in: junge Welt vom 05.07.2002

Große Brücke nach Prag

Buhlen um die Mitgliedschaft. NATO-Beitrittskandidaten treffen sich in lettischer Hauptstadt Riga

von: Dirk Eckert | Veröffentlicht am: 5. Juli 2002

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Am Freitag und Sonnabend treffen sich die zehn NATO-Beitrittskandidaten in der lettischen Hauptstadt Riga. Als »Brücke nach Prag« ist die Begegnung angekündigt, auf der Regierungsvertreter, Mitglieder regierungsnaher Organisationen, Journalisten und Wissenschaftler »Freiheit, Unabhängigkeit und Demokratie« feiern wollen. In Prag will die NATO im November über die Erweiterung entscheiden. Von den möglichen Beitrittsländern sind jeweils die Regierungschefs anwesend, aus den baltischen Ländern kommen auch die Präsidenten. Aus dem NATO-Land Polen reist Präsident Alexander Kwasniewski an.

Die Osterweiterung der NATO wird bereits seit Jahren schleichend vorbereitet. Die baltischen Staaten sind über mehrere Ostsee-Korps schon mit NATO-Ländern, darunter Deutschland, Dänemark und Polen sowie miteinander verbunden. Bulgarien kann heute darauf verweisen, daß es seit dem Krieg gegen Jugoslawien, als sich das Land auf die Seite der NATO schlug, fast schon De-facto-Mitglied ist. Auch am »Krieg gegen den Terror« ist das Land beteiligt, die USA nutzen Luftwaffenstützpunkte am Schwarzen Meer für den Krieg in Afghanistan. Zusammen mit Rumänien könnte das Land schließlich Stützpunkte für einen Krieg gegen Irak bieten.

Wie Bulgarien und Rumänien haben auch die baltischen Länder gute Karten, in den NATO-Club eingelassen zu werden. Denn nach einer Aussage von US-Präsident Bush am 9. April beim Besuch von NATO-Generalsekretär George Robertson im Weißen Haus ist das Ziel der nächsten Erweiterungsrunde, »die Freiheit zu sichern vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer«. Offiziell ist aber noch nicht entschieden, welche und wie viele Länder in das Bündnis aufgenommen werden. Als wahrscheinlich gilt die Aufnahme von sieben Ländern: die drei baltischen Staaten, Rumänien, Bulgarien, Slowenien und die Slowakei. Der amerikanische Kongreß hat erst jüngst 55,5 Millionen Dollar als »Anpassungshilfe« für die Beitrittskandidaten bewilligt.

Bei der Frühjahrstagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO im bulgarischen Sofia wurden exakt diese sieben als Beitrittskandidaten gewählt. Allerdings war das Verfahren ungewöhnlich, handelte es sich doch erstens um die Parlamentarische Versammlung, zweitens sollte die Entscheidung nicht vor dem Gipfel in Prag erfolgen. Die Delegierten aus den USA, ohne die im Bündnis gar nichts geht, enthielten sich daher der Stimme. Nach Prag sind außerdem noch Mazedonien und Albanien geladen.

Würden die genannten sieben Länder NATO-Mitglieder, wäre die Linie vom Baltikum über Polen, seit 1999 NATO-Mitglied, über die Slowakei, das NATO-Mitglied Ungarn bis nach Rumänien ans Schwarze Meer geschlossen, wie Bush es beschrieben hat. Die NATO würde im Osten bis an die Grenzen der früheren UdSSR heranreichen und mit den baltischen Staaten erstmals deren ehemalige Territorien aufnehmen. Die Linie Baltikum-Schwarzes Meer läßt sich über die Türkei bis in den Kaukasus und so zu den Erdölreserven des Kaspischen Meeres verlängern. Später würden wohl im Rahmen einer weiteren Konsolidierung des Herrschaftsgebietes weitere Staaten des früheren Jugoslawien in das Atlantische Bündnis integriert werden.

Noch letztes Jahr gingen Beobachter von lediglich zwei Staaten aus, die nach 1999, als drei Länder – Polen, Tschechien, Ungarn – aufgenommen wurden, Mitglieder werden könnten. Ende Januar war schon von fünf Ländern die Rede: Neben Slowenien und der Slowakei die drei baltischen Staaten. Frankreich, Italien und die Türkei sprachen sich dagegen für eine Südosterweiterung aus. Diese Konstellation legte die »großen Lösung« nahe, auch »Big Bang« oder »Urknall-Strategie« genannt. Gerne benutzt wird auch der Begriff der »robusten Erweiterung«.

Möglich wurde die große Lösung auch dadurch, daß Rußland inzwischen seinen Widerstand gegen eine Mitgliedschaft der baltischen Staaten in der NATO weitgehend aufgegeben hat. Am 25. Juni erklärte der russische Präsident Wladimir Putin, wenn Estland, Lettland und Litauen Allianzmitglieder würden, sei dies »keine Tragödie«. Nicht ohne hinzuzufügen: »Wir denken nicht, daß eine NATO-Erweiterung die Sicherheit von irgend jemandem verbessert, weder der Länder, die der NATO beitreten wollen, noch der Organisation selbst«.

Die kritischen Töne aus Moskau sind aber vor allem innenpolitisch motiviert. Rußland ist traditionell gegen eine Ausweitung der NATO, doch die Regierung Putin fährt einen strikt proamerikanischen Kurs. Beim Gipfel in Rom bekam Moskau dafür einen Sitz im neuen NATO-Rußland-Rat. Mit neun Bereichen, darunter Krisenmanagement, Rüstungskontrolle- und -kooperation, kann sich der Rat beschäftigen. Wirkliche Mitbestimmung bekommt Rußland damit aber nicht: Entscheidungen der NATO kann es auch nicht über den Rat blockieren.

* Internet: www.rigasummit.lv/en/

Original: http://www.jungewelt.de/2002/07-05/005.php