungsfähigen Instrument der Außenpolitik forciert wird und werden soll. Zusätzlich soll das „Hindernis“ der Entscheidungsbefugnis des Parlaments über Interventionseinsätze beseitigt werden. Beides gilt es zu verhindern.

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Der Autor ist Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI) und hat auch eine Studie über die Strategiepapiere zur Bundeswehr unter der rot-grünen Regierung vorgelegt. Diese Studie und weiteres Material ist bestellbar bei: IMI, Hechinger Straße 203, 72072 Tübingen, Telefon: 07071-49154, Fax: 07071-49159, E-Mail: IMI@imi-online.de, Internet: https://www.imi-online.de

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